BVwG W227 2173374-1

BVwGW227 2173374-12.11.2017

B-VG Art.133 Abs4
SchUG §42 Abs14
Schulpflichtgesetz 1985 §11 Abs3
Schulpflichtgesetz 1985 §11 Abs4
Schulpflichtgesetz 1985 §12
VwGVG §28 Abs3 Satz2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:W227.2173374.1.00

 

Spruch:

W227 2173374-1/ 2E

 

BESCHLUSS

 

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerde von XXXX , Erziehungsberechtigte von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Stadtschulrates für Wien vom 18. September 2017, Zl. 003.103/0072-PAEXT/2017, zu Recht:

 

A)

 

Der angefochtene Bescheid wird behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Prüfung der Anzeige der Teilnahme am häuslichen Unterricht nach § 11 Abs. 3 Schulpflichtgesetz (SchPflG) zurückverwiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

 

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

 

1. Am 30. Juni 2016 zeigte die Beschwerdeführerin beim Stadtschulrat für Wien die Teilnahme ihres Sohnes XXXX , geboren am XXXX , am häuslichen Unterricht für das Schuljahr 2016/2017 an.

 

2. Mit Schreiben vom 12. Juli 2017 urgierte der Stadtschulrat für Wien bei der Beschwerdeführerin die Vorlage eines Externistenprüfungszeugnisses ihres Sohnes.

 

3. In Folge legte die Beschwerdeführerin ein Zeugnis der XXXX schule

XXXX vom 30. Juni 2017 über die von ihrem Sohn erfolgreich bestandene erste Schulstufe (Schuljahr 2016/2017) und eine Schulbesuchsbestätigung, wonach ihr Sohn diese Schule von 3. Oktober 2016 bis 30. Juni 2017 besuchte, vor.

 

4. Am 31. August 2017 zeigte die Beschwerdeführerin beim Stadtschulrat für Wien die Teilnahme ihres Sohnes am häuslichen Unterricht für das Schuljahr 2017/2018 an.

 

5. Mit dem angefochtenen Bescheid untersagte der Stadtschulrat für Wien gemäß § 11 Abs. 4 SchPfIG die Teilnahme des Sohnes der Beschwerdeführerin am häuslichen Unterricht im Schuljahr 2017/2018 (Spruchteil 1.), ordnete an, dass der Sohn der Beschwerdeführerin "fortan" seine Schulpflicht an einer öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule "mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung" zu erfüllen habe (Spruchteil 2.), und sprach weiters aus, dass einer rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG keine aufschiebende Wirkung zukommt (Spruchteil 3.).

 

Begründend führte er zusammengefasst aus, dass das vorgelegte "Zeugnis einer Privatschule mit vom zuständigen Bundesminister genehmigtem Organisationsstatut" keinen geeigneten Nachweis des zureichenden Erfolges des häuslichen Unterrichts i.S.d. § 11 Abs. 4 SchPflG darstelle. Die Teilnahme des Sohnes der Beschwerdeführerin am häuslichen Unterricht im Schuljahr 2017/2018 sei daher zu untersagen. Die Beschwerdeführerin sei verpflichtet, für die Erfüllung der Schulpflicht ihres Sohnes an einer öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule "mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung" zu sorgen. Die Erfüllung der Schulpflicht habe im Schuljahr 2017/2018 auf der 1. Schulstufe zu erfolgen. Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfolge im öffentlichen Interesse an der ausreichenden Beschulung von Kindern mit dauerndem Aufenthalt in Österreich.

 

6. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde. In dieser führt sie im Wesentlichen Folgendes aus:

 

Ihr Sohn habe im Schuljahr 2016/2017 die erste Klasse an einer Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht besucht und mit gültigem Zeugnis abgeschlossen. Somit seien die Voraussetzungen für die Abmeldung zum häuslichen Unterricht erfüllt worden. In den Sommerferien hätten ihr Sohn und sie beschlossen, dass sie in diesem Schuljahr häuslichen Unterricht "ausprobieren wollen". Es würde ihren Sohn "verwirren und somit schaden, dies jetzt abzubrechen". Der "Beschluss" (gemeint: Bescheid) vom 18. September 2017 "solle daher umgehenst reaktiviert und bearbeitet" werden.

 

7. Am 13. Oktober 2017 legte der Stadtschulrat für Wien die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Zu Spruchpunkt A)

 

1.1.1. Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, S. 127 und S. 137;

siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, S. 65 und S. 73 f.;

vgl. auch VwGH 25.01.2017, 2016/12/0109, Rz 18ff.).

 

1.1.2. Nach § 1 Abs. 1 SchPflG besteht für alle Kinder, die sich in Österreich dauernd aufhalten, allgemeine Schulpflicht.

 

Gemäß § 4 SchPflG sind unter den in den §§ 5 bis 10 genannten Schulen öffentliche oder mit einem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schulen zu verstehen.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 SchPflG ist die allgemeine Schulpflicht durch den Besuch von allgemein bildenden Pflichtschulen sowie von mittleren oder höheren Schulen (einschließlich der land- und forstwirtschaftlichen Fachschulen und der höheren land- und forstwirtschaftlichen Lehranstalten) zu erfüllen.

 

Nach § 11 Abs. 2 SchPflG kann die allgemeine Schulpflicht durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule – ausgenommen den Polytechnischen Lehrgang – mindestens gleichwertig ist.

 

Gemäß § 11 Abs. 3 SchPflG haben die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten die Teilnahme ihres Kindes an einem im Abs. 2 genannten Unterricht dem Landesschulrat jeweils vor Beginn des Schuljahres anzuzeigen. Der Landesschulrat kann die Teilnahme an einem solchen Unterricht innerhalb eines Monates ab dem Einlangen der Anzeige untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die im Abs. 2 geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes nicht gegeben ist.

 

Gemäß § 11 Abs. 4 SchPflG ist der zureichende Erfolg eines im Abs. 1 oder 2 genannten Unterrichtes jährlich vor Schulschluss durch eine Prüfung an einer im § 5 genannten entsprechenden Schule nachzuweisen, soweit auch die Schüler dieser Schule am Ende des Schuljahres beurteilt werden. Wird ein solcher Nachweis nicht erbracht, so hat der Landesschulrat anzuordnen, dass das Kind seine Schulpflicht i.S.d. § 5 zu erfüllen hat.

 

1.2.1. Der Stadtschulrat für Wien vertritt die Rechtsansicht, dass für den Sohn der Beschwerdeführerin kein ausreichender Erfolgsnachweis i.S.d. § 11 Abs. 4 SchPflG erbracht wurde, weswegen der häusliche Unterricht für das Schuljahr 2017/2018 zwingend zu untersagen war.

 

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ergibt sich aus dem Aufbau und Inhalt des Schulpflichtgesetzes eindeutig – unbeschadet der gegebenenfalls eintretenden Pflicht zur Vorlage eines entsprechenden Zeugnisses (z.B. Externistenprüfungszeugnis) – ein grundsätzlich gleichberechtigtes und gleichwertiges Nebeneinander der einzelnen Möglichkeiten, der allgemeinen Schulpflicht nachzukommen. Die "allgemeine Schulpflicht" (besser wohl: allgemeine Unterrichtspflicht, so auch Jonak/Kövesi, Das österreichische Schulrecht, 14. Aufl., Anm. 2 zur Überschrift des Abschnittes I "Allgemeine Schulpflicht") kann erstens durch den Besuch von öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schulen (§§ 4 bis 10 SchPflG), zweitens durch die Teilnahme an einem gleichwertigen Unterricht (§ 11 SchPflG), darunter auch der häusliche Unterricht, drittens durch Besuch von Schulen, die keiner gesetzlich geregelten Schulart entsprechen (§ 12 SchPflG) und viertens durch Besuch von im Ausland gelegenen Schulen (§ 13 SchPflG) erfüllt werden.

 

Die "Genehmigung" (besser: Nicht-Untersagung) des häuslichen Unterrichts erfüllt somit nicht einen Selbstzweck, sondern dient primär der Absicherung der Erfüllung der Schulpflicht (Unterrichtspflicht). Auch der Verwaltungsgerichtshof hielt fest, dass sich die Regelungen des Schulpflichtgesetzes hinsichtlich häuslichen Unterricht ausschließlich auf die Frage beziehen, ob ein Kind durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht bereits seine Schulpflicht erfüllt, oder ob es dazu des Besuches einer allgemeinen Pflichtschule bedarf (vgl. VwGH 29.01.2009, 2008/10/0332 m.w.N.). Dieser Rechtsstandpunkt wird implizit auch vom Stadtschulrat für Wien selbst vertreten, wenn er im gegenständlich angefochtenen Bescheid die aufschiebende Wirkung mit der Begründung des öffentlichen Interesses an einer ausreichenden Beschulung von Kindern mit dauerndem Aufenthalt in Österreich ausschließt.

 

Weiters besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein Zweifel, dass sich das Gesetz sowohl mit dem Begriff "Erfolg des Unterrichts" als auch mit dem Erfordernis des Nachweises desselben durch eine Prüfung auf das einzelne schulpflichtige Kind und nicht auf die Qualität der Privatschule bzw. des häuslichen Unterrichts bezieht; denn der "Erfolg des Unterrichts" kann nur unter dem Gesichtspunkt seiner Auswirkungen auf Eigenschaften, Fähigkeiten und Leistungen des betreffenden Kindes beurteilt und einer "Prüfung" unterzogen werden (vgl. etwa VwGH 28.04.1997, 97/10/0060). Zur Zulässigkeit dieser Prüfung führte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 25. April 2001, Zl. 2000/10/0187, aus, dass mit dem Elternrecht auf häuslichen Unterricht die periodische Prüfung dieser Kinder durch staatliche Organe, aber auch die zwangsweise Einschulung bei Nichterreichung des Unterrichtszieles vereinbar sind.

 

1.2.2. Für den gegenständlichen Beschwerdefall bedeutet das Folgendes:

 

Zwar hat der Stadtschulrat für Wien zutreffend festgehalten, dass für den Sohn der Beschwerdeführerin kein Erfolgsnachweis i.S.d. § 11 Abs. 4 SchPflG vorgelegt wurde, denn er ist zu keiner Prüfung angetreten, die gemäß § 42 Abs. 14 SchUG und der darauf beruhenden Verordnung über die Externistenprüfungen durchgeführt wurde. Jedoch wurde für ihn ein (positives) Zeugnis einer Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht für das Schuljahr 2016/2017 vorgelegt.

 

Damit hat der Sohn der Beschwerdeführerin seine Schulpflicht im Schuljahr 2016/2017 durch den Besuch einer privaten "Statutschule" mit Öffentlichkeitsrecht (§ 12 SchPflG) und nicht durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht (§ 11 SchPflG) erfüllt.

 

Somit erweist sich der zu Beginn des Schuljahres 2016/2017 nicht untersagte häusliche Unterricht im gegenständlichen Fall letztlich als gegenstandslos. Angesichts des vorgelegten positiven Zeugnisses kann eben nicht von einer "Nichterreichung des Unterrichtszieles" i. S.d. VwGH-Erkenntnisses vom 25. April 2001, Zl. 2000/10/0187, gesprochen werden.

 

Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes erübrigt sich damit die ex-post-Prüfung des zureichenden Unterrichtserfolges i.S.d. § 11 Abs. 4 erster Halbsatz SchPflG, da sich der Sohn der Beschwerdeführerin faktisch nicht (mehr) im System des häuslichen Unterrichts befunden hat.

 

Die gegenständliche Nichtanwendbarkeit des § 11 Abs. 4 SchPflG steht jedoch nicht der Anwendbarkeit des § 11 Abs. 3 SchPflG entgegen, sodass der Stadtschulrat für Wien berechtigt ist, drohenden Missbrauch der gesetzlichen Regelungen des häuslichen Unterrichts auch in die Erwägungen der ex-ante-Prüfung der Gleichwertigkeit des häuslichen Unterrichts nach § 11 Abs. 3 SchPflG einfließen zu lassen.

 

1.2.3. Da der Stadtschulrat für Wien keine Erhebungen zur Frage der Gleichwertigkeit nach § 11 Abs. 3 SchPflG vorgenommen hat, ist der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben. Es kann auch nicht gesagt werden, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich ist das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an den Stadtschulrat für Wien zurückzuverweisen.

 

2. Zu Spruchpunkt B)

 

2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

2.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung von Rechtsfragen abhängt, denen grundsätzliche Bedeutung zukommt:

 

* Fragliche Zulässigkeit der (alternativen) Erfüllung der Schulpflicht (hier: Teilnahme am Unterricht an einer privaten Schule mit Öffentlichkeitsrecht) anstelle der ursprünglich angestrebten Teilnahme am häuslichen Unterricht.

 

* Ist eine Schulbehörde auch dann verpflichtet, die Teilnahme am häuslichen Unterricht für das folgende Schuljahr zu untersagen, wenn ein Schüler anstelle eines Erfolgsnachweises nach § 11 Abs. 4 SchPflG eine (positive) Bestätigung über die tatsächlich wahrgenommene und i.S.d. Schulpflichtgesetzes gleichwertige Alternative zum häuslichen Unterricht vorlegt?

 

Eine entsprechende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt nicht vor; es ist auch nicht davon auszugehen, dass eine eindeutige Gesetzeslage vorliegt bzw. dass die aus Anlass des hier zu beurteilenden Falles vorgenommenen Ableitungen zwingend sind.

 

3. Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

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