BVwG W178 2236410-1

BVwGW178 2236410-116.2.2022

ASVG §21
ASVG §58
ASVG §67 Abs10
B-VG Art133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2022:W178.2236410.1.00

 

Spruch:

 

W178 2236410-1/17E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Drin Maria PARZER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Herrn XXXX , vertreten durch WEINHÄUPL EDTBAUER TREMEL Anwälte GmbH, gegen den Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK-W) vom 10.07.2020, Zl. 11-2011-BE-VER10-000RP, zu Recht erkannt:

 

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die belangte Behörde hat den Beschwerdeführer (Bf) informiert, dass er als Geschäftsführer zur Haftung nach § 67 Abs 10 ASVG herangezogen werde und hat ihm den Rückstandsausweis vom 07.01.2020 betreffend die uneinbringlichen Sozialversicherungsbeiträge der XXXX GmbH (kurz ACS) übermittelt.

2.Mit Bescheid vom 10.07.2020 wurde festgestellt, dass der Bf nach § 67 Abs 10 ASVG für von der ACS zu entrichtende Beiträge aus den Zeiträumen von Mai 2016 bis Dezember 2016 in der Höhe von € 58.436,82 (€ 49.899,45 zuzüglich Verzugszinsen bis zum 10.07.2020) hafte. Zur Begründung wurde angeführt, dass der Konkurs eröffnet und das Konkursverfahren bereits aufgehoben worden sei. Der Vertreter des Dienstgebers habe darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der Pflichten nicht möglich gewesen sei, widrigenfalls die Behörde schuldhaftes Verhalten annehmen dürfe.

3. Dagegen wurde Beschwerde erhoben. Darin wurde zur Begründung angeführt, dass dem Rückstandsausweis nicht zu entnehmen sei, um welche Beiträge es sich handle, sondern lediglich „Beitrag GPLA Rest“ und „Beitrag Rest“ angeführt werde. Da zum Zeitpunkt der Prüfung das Insolvenzverfahren bereits anhängig gewesen sei, sei der Bf nicht eingebunden gewesen. Der Bf sei Geschäftsführer von zwei Gesellschaften, die ACS und die XXXX . Die letztgenannte Gesellschaft habe ein Sanierungsverfahren durchlaufen und die (damalige) OÖGKK habe in diesem Zusammenhang die Sozialversicherungsbeiträge rückerstattet. Beide Gesellschaften seien im Zeitraum 05/2016 bis 12/2016 (und auch davor nicht) nicht verpflichtet gewesen, Beiträge für Arbeitnehmer abzuführen. Die Beschäftigten hätten vorwiegend keine österreichische Staatsbürgerschaft besessen, keinen Wohnsitz in Österreich gehabt und hätten die Leistungen vor allem in Deutschland erbracht.

Der Bf als Geschäftsführer der XXXX GmbH sei in Deutschland in erster Instanz wegen Abgabenhinterziehung schuldig gesprochen worden, weil er die Abgaben in Österreich und nicht in Deutschland abgeführt habe. Auch wenn die Dienstnehmer irrtümlich bei der damaligen WGKK gemeldet worden seien, habe keine gesetzliche Abgabenpflicht bestanden. Es lägen somit überhaupt keine Ansprüche der ÖGK vor, die der Bf als Geschäftsführer der ACS nicht erfüllt habe. Da die schuldnerische Gesellschaft bei richtiger rechtlicher Betrachtung keine Beiträge schulde, schulde sie auch der Geschäftsführer nicht.

4. Am 21.01.2022 fand vor dem BVwG eine mündliche Verhandlung statt. Es wurden der Bf, die Zeugin Mag.a Eva Mohr (Lohnverrechnung) und Frau Maga Witzmann als ehemalige Masseverwalterin einvernommen. Herr Erblich als GPLB-Prüfer der ÖGK wurde zur Klärung der aufgeworfenen Fragen betreffend Art der Beiträge und Prüfung herangezogen.

5. Die belangte Behörde gab mit 03.02.2022 und der Bf mit 04.02.2022 je eine ergänzende Stellungnahme ab. Die ÖGK wies darauf hin, dass hinsichtlich der Versicherungs- und Beitragspflicht kein Bescheidantrag vorliege. Da die Dienstnehmer vom Dienstgeber selbst gemeldet worden seien, sei von Bestehen der Pflichtversicherung nach dem ASVG auszugehen.

Der Bf führte aus, dass sich aus der Niederschrift über die Schlussbesprechung ergäbe, dass die Versicherungspflicht und die Betragsgrundlagen und Beiträge von 7 Dienstnehmern storniert worden seien, weil diese Arbeitnehmer ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten und für diese Dienstverhältnisse Deutschland zuständig sei. Der Bf lege eine Liste derjenigen Dienstnehmer, die keinen Wohnsitz in Österreich hatten und die nie in Österreich eingesetzt worden waren. Für diese Dienstnehmer seien Beiträge abgeführt worden, für die nunmehr ein Rückzahlungsanspruch bestehe. Dem stünden auch die Bestimmungen über die Formalversicherung nicht entgegen, weil der Versicherungsträger selbst die Auskunft gegeben habe, dass an diesen zu bezahlen sei. Bei richtiger Berechnung des Beitragskontos, insbesondere bei Berücksichtigung der zu Unrecht entrichteten Abgaben, bestünde ein Guthaben des Bf und scheide somit eine Haftung aus.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Bf ist seit 2009 allein vertretungsbefugter Geschäftsführer der ACS ( XXXX GmbH), FN 270214 z, Alleingesellschafterin ist die XXXX GmbH, kurz S.H.G., FN 326309 t, deren Geschäftsführer auch der Bf ist. Der Bf ist alleiniger Gesellschafter der S.H.G.

Zu 4 S 14/17m wurde mit 27.01.2017 das Insolvenzverfahren eröffnet. Zur Masseverwalterin wurde Frau RA Maga. Witzmann bestellt. Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 12.08.2019 wurde der Konkurs aufgehoben (Quote 6,85082 %).

Über die S.H.G. wurde am 08.08.2018 das Sanierungsverfahren eröffnet und mit rechtskräftigem Beschluss vom 03.12.2018 wurde das Sanierungsverfahren aufgehoben.

Seitens der Masseverwalterin wurden jedenfalls die durch die GPLA festgestellten Beitragsnachzahlung und sonstige offene Beiträge in der Höhe von € 29.899,59 und von € 16.000, -- anerkannt, vgl. Zwischenbericht der Masseverwalterin vom 17.12.2018 an das Handelsgericht Wien.

Die ACS hat mehrere Gewerbeberechtigungen: Sicherheitsgewerbe (Berufsdetektive, Bewachungsgewerbe), Veranstaltungs- und Kongressorganisation, Stuckateure und Trockenausbauer(Handwerk), Zusammenbau und Montage beweglicher Sachen, Bauwerksabdichter, Entrümpler (Räumung durch Entfernung wertlosen Gutes) sowie Durchführung von einfachen Hausbetreuungstätigkeiten. Nach den Aussagen des Bf in der mündlichen Verhandlung hat die ACS hat im streitgegenständlichen Zeitraum 2016 vorwiegend Entrümpelungen und Recycling durchgeführt und war im Sicherheitsgewerbe (Bewachung von Objekten) tätig. Firmensitz war in der Dietrichsteingasse in Wien. Die näheren Umstände der Beschäftigung der Arbeitnehmer und deren Wohnort wie Arbeitsort sind in diesem Verfahren nicht zu klären.

Die ACS hat seit 01.11.2005 ein Beitragskonto bei der WGKK (nunmehr ÖGK). Abgesehen von den im genannten Rückstandsausweis angeführten Forderungen wurden die Beiträge bezahlt.

Es fand nach Konkurseröffnung eine Beitragsprüfung statt, bei der Meldepflichtverletzungen festgestellt wurden (Bezeichnung „Beitrag GPLA Rest“ im Rückstandsausweis vom 10.07.2020), vgl. dazu auch Prüfbericht vom 20.07.2018.

Die Prüfung wurde vom 15.06. bis 19.07.2018 durchgeführt, die Schlussbesprechung am 19.07.2018 fand mit der Insolvenzverwalterin statt.

Die Haftungssumme setzt sich aus den offenen Sozialversicherungsbeiträgen im engeren Sinn und Nebenbeiträgen wie Arbeitslosenversicherungsbeiträge, Insolvenz-Entgeltsicherungs-Beiträge, Wohnbauförderungsbeiträge Beiträge zur Betrieblichen Mitarbeitervorsorge sowie Verzugszinsen und Gebühren aus den Beitragszeiträumen von Mai 2016 bis einschließlich Dezember 2016 zusammen. Die einzelnen Beträge ergeben sich aus dem Rückstandsausweis vom 10.07.2020, vgl. auch Prüfbericht vom 20.07.2018. Es bestanden bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit offene fällige Forderungen aufgrund der von der ACS gemeldeten Beitragsgrundlagen und weitere Beitragsforderungen, die durch die GLPB festgestellt wurden und die auf Meldepflichtverletzungen beruhen.

Betreffend die XXXX GmbH wurde der Bf vom Amtsgericht Erfurt zu Gz. 70 Cs 352 Js 2632/18 vom 08.11.2019 wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt aus dem Zeitraum von 2013 bis 2016 zur einer Bewährungsstrafe verurteilt, dieses Urteil wurde durch Rechtmittel angefochten. Die im Strafverfahren involvierten Dienstnehmer sind andere als die im gegenständlichen Verfahren. Im Urteil wird u.a. angeführt, dass „keiner der vorgenannten Arbeitnehmer [war] der vorgefassten Ansicht des Angeklagten entsprechend in Deutschland oder Österreich versichert [war]“, vgl. Seite 15, Mitte. Die Rücküberweisung bei der an die damalige OÖGKK gezahlten Beiträge erfolgte nach dem Vorbringen des Bf im Zuge des Sanierungsverfahrens der S.H.G., in der 2. Hälfte des Jahres 2018.

Die Anmeldung der gegenständlichen Dienstnehmer wurde von der beauftragten Lohnverrechnung ohne Vorbehalt erstattet.

Bei den Beschäftigten handelte es sich um EU-Bürger. Auch diejenigen Beschäftigten mit einer serbischen Herkunftsadresse (Wohnort) haben nach den glaubhaften Angaben des Bf eine ungarische Staatsbürgerschaft (einen ungarischen Pass).

Seitens der Masseverwalterin wurden laut Schreiben der Masseverwalterin vom 25.09.2018 an die WGKK, Beilage ./C der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 21.01.2022 € 29.899,59, € 16.000,-- und € 60.773,91 anerkannt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem Akt der belangten Behörde, den vom Bf vorgelegten Unterlagen sowie aus den Einvernahmen in der mündlichen Verhandlung, einschließlich der dort vorgelegten Unterlagen (Beilagen ./A bis ./P, die von der Zeugin Mag. Witzmann vorgelegt wurden sowie Beilagen ./I und ./II, die vom Rechtsvertreter vorgelegt wurden). Es wurde Einsicht genommen in das Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 08.11.2019, Az. 70 Cs 352 Js 2632/18 und das Erkenntnis des LVwG OÖ vom 16.04.2021, LVwG -302895/18/BMa/PP-302896/2 zu § 111 ASVG.

Es wurde neben der ehemaligen Masseverwalterin, Frau Maga. WITZMANN, Frau Maga. Eva MOHR als Zeugin vernommen.

Die Zeugin Maga. Mohr war bis 15. Jänner 2015 bei der ACS tätig. Sie ist mit dem Bf nicht mehr in beruflichem Kontakt, sie hat daher keine eigenen Interessen am Verfahren bzw. keine Loyalität. Sie war im streitgegenständlichen Zeitraum eine erfahrene Lohnverrechnerin. Sie war zwar nur bis 2015 bei der ACS tätig, das vom Bf als Geschäftsführer und wirtschaftlicher Inhaber der Gesellschaften ACS und S.H.G. bestand aber schon zu der Zeit, vgl. Urteil des Amtsgerichts Erfurt. Ihre Aussage, dass sie die Anmeldungen zur WGKK, nunmehr ÖGK, aus bestem Wissen und Gewissen und nach den Informationen, die sie vom Bf hatte, erstattet hat, ist überzeugend.

Frau Mag. Witzmann hat umfangreiche Unterlagen vorgelegt und ihre Aussagen auf den von ihr geführten Akt als Masseverwalterin gestützt, ihre Aussagen waren exakt und haben eine hohe Beweiskraft. Im gegenständlichen Fall sind die wesentlichen Fakten nicht strittig, im Wesentlichen sind es die Rechtsfolgen aus dem Sachverhalt.

Unbestritten ist, dass die Beschäftigten der ACS als Dienstnehmer beschäftigt waren.

Soweit der Rückstandsausweis vom 10.07.2020, der der Haftung zugrunde liegt, nicht selbsterklärend war, konnte durch die mündliche Verhandlung Klarheit geschaffen werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1 Gesetzliche Grundlagen:

Gemäß § 67 Abs 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.

 

§ 58 Abs 5 ASVG haben die VertreterInnen juristischer Personen, die gesetzlichen VertreterInnen natürlicher Personen und die VermögensverwalterInnen (§ 80 BAO) alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

 

§ 21 ASVG

(1) Hat ein Versicherungsträger bei einer nicht der Pflichtversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz unterliegenden Person auf Grund der bei ihm vorbehaltlos erstatteten, nicht vorsätzlich unrichtigen Anmeldung den Bestand der Pflichtversicherung als gegeben angesehen und für den vermeintlich Pflichtversicherten drei Monate ununterbrochen die Beiträge unbeanstandet angenommen, so besteht ab dem Zeitpunkt, für den erstmals die Beiträge entrichtet worden sind, eine Formalversicherung. Dies gilt nicht für Fälle einer vermeintlichen Teilversicherung in der Pensionsversicherung nach § 8 Abs. 1 Z 2 lit. a bis g.

(2) Die Formalversicherung endet, wenn nicht eine frühere Beendigung gemäß § 11 oder § 12 eintritt, mit dem Tage der Zustellung des Bescheides des Versicherungsträgers über das Ausscheiden aus der Versicherung. Die Formalversicherung in der Pensionsversicherung endet jedoch spätestens mit dem Tag vor dem Stichtag (§ 223 Abs. 2).

(3) Die Formalversicherung hat in allen in Betracht kommenden Versicherungen die gleichen Rechtswirkungen wie die Pflichtversicherung.

 

3.2. Judikatur

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist die Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG eine dem Schadenersatzrecht nachgebildete Verschuldenshaftung, die den Geschäftsführer deshalb trifft, weil er seine gegenüber dem Sozialversicherungsträger bestehende gesetzliche Verpflichtung zur rechtzeitigen Entrichtung von Beiträgen schuldhaft (leichte Fahrlässigkeit genügt) verletzt hat.

 

Die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG setzt die Uneinbringlichkeit der Beiträge, die Stellung des Haftenden als Vertreter, eine Pflichtverletzung des Vertreters und dessen Verschulden an der Pflichtverletzung, deren Ursächlichkeit für die Uneinbringlichkeit sowie den Rechtswidrigkeitszusammenhang voraus (vgl. VwGH 29.1.2014, 2012/08/0227, zur Parallelbestimmung des § 25a Abs. 7 BUAG).

 

3.3. Im konkreten Fall:

 

3.3.1 Vertretereigenschaft

 

Unbestritten ist, dass der Bf im streitgegenständlichen Zeitraum von 05/2016 bis 12/2016 Geschäftsführer der Primärschuldnerin war.

 

3.3.2 Zum Bestehen der Beitragspflicht- Akzessorietät der Haftung

Vgl. dazu Rudolf Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 67 ASVG (Stand 1.12.2020, rdb.at), RZ. 135:

[…]

Die Inanspruchnahme des Vertreters zur Haftung setzt daher nicht schlechthin das unveränderte Bestehen der Beitragsschuld beim Primärschuldner voraus. Wird diese in einem Verfahren verneint, dann hat sie nie bestanden und eine Haftung kommt von vornherein nicht in Betracht. Auch der Eintritt der Verjährung gegenüber dem Beitragsschuldner schließt eine Haftung des Vertreters nach dem Gesagten aus (VwGH 94/08/0249, ASoK 1999, 272 = ARD 5059/11/99 = ARD 5060/21/99), da diesfalls der Kausalzusammenhang der Uneinbringlichkeit mit der Verletzung der DG-Pflichten durch ein für die Uneinbringlichkeit kausales Unterlassen des VTr überholt wird.

 

3.3.2.1 Dem Beschwerdevorbringen ist zuzustimmen, dass dann, wenn keine Beitragsschuld der Primärschuldnerin vorliegt, auch keine Haftung des Vertreters vorliegen kann und – schon aus logischen Gründen - auch keine Uneinbringlichkeit der Beiträge.

 

Das ist hier aber nicht der Fall: Die Beitragsschuld der ACS besteht aus folgenden Gründen zu Recht, wobei auch einer der Gründe die Beitragspflicht der ACS und damit die aufrechte Beitragsschuld hinreichend begründen würde:

 

Der Bf bringt in diesem Verfahren im Wesentlichen vor, dass überwiegend keine österreichische Zuständigkeit zur Durchführung der Sozialversicherung der bei der ACS Beschäftigten bestanden hätte und daher auch keine Beiträge geschuldet waren und er als Vertreter daher auch nicht dafür hafte.

Die Frage des Bestehens der Pflichtversicherung und der Beitragspflicht kann grundsätzlich im Verfahren betreffend Haftung des Vertreters als Vorfrage geprüft werden, soweit nicht schon eine verbindliche Entscheidung darüber vorliegt:

Als erste Voraussetzung ist daher zu prüfen, ob die Beiträge durch die Primärschuldnerin geschuldet wurden.

3.3.2.2 Dazu ist einleitend darauf hinzuweisen, dass das Urteil des Amtsgerichtes in Erfurt nicht rechtskräftig ist und daher nicht bindend die deutsche Zuständigkeit für die Einbeziehung in die Sozialversicherung der S.H.G. Beschäftigten feststeht; wie oben angeführt, weist der Bf darauf hin, dass beide Unternehmen nach demselben Geschäftsmodell arbeiten, sodass auch Rückschlüsse auf die Zuständigkeit im gegenständlichen Verfahren gezogen werden müssten, was derzeit aber mangels Rechtskraft noch nicht zulässig ist.

Ebenso könnte die Unzuständigkeit Österreich für die Sozialversicherung der bei der ACS Beschäftigten aufgrund des EU-Kollisionsrechts (Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, kurz VO 883/2004 ) erst nach Ermittlungen hinsichtlich der tatsächlichen Umstände der Beschäftigung und der Beschäftigten beurteilt werden. Diese Ermittlungen sind in diesem Verfahren nicht zu treffen, vgl. dazu unten.

Aus welchem Grund die damalige OÖGKK ohne Verfahren angenommen hat, dass keine Entsendung nach Art. 12 VO 883/ 2004 und damit Unzuständigkeit Österreichs, d.h. damit keine Pflichtversicherung nach dem ASVG vorliegt, sondern nur das Beschäftigungslandprinzip (Art. 11 Abs 3 der VO) zur Anwendung kommt, kann dahingestellt bleiben. Es ist hier auch nicht zu klären, aus welchem Grund trotz der in Österreich zumindest bis zur Jahreshälfte 2018 bestehenden Sozialversicherungsmeldung das Gericht in Erfurt zur Auffassung gelangt, die Beschäftigten wären auch in Ö nicht versichert. § 3 ASVG ist hier nicht anzuwenden, da es sich um einen Sachverhalt innerhalb von EU-Mitgliedsstaaten mit EU-Bürgern als Beschäftigten handelt.

 

3.3.2.3 Bestehen der Beitragsschuld aufgrund von Formalversicherung:

 

Die Pflichtversicherung der Beschäftigten und damit zusammenhängend auch die Beitragspflicht bestand, weil Formalversicherung eingetreten ist:

Im vorliegenden Fall wurden die Anmeldungen vorbehaltslos erstattet.

Die Anmeldung wurden auch nicht vorsätzlich unrichtig erstattet. Der Versicherungsträger hat die Beiträge mehr als 3 Monate unbeanstandet entgegengenommen.

Die Beiträge wurden abgesehen von den Beitragszeiträumen, die im Rahmen des Insolvenzverfahrens uneinbringlich wurden, bezahlt.

Es ist daher Formalversicherung eingetreten, die nach § 21 Abs 3 ASVG dieselben Wirkungen hat wie eine Pflichtversicherung. Damit bestand auch Beitragspflicht, die Beschäftigten haben Versicherungszeiten erworben.

 

3.3.2.4 Bestehen der Beitragsschuld durch Anerkennung der Beitragsforderung im Insolvenzverfahren:

Durch die Tatsache, dass die Masseverwalterin die angemeldeten Beiträge zT anerkannt hat, ist die Beitragsschuld als bestehend anzusehen, d.h. die Beiträge gelten als geschuldet. Es wird diesbezüglich auf § 60 Abs. 2 IO verwiesen. Jedenfalls wurden € 60.773,91, € 29.899,59 und € 16.000, -- anerkannt; die genaue Abfolge der von der ÖGK geltend gemachten Konkursforderungen, der Anfechtungen durch die Masseverwalterin, der damit zusammenhängenden Rückzahlungen und Anerkenntnisse durch die Masseverwalterin ist hier nicht zu klären, vgl. dazu 3.3.2.3.

 

Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Beiträge durch die Primärgesellschafterin jedenfalls geschuldet waren und daher auch die Verantwortung des Bf als Geschäftsführer bestand, für ihre Begleichung zu sorgen.

 

3.3.4 Zur Pflichtverletzungen des Bf: Meldeverstöße und Ungleichbehandlung

 

3.3.4.1 Betreffend den Bf liegt die Pflichtverletzung sowohl in der Meldepflichtverletzung, die sich aus der Nachverrechnung von Beiträgen lt. Prüfbericht ergibt.

Der Bf hat seine gegenüber dem Sozialversicherungsträger bestehende gesetzliche Verpflichtung zur rechtzeitigen Entrichtung von Beiträgen schuldhaft verletzt, in dem die Beiträge nicht in der richtigen Höhe gemeldet worden waren. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Bf die Lohnverrechnung durch Beauftragte erledigen ließ.

 

3.3.4.2 Eine gemäß § 67 Abs 10 ASVG relevante Pflichtverletzung kann unter anderem darin bestehen, dass der Haftende die Beitragsschulden (ohne rechtliche Grundlage) insoweit schlechter behandelt als sonstige Verbindlichkeiten, indem er diese bedient, jene aber unberichtigt lässt, bzw. im Fall des Fehlens ausreichender Mittel nicht für eine zumindest anteilsmäßige Befriedigung Sorge trägt. (vgl. VwGH 2017/08/0070 vom 12.10.2017).

Es wäre Sache des als Verantwortlicher herangezogenen Vertreters der juristischen Person, jene Gründe darzulegen und entsprechende Beweisanbote zu erstatten, dass er ohne sein Verschulden gehindert war, die ihm obliegenden Verpflichtungen zu erfüllen, widrigenfalls seine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden darf. (vgl. VwGH 12.01.2016, Ra 2014/08/0028).

Es wurden keine Gründe vorgebracht, die ihn an der Erfüllung seiner Pflicht nach § 58 Abs 5 ASVG, die Beiträge bei Fälligkeit zu entrichten, gehindert hätten.

 

3.3.5 Zum Verschulden

 

Für die Bejahung des Kriteriums des Verschuldens genügt leichte Fahrlässigkeit.

 

3.3.6 Zur Uneinbringlichkeit und Kausalität

 

Die Höhe der aushaftenden Beiträge ergibt sich aus dem Rückstandsausweis, wobei die vom IEF (Insolvenz-Entgelt-Fonds Service GmbH) entrichteten Beiträge ebenso wie die Konkursquote abgezogen wurde. Die Höhe des Betrages wurde nicht bestritten.

Die mündliche Verhandlung hat ergeben, dass die Beiträge, die sich aus den fällig gewordenen Beendigungsansprüchen ergeben und für deren Entrichtung den Bf keine Zuständigkeit traf (Forderung wurden nach Konkurseröffnung festgestellt) nicht in der Haftungssumme enthalten sind.

Die ACS hat die Sozialversicherungsbeiträge laufend bis zum gegenständlichen Zeitraum entrichtet. Wären die Beiträge in der richtigen Höhe gemeldet worden, so wäre die Entrichtung rechtzeitig erfolgt. Die Meldepflichtverletzung ist daher ursächlich für die Uneinbringlichkeit; das gilt auch für die anzunehmende Ungleichbehandlung der offenen Forderung. Beiträge, die durch die Masseverwalterin angefochten werden müssen, erfüllen die Pflicht zur Beitragsentrichtung nicht.

 

3.4. Der Bf ist noch auf Folgendes hinzuweisen:

 

Bei den Dienstnehmern der ACS, die vom gegenständlichen Verfahren betroffen sind, handelt es sich um eine Tätigkeit als Dienstnehmer, das ist unbestritten. Wären sie nicht bei der österreichischen Sozialversicherung angemeldet worden, hätte grundsätzlich - ohne dass das hier abschließend beurteilt werden kann – eine Einbeziehung in die Sozialversicherung als Dienstnehmer in Deutschland zu erfolgen gehabt. Nach der VO 883/2004 kann die Einbeziehung nur in einem Mitgliedsstaat der EU erfolgen. Sollte die Pflichtversicherung in Deutschland für die von diesem Verfahren umfassten Personen von einer Behörde in Betracht gezogen werden, wären – auch im Nachhinein – entsprechende Bescheinigungen A1 nach der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (kurz VO 987/2013 ) durch den österreichischen Trägers auszustellen.

3.5 Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Haftung nach § 67 Abs 10 ASVG wie die Uneinbringlichkeit der Beiträge, die Stellung des Bf als Geschäftsführer, die Pflichtverletzung und das Verschulden an der Pflichtverletzung, deren Ursächlichkeit für die Uneinbringlichkeit vorliegen.

 

Zu B) Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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