B-VG Art133 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:W136.2227342.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER über die Beschwerde des XXXX , vertreten durch RA Mag. Klaus HEINTZINGER, gegen das Disziplinarerkenntnis der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres vom 29.11.2019, GZ BMI-42106/0018-DK-Senat 2/2019, betreffend die Verhängung der Disziplinarstrafe der Geldbuße zu Recht:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid insoweit abgeändert, als XXXX vom Vorwurf, er habe am 15.03.2018 ohne dienstlichen Grund und sohin ohne Berechtigung in sechs näher genannte PAD-Akte Einsicht genommen, wodurch er eine Dienstpflichtverletzung gemäß § 44 Abs. 1 BDG 1979 i.V.m. der DA „Anfragen-EKIS und andere automationsunterstützt geführte zentrale Evidenzen“, DA „Kanzlei- und Protokollwesen“ und der DA „Datenschutzgesetz 2000, Durchführungsbestimmung“ begangen habe, freigesprochen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Mit dem im Spruch genannten Disziplinarerkenntnis wurde der Beschwerdeführer (im Folgenden BF), ein Exekutivbeamter, schuldig erkannt, er habe am 15.03.2018 ohne dienstlichen Grund und sohin ohne Berechtigung in sechs näher genannte PAD-Akte Einsicht genommen, wodurch er eine Dienstpflichtverletzung gemäß § 44 Abs. 1 BDG 1979 i.V.m. der DA „Anfragen-EKIS und andere automationsunterstützt geführte zentrale Evidenzen“, DA „Kanzlei- und Protokollwesen“ und der DA „Datenschutzgesetz 2000, Durchführungsbestimmung“ begangen habe. Über den BF wurde eine Geldbuße in der Höhe von €3.000,- verhängt.
Begründend wurde ausgeführt, dass sich der Sachverhalt aus der Disziplinarverfügung der Dienstbehörde ergäbe, gegen die der BF fristgerecht Einspruch erhoben habe. Der BF habe die Einsichtnahme zugestanden, jedoch angegeben, dass diese zum Zweck, nähere Erkenntnisse über die Entwicklung der Kriminalität im Suchtgiftbereich zu gewinnen, erfolgt sei. Dieser Verantwortung des BF werde nicht gefolgt, sondern als Schutzbehauptung gewertet. Zwar seien die Ausführungen des BF, wonach er für die Statistik, Analyse und das Lagebild verantwortlich sei, nachvollziehbar, jedoch sei zu diesem Zweck das Kriminalitätsanalysetool Sicherheitsmonitor zu verwenden, weshalb die Einsichtnahme in das PAD zu den vom BF genannten Zweck nicht notwendig gewesen wäre. Auffällig sei außerdem, dass in Akte Einsicht genommen worden sei, in die ein anderer Kollege im Zusammenhang mit anonymen Misshandlungsvorwürfen gegen den gemeinsamen Vorgesetzten Einsicht genommen habe. Daher habe der BF aus Neugier oder zur Anzeigenerstattung gegen seinen Vorgesetzten Einsicht genommen. PAD Anfragen dürften nur für dienstliche Zwecke durchgeführt werden, weshalb der BF gegen die Dienstanweisung verstoßen habe. Bei der Strafbemessung wurde die disziplinarrechtliche Unbescholtenheit sowie Belobigungen und die zweimalige Verleihung des Sicherheitsverdienstpreises als mildernd, die Tatwiederholung sowie die Vorbildwirkung als Vorgesetzter als erschwerend gewertet.
2. Gegen dieses Disziplinarerkenntnis erhob der BF rechtzeitig Beschwerde.
Begründend wurde in der Beschwerde ausgeführt, dass die belangte Behörde eine Geldbuße in der Höhe von € 3000,- verhängt habe, jedoch zum Tatzeitpunkt die Geldbuße mit der Höhe eines halben Monatsbezuges begrenzt gewesen sei, weshalb die verhängte Strafe höher als der gesetzlich vorgesehene Rahmen und daher rechtswidrig sei. Weiters wurde Verjährung eingewendet, weil die Dienstbehörde bereits spätestens im September 2018 von den Ermittlungen Kenntnis erlangt habe und eine Hemmung der Frist nicht eingetreten sei, weil die Erhebungen der StA einen anderen Sachverhalt betroffen hätten. Schließlich habe der BF die Abfragen nicht aus privatem Interesse getätigt, sondern in seiner Eigenschaft als Leiter des Kriminalreferates in Durchführung der ihm gemäß Arbeitsplatzbeschreibung obliegenden Aufgaben, welche näher beschrieben wurden. Es bleibe völlig offen, warum der BF die Anfragen im Zusammenhang mit einer anonymen Anzeige gegen seinen Dienststellenleiter getätigt haben solle, wenn diese Anzeige erst vier Monate später gewesen sei. Beantragt wurde, den BF nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung freizusprechen, in eventu die Strafe herabzusetzen.
3. Nach einer mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des BF, seines Rechtsvertreters und des Disziplinaranwaltes beim BMI wurde der Beschwerde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.04.2021, GZ W136 2227342-1/9E insoweit stattgegeben, als der BF schuldig erkannt wurde, er habe dadurch, dass er am 15. März 2018 zur allgemeinen Informationsgewinnung in Zusammenhang mit Suchtmitteldelikten (Lagebild) in sechs näher konkretisierte PAD-Akten Einsicht genommen habe, gegen die Dienstanweisung „Kanzlei- und Protokollwesen“ vom 15. Jänner 2013, GZ P4/303048/3/2012, verstoßen und somit eine Dienstpflichtverletzung gemäß § 44 Abs. 1 BDG 1979 begangen, weshalb über den BF die Disziplinarstrafe des Verweises verhängt wurde.
4. Mit Erkenntnis vom 14.09.2022, Zl. Ra 2022/09/0154, hat der Verwaltungsgerichtshof der vom BF erhobenen Revision stattgegeben und das vorgenannte Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben. Begründend wurde im Wesentlichen wie folgt ausgeführt:
„Wenn in einem Disziplinarerkenntnis der Vorwurf der Missachtung einer Weisung entgegen § 44 Abs. 1 BDG 1979 erhoben wird, muss sowohl der Inhalt der Weisung, deren Verletzung Gegenstand des Verfahrens ist, als auch das vorgeworfene, der Weisung zuwiderlaufende Verhalten des Beschuldigten auf präzise Weise dargestellt werden, sodass der Beschuldigte dadurch in die Lage versetzt ist, sich im Rechtsmittelverfahren sowohl mit auf den konkreten Tatvorwurf bezogenen rechtlichen Argumenten als auch mit Beweisanboten zur Wehr zu setzen, und davor geschützt wird, wegen desselben Vorwurfes nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden.
Das Verwaltungsgericht hat allerdings keine hinreichenden Sachverhaltsfeststellungen zum (allenfalls im Rahmen der amtswegigen Ermittlungspflichten zu verschaffenden) Inhalt der ins Treffen geführten Dienstanweisung und des vom Revisionswerber angesprochenen Grunderlasses getroffen, anhand derer beurteilt werden könnte, ob das festgestellte Verhalten des Revisionswerbers (Abfragen im dienstlichen Interesse zum Zweck der Analyse der Entwicklung der Suchtgiftkriminalität) tatsächlich einen Weisungsverstoß darstellt. Die disloziert im Rahmen der rechtlichen Erwägungen zum Inhalt der Dienstanweisung getroffenen kursorischen Feststellungen reichen nicht aus, um das vom Verwaltungsgericht erzielte Auslegungsergebnis nachprüfen zu können. Schon deshalb erweist sich das Erkenntnis mit sekundären Feststellungsmängeln belastet.“
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt) und Beweiswürdigung
1.1. Zur Person des BF:
Der am XXXX geborene BF ist Exekutivbeamter und war zum Zeitpunkt der angelasteten Pflichtverletzung Leiter des Kriminalreferates des XXXX Der BF ist disziplinarrechtlich unbescholten. Sein Bezug beträgt € 4.322,78,- brutto (Juli 2020). Der BF ist verheiratet und hat keine Sorgepflichten. Die Feststellungen zur Person des BF ergeben sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.
1.2. Zur angelasteten Pflichtverletzungen:
Wie bereits im ersten Rechtsgang wird festgestellt, dass der BF die von ihm zugestandene Einsichtnahme in die genannten PAD-Akte nicht aus privatem Interesse oder Neugier oder zum Zweck der Erstattung einer Anzeige gegen seinen Dienststellenleiter durchführte, sondern der Aufruf der Akte zum Zwecke der Analyse der Entwicklung der Suchtgiftkriminalität innerhalb seines örtlichen Zuständigkeitsbereiches erfolgte, somit ein dienstliches Interesse der Abfrage zugrunde lag.
Diese Feststellung beruht auf folgenden Erwägungen:
Der BF hat vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubwürdig und nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen er in die PAD Akte Einsicht genommen hat, wobei er diese Verantwortung im Wesentlichen in gleicher Form bereits vor der belangten Behörde vertrat. Diese Angabe ist auch deswegen glaubhaft, weil der BF als Leiter des Kriminalreferates in sachlicher Hinsicht zuständig war, Statistiken und Analysen zum Kriminalitätslagebericht im örtlichen Zuständigkeitsbereich zu erarbeiten. Hingegen hat die belangte Behörde nicht näher begründet, warum sie die Ansicht vertritt, dass der BF die Einsichtnahme ohne dienstlichen Grund und daher unberechtigt vorgenommen hat. Allein aus dem Umstand, dass der BF etwa vier Monate nach der Einsichtnahme eine Beschwerde bzw. Anzeige gegen seinen Dienststellenleiter legt, kann nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden, dass die inkriminierte Abfrage zu dem Zweck getätigt wurde, gegen den Dienststellenleiter Belastungsbeweise zu erhalten, selbst wenn der Dienststellenleiter in die polizeilichen Amtshandlungen, denen die vom BF abgefragten Geschäftsfälle zugrunde lagen, beteiligt war. Aus diesem Grund war dem Vorbringen des BF zu folgen, zumal die Annahme der belangten Behörde begründungslos erfolgte und auch keine Beweisergebnisse vorliegen, die diese Annahme stützen.
2. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen eine Einzelrichterzuständigkeit vor.
Zu A.)
2.1. Gemäß § 44 Abs. 1 BDG 1979 hat der Beamte seine Vorgesetzten zu unterstützen und ihre Weisungen, soweit verfassungsgesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zu befolgen. Vorgesetzter ist jeder Organwalter, der mit der Dienst- oder Fachaufsicht über den Beamten betraut ist.
Im vorliegenden Fall wurde dem BF die personenbezogene Abfrage im PAD zu 13 Personen ohne dienstliche Veranlassung oder Interesse angelastet, weshalb er gegen die Dienstanweisung Kanzlei- und Protokollwesen“ vom 15. Jänner 2013, GZ P4/303048/3/2012 verstoßen habe.
Nachdem der BF, wie in den Feststellungen angeführt, zum Zweck, Erkenntnisse über die Entwicklung der Suchtgiftkriminalität in seinem örtlichen Zuständigkeitsbereich zu gewinnen, in konkrete Geschäftsfälle der Applikation Einsicht genommen hat, hat der BF aus einem dienstlichen Grund die Abfragen getätigt.
Wie der VwGH im das gegenständliche Verfahren betreffende Erkenntnis ausgeführt hat, hat das Verwaltungsgericht keine hinreichenden Feststellungen zum Inhalt der Dienstanweisung, gegen die der BF verstoßen haben soll getroffen.
Die im Spruch des bekämpften Bescheides angeführte Dienstanweisung, „Kanzlei- und Protokollwesen“, ist eine generelle Weisung zur Nutzung (Protokollierung und Bearbeitung) einer Geschäftsfall-Applikation (PAD), welche gemäß den diesbezüglich allgemeinen Ausführungen zur Protokollierung, Bearbeitung und Erledigung von geschäftsfällen vorgesehen ist. Für statistische Zwecke, Erkenntnisabfragen und zur allgemeinen Informationsgewinnung sind aus datenschutzrechtlichen Gründen grundsätzlich andere BMI-Webanwendungen (zB EKIS Analyseplattform) zu verwenden. Gemäß Punkt III.9.3 dieser Dienstanweisung ist das anlasslose Priorieren bzw Anfragen, die mit dem konkreten Anlassfall in keinem Zusammenhang stehen, zu unterlassen. Eine Nachschau in PAD Akten, zu denen entgegen dem Auftragsprinzip kein Auftrag besteht ist nicht gestattet.
Dem Beschwerdevorbringen, wonach der BF aus einem dienstlichen Grund die Abfragen getätigt hat, kommt wie festgestellt, Berechtigung zu, weshalb nicht erkannt werden kann, dass der BF gegen die genannte Dienstanweisung verstoßen habe. Insoweit der Begründung des bekämpften Bescheides (Seite 10, zweiter Absatz) zu entnehmen ist, dass der BF selbst bei einem dienstlichen Interesse iZm Auswertung und Analyse zur Erstellung eines Lagebildes nicht berechtigt wäre, in PAD-Akte Einsicht zu nehmen, weil dies nur der Sachbearbeiter dürfe bzw der BF grundsätzlich keine Zuständigkeit für Suchtgiftakte gehabt habe, ist zu bemerken, dass ein derartiger Inhalt, nämlich dass ausschließlich nur der jeweilige Sachbearbeiter in seine eigenen Akten im PAD einsehen darf, der genannten Dienstanweisung nicht zu entnehmen ist.
Dem BF ist daher kein Weisungsverstoß gegen die Dienstanweisung „Kanzlei- und Protokollwesen“ anzulasten.
Insoweit dem BF spruchgemäß angelastet wird, gegen die Dienstanweisungen „Anfragen-EKIS und andere automationsunterstützt geführte zentrale Evidenzen“ sowie „Datenschutzgesetz 2000, Durchführungsbestimmungen“ verstoßen zu haben, ist zu bemerken, dass die nicht begründet wurde. Weder wurden die Bestimmungen angeführt, gegen die der BF verstoßen haben soll, noch wurde angeführt, auf welche geschützten Daten der BF unbefugt zugegriffen haben soll. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass sich die beiden vorgenannten Dienstanweisungen nicht im Akt der belangten Behörde finden und eine nähere Aufklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht mangels Teilnahme der belangten Behörde nicht erfolgen konnte.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Im Gegenstand war insbesondere das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes beachtlich.
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