BVwG L525 2277291-1

BVwGL525 2277291-118.10.2023

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §33
VwGVG §7 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2023:L525.2277291.1.00

 

Spruch:

 

L525 2277291-1/10EL525 2277291-2/3E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Johannes ZÖCHLING als Einzelrichter über die Beschwerde von mj XXXX , geb. XXXX , StA: Syrien, vertreten durch Mag. Bianca NÖST, p.A. Mariengasse 24, 8020 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.07.2023, Zl. XXXX zu Recht erkannt,

 

A1) Zu L525 2277291-2:

1. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, als dass der Spruch zu lauten hat:

"Ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand vom 15.05.2023 wird gemäß § 33 VwGVG abgewiesen."

 

A2) Zu L525 2277291-1:

2. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

 

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang:

 

Der Beschwerdeführer – ein mj syrischer Staatsbürger – stellte nach illegaler Einreise am 14.09.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde tags darauf einer niederschriftlichen Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen. Am 20.12.2021 bevollmächtigte die XXXX als Vertreterin des Kinder- und Jugenhilfeträgers namentlich genannte rechtskundige Mitarbeiter/innen der Caritas der Diozese Graz-Seckau, darunter XXXX , mit der Begleitung und Vertretung im Asylverfahren. Am 04.10.2022 bevollmächtigte XXXX eine weitere Mitarbeiterin der Rechtsberatung, Mag. XXXX , mit der Vertretung des Beschwerdeführers im Asylverfahren bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres.

 

Am 06.12.2022 wurde der Antragsteller im Beisein seiner Vertreterin von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen und eine Frist zur Stellungnahme gewährt, welche am 16.12.2022 bei der Behörde einlangte.

 

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA") vom 24.03.2023 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs 1 AsylG wurde dem Beschwerdeführer der Status als subsidiär Schutzberechtigter zuerkannt (Spruchpunkt II) und ihm gemäß § 8 Abs 1 AsylG die befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiäre Schutzberechtigte für 1 Jahr erteilt (Spruchpunkt III) (in weiterer Folge: Asylbescheid).

 

Der Asylbescheid wurde der Vertretung des Beschwerdeführers am 30.03.2023 per Rsa-Brief zugestellt. Der Rückschein wurde an die belangte Behörde übermittelt und weist eine Übernahmebestätigung auf.

 

Der Asylbescheid wurde am 03.05.2023 mit dem Vermerk 'Anschrift ungenügend' vom 29.04.2023 an die Absenderin zurückgestellt.

 

Mit Schreiben vom 15.05.2023, eingelangt am 16.05.2023, brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung, verbunden mit einer Beschwerde gegen den Asylbescheid vom 24.03.2023, ein. Der Beschwerdeführer führte zusammengefasst aus, dass der Asylbescheid der Rechtsvertretung am 30.03.2023 zugestellt und – unter Einhaltung diverser Sorgfaltsmaßnahmen – ein Fristvermerk gesetzt worden sei. Am 03.04.2023 habe ein Beratungsgespräch mit dem Beschwerdeführer stattgefunden und sei die Beschwerde am 26.04.2023 durch die bearbeitende Juristin unter Prüfung des Ausdrucks und der Beilagen 'finalisiert' worden. Nach Beschriftung des Kuverts und erneuter Durchsicht des zu versendenden Inhalts habe die Juristin die Beschriftung des Kuverts erneut gegengelesen. Trotz der von ihr an den Tag gelegten Vorsicht sei ihr dabei ein Fehler unterlaufen, sodass zwar der Briefkopf, nicht aber das Kuvert vollständig beschriftet worden sei und die Adresszeile gefehlt habe. Das Kuvert sei wie folgt adressiert gewesen:

 

"Per Einschreiben

An das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl

Regionaldirektion Steiermark

Außenstelle Graz

8055 Graz"

 

Unter Verweis auf VwGH 28.02.2014, Gz 2014/03/0001 wurde ausgeführt, dass es sich bei diesem Fehler um ein unvorhergesehenes Ereignis gehandelt habe, welches ohne Verschulden eingetreten sei bzw. auf einem minderen Grad des Versehens seitens der erfahrenen, gewissenhaft und umsichtig handelnden Juristin beruhe und sei ihr der Fehler erstmals und einmalig unterlaufen, ebenso wie in der langjährigen Tätigkeit der Caritas Steiermark stets alle Schriftstücke fristgerecht versendet worden seien. Das Schriftstück sei fristgerecht einen Tag vor Fristablauf aufgegeben und der Vorgang dokumentiert worden.

 

Am 23.05.2023 zog die BH XXXX die am 20.12.2021 ausgestellte Generalvollmacht zurück. Am 25.05.2023 bevollmächtigte die BH XXXX als Vertreterin des Kinder- und Jugenhilfeträgers namentlich genannte rechtskundige Mitarbeiter/innen der Caritas XXXX , darunter Mag. XXXX (vormals XXXX ), mit der Vertretung des Beschwerdeführers im Asylverfahren bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres.

 

Mit Bescheid des BFA vom 14.07.2023 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 33 Abs 1 VwGVG abgewiesen (Spruchpunkt I) und die Beschwerde als verspätet zurückgewiesen (Spruchpunkt II). Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Wiedereinsetzungsantrag fristgerecht eingebracht worden und nicht nachvollziehbar sei, dass die Beschwerdeführerin mit der Erhebung der Beschwerde so lange zugewartet hätte. Die gesetzliche Beschwerdefrist sei versäumt worden. Ein Wiedereinsetzungsgrund sei zu verneinen, da kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis glaubhaft gemacht worden sei, dass es sich bei der Versäumung um einen minderen Grad des Versehens handle.

 

Der Bescheid wurde der Vertretung des Beschwerdeführers am 17.07.2023 per Rsa-Brief zugestellt. Der Rückschein wurde an die belangte Behörde übermittelt und weist eine Übernahmebestätigung auf.

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche, mit Schriftsatz vom 10.08.2023 erhobene Beschwerde, in der im Wesentlichen die Ausführungen des Wiedereinsetzungsantrags wiederholt und ua die Verletzung von Verfahrensvorschriften durch die Beweiswürdigung in Verkennung der Rechtslage moniert wurde. So läge kein Fristversäumnis aufgrund einer Fristberechnungsproblematik zugrunde und gehe der Einwand des langen Zuwartens ins Leere, während es der Argumentation hinsichtlich der Verlängerung der Beschwerdefrist an Relevanz fehle. Ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden liege nicht vor.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Der unter I. angeführte Sachverhalt wird als maßgeblicher Sachverhalt festgestellt. Die Zustellung des angeführten Bescheides vom 24.03.2023 erfolgte am 30.03.2023 durch die Übernahme des angeführten Bescheids durch die Vertretung des Beschwerdeführers. Die Rechtsmittelfrist beträgt 4 Wochen ab Zustellung des Bescheids und ist auch in der Rechtsmittelbelehrung enthalten.

 

Am 26.04.2023 wurde eine gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde als Einschreiben bei der Post aufgegeben. Die auf dem Kuvert befindliche Anschrift wurde von der bearbeitenden Rechtsvertreterin handschriftlich angebracht und lautete wie folgt:

 

"EINSCHREIBEN

Bundesamt f. Fremdenwesen und Asyl

Regionaldirektion Steiermark

Außenstelle Graz

8055 Graz"

 

Die Anschrift wies keine Adresszeile auf und wurde die Sendung am 03.05.2023 als unzustellbar retourniert. Ob die Juristin, die derartige Tätigkeiten regelmäßig wahrnimmt, die Adresszeile im Zuge der Kuvertierung nochmals kontrolliert hat, konnte nicht festgestellt werden. Der Bescheid wurde nach seinem Einlangen entsprechend erfasst. Bei der Fristenberechnung kam das 4-Augen-Prinzip zur Anwendung, bereits mit Eintragung der berechneten Frist im allgemeinen Vormerksystem und diversen persönlichen Kalendern wurden allerdings sämtliche Tätigkeiten durch die bearbeitende, bevollmächtigte Juristin, welche über mehrjährige Erfahrung in der Abfassung von Schriftsätzen, sowie deren Adressierung und Versand verfügt, selbst unter ihrer alleinigen Verantwortung vorgenommen.

 

Die Beschwerde langte am 16.05.2023 bei der belangten Behörde ein. Gleichzeitig mit der Beschwerde wurde ein Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt, der mit dem gegenständlichen angefochtenen Bescheid vom 14.07.2023 als unbegründet abgewiesen wurde. Die Beschwerde gegen den inhaltlichen Asylbescheid vom 24.03.2023 wurde als verspätet zurückgewiesen. Der Bescheid wurde der Vertretung des Beschwerdeführers am 17.07.2023 zugestellt, die dagegen mit Schriftsatz vom 10.08.2023, eingelangt am 11.08.2023, Beschwerde erhob.

 

2. Beweiswürdigung:

 

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem unbedenklichen Verwaltungsakt. Der Beschwerdeführer bestreitet die Zustellung am 30.03.2023 und die verspätete Einbringung der Beschwerde gegen den Asylbescheid ausdrücklich nicht. Ebensowenig wird bestritten, dass die Anschrift auf der am 26.04.2023 aufgegebenen Beschwerde fehlerhaft war und keine Adresszeile enthielt. Eine Kopie des Aufgabebelegs und des Sendungsverlaufs wurde dem Wiedereinsetzungsantrag beigelegt (AS 549f). Unter den Beilagen des im Akt befindlichen Wiedereinsetzungsantrags findet sich weder eine Kopie des ursprünglichen Briefkopfs bzw. der ersten Seite noch des retournierten Kuverts. Als Beilagen angeführt sind nur die beiden Vollmachten (AS 548). Jedenfalls wurde aber der hier gegenständlichen Beschwerde gegen die Abweisung – als Teil des als Beilage erneut mitversendeten Antrags vom 15.05.2023 – auch eine Kopie des retournierten Bescheids, auf dem die Adressierung und der Aufkleber mit dem Rücksendegrund ('Anschrift ungenügend') und des Rücksendedatum ersichtlich sind, beigelegt (AS 719).

 

Aus dem Vorbringen geht nachvollziehbar hervor, welche Abläufe nach Einlangen des Bescheides und nach Postaufgabe durchgeführt werden und dass die bearbeitende rechtskundige Vertreterin das Kuvert selbst beschriftet hat. Dass sie – wie ebenfalls vorgebracht – die Anschrift nach Prüfung der zu versendenden Dokumente und vor der Kuvertierung nochmals kontrolliert hat, ist angesichts dessen, dass in diesem Fall – bei entsprechender Vorsicht – die fehlende Adresszeile auffallen hätte müssen, zwar möglich, aber zweifelhaft und kann jedenfalls nicht festgestellt werden.

 

Dass die mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundene Beschwerde am 16.05.2023 bei der belangten Behörde eingelangt ist, ergibt sich ebenfalls aus dem Verwaltungsakt (AS 519). Die Zustellung des Bescheides vom 14.07.2023 erfolgte ausweislich des ebenfalls im Akt befindlichen Rückscheins am 17.07.2023 (AS 593) und ist das Einlangen der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde im Akt mit 11.08.2023 dokumentiert (AS 613).

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Zu A)

 

3.1. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (hg. Zl. L525 2277291-2):

 

§ 33 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 109/2021, lautet:

 

"Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

(1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

 

(2) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Vorlageantrags ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil die anzufechtende Beschwerdevorentscheidung fälschlich ein Rechtsmittel eingeräumt und die Partei das Rechtsmittel ergriffen hat oder die Beschwerdevorentscheidung keine Belehrung zur Stellung eines Vorlageantrags, keine Frist zur Stellung eines Vorlageantrags oder die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.

 

(3) In den Fällen des Abs. 1 ist der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen und zwar bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde und ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht; ein ab Vorlage der Beschwerde vor Zustellung der Mitteilung über deren Vorlage an das Verwaltungsgericht bei der Behörde gestellter Antrag gilt als beim Verwaltungsgericht gestellt und ist diesem unverzüglich vorzulegen. In den Fällen des Abs. 2 ist der Antrag binnen zwei Wochen

1. nach Zustellung eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung, der bzw. die das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.

2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Stellung eines Antrags auf Vorlage Kenntnis erlangt hat,

bei der Behörde zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

 

(4) Bis zur Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs. 3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.

 

(4a) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrags auf Ausfertigung einer Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4 ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil auf das Erfordernis eines solchen Antrags als Voraussetzung für die Erhebung einer Revision beim Verwaltungsgerichtshof und einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof nicht hingewiesen wurde oder dabei die zur Verfügung stehende Frist nicht angeführt war. Der Antrag ist binnen zwei Wochen

1. nach Zustellung einer Entscheidung, die einen Antrag auf Ausfertigung der Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4, eine Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.

2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit eines Antrags auf Ausfertigung der Entscheidung gemäß § 29 Abs. 4 Kenntnis erlangt hat,

beim Verwaltungsgericht zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen. Über den Antrag entscheidet das Verwaltungsgericht.

 

(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

 

(6) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrags findet keine Wiedereinsetzung statt."

 

Vorweg wird festgehalten, dass sowohl die gegenständliche Beschwerde gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags fristgerecht binnen 4 Wochen nach Zustellung des Bescheides am 17.07.2023 als auch der Wiedereinsetzungsantrag – 2 Wochen nach Wegfall des in der Unkenntnis über die fehlerhafte Anschrift und daraus resultierenden Nichtzustellbarkeit der am 26.04.2023 aufgegebenen Beschwerde liegenden Hindernisses – eingebracht wurde.

 

Ein Ereignis ist dann "unabwendbar" iSd § 46 Abs 1 VwGG (bzw des insoweit gleichlautenden § 71 Abs 1 Z 1 AVG), wenn sein Eintritt objektiv von einem Durchschnittsmenschen nicht verhindert werden kann; "unvorhergesehen" im Sinn dieser Gesetzesbestimmungen ist es hingegen, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und seinen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte. Die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit ist dann noch gewahrt, wenn der Partei (ihrem Vertreter) in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein "minderer Grad des Versehens" unterläuft (VwGH 15.11.2012, 2012/17/0220). Der Begriff des minderen Grades des Versehens im letzten Satz des § 33 Abs. 1 VwGVG 2014 ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (vgl. zuletzt VwGH 24.03.2022, Ra 2020/21/0369).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, nicht jedoch ein Verschulden anderer Personen (vgl. VwGH 23.5.2022, Ra 2022/14/0049, mwN). Das Verschulden des Parteienvertreters trifft die von diesem vertretene Partei, wobei an berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (vgl. VwGH 11.5.2017, Ra 2017/04/0045, mwN). Der Rechtsanwalt muss gegenüber seinen Mitarbeitern (auch den juristischen) der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht nachkommen (VwGH 28.02.2018, Ra 2017/04/0146, mwN). Der Adressierung einer, insbesondere fristgebundenen, Eingabe kommt zentrale Bedeutung zu. Kontrolliert ein berufsmäßiger Parteienvertreter einen fristgebundenen Schriftsatz vor der Unterfertigung nicht auf Richtigkeit, Vollständigkeit und Rechtzeitigkeit, dann fällt ihm schon deshalb auffallende Sorglosigkeit zur Last. Sollte er aber seiner Kontrollpflicht nachgekommen sein, hat er darzulegen, aus welchen besonderen Gründen ihm die unrichtige Adressierung des Schriftsatzes dennoch nicht aufgefallen ist (vgl. VwGH 21.01.2020, Ra 2019/14/0604, mwN).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat eine Partei, die einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Frist stellt, den behaupteten Wiedereinsetzungsgrund im Wiedereinsetzungsantrag glaubhaft zu machen. Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur im Rahmen der Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers zu untersuchen (vgl. VwGH 10.9.2020, Ra 2020/14/0230 bis 0234, mwN). Den Antragsteller trifft somit die Obliegenheit, im Antrag konkret jenes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis zu beschreiben, das ihn an der Einhaltung der Frist gehindert hat. Auf nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist geltend gemachte Wiedereinsetzungsgründe und neue, den Wiedereinsetzungsgrund untermauernde Argumente ist daher nicht einzugehen (vgl. jüngst VwGH 23.03.2023, Ra 2022/10/0160, mwN).

 

Im vorliegenden Verfahren hat der Beschwerdeführer – trotz rechtzeitiger Postaufgabe – die Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels versäumt, weil seiner Rechtsvertreterin bei der Beschriftung des Kuverts ein Fehler unterlief. Da ein wesentlicher Bestandteil der Anschrift der sich in einer Landeshauptstadt befindlichen Behörde – nämlich Straße und Hausnummer – fehlte, konnte die Post keine Zustellung vornehmen.

 

Soweit die belangte Behörde zunächst dem Beschwerdeführer im Wesentlichen vorhält, dass der Fehler vermeidbar gewesen wäre, wenn der Schriftsatz nicht erst am Ende der Frist aufgegeben wurde, so findet diese Argumentation keine Deckung in der einschlägigen Rechtsprechung. Auch ein erst am letzten Tag der Frist eingetretenes unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis kann das Recht auf Wiedereinsetzung begründen, weil der Partei die Rechtsmittelfrist uneingeschränkt bis zum letzten Augenblick zur Verfügung steht (vgl. VwGH 30.4.2013, 2012/05/0090 und 0091, mwN). Das Ausnutzen der Frist kann somit nicht als ein die Bewilligung der Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden gewertet werden (VwGH 29.07.2021, Ra 2021/05/0096). Soweit die Beschwerde daher einwendet, dass es sich gegenständlich nicht um ein Problem einer Fristversäumung handle und Fristen auch bis zum letzten Tag der Frist ausgenutzt werden dürfen, tritt das erkennende Gericht dieser Ansicht bei.

 

Der Beschwerdeführer muss sich aber das Verhalten seiner Vertreterin zurechnen lassen, und ist daher zu prüfen, ob diese die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit eingehalten hat bzw. allenfalls ein minderer Grad des Versehens vorliegt.

 

Vertreten wird der Beschwerdeführer durch die vom zuständigen Kinder- und Jugenhilfeträger bevollmächtigten rechtskundigen Mitarbeiter/innen der Caritas, die auf die Beratung in asyl- und fremdenrechtlichen Fragen sowie die gesetzliche Vertretung unbegleiteter minderjähriger Asylwerber/innen und Fremder (UMF) in deren Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und den Verwaltungsgerichten spezialisiert und somit im Hinblick auf den Sorgfaltsmaßstab als berufsmäßige Parteienvertreter anzusehen sind. Gegenständlich ist die ausgewiesene Vertreterin rechtskundig.

 

Die in der Beratungsstelle eingerichtete systematische Vorgehensweise zur Sicherstellung fristgerechter Einbringungen beschränkt sich nach dem Abgleich der Fristberechnung im 4-Augen-Prinzip darauf, dass die jeweils bearbeitenden Jurist/innen die Fristen einhalten und die vorgesehenen Dokumentationen vornehmen. Institutionalisierte Kontrollen hinsichtlich der weiteren Schritte, wie zB der Abfertigung, finden ausweislich des Vorbringens nicht statt. Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen sind dadurch aller Voraussicht nach nicht auszuschließen. Die bloße Behauptung, eine Fristversäumung wäre weder der bearbeitenden Vertreterin noch der gesamten Caritas Steiermark als gesetzliche Vertretung minderjähriger unbegleiteter Asylwerber jemals unterlaufen, kann im Rahmen des gegenständlichen Verfahrens keiner Überprüfung unterzogen werden und vor allem den Nachweis des ausnahmsweisen Versagens eines grundsätzlich wirksamen Kontrollsystems im konkreten Fall nicht ersetzen. Im Hinblick auf die vorgebrachte Umsichtigkeit der bearbeitenden Vertreterin ist zudem darauf hinzuweisen, dass diese dem Wiedereinsetzungsantrag – anders als durch die Beilagen der gegenständlichen Beschwerde suggeriert wird – ausweislich der vorgelegten Verwaltungsakten offensichtlich keine Kopie des retournierten Kuverts beigefügt und auch eine genaue Nennung der Beilagen unterlassen hat. Darüber hinaus wurde die Beschriftung des Kuverts im Vorbringen ungenau wiedergegeben (vgl. das wörtliche Zitat im Verfahrensgang und die anhand der Kopie getroffene Feststellung). Diese Ungenauigkeiten lassen die ihr als spezialisierte Parteienvertreterin mögliche und zumutbare Sorgfalt zumindest zweifelhaft erscheinen.

 

Bei der Beschriftung des Kuverts handelt es sich um eine rein manipulative Tätigkeit, die im gegenständlichen Fall nicht einer verlässlichen und in ein wirksames Kontrollsystem eingebetteten Kanzleikraft übertragen ist, sondern von der rechtskundigen Vertreterin selbst vorgenommen wurde. Diese hat dafür Sorge zu tragen, dass Eingaben richtig adressiert und fristgerecht eingebracht werden. Wenn auch richtig ist, dass das Ausnutzen der Frist als solches nicht als ein die Bewilligung der Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden gewertet werden kann, muss der erfahrenen Vertreterin jedoch bewusst sein, dass bei einer – postalischen und daher nicht mit einer unmittelbaren Rückmeldung bzw. Einlangensbestätigung einhergehenden – Eingabe am vorletzten Tag der Frist dem fehlerlosen Ablauf gerade der vollständigen Adressierung und Postaufgabe größte Bedeutung zukommt. Das erkennende Gericht weist daraufhin, dass der richtigen und vollständigen Adressierung der Behörde im Falle von fristgebundenen Eingaben größtmögliche Bedeutung zukommt und diese – wenn auch rein manipulative – Tätigkeit geradezu entscheidend für eine Rechtswirkungen auslösende Eingabe darstellt. In jedem Fall aber handelt es sich bei der falschen bzw. unvollständigen Adresseriung um keinen Fehler, der auch einem grundsätzlich sorgfältigen rechtskundigen Parteienvertreter passieren kann, sondern eine besondere Nachlässigkeit, sodass nicht von einem bloß minderen Grad des Verschuldens ausgegangen werden kann. Sowohl der Wiedereinsetzungsantrag als auch die Beschwerde lassen hingegen völlig offen, unter welchen besonderen Umständen der Fehler der falschen bzw. unvollständigen Adressierung erfolgt ist, was allerdings primäre Aufgabe des Antrages gewesen wäre.

 

Ein unvorgesehenes Ereignis, dass unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht der Verterterin nicht erwartet werden konnte, ist darin nicht zu erblicken und liegen daher keine Wiedereinsetzungsgründe vor.

 

3.2. Zur Abweisung des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides (hg Zl. L525 2277291-1):

 

Mit Spruchpunkt II. wies die belangte Behörde die Beschwerde gegen den Bescheid vom 24.03.2023 im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung als verspätet zurück. Dabei ist festzuhalten, dass die Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG binnen zwei Monaten ab Einlangen der Beschwerde zu erlassen ist. Einlangensdatum war unbestritten der 16.05.2023, die zweimonatige Frist endete daher am Tag mit der gleichen Zahl zwei Monate später (vgl. zur Fristberechnung grundlegend: Fasching/Schwarz, Verwaltungsverfahren im Überblick5, S 49). Der Zustellnachweis weist als Zustelldatum (und damit Erlassungsdatum) den 17.07.2023 auf (AS 593). Da allerdings der 16.07.2023 auf einen Sonntag fiel, fällt das Fristende erst auf den folgenden Tag, weswegen sich die Erlassung der Beschwerdevorentscheidung – knapp aber doch – als fristgerecht erweist. Das erkennende Gericht weist dennoch daraufhin, dass die Rechtsmittelbelehrung gegenständlich nicht als Rechtsmittel gegen die Beschwerdevorentscheidung ausgewiesen wurde, die Frist zur Erstattung eines Vorlageantrages lautet nämlich zwei Wochen (vgl. § 15 VwGVG). Wie sich aus den Feststellungen ergibt, war die Beschwerde verspätet. Der Bescheid wurde der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers am 30.03.2023 zugestellt und war die Beschwerdefrist somit mit Ablauf des 27.04.2023 abgelaufen. Da die Beschwerde – unbestritten – erst nach der Postaufgabe am 15.05.2023 zugestellt wurde, erweist sich die Beschwerde als verspätet, was die belangte Behörde erkennbar im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung rechtsrichtig urteilte. Das erkennende Gericht weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Ausnutzen von Fristen (auch bis zum letzten Tag) auch den Behörden zugutekommt.

 

3.3. Zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung

 

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann – soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist – das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

 

Im gegenständlichen Fall konnte das Unterlassen einer mündlichen Verhandlung darauf gestützt werden, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, weil der Sachverhalt nach einem grundsätzlich ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde festgestellt wurde. Dieser Sachverhaltsfeststellung wurde in der Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten bzw. wurde auch nicht bestritten, dass die Beschwerde verspätet war. Weder war der Sachverhalt in wesentlichen Punkten daher ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig. Rechtlich relevante und zulässige Neuerungen wurden in der Beschwerde nicht vorgetragen.

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat vorliegend daher ausschließlich über eine Rechtsfrage zu erkennen (vgl. EGMR 20.6.2013, Appl. Nr. 24510/06, Abdulgadirov/AZE, Rz 34 ff). Einen Antrag auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung stellte der Antragsteller nicht, die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung von Amts wegen ist nicht erforderlich. Der Unterlassung der Verhandlung steht auch Art. 6 EMRK nicht entgegen, weil im gegenständlichen Verfahren die maßgeblichen Fakten nicht bestritten waren und es im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nur um Rechtsfragen ohne besondere Komplexität ging. Im Hinblick auf das Erfordernis der Effizienz und Ökonomie konnte die Verhandlung daher entfallen (vgl. die im Erk. des VwGH vom 18.2.2015, Zl. Ro 2014/10/0039 angeführte Rechtsprechung).

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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