European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00040.25Y.0411.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art 1 Abs 6 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, die dem Letztverkäufer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs im Inland verbietet, die mit 5 % begrenzte und zulässige Unterschreitung eines festgesetzten Mindestpreises für deutschsprachige Bücher gegenüber Letztverbrauchern anzukündigen, als Maßnahme im Sinne des Art 1 Abs 6 der Richtlinie gilt und ein Letztverkäufer aus einem anderen Mitgliedsstaat sich daher bei einem grenzüberschreitenden Verkauf nicht auf Art 3 Abs 2 der Richtlinie („Herkunftslandprinzip“) berufen kann?
II. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Begründung:
Zu I.:
A. Sachverhalt
[1] Die Klägerin betreibt Buchhandlungen in Österreich und auch einen dazugehörigen Online‑Shop und liefert an Kunden mit Zustelladresse in Österreich.
[2] Der in Deutschland ansässige Beklagte verkauft als Einzelunternehmer auf einer Online‑Plattform unter anderem deutschsprachige Bücher auch an Kunden in Österreich und liefert diese grenzüberschreitend. Er kündigt dabei Bücher zu Preisen (einschließlich USt) an, die zwar der deutschen Rechtslage entsprechen, aber unter den in Österreich geltenden Mindestpreisen liegen (wenn auch weniger als 5 %).
B. Bisheriges Verfahren
[3] Die Klägerin begehrt, dem Beklagten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs gegenüber österreichischen Letztverbrauchern preisgebundene Waren mit einem Preis anzukündigen, der unter dem für Österreich festgesetzten Mindestpreis liegt. Der Beklagte verstoße gegen die österreichische Regelung des § 7 Abs 2 Buchpreisbindungsgesetz 2023 (dazu unten). Die Streitteile stünden als Mitbewerber im direkten Wettbewerb, weshalb die Klägerin legitimiert sei, den Gesetzesverstoß des Beklagten geltend zu machen.
[4] Der Beklagte wandte unter anderem ein, die Preise der von ihm angebotenen Bücher würden der deutschen Rechtslage entsprechen. Das österreichische Buchpreisbindungsgesetz sei auf ihn wegen des „Herkunftslandprinzips“ der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“, im Folgenden nur: EC‑RL) nicht anwendbar.
[5] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es verwies darauf, dass Letztverkäufer bei Veräußerung von Waren im Sinne des österreichischen Buchpreisbindungsgesetzes den festgesetzten Mindestpreis zwar (um bis zu 5 %) unterschreiten dürften. Es sei allerdings nicht erlaubt, diese Unterschreitung anzukündigen, was im Anlassfall jedoch geschehen sei.
[6] Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts im abweisenden Sinn ab. Es berief sich dabei auf eine aktuelle Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, wonach sich in einer solchen Konstellation der belangte deutsche Buchhändler auf das „Herkunftslandprinzip“ des Art 3 Abs 2 EC‑RL berufen könne und das deutsche Recht keine Werbebeschränkungen kenne (OGH vom 19. 11. 2024 zu 4 Ob 161/24s).
Rechtliche Beurteilung
[7] Der Oberste Gerichtshof hat über die gegen das Berufungsurteil erhobene außerordentliche Revision der Klägerin zu entscheiden.
[8] Die Klägerin argumentiert in ihrem Rechtsmittel im Wesentlichen damit, dass aufgrund Art 1 Abs 6 EC‑RL das Herkunftslandprinzip der EC‑RL nicht anzuwenden sei. Die Bestimmungen des österreichischen Buchpreisbindungsgesetzes dienten dem Schutz von Büchern als Kulturgut, damit auch der „Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt“ im Sinne des Art 1 Abs 6 EC‑RL.
[9] Der Beklagte wiederholt in seiner Rechtsmittelbeantwortung im Wesentlichen seinen bisherigen Standpunkt und begehrt, das Rechtsmittel zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
[10] Beide Parteien regen an, die Rechtssache an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung (Auslegung des Art 1 Abs 6 EC‑RL) vorzulegen.
C. Relevante Rechtsvorschriften
EC-RL:
KAPITEL I
ALLGEMEINE BESTIMMUNGEN
Artikel 1
Zielsetzung und Anwendungsbereich
[…]
(6) Maßnahmen auf gemeinschaftlicher oder einzelstaatlicher Ebene, die unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts der Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt und dem Schutz des Pluralismus dienen, bleiben von dieser Richtlinie unberührt.
Artikel 2
Begriffsbestimmungen
h) „koordinierter Bereich“ die für die Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft und die Dienste der Informationsgesellschaft in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten festgelegten Anforderungen, ungeachtet der Frage, ob sie allgemeiner Art oder speziell für sie bestimmt sind.
i) Der koordinierte Bereich betrifft vom Diensteanbieter zu erfuellende Anforderungen in bezug auf
- die Aufnahme der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft, beispielsweise Anforderungen betreffend Qualifikationen, Genehmigung oder Anmeldung;
- die Ausübung der Tätigkeit eines Dienstes der Informationsgesellschaft, beispielsweise Anforderungen betreffend das Verhalten des Diensteanbieters, Anforderungen betreffend Qualität oder Inhalt des Dienstes, einschließlich der auf Werbung und Verträge anwendbaren Anforderungen, sowie Anforderungen betreffend die Verantwortlichkeit des Diensteanbieters.
ii) Der koordinierte Bereich umfaßt keine Anforderungen wie
- Anforderungen betreffend die Waren als solche;
- Anforderungen betreffend die Lieferung von Waren;
- Anforderungen betreffend Dienste, die nicht auf elektronischem Wege erbracht werden.
[…]
Artikel 3
Binnenmarkt
(1) Jeder Mitgliedstaat trägt dafür Sorge, daß die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen.
(2) Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen.
(3) Die Absätze 1 und 2 finden keine Anwendung auf die im Anhang genannten Bereiche.
(4) Die Mitgliedstaaten können Maßnahmen ergreifen, die im Hinblick auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft von Absatz 2 abweichen, wenn die folgenden Bedingungen erfuellt sind:
a) Die Maßnahmen
i) sind aus einem der folgenden Gründe erforderlich:
- Schutz der öffentlichen Ordnung, insbesondere Verhütung, Ermittlung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, einschließlich des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens oder der Nationalität, sowie von Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen,
- Schutz der öffentlichen Gesundheit,
- Schutz der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Wahrung nationaler Sicherheits- und Verteidigungsinteressen,
- Schutz der Verbraucher, einschließlich des Schutzes von Anlegern;
ii) betreffen einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft, der die unter Ziffer i) genannten Schutzziele beeinträchtigt oder eine ernsthafte und schwerwiegende Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Ziele darstellt;
iii) stehen in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Schutzzielen.
b) Der Mitgliedstaat hat vor Ergreifen der betreffenden Maßnahmen unbeschadet etwaiger Gerichtsverfahren, einschließlich Vorverfahren und Schritten im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung,
- den in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, und dieser hat dem nicht Folge geleistet oder die von ihm getroffenen Maßnahmen sind unzulänglich;
- die Kommission und den in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat über seine Absicht, derartige Maßnahmen zu ergreifen, unterrichtet.
(5) Die Mitgliedstaaten können in dringlichen Fällen von den in Absatz 4 Buchstabe b) genannten Bedingungen abweichen. In diesem Fall müssen die Maßnahmen so bald wie möglich und unter Angabe der Gründe, aus denen der Mitgliedstaat der Auffassung ist; daß es sich um einen dringlichen Fall handelt, der Kommission und dem in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat mitgeteilt werden.
(6) Unbeschadet der Möglichkeit des Mitgliedstaates, die betreffenden Maßnahmen durchzuführen, muß die Kommission innerhalb kürzestmöglicher Zeit prüfen, ob die mitgeteilten Maßnahmen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind; gelangt sie zu dem Schluß, daß die Maßnahme nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, so fordert sie den betreffenden Mitgliedstaat auf, davon Abstand zu nehmen, die geplanten Maßnahmen zu ergreifen, bzw. bereits ergriffene Maßnahmen unverzüglich einzustellen.
[...]
A NHANG
AUSNAHMEN IM RAHMEN VON ARTIKEL 3 Bereiche gemäß Artikel 3 Absatz 3, auf die Artikel 3 Absätze 1 und 2 keine Anwendung findet:
- Urheberrecht, verwandte Schutzrechte, Rechte im Sinne der Richtlinie 87/54/EWG (1) und der Richtlinie 96/9/EG (2) sowie gewerbliche Schutzrechte;
- Ausgabe elektronischen Geldes durch Institute, auf die die Mitgliedstaaten eine der in Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 2000/46/EG (3) vorgesehenen Ausnahmen angewendet haben;
- Artikel 44 Absatz 2 der Richtlinie 85/611/EWG (4);
- Artikel 30 und Titel IV der Richtlinie 92/49/EWG (5), Titel IV der Richtlinie 92/96/EWG (6) sowie die Artikel 7 und 8 der Richtlinie 88/357/EWG (7) und Artikel 4 der Richtlinie 90/619/EWG (8);
- Freiheit der Rechtswahl für Vertragsparteien;
- vertragliche Schuldverhältnisse in bezug auf Verbraucherverträge;
- formale Gültigkeit von Verträgen, die Rechte an Immobilien begründen oder übertragen, sofern diese Verträge nach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem sich die Immobilie befindet, zwingenden Formvorschriften unterliegen;
- Zulässigkeit nicht angeforderter kommerzieller Kommunikation mittels elektronischer Post.
Österreichisches Bundesgesetz, mit dem bestimmte rechtliche Aspekte des elektronischen Geschäfts- und Rechtsverkehrs geregelt werden (E‑Commerce-Gesetz – ECG)
Begriffsbestimmungen
§ 3. Im Sinne dieses Bundesgesetzes bedeuten:
[...]
Z 8. koordinierter Bereich: die allgemein oder besonders für Dienste der Informationsgesellschaft und für Diensteanbieter geltenden Rechtsvorschriften über die Aufnahme und die Ausübung einer solchen Tätigkeit, insbesondere Rechtsvorschriften über die Qualifikation und das Verhalten der Diensteanbieter, über die Genehmigung oder Anmeldung sowie die Qualität und den Inhalt der Dienste der Informationsgesellschaft – einschließlich der für die Werbung und für Verträge geltenden Bestimmungen – und über die rechtliche Verantwortlichkeit der Diensteanbieter.
[…]
Herkunftslandprinzip und Ausnahmen
Herkunftslandprinzip
§ 20. (1) Im koordinierten Bereich (§ 3 Z 8) richten sich die rechtlichen Anforderungen an einen in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Diensteanbieter nach dem Recht dieses Staats.
(2) Der freie Verkehr der Dienste der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat darf vorbehaltlich der §§ 21 bis 23 nicht auf Grund inländischer Rechtsvorschriften eingeschränkt werden, die in den koordinierten Bereich fallen.
Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip
§ 21. Das Herkunftslandprinzip ist in folgenden Bereichen nicht anzuwenden:
1. Belange des Urheberrechts und verwandter Schutzrechte, der gewerblichen Schutzrechte sowie des Datenbank- und Halbleiterschutzes;
2. die Ausgabe elektronischen Geldes durch Institute, auf die die Mitgliedstaaten eine der in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/46/EG , ABl. Nr. L 275 vom 27. Oktober 2000, S 39, vorgesehenen Ausnahmen angewendet haben;
3. Rechtsvorschriften über die Werbung für Investmentfonds und andere Organismen für gemeinsame Anlagen von Wertpapieren im Vertriebsstaat;
4. die in Titel I Kapitel VIII und in Art. 179 und Art. 181 Abs. 2 der Richtlinie 2009/138/EG betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs‑ und Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (Neufassung), ABl. Nr. L 335 vom 17.12.2009 S. 1, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2014/51/EU , ABl. Nr. L 153 vom 22.05.2014 S. 1, sowie die in Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. L Nr. 177 vom 04.07.2008 S. 6, berichtigt durch ABl. Nr. L 309 vom 24.11.2009 S. 87, enthaltenen Rechtsvorschriften über die freie Niederlassung und den freien Dienstleistungsverkehr von Versicherungsunternehmen im Europäischen Wirtschaftsraum, über die Verpflichtungen von Versicherungsunternehmen zur Vorlage der Bedingungen für eine Pflichtversicherung an die zuständige Aufsichtsbehörde sowie über das anwendbare Recht bei Nicht-Lebens‑ und Lebensversicherungsverträgen, die in einem Mitgliedstaat gelegene Risiken decken;
5. die Freiheit der Parteien eines Vertrags zur Rechtswahl;
6. vertragliche Schuldverhältnisse in Bezug auf Verbraucherverträge einschließlich der gesetzlichen Informationspflichten, die einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidung zum Vertragsabschluss haben;
7. die Rechtswirksamkeit von Verträgen zur Begründung oder Übertragung von Rechten an Immobilien, sofern diese Verträge nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sich die Immobilie befindet, zwingenden Formvorschriften unterliegen;
8. die Zulässigkeit nicht angeforderter Werbung und anderer Maßnahmen zur Absatzförderung im Weg der elektronischen Post;
9. die Tätigkeit von Notaren und die Tätigkeit von Angehörigen gleichwertiger Berufe, soweit diese öffentlich-rechtliche Befugnisse ausüben;
10. die Vertretung einer Partei und die Verteidigung ihrer Interessen vor den Gerichten, vor unabhängigen Verwaltungssenaten oder vor Behörden im Sinne des Art. 133 Z 4 B‑VG;
11. Gewinn- und Glücksspiele, bei denen ein Einsatz, der einen Geldwert darstellt, zu leisten ist, einschließlich von Lotterien und Wetten;
12. Rechtsvorschriften über Waren, wie etwa Sicherheitsnormen, Kennzeichnungspflichten, Verbote und Einschränkungen der Innehabung oder des Besitzes, sowie über die Haftung für fehlerhafte Waren;
13. Rechtsvorschriften über die Lieferung von Waren einschließlich der Lieferung von Arzneimitteln und
14. Rechtsvorschriften über Dienstleistungen, die nicht elektronisch erbracht werden.
Abweichungen vom Herkunftslandprinzip
§ 22. (1) Ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde kann im Rahmen seiner bzw. ihrer gesetzlichen Befugnisse abweichend vom Herkunftslandprinzip Maßnahmen ergreifen, die den freien Verkehr der Dienste der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat einschränken. Solche Maßnahmen müssen jedoch zum Schutz eines der in Abs. 2 genannten Rechtsgüter erforderlich sein. Sie dürfen sich nur gegen einen Diensteanbieter richten, der eines dieser Rechtsgüter beeinträchtigt oder ernstlich und schwerwiegend zu beeinträchtigen droht. Auch müssen sie in einem angemessenen Verhältnis zu den damit verfolgten Zielen stehen.
(2) Der freie Verkehr der Dienste der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat kann nur aus folgenden Gründen eingeschränkt werden:
1. Schutz der öffentlichen Ordnung, etwa zur Verhütung, Ermittlung, Aufklärung oder Verfolgung strafbarer Handlungen, einschließlich des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens oder der Nationalität;
2. Schutz der Würde einzelner Menschen;
3. Schutz der öffentlichen Gesundheit;
4. Schutz der öffentlichen Sicherheit einschließlich der Wahrung nationaler Sicherheits- und Verteidigungsinteressen und
5. Schutz der Verbraucher einschließlich des Schutzes der Anleger.
§ 23. (1) Eine Verwaltungsbehörde hat ihre Absicht zur Ergreifung von Maßnahmen, die den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat einschränken, der Europäischen Kommission und der zuständigen Stelle des anderen Staates mitzuteilen und diese aufzufordern, geeignete Maßnahmen gegen den Diensteanbieter zu veranlassen. Die Behörde kann die von ihr beabsichtigten Maßnahmen erst durchführen, wenn die zuständige Stelle des anderen Mitgliedstaats dieser Aufforderung nicht innerhalb angemessener Frist Folge geleistet hat oder die von ihr ergriffenen Maßnahmen unzulänglich sind.
(2) Bei Gefahr im Verzug kann die Verwaltungsbehörde die von ihr beabsichtigten Maßnahmen auch ohne Verständigung der Kommission und Aufforderung der zuständigen Stelle des anderen Mitgliedstaats erlassen. In diesem Fall hat sie die von ihr ergriffene Maßnahme unverzüglich der Kommission und der zuständigen Stelle unter Angabe der Gründe für die Annahme von Gefahr im Verzug mitzuteilen.
(3) Die Abs. 1 und 2 sind auf gerichtliche Verfahren nicht anzuwenden.
Österreichisches Bundesgesetz über die Preisbindung bei Büchern (Buchpreisbindungsgesetz 2023 – BPrBG 2023)
Ziel
§ 1. Dieses Bundesgesetz dient dem Schutz von Büchern als Kulturgut. Es soll ein breites und qualitätvolles Angebot von Büchern, zu angemessenen Buchpreisen für die Öffentlichkeit sichern. Unter Bedachtnahme auf die betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten des Buchhandels soll durch die Festsetzung von Mindestpreisen für die Veräußerung an Letztverbraucherinnen und Letztverbraucher die hierfür nötige Vielfalt im Buchvertrieb durch eine große Zahl von Verkaufsstellen gewährleistet werden.
Anwendungsbereich
§ 2. Dieses Bundesgesetz gilt für den Verlag und den Import sowie den Handel mit deutschsprachigen Büchern, elektronischen Büchern (E-Books) und Musikalien.
[…]
Preisfestsetzung
§ 4. (1) Die Verlegerin oder der Verleger beziehungsweise die Importeurin oder der Importeur einer Ware im Sinne des § 2 ist verpflichtet, für die von ihr oder ihm verlegten oder die von ihr oder ihm in das Bundesgebiet importierten Waren im Sinne des § 2 einen Mindestpreis festzusetzen und diesen bekannt zu machen.
(2) Die Importeurin oder der Importeur ist an den von der Verlegerin oder vom Verleger für das Bundesgebiet empfohlenen Mindestpreis gebunden. Ist für das Bundesgebiet kein Mindestpreis empfohlen, so darf die Importeurin oder der Importeur den von der Verlegerin oder vom Verleger für den Verlagsstaat festgesetzten oder empfohlenen Mindestpreis, abzüglich einer darin enthaltenen im Verlagsstaat geltenden Umsatzsteuer und zuzüglich der in Österreich jeweils geltenden Umsatzsteuer, nicht unterschreiten.
(3) Im Falle des Reimports von Waren im Sinne des § 2 kann die Importeurin oder der Importeur, die oder der derartige Waren in einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zu einem von den üblichen Einkaufspreisen abweichenden niedrigeren Einkaufspreis kauft, den von der inländischen Verlegerin oder vom inländischen Verleger festgesetzten Preis im Verhältnis zum erzielten Handelsvorteil unterschreiten. Dies gilt nicht, wenn die betreffenden Waren allein zum Zweck ihrer Wiedereinfuhr ausgeführt worden sind, um dieses Bundesgesetz zu umgehen.
(4) Eine Preisfestsetzung durch die Importeurin oder den Importeur nach Abs. 1 bis 3 kann unterbleiben, wenn eine solche für eine bestimmte Ware im Sinne des § 2 bereits erfolgt und gemäß § 5 Abs. 1 bekanntgemacht worden ist.
[…]
Preisbindung
§ 7. (1) Letztverkäuferinnen und Letztverkäufer dürfen bei Veräußerung von Waren im Sinne des § 2 an Letztverbraucherinnen und Letztverbraucher den nach § 4 festgesetzten Mindestpreis höchstens bis zu 5% unterschreiten.
(2) Letztverkäuferinnen und Letztverkäufer dürfen im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs eine Unterschreitung des Mindestpreises im Sinne des Abs. 1 nicht ankündigen.
(3) Die Verpflichtung nach Abs. 1 gilt nicht für Waren im Sinne des § 2, deren Mindestpreis vor mehr als 24 Monaten zum ersten Mal gemäß § 5 bekannt gemacht wurde und deren Lieferzeitpunkt länger als sechs Monate zurückliegt. Letztverkäuferinnen und Letztverkäufer können sich auf diese Ausnahme nur berufen, wenn sie den Verkauf solcher Waren ausdrücklich als „Lagerabverkauf“ ankündigen. Die Ausnahme gilt nicht für Letztverkäuferinnen und Letztverkäufer, die selbst zur Festsetzung und Bekanntmachung eines Mindestpreises für diese Ware nach diesem Gesetz verpflichtet sind.
(4) Das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 3 ist von der Letztverkäuferin oder vom Letztverkäufer nachzuweisen.
[…]
[11] Das deutsche Buchpreisbindungsgesetz (vom 2. September 2002, BGBl I S 3448, zuletzt geändert durch Art 23 des Gesetzes vom 8. Oktober 2023, BGBl 2023 I Nr 272), normiert – anders als in Österreich – keinen Mindest-, sondern einen Fixpreis, und enthält hinsichtlich des Verkaufs an Letztverbraucher weder Regelungen für Exporte von Büchern, noch Werbebeschränkungen:
§ 3 Preisbindung
Wer gewerbs‑ oder geschäftsmäßig Bücher an Letztabnehmer in Deutschland verkauft, muss den nach § 5 festgesetzten Preis einhalten. Dies gilt nicht für den Verkauf gebrauchter Bücher.
§ 5 Preisfestsetzung
(1) Wer Bücher für den Verkauf an Letztabnehmer in Deutschland verlegt oder importiert, ist verpflichtet, einen Preis einschließlich Umsatzsteuer (Endpreis) für die Ausgabe eines Buches für den Verkauf an Letztabnehmer in Deutschland festzusetzen und in geeigneter Weise zu veröffentlichen. Entsprechendes gilt für Änderungen des Endpreises.
(2) Wer Bücher importiert, darf zur Festsetzung des Endpreises den vom Verleger des Verlagsstaates für Deutschland empfohlenen Letztabnehmerpreis einschließlich der in Deutschland jeweils geltenden Mehrwertsteuer nicht unterschreiten. Hat der Verleger keinen Preis für Deutschland empfohlen, so darf der Importeur zur Festsetzung des Endpreises den für den Verlagsstaat festgesetzten oder empfohlenen Nettopreis des Verlegers für Endabnehmer zuzüglich der in Deutschland jeweils geltenden Mehrwertsteuer nicht unterschreiten.
(3) Wer als Importeur Bücher in einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zu einem von den üblichen Einkaufspreisen im Einkaufsstaat abweichenden niedrigeren Einkaufspreis kauft, kann den gemäß Absatz 2 festzulegenden Endpreis in dem Verhältnis herabsetzen, wie es dem Verhältnis des erzielten Handelsvorteils zu den üblichen Einkaufspreisen im Einkaufsstaat entspricht; dabei gelten branchentypische Mengennachlässe und entsprechende Verkaufskonditionen als Bestandteile der üblichen Einkaufspreise.
(4) Verleger oder Importeure können folgende Endpreise festsetzen:
1. Serienpreise,
2. Mengenpreise,
3. Subskriptionspreise,
4. Sonderpreise für Institutionen, die bei der Herausgabe einzelner bestimmter Verlagswerke vertraglich in einer für das Zustandekommen des Werkes ausschlaggebenden Weise mitgewirkt haben,
5. Sonderpreise für Abonnenten einer Zeitschrift beim Bezug eines Buches, das die Redaktion dieser Zeitschrift verfasst oder herausgegeben hat, und
6. Teilzahlungszuschläge.
(5) Die Festsetzung unterschiedlicher Endpreise für einen bestimmten Titel durch einen Verleger oder Importeur oder deren Lizenznehmer ist zulässig, wenn dies sachlich gerechtfertigt ist.
§ 7 Ausnahmen
(1) § 3 gilt nicht beim Verkauf von Büchern
1. an Verleger oder Importeure von Büchern, Buchhändler oder deren Angestellte und feste Mitarbeiter für deren Eigenbedarf,
2. an Autoren selbständiger Publikationen eines Verlages für deren Eigenbedarf,
3. an Lehrer zum Zwecke der Prüfung einer Verwendung im Unterricht,
4. die auf Grund einer Beschädigung oder eines sonstigen Fehlers als Mängelexemplare gekennzeichnet sind,
5. im Rahmen eines auf einen Zeitraum von 30 Tagen begrenzten Räumungsverkaufs anlässlich der endgültigen Schließung einer Buchhandlung, sofern die Bücher aus den gewöhnlichen Beständen des schließenden Unternehmens stammen und den Lieferanten zuvor mit angemessener Frist zur Rücknahme angeboten wurden.
(2) Beim Verkauf von Büchern können wissenschaftlichen Bibliotheken, die jedem auf ihrem Gebiet wissenschaftlich Arbeitenden zugänglich sind, bis zu 5 Prozent, jedermann zugänglichen kommunalen Büchereien, Landesbüchereien und Schülerbüchereien sowie konfessionellen Büchereien und Truppenbüchereien der Bundeswehr und der Bundespolizei bis zu 10 Prozent Nachlass gewährt werden.
(3) Bei Sammelbestellungen von Büchern für den Schulunterricht, die zu Eigentum der öffentlichen Hand, eines Beliehenen oder allgemein bildender Privatschulen, die den Status staatlicher Ersatzschulen besitzen, angeschafft werden, gewähren die Verkäufer folgende Nachlässe: […]
(4) Der Letztverkäufer verletzt seine Pflicht nach § 3 nicht, wenn er anlässlich des Verkaufs eines Buches
1. Waren von geringem Wert oder Waren, die im Hinblick auf den Wert des gekauften Buches wirtschaftlich nicht ins Gewicht fallen, abgibt,
2. geringwertige Kosten der Letztabnehmer für den Besuch der Verkaufsstelle übernimmt,
3. Versand‑ oder besondere Beschaffungskosten übernimmt oder
4. andere handelsübliche Nebenleistungen erbringt.
D. Zur Vorlagefrage
[12] Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung zu 4 Ob 161/24s in einer vergleichbaren Konstellation die Anwendung des Herkunftslandprinzips zugunsten des dort beklagten deutschen Buchhändlers bejaht und ist davon ausgegangen, dass dessen Tätigkeit in seinem Online‑Shop in den koordinierten Bereich der EC‑RL fällt. Es wurde keine der in der EC‑RL und im österreichischen ECG vorgesehenen Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip angenommen. Dem Senat erscheint es weiterhin (insb auch unter Berücksichtigung von Art 3 Abs 4 EC‑RL und des Anhangs zur EC‑RL) vertretbar, dass ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiger Online‑Buchhändler einem österreichischem Werbeverbot über die (in Österreich zulässige) Gewährung von Rabatten bis 5 % die Regel des Art 3 Abs 2 EC‑RL (Herkunftslandprinzip) entgegenhalten kann.
[13] Jüngst wurde im österreichischen Schrifttum der Standpunkt vertreten, dass Art 1 Abs 6 EC‑RL direkt anzuwenden sei und aus diesem Grund in einer Konstellation wie der vorliegenden das Herkunftslandprinzip nicht angewendet werden dürfe (Obwexer, Buchpreisbindung und elektronischer Geschäftsverkehr, ecolex 2025/68). Das Rechtsmittel der klagenden Partei greift diese Argumentation auf. Unter Berücksichtigung dieser Argumente erscheint es auch denkbar, die oben referierte Norm des § 7 Abs 2 des österreichischen Buchpreisbindungsgesetzes als Maßnahme im Sinne des Art 1 Abs 6 EC‑RL zu qualifizieren, zumal die Regeln dieses Gesetzes ganz allgemein dem Schutz von Büchern als Kulturgut dienen (vgl § 1 leg cit). Die Gesetzesmaterialien zu diesem Gesetz führen auch in diesem Sinne aus (ErläutRV 1743 BlgNR XXVII. GP 1):
„Die kultur‑ und gesellschaftspolitischen Ziele sind der Schutz von Büchern als Kulturgut und die Sicherstellung eines breiten und qualitätvollen, physischen Angebots von Büchern sowie die Förderung angemessener Buchpreise. Dies wird unter Bedachtnahme auf die betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten des Buchhandels durch eine Vielfalt im Buchvertrieb und eine große Zahl von Verkaufsstellen gewährleistet.“
[14] Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt maßgebend von der Auslegung der angeführten Rechtsvorschriften, insbesondere von Art 1 Abs 6 EC‑RL ab. Nach der Beurteilung des Obersten Gerichtshofs besteht im Hinblick auf die Vorlagefrage kein „acte clair“. Es bedarf daher der Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union, ob das Herkunftslandprinzip der EC‑RL auch anwendbar ist, wenn ein deutscher Online‑Buchhändler (in Verstoß einer österreichischen Werbebeschränkung) die mit 5 % begrenzte und zulässige Unterschreitung eines festgesetzten Mindestpreises für deutschsprachige Bücher gegenüber Letztverbrauchern in Österreich ankündigt.
Zu II.:
[15] Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG.
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