UFS RV/1068-W/07

UFSRV/1068-W/0719.6.2012

1. Verfahrenswiederaufnahme ohne Bescheidänderung2. Entfernungsunabhängige zumutbare Wegzeit bei Teilzeitarbeit

 

Beachte:
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2012/15/0149 eingebracht (Amtsbeschwerde). Mit Erk. v. 24.4.2014 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit Erkenntnis zur Zl. RV/7102081/2014 erledigt.

Entscheidungstext

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., vom 16. August 2006 gegen die Bescheide des Finanzamtes Waldviertel vom 14. Juli 2006 betreffend Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2004 gemäß § 303 Abs 4 BAO idgF vom 14. Juli 2006 und Einkommensteuer 2004 vom 14. Juli 2006 entschieden:

I. Der Berufung gegen den Bescheid betreffend Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2004 gemäß § 303 Abs 4 BAO idgF vom 14. Juli 2006 wird stattgegeben.

II. Der Bescheid betreffend Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens 2004 gemäß § 303 Abs 4 BAO idgF vom 14. Juli 2006 wird aufgehoben.

III. Der Bescheid betreffend Einkommensteuer 2004 vom 14. Juli 2006 scheidet aus dem Rechtsbestand aus.

IV. Die Berufung gegen den aus dem Rechtsbestand ausgeschiedenen Bescheid betreffend Einkommensteuer 2004 vom 14. Juli 2006 wird gemäß § 273 Abs 1 lit a BAO idgF als nicht zulässig zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

In der am 22. Juni 2005 eingebrachten Einkommensteuererklärung 2004 beantragte die Berufungswerberin (Bw.), das "große" Pendlerpauschale iHv EUR 2.421,00 von den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit abzuziehen. Diesem Antrag wurde im Einkommensteuerbescheid 2004 vom 29. Juni 2005 stattgegeben.

Am 14. Juli 2006 wurde das Verfahren betreffend Einkommensteuer 2004 mit folgender Begründung wiederaufgenommen:

Anlässlich einer nachträglichen Prüfung Ihrer Erklärungsangaben sind die in der Begründung zum beiliegenden Einkommensteuerbescheid angeführten Tatsachen und/oder Beweismittel neu hervorgekommen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs 4 BAO erforderlich machen. Die Wiederaufnahme wurde unter Abwägung von Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsgründen (§ 20 BAO) verfügt. Im vorliegenden Fall überwiegt das öffentliche Interesse an der Rechtsrichtigkeit der Entscheidung das Interesse auf Rechtsbeständigkeit und die steuerlichen Auswirkungen können nicht als geringfügig angesehen werden.

Im Begründungsteil des nach der Verfahrenswiederaufnahme erlassenen Einkommensteuerbescheides 2004 vom 14. Juli 2006 wurde ausgeführt:

Nach der nunmehrigen Aktenlage (insb. das mit Ihrem Dienstgeber geführte Telefongespräch vom 14. Juli 2006 hinsichtlich der Entfernung des Ortes Ihres Dienstantrittes von der Haltestelle des ....) ist Ihnen durch das Angebot des .... die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zum Erreichen Ihrer Arbeitsstätte ... innerhalb der vom Einkommensteuergesetz eingeräumten zumutbaren Wegzeit (2,5 Stunden zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder umgekehrt) zumutbar. Es ist daher das "kleine" Pendlerpauschale gem. § 16 Abs 1 Z 6 lit b zu berücksichtigen...

Verfahrenswiederaufnahme- und Sachbescheid wurden innerhalb offener Berufungsfrist angefochten. Das Berufungsvorbringen zusammenfassend verneinte die Bw. das Hervorkommen neuer Tatsachen und neuer Beweismittel, da sie alles offen gelegt habe. Lt. Bw. betrage die Fahrzeit zwischen Wohnung und Arbeitsort am Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag 2 Stunden 35 Minuten. An Freitagen dauere die Heimreise 3 Stunden und 35 Minuten, da die Bw. nach Arbeitsende 1 Stunde auf den Bus warten müsse. Die Bw. beantragte den Werbungskostenabzug in Höhe des große Pendlerpauschale (EUR 2.421,00).

Die Berufung gegen die v.a. Bescheide wurde mit Berufungsvorentscheidungen abgewiesen:

Die Berufungsvorentscheidungen wurden innerhalb offener Berufungsfrist mit Vorlageantrag angefochten. Die Bw. brachte vor, sie könne ihren Dienst nicht um 7:00 Uhr antreten, da sie nicht mit dem B sondern mit dem um 7:01 Uhr ankommenden A fahre. Auch müsse sie vor Dienstantritt den Schlüssel vom Portier holen, sich umziehen und - nach 2,5 Stunden Fahrzeit - ihre persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Da die Bw. diesen Sachverhalt vor Erlassung des Einkommensteuerbescheides 2004 vom 29. Juni 2005 offen gelegt habe, sei keine Tatsache neu hervorgekommen. Die Toleranzregelung des Arbeitgebers sei unbeachtlich.

Davon abgesehen sei eine Arbeitsstelle lt. Arbeitslosenversicherungsgesetz nur dann zumutbar, wenn die tägliche Wegzeit maximal ¼ -tel der durchschnittlichen, täglichen Normalarbeitszeit betrage. Bei einer Vollzeitbeschäftigung seien 2 Stunden Wegzeit zumutbar, bei einer Teilzeitbeschäftigung mit mindesten 20 Wochenstunden 1,5 Stunden. Die Bw. arbeite 30 Stunden pro Woche, deshalb sei eine tägliche Wegzeit von 1,5 Stunden für die Wegstrecke Wohnung - Arbeitsplatz - Wohnung zumutbar. Längere Wegzeiten seien auch deshalb nicht zumutbar, weil der Sohn der Bw. blind und erwerbsunfähig sei.

Aus den Verwaltungsakten:

Die Bw. gab ihre Arbeitszeit bekannt (Montag, Dienstag: 7:00 Uhr - 12:00 Uhr; Mittwoch, Donnerstag: 7:00 Uhr - 15:00 Uhr; Freitag: 7:00 Uhr - 11:00 Uhr) und erklärte, dass die Ankunftszeit des öffentlichen Verkehrsmittels ein zeitgerechtes Erreichen des Arbeitsplatzes nicht ermögliche: "Pendlerpauschale (EUR 175,-- x 8 Monate = EUR 1.400,00) wurde zu Recht beantragt" (© Aktenvermerk).

... Es wurde das "große" PP beantragt.

Bei der NK 2003 wurde der PP-Anspruch überprüft. Damals wurde davon ausgegangen, dass die zeitknappe Ankunft des .... (ein paar Minuten vor Dienstbeginn) in Ort1 die Benützung nicht zumuten lässt.

Es wurde heute diesbezüglich mit der Dienstvorgesetzten (Fr.J, ...) der APfl. tel. Kontakt aufgenommen und in Erfahrung gebracht:

Dienstzeiten: MO, DI: 7-12 Uhr; MI, DO: 7-15 Uhr; FR: 7-11 Uhr

Fr.J erklärte, dass aus Sicht des Dienstgebers nichts gegen die Benützung des .... spräche, da dieser ihren Erfahrungen nach im Regelfall etliche Minuten vor der im Fahrplan angegebenen Zeit beim ........ ankomme und überdies die APfl. ihren Dienst im XS anträte, wo ein rechtzeitiger Dienstantritt wegen der kurzen Entfernung zwischen Haltestelle und Dienstantrittsort auch bei fahrplanmäßiger Ankunft gewährleistet sei.

Nach nunmehriger Aktenlage ist der APfI. die Benützung eines MBM nach den Regelungen des § 16 (1) 6 b zumutbar. ~ PP daher: € 1.332,00 ...

UFS-Internetsuche:

Die Wegstrecke zwischen Wohnsitz und Arbeitsort der Bw. ist 97,7 km lang. Die Fahrzeit mit dem Pkw beträgt ca. 1 Stunde 30 Minuten.

Über die Berufung wurde erwogen:

Streitpunkte im ggstl. Berufungsverfahren sind eine Verfahrenswiederaufnahme von Amtswegen und der Werbungskostenabzug/Pendlerpauschale, der lt. Bw. in Höhe des "großen" Pendlerpauschales; lt. Finanzamt in Höhe des "kleinen" Pendlerpauschales zu erfolgen habe.

Ad Verfahrenswiederaufnahme:

Streitpunkt- und Streitjahrbezogen war folgende Rechtslage anzuwenden:

Gemäß § 303 Abs 4 BAO idgF sind Verfahrenswiederaufnahmen von Amtswegen u.a. in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervor kommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und deren Kenntnis allein oder iVm dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Gemäß § 93 Abs 2 BAO idgF hat jeder Bescheid den Spruch, der über die Hauptfrage der in Verhandlung stehenden Angelegenheit zu entscheiden hat, zu enthalten. Deshalb müssen die von der Abgabenbehörde I. Instanz als Wiederaufnahmegründe verwendeten Tatsachen und Beweismittel dem Begründungsteil eines Wiederaufnahmebescheides entnehmbar sein (vgl. Ritz, Bundesabgabenordnung: Kommentar, 3. überarbeitete Auflage, § 307, Tz 3, und die do. zit. Judikate).

Der Wiederaufnahmetatbestand wurde im Begründungsteil des Wiederaufnahmebescheides wie folgt beschrieben: "Anlässlich einer nachträglichen Prüfung Ihrer Erklärungsangaben sind die in der Begründung zum beiliegenden Einkommensteuerbescheid angeführten Tatsachen und/oder Beweismittel neu hervorgekommen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs 4 BAO erforderlich machen". Da das Finanzamt im Begründungsteil des Wiederaufnahmebescheides - zulässigerweise - angab, dass "die in der Begründung zum beiliegenden Einkommensteuerbescheid angeführten Tatsachen und/oder Beweismittel neu hervorgekommen" sind, war der Wiederaufnahmetatbestand dem Begründungsteil des nach der Verfahrenswiederaufnahme erlassenen Einkommensteuerbescheides 2004 zu entnehmen.

Im Begründungsteil des nach der Verfahrenswiederaufnahme erlassenen Einkommensteuerbescheides 2004 wurde der Wiederaufnahmetatbestand wie folgt beschrieben:

"Nach der nunmehrigen Aktenlage (insb. das mit Ihrem Dienstgeber geführte Telefongespräch vom 14. Juli 2006 hinsichtlich der Entfernung des Ortes Ihres Dienstantrittes von der Haltestelle des ....) ist Ihnen ... die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zum Erreichen Ihrer Arbeitsstätte ... innerhalb der ... Wegzeit (2,5 Stunden zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder umgekehrt) zumutbar ..."

In der ggstl. Berufungssache war daher die Sachfrage zu beantworten, ob jene Entfernung der Haltestelle des .... vom Arbeitsort neu hervorgekommen ist, die - nach einer 2,5 Stunden nicht überschreitenden Wegzeit - einen rechtzeitigen Dienstantritt bei Benützung des .... ermöglichte.

"Neu hervorgekommen" bedeutet, dass die Tatsachen und/oder Beweismittel als solche vor Erlassung des wieder aufzunehmenden Bescheides bereits vorhanden, aber unbekannt sind. Da der wiederaufgenommene Einkommensteuerbescheid 2004 am 29. Juni 2005 erlassen wurde, ist "neu hervorgekommen" Alles am 29. Juni 2005 Vorhandene, das dem Finanzamt am 29. Juni 2005 nicht bekannt war.

Am 29. Juni 2005 war dem Finanzamt bekannt, dass die Ankunftszeit des öffentlichen Verkehrsmittels ein zeitgerechtes Erreichen des Arbeitsplatzes im Jahr 2003 nicht ermöglichte, da die Bw. diese Sachlage bei der Vorsprache vom 4. Jänner 2005 offen gelegt hatte. Das in der ggstl. Berufungssache wiederaufgenommene Verfahren war jedoch nicht das Einkommensteuerverfahren 2003 sondern das Einkommensteuerverfahren 2004.

Da das "neu hervorkommen" einer Tatsache oder eines Beweismittels aus der Sicht des jeweiligen Abgabenverfahrens zu beurteilen war, war der Wissenstand des Finanzamtes über eine Sachlage des Jahres 2003 nicht entscheidungsrelevant. Entscheidungsrelevant war der Wissenstand des Finanzamtes über die Sachlage des Jahres 2004.

Über die am 29. Juni 2005 dem Finanzamt bekannte die Sachlage des Jahres 2004 ist aus den Verwaltungsakten festzustellen, dass bei der Vorsprache vom 4. Jänner 2005 nicht thematisiert wurde, ob die Ankunftszeit des öffentlichen Verkehrsmittels ein zeitgerechtes Erreichen des Arbeitsplatzes im Jahr 2004 ermöglichte oder nicht ermöglichte. Die dem Finanzamt bekannte Sachlage war daher die in der Einkommensteuererklärung 2004 offen gelegte Sachlage, die darin bestand, dass die Bw. das große Pendlerpauschale beantragt hatte.

Aus der Einkommensteuererklärung 2004 haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Antrag auf Gewährung des großen Pendlerpauschales hätte abgewiesen werden müssen, weil die Ankunftszeit des öffentlichen Verkehrsmittels ein zeitgerechtes Erreichen des Arbeitsplatzes im Jahr 2004 ermöglichte. Vor Erlassung des Einkommensteuerbescheides 2004 vom 29. Juni 2005 war daher nicht bekannt, dass die Ankunftszeit des öffentlichen Verkehrsmittels ein zeitgerechtes Erreichen des Arbeitsplatzes im Jahr 2004 ermöglichte.

Dass die Ankunftszeit des öffentlichen Verkehrsmittels ein zeitgerechtes Erreichen des Arbeitsplatzes im Jahr 2004 ermöglichte, wusste das Finanzamt seit dem mit Fr.J am 13. Juli 2006 geführten Telefonat. Am 13. Juli 2006 war der Einkommensteuerbescheid 2004 vom 29. Juni 2005 bereits erlassen. Aus Sicht des Einkommensteuerverfahrens 2004 ist daher neu hervorgekommen, dass die Ankunftszeit des öffentlichen Verkehrsmittels ein zeitgerechtes Erreichen des Arbeitsplatzes im Jahr 2004 ermöglichte.

Eine neu hervorgekommene Tatsache allein erfüllt nicht den Wiederaufnahmetatbestand des § 303 Abs 4 BAO idgF; sie muss entweder allein oder iVm bereits bekannten Fakten und/oder Beweismitteln bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem, vom rechtskräftigen Bescheid sich unterscheidenden, Bescheidergebnis führen.

In der ggstl. Berufungssache ändert sich das Bescheidergebnis des Einkommensteuerbescheides 2004 vom 29. Juni 2005, wenn der Werbungskostenabzug nicht in Höhe des "großen" sondern in Höhe des "kleinen" Pendlerpauschales erfolgt.

Bei Beantwortung der Rechtsfrage, welches Pendlerpauschale zu gewähren war, ist folgende Rechtslage anzuwenden:

Gemäß § 16 Abs 1 Z 6 EStG 1988 idgF sind die Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte Werbungskosten im Sinne des § 16 Abs 1 EStG 1988 idgF.

Gemäß § 16 Abs 1 Z 6 lit a EStG 1988 idgF sind diese Ausgaben bei einer einfachen Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bis 20 km grundsätzlich durch den Verkehrsabsetzbetrag abgegolten.

Gemäß § 16 Abs 1 Z 6 lit b EStG 1988 idgF sind Werbungskosten in Höhe des sog. "kleinen" Pendlerpauschales von den Einnahmen aus nicht selbständiger Arbeit abzuziehen, wenn die vom Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend zurück gelegte einfache Wegstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mehr als 20 km beträgt und die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zumutbar ist. Die "kleinen" Pendlerpauschalbeträge für die einfachen Wegstrecken von 20 km - 40 km, 40 km - 60 km und über 60 km unterscheiden sich der Höhe nach.

Gemäß § 16 Abs 1 Z 6 lit c EStG 1988 idgF sind Werbungskosten in Höhe des sog. "großen" Pendlerpauschales von den Einnahmen aus nicht selbständiger Arbeit abzuziehen, wenn die vom Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend zurück gelegte einfache Wegstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mehr als 2 km beträgt und die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke nicht zumutbar ist. Die vom Gesetzgeber für die einfachen Wegstrecken von 2 km - 20 km, 20 km - 40 km, 40 km - 60 km und über 60 km normierten "großen" Pendlerpauschalbeträge unterscheiden sich der Höhe nach.

Nach der vorzit. Rechtslage steht das sog. "große" Pendlerpauschale zu, wenn die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke nicht möglich oder nicht zumutbar ist und die Fahrtstrecke zumindest 2 km beträgt.

In der ggstl. Berufungssache war die Länge der Fahrtstrecke nicht Gegenstand von erstinstanzlichen Ermittlungen und war daher nicht strittig. Der Unabhängige Finanzsenat führte dennoch Ermittlungen durch und stellte fest, dass der Routenplaner die Fahrtstrecke mit 97,7 km berechnete. Bei Berechnung des zu gewährenden Pendlerpauschalbetrages war daher der für Fahrtstrecken von über 60 km normierte Pendlerpauschalbetrag heranzuziehen.

Streitpunkt in der ggstl. Berufungssache war, ob die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen der Länge der Fahrtzeit zwischen Wohnung und Arbeitsort zumutbar oder nicht zumutbar war:

Die Bw. beantragte, der Berufungsentscheidung zugrunde zu legen, dass eine Arbeitsstelle lt. Arbeitslosenversicherungsgesetz nur dann zumutbar sei, wenn die tägliche Wegzeit maximal ¼ -tel der durchschnittlichen, täglichen Normalarbeitszeit beträgt. Da die Bw. 30 Stunden pro Woche arbeitet, sei eine tägliche Wegzeit von 1,5 Stunden für die Wegstrecke Wohnung - Arbeitsplatz - Wohnung zumutbar.

Über die vorzit. "vom Einkommensteuergesetz eingeräumte zumutbare Wegzeit (2,5 Stunden zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder umgekehrt)" ist festzustellen, dass im Einkommensteuergesetz keine Wegzeiten angeführt werden, bei deren Überschreitung die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar ist. Die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels war jedoch nach Verwaltungspraxis und überwiegender UFS - Spruchpraxis jedenfalls nicht mehr zumutbar, wenn 2 ½ Stunden bei einer Wegstrecke ab 40 km überschritten wurden.

Die derzeitige UFS - Spruchpraxis tendiert dazu, die Zumutbarkeit der Wegzeit unabhängig von der Entfernung des Wohnortes vom Arbeitsort zu beurteilen und erachtet eine (entfernungsunabhängige) Wegzeit von 1 ½ Stunden für die einfache Wegstrecke oder eine (entfernungsunabhängige) Wegzeit von 3 Stunden für die zwischen Wohnung - Arbeitsort - Wohnung liegende Fahrtstrecke als zumutbar (bspw. UFS 24.6.2010, RV/1060-W/10 und die do. zit. Judikate).

Die - 30 Stunden in der Woche teilzeitarbeitende - Bw. brachte vor, eine tägliche Wegzeit von 1 ½ Stunden für die Strecke Wohnung - Arbeitsplatz - Wohnung sei zumutbar, da eine Arbeitsstelle lt. Arbeitslosenversicherungsgesetz zumutbar sei, wenn die tägliche Wegzeit maximal ¼ -tel der durchschnittlichen, täglichen Normalarbeitszeit betrage:

Eine entfernungsunabhängige arbeitszeitbezogene Interpretation der "Unzumutbarkeit" ist grundsätzlich eine sachgerechte Lösung, um den Gesetzeszweck von § 16 Abs 1 Z 6 EStG - Förderung des öffentlichen Verkehrs - an einem Verkehrsteilnehmer zu orientieren, der auf Grund des fehlenden adäquaten Arbeitsplatzangebotes in der näheren Wohnungsumgebung größere Entfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsort zurücklegen muss und teilzeitarbeitet. Überlegungen des Gesetzgebers zu Normen anderer Rechtsgebiete - idF des Arbeitsrechtes - sind jedoch nicht zur Interpretation der "Unzumutbarkeit" im Sinne des § 16 Abs 1 Z 6 EStG heranzuziehen.

Der ggstl. Berufungsentscheidung wird daher die UFS - Spruchpraxis zugrunde gelegt, dass eine entfernungsunabhängige Wegzeit von 1 ½ Stunden für die zwischen Wohnung und Arbeitsort liegende Fahrtstrecke und/oder eine entfernungsunabhängige Wegzeit von 3 Stunden für die zwischen Wohnung - Arbeitsort - Wohnung liegende Fahrtstrecke zumutbar ist.

Über die Wegzeiten der Bw. ist aus den Fahrplänen der zur Verfügung stehenden Verkehrsverbindungen festzustellen:

Die täglichen Wegzeiten für Hin- und Rückfahrt betragen von Montag bis Donnerstag 4 Stunden 20 Minuten und am Freitag 5 Stunden 20 Minuten.

Die täglichen Wegzeiten für Hin- und Rückfahrt betragen am Montag und Dienstag 3 Stunden 25 Minuten, am Mittwoch und Donnerstag 3 Stunden 22 Minuten und am Freitag 4 Stunden 25 Minuten.

Die v.a. Wegzeiten sind länger, wenn die Bw. mit dem A fährt. Da jedoch die kürzeste Wegzeit entscheidungsrelevant ist, waren die Wegzeiten bei Benützung des öffentlichen Verkehrsmittels B zur Beantwortung der Frage nach der Zumutbarkeit ihrer Benützung heranzuziehen.

Über die Wegzeiten bei Benützung des öffentlichen Verkehrsmittels B ist iVm der UFS - Spruchpraxis festzustellen:

Von dieser Sachlage ausgehend wird iVm der UFS - Spruchpraxis festgestellt, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen langer Fahrzeiten nicht zumutbar war und infolgedessen der Werbungskostenabzug in Höhe des "großen" Pendlerpauschales zu erfolgen hatte.

Ein Werbungskostenabzug in Höhe des "großen" Pendlerpauschales fand im Einkommensteuerbescheid 2004 vom 29. Juni 2005 statt. Dieses Bescheidergebnis war nicht abzuändern, da die neu hervorgekommene Tatsache - dass die Ankunftszeit des öffentlichen Verkehrsmittels ein zeitgerechtes Erreichen des Arbeitsplatzes im Jahr 2004 ermöglichte - nichts an der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel änderte und infolgedessen ein Werbungskostenabzug in Höhe des "großen" Pendlerpauschales zu gewähren war.

Der Unabhängige Finanzsenat stellt fest, dass der Wiederaufnahmetatbestand des § 303 Abs 4 BAO idgF wegen Fehlens des sich ändernden Bescheidergebnisses nicht erfüllt ist und die Verfahrenswiederaufnahme nicht hätte erfolgen dürfen.

Es ergeht die Entscheidung:

Dem Berufungsbegehren - den Verfahrenswiederaufnahmebescheid aufzuheben - wird stattgegeben.

Ad. nach der Verfahrenswiederaufnahme erlassener Sachbescheid:

Der Entscheidung über den Einkommensteuerbescheid 2004 vom 14. Juli 2006 war die Sachlage zugrunde zu legen, dass dieser Bescheid nach einer Verfahrenswiederaufnahme erlassen wurde, die mit der ggstl. Berufungsentscheidung aufgehoben wurde.

Durch die Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide trat das Verfahren in den Stand zurück, in dem es sich vor der Verfahrenswideraufnahme befunden hatte (§ 307 Abs 3 BAO idgF); d.h. der nach der Verfahrenswiederaufnahme erlassene Einkommensteuerbescheid 2004 vom 14. Juli 2006 ist aus dem Rechtsbestand ausgeschieden und der Einkommensteuer(Erst)- Bescheid 2004 vom 29. Juni 2005 lebt wieder auf.

Festzustellen ist, dass sich die Berufung nach der Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides gegen den aus dem Rechtsbestand ausgeschiedenen Einkommensteuerbescheid 2004 vom 14. Juli 2006 richtet.

Mit Berufung anfechtbar sind die Rechtsfolgen eines Bescheides, da ein Bescheidadressat nur durch die Rechtsfolgen eines Bescheides beschwert ist und rechtliche Beschwer die Voraussetzung für die Anfechtbarkeit von behördlichen Erledigungen ist. Richtet sich daher eine Berufung gegen einen aus dem Rechtsbestand ausgeschiedenen Bescheid, ist die Berufung nicht (mehr) zulässig und ist gemäß § 273 Abs 1 lit a BAO idgF zurückzuweisen.

Es ergeht die Entscheidung:

Die Berufung gegen den Einkommensteuerbescheid 2004 vom 14. Juli 2006 wird als unzulässig (geworden) zurückgewiesen.

Wien, am 19. Juni 2012

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988

Schlagworte:

Wegzeit

Verweise:

UFS 24.06.2010, RV/1060-W/10

Stichworte