Erhöhte Familienbeihilfe auf Grund der Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservices
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2019:RV.7104694.2018
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache Bf. über die Beschwerde vom 25. April 2016 gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom 14. April 2016 betreffend Abweisung eines Antrages auf erhöhte Familienbeihilfe für das Kind N... für den Zeitraum November 2010 bis Februar 2016 zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Am 19. Jänner 2016 brachte die Beschwerdeführerin (Bf.) einen Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe ab 2010 wegen erheblicher Behinderung ihres im November dieses Jahres geborenen Sohnes N. ein. Als erhebliche Behinderung wurde Entwicklungsverzögerung genannt.
Mit Bescheid vom 14. April 2016 wies das Finanzamt diesen Antrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe betreffend den Zeitraum November 2010 bis Februar 2016 mit folgender Begründung ab:
Die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind kann nur für höchstens fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragsstellung gewährt werden.
Laut Gutachten vom Sozialministeriumservice kann die erhöhte Familienbeihilfe erst ab März 2016 gewährt werden. Daher ist obengenannter Zeitraum abzuweisen.
Die Beschwerde brachte die Bf. mit folgender Begründung ein:
Mein Sohn N..., geboren am ... November 2010 (VNR .....1110) ist seit seiner Geburt mehrfach erheblich behindert und gesundheitlich beeinträchtig, weshalb er auch seine ersten acht Lebensmonate stationär im Spital verbrachte.
Gesundheitliche Beeinträchtigung beinhaltet Essstörungen, Laktose-Unverträglichkeit, Störungen der Sensomotorik und im Bewegungsverhalten.
Sowohl der Kindsvater ..... als auch ich haben den Behindertenstatus.
Mein Sohn, N., befindet sich seit seiner Geburt in therapeutischer Betreuung (durch Befunde belegbar), was sehr kostenintensiv ist, auch wenn wir durch das Jugendamt sehr viel Unterstützung erhalten und intensiv betreut werden. N. wurde jetzt endlich, nach jahrelanger Bemühung, die Pflegestufe 2 zugesprochen, was auch der Anlass für meinen Antrag auf rückwirkende Zahlung der erhöhten Familienbeihilfe vom 19.1.2016 - auf Anraten des zuständigen Jugendamtes - rückwirkend für die letzten fünf Jahre!
Mit heutigem Tage wäre das die Nachzahlung für den Zeitraum von April 2011 bis April 2016.
Nach Einholung eines den Sohn der Bf. betreffenden fachärztlichen Sachverständigengutachtens erließ das Finanzamt eine abweisende Beschwerdevorentscheidung und begründete diese wie folgt:
Gemäß § 8 Abs. 5 ff Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der derzeit gültigen Fassung gilt ein Kind a ls erheblich behindert , bei dem nicht nur eine vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50% betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit ist durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Eine rückwirkende Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ist für max. fünf Jahre ab der Antragstellung möglich bzw. ab dem Monat, ab dem das Sozialministeriumservice den Grad der Behinderung festgestellt hat (§ 10 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 in der geltenden Fassung).
Laut neuerlichem Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice vom 6.6.2016 wurde der Grad der Behinderung mit 50% ab 1.3.2016, ohne Änderung zum Vorgutachten vom 14.4.2016, festgestellt.
Der Vorlageantrag enthält folgende Begründung:
Gemäß § 8 Abs. 5 ff Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) erhebe ich Anspruch auf rückwirkende Zahlung der erhöhten Familienbeihilfe für meinen Sohn, N., da dessen Beeinträchtigung bereits seit der Geburt besteht und sich im Laufe seines bisherigen Lebens eher verschlechtert als verbessert hat, was für seinen Lebenserhalt sehr kostenaufwendig ist.
Aufgrund aktueller Untersuchungen haben wir ja im März 2016 den Zuspruch für die erhöhte Familienbeihilfe bekommen.
Da ich als alleinerziehende Mutter auf die Hilfe des Jugendamtes angewiesen bin, habe ich mit den zuständigen Betreuern abgesprochen, die mir ja auch geraten haben, den rückwirkenden Anspruch einzuklagen - zumindest aber für den Zeitraum der letzten 2 Jahre, in denen mein Sohn N. regelmäßig Therapien in Anspruch genommen hat.
Seit 1.3.2016 wurde der Grad der Behinderung mit mindestens 50 % gesetzlich anerkannt. Da diese Behinderung nicht erst jetzt auftritt und auch durch Befunde belegbar ist, erhebe ich im Namen meines Kindes den Anspruch auf rückwirkende Zahlung der erweiterten Familienbeihilfe wobei auch dieses Geld sicher nur zum Wohle des Kindes aufgewendet wird und Kosten aus der Vergangenheit abdecken soll.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Gemäß § 8 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind.
Als erheblich behindert gilt gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind (für Begutachtungen nach dem Stichtag 1. September 2010) § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom 18. August 2010, BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 in der Fassung BGBl. I Nr. 105/2002 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Für die Einschätzung des Grades der Behinderung ist die Einschätzungsverordnung zwingend vorgesehen.
Die Abgabenbehörde hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht (§ 167 Abs. 2 BAO).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele VwGH 9.9.2004, 99/15/0250) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.
Die Feststellung des Behindertengrades eines Kindes, für das erhöhte Familienbeihilfe nach § 8 Abs. 4 FLAG beantragt wurde, hat nach den Bestimmungen des § 8 Abs. 6 FLAG auf dem Wege der Würdigung ärztlicher Sachverständigengutachten zu erfolgen (ohne dass den Bekundungen des anspruchswerbenden Elternteiles dabei entscheidende Bedeutsamkeit zukäme; vgl. VwGH 20.9.1995, 95/13/0134).
Was ein ärztliches Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung im Sinne des FLAG anlangt, so hat ein solches - nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - Feststellungen über Art und Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten (VwGH 21.2.2001, 96/14/0139).
Im Juni 2014 wurde der im November 2010 geborene Sohn der Bf. nach aufgefallener Sprachentwicklungsverzögerung vom Facharzt für Kinder und Jugendheilkunde Dr. T. untersucht. Diagnostiziert wurde beim dreieinhalbjährigen Sohn der Bf. eine leichte allgemeine Entwicklungsverzögerung und ein Minderwuchs.
Im September 2014 wurde der vierjährige Sohn der Bf. von Dr. Sz. untersucht und eine leichte Entwicklungsverzögerung diagnostiziert und der Grad der Behinderung mit 30 v.H. festgestellt.
Zwei Monate danach, im November 2014, wurde der Sohn der Bf., der kurz davor das vierte Lebensjahr vollendet hatte, neuerlich untersucht; Dr. Se. diagnostizierte eine Entwicklungsstörung leichten Grades und stellte den Grad der Behinderung mit 40 v.H. fest.
Ab April 2015 wurde der viereinhalbjährige Sohn der Bf. von den Wiener Sozialdienste Förderung & Begleitung, Zentrum für Entwicklungsförderung, betreut; wahrgenommen wurden monatlich meistens drei, in der Regel einstündige Termine.
Im April 2016 wurde der nunmehr fünfeinhalbjährige Sohn der Bf. von Dr. F. untersucht. Dr. F. diagnostizierte einen Entwicklungsrückstand und auch eine kognitive Beeinträchtigung und stellte den Grad der Behinderung mit 50 v.H. fest.
Im Juni 2016 wurde der Sohn der Bf. von Dr. W. untersucht:
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand: 5 1/2 jähriger Knabe in gutem AZ
Ernährungszustand: zufriedenstellender EZ
Psycho(patho)logischer Status:
(Der Sohn der Bf.) spricht im Untersuchungszimmer laufend vor sich hin, will sich nicht untersuchen lassen, unter Zureden dann schon, Kommunikation mit Mutter und Betreuerin weitgehend unauffällig, folgt dem Gespräch der Erwachsenen und gibt auch Kommentare dazu ab, psychomotorisch weitgehend ausgeglichen, keine produktive oder psychotische Symptomatik. Affekt und Stimmung ausgeglichen.
Das Ergebnis der von Dr. W. durchgeführten Begutachtung war:
Lfd.Nr. | Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:Begründung der Rahmensätze: | Pos.Nr. | GdB |
1 | Entwicklungsrückstandunterer Rahmensatz, da unterdurchschnittliche kognitive Begabung, ohne wesentliche motorische Defizite | 03.02.02 | 50 |
Gesamtgrad der Behinderung 50 v.H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Keine Änderung zum Vorgutachten Dr. F… vom 4-2016. Die Verschlimmerung zum Vorgutachten Dr. Se… vom 11-2011 (richtig: 2014) ist ab 3-2016 gerechtfertigt, da lt. psychologischem Befundbericht auch kognitive Beeinträchtigung vorliegt.
Eine weiter rückwirkende Anerkennung ist nicht gerechtfertigt, da die Entwicklungsstörung vorher nicht im Ausmaß von 50% vorliegend war.
Im Beschwerdefall wurde der Sohn der Bf. im Jahr 2016 zwei Mal untersucht, im April (Gutachten Dr. F.) und im Juni (Gutachten Dr. W.):
Die untersuchenden Ärzte stellten den Gesamtgrad der Behinderung auf Grund der Anamnese, nach den Untersuchungen und den vorhandenen Befunden übereinstimmend mit 50 v.H. fest.
Ebenso übereinstimmend beurteilten die Ärzte die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades der Behinderung: Diese liegt seit 03/2016 vor.
Die nicht (noch) weiter rückwirkende Anerkennung des Grades der Behinderung in Höhe von 50 v.H. geht mit den Diagnosen bzw. Einstufung in den vorangegangenen Jahren konform:
November 2014 - Entwicklungsstörung leichten Grades, Grad der Behinderung 40 v.H.
September 2014 - leichte Entwicklungsverzögerung, Grad der Behinderung mit 30 v.H.
Juni 2014 - leichte allgemeine Entwicklungs verzögerung
Aus leichten Entwicklungsverzögerungen entstanden mit der Zeit Entwicklungsstörungen leichten Grades und in der Folge ein Entwicklungsrückstand und kam im Jahr 2016 die Diagnose: kognitive Beeinträchtigung hinzu.
Es sind somit die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug des Erhöhungsbetrages der Familienbeihilfe im Zeitraum November 2010 bis Februar 2016 nicht gegeben, weshalb wie im Spruch zu entscheiden war.
Zulässigkeit einer Revision
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Erkenntnis werden keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen, da dieses in rechtlicher Hinsicht der in dieser Entscheidung zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgt. Soweit darin Sachverhaltsfeststellungen getroffen wurden, liegen keine Rechtsfragen, sondern Sachverhaltsfragen vor, die grundsätzlich keiner Revision zugänglich sind.
Gegen diese Entscheidung ist daher gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG iVm § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 eine ordentliche Revision nicht zulässig.
Wien, am 4. Oktober 2019
Zusatzinformationen | |
|---|---|
Materie: | Steuer, FLAG |
betroffene Normen: | § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
