Keine Schätzungsbefugnis, wenn Umsätze und Vorsteuerbeträge ermittelbar sind.
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2020:RV.7102518.2020
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Anna Radschek in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Sera Trust GmbH, Gablenzgasse 11, 4. Stock, 1150 Wien, über die Beschwerde vom 13. März 2020 gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom 4. März 2020 betreffend Umsatzsteuer 2018, Steuernummer ***, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO im eingeschränkten Umfang Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Die beschwerdeführende GmbH betreibt einen Gastronomiebetrieb, bei dem Ende des Jahres 2019 bzw. Anfang des Jahres 2020 eine Umsatzsteuersonderprüfung (USO) für den Zeitraum 7/2018 bis 10/2018 durchgeführt wurde. In dem darüber erstellten Bericht wird Folgendes festgehalten:
Da trotz mehrmaliger telefonischer Kontaktversuche und schriftlicher Vorladung niemand zum angesetzten Besprechungstermin in den Amtsräumen des (damals) zuständigen Finanzamtes erschienenen sei, seien die Bemessungsgrundlagen für die Zeiträume 7/2018 bis 10/2018 im Rahmen der USO gemäß § 184 BAO im Schätzungswege ermittelt worden. Es sei dabei ein Sicherheitszuschlag in Höhe von 5 % auf die erklärten Umsätze aufgeschlagen und der Vorsteuerabzug mangels Belegnachweises verwehrt worden.
Mit Bescheiden jeweils vom 28.01.2019 wurde die Umsatzsteuer für die Zeiträume 07-10/2018 entsprechend den Feststellungen der USO festgesetzt (FSU-Bescheide).
Dagegen brachte die beschwerdeführende GmbH fristgerecht Beschwerde ein und begründete diese damit, den Termin für die USO bedauerlicherweise aufgrund einer Terminverwechslung nicht wahrgenommen zu haben. Um eine neue Terminvereinbarung wurde gebeten.
Am 08.05.2019 brachte die beschwerdeführende GmbH die Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2018 ein.
Mit Bescheid vom 04.03.2020 wurde die Umsatzsteuer 2018 mit € 45.702,07 festgesetzt, wobei sämtliche Umsatzsteuervoranmeldungen und die amtswegigen Festsetzungen als Bemessungsgrundlagen angesetzt wurden. Die in der von der beschwerdeführenden GmbH im Rahmen der gegen die Festsetzungsbescheide eingebrachten Beschwerde angeführten Argumente blieben dabei unberücksichtigt.
In der fristgerecht eingebrachten Beschwerde gegen den Umsatzsteuerbescheid 2018 führte die beschwerdeführende GmbH im Wesentlichen aus, in der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2018 sei im Zusammenhang mit der Einreichung der Bilanz zum 31.12.2018 der 2018 tatsächlich erzielte Umsatz angegeben worden. Eine Kopie der Bilanz und des Vorsteuerkontos werde der Beschwerde beigelegt. Begehrt werde die erklärungsgemäße Veranlagung.
Die Beschwerde wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom 01.04.2020 abgewiesen. Begründend wurde auf das Beschwerdeverfahren betreffend die Umsatzsteuerfestsetzung für die Zeiträume 07/2018 bis 10/2018 verwiesen.
Am 04.05.2020 langte der Vorlageantrag beim Finanzamt fristgerecht ein. Diesem waren die Umsatzsteuervoranmeldungen für die Zeiträume 07/2018 bis 10/2018 sowie Kopien der Erlöskonten und des Vorsteuerkontos beigelegt.
Das Finanzamt legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und führte im Vorlagebericht aus, dass es nach eingehender Prüfung zur Auffassung gelangt sei, dass die erklärten Umsätze in den strittigen Zeiträumen 07/2018 bis 8/2018 anhand der vorgelegten Erlöskonten nachvollzogen werden könnten. Im Verhältnis zu den Umsätzen der Vormonate und der folgenden Monate seien keine betragsmäßigen Unregelmäßigkeiten erkennbar. Die vorgelegten Aufzeichnungen seien formell ordnungsgemäß und würden keinen Anlass geben, an deren sachlicher Richtigkeit zu zweifeln. Die durchgeführte Schätzung der Umsatzsteuervoranmeldungen für den Zeitraum 7/2018 bis 10/2018 könne angesichts der vorliegenden Unterlagen nicht mehr aufrechterhalten werden.
Es würden sich jedoch folgende Unterschiede zwischen den vorgelegten Unterlagen und der Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2018 ergeben:
Aus der vorgelegten Bilanz sei ersichtlich, dass ein Eigenverbrauch in Höhe von € 1.000,00 je zur Hälfte auf Umsätze zu 10 % USt und Umsätze zu 20% USt aufgeteilt worden sei. In der Jahreserklärung sei der Eigenverbrauch jedoch vollständig den zehnprozentigen Umsätzen zugordnet worden. Die beschwerdeführende GmbH betreibe einen Gastronomiebetrieb - eine Aufteilung des Eigenverbrauchs in 10%ige und 20%ige Umsätze habe daher die weitaus höhere Wahrscheinlichkeit für sich als die ausschließliche Zuordnung zu einem dieser Umsätze. Dafür spreche auch der entsprechende Ausweis in der Bilanz der Beschwerdeführerin.
Es werde deshalb eine entsprechende Berichtigung in Form einer Aufteilung des erklärten Eigenverbrauchs je zur Hälfte auf 20%ige und zehn 10%ige Umsätze angeregt. Dies ergebe einen Gesamtbetrag an 20%igen Umsätzen in Höhe von € 186.627,65 und einen Gesamtbetrag an 10%igen Umsätzen von € 386.551,68.
Des Weiteren werde darauf verwiesen, dass der erklärte Vorsteuerabzug in Höhe von € 49.935,70 geringfügig von dem Betrag auf dem Vorsteuerkonto in Höhe von € 49.927,99 abweiche.
Gegen eine erklärungsgemäße Veranlagung unter Berücksichtigung der Berichtigung hinsichtlich des Eigenverbrauchs und des Vorsteuerabzuges bestünden seitens der Abgabenbehörde keine Bedenken.
Nach Aufforderung durch das Bundesfinanzgericht gab die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin bekannt, dass sie den Vorlagebericht erhalten habe und mit der vom Finanzamt vorgeschlagenen Vorgehensweise einverstanden sei.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Die beschwerdeführende GmbH betreibt einen Gastronomiebetrieb.
Die von ihr im Rahmen der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2018 erklärten Bemessungsgrundlagen entsprechen im Wesentlichen sowohl den Bilanzdaten als auch den in den Umsatzsteuervoranmeldungen angegebenen Erklärungen. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die erklärten Umsätze und Vorsteuerbeträge unter Berücksichtigung der vom Finanzamt bemängelten geringfügigen Abweichungen nicht den tatsächlich erzielten Erlösen und Vorsteuerbeträgen entsprechen würden.
Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen und den vom Finanzamt dazu getroffenen Feststellungen. Er ist auch nicht strittig.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe im eingeschränkten Umfang)
§ 184 BAO normiert:
"(1) Soweit die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie diese zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.
(2) Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Abgabepflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft über Umstände verweigert, die für die Ermittlung der Grundlagen (Abs 1) wesentlich sind.
(3) Zu schätzen ist ferner, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formelle Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen."
Die Befugnis (Verpflichtung) zur Schätzung beruht allein auf der objektiven Voraussetzung der Unmöglichkeit, die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln oder zu berechnen, nicht aber bloße "Schwierigkeiten" sachlicher oder rechtlicher Natur. Deren Überwindung mag Mühe kosten, die aber aufzuwenden ist.
§ 184 Abs 2 und 3 BAO nennt keine eigenständigen Gründe, sondern Beispiele, woraus sich eine solche Unmöglichkeit ergeben kann. § 184 Abs 2 und 3 BAO hat daher keine eigenständige normative Bedeutung. Es ist somit beispielsweise nicht deshalb zu schätzen, weil eine Mitwirkungspflicht verletzt wurde, sondern nur dann, wenn als Folge dieser Pflichtverletzung eine genaue Ermittlung (Berechnung) der Besteuerungsgrundlagen unmöglich ist.
Einnahmen, deren Höhe lückenlos erfassbar oder ermittelbar sind, dürfen nicht global geschätzt werden (vgl. Ritz, BAO6, § 184, Rz 6 und die dort wiedergegebene Judikatur und Literatur).
Im Hinblick darauf, dass die erklärten Umsätze und Vorsteuerbeträge aufgrund der vorgelegten Unterlagen plausibel erscheinen, war das Finanzamt - wie von diesem im Vorlagebericht auch zutreffend erkannt wurde - nicht berechtigt, diese im Hinblick darauf, dass die Vertreter der beschwerdeführenden GmbH zunächst ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen waren, zu schätzen. Es durften daher lediglich die geringfügigen Unterschiede zwischen den vorgelegten Unterlagen und der Umsatzsteuererklärung insoweit berücksichtigt werden, als die Aufteilung des Eigenverbrauchs in 10- und 20 %ige Umsätze den Bilanzansätzen und die Vorsteuerbeträge dem auf dem Vorsteuerkonto ausgewiesenen Betrag anzupassen waren.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da im gegenständlichen Erkenntnis die Feststellung des der Entscheidung zugrunde zu legenden Sachverhaltes im Vordergrund stand und die rechtliche Beurteilung des Vorliegens einer Schätzungsbefugnis nach § 184 BAO im Sinne der herrschenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes getroffen wurde, war die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision auszusprechen.
Wien, am 29. Juni 2020
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 184 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
