BFG RV/7100657/2024

BFGRV/7100657/20247.3.2024

Familienwohnsitz gemäß § 4 Pendlerverordnung, BGBl II 2013/276 idF BGBl II 2019/324

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2024:RV.7100657.2024

 

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, über die Beschwerde vom 20.03.2023 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 15.03.2023, betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2022, erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer machte in der am 20.02.2023 elektronisch eingelangten Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2022 keine Ausgaben als Werbungskosten geltend, weshalb im Einkommensteuerbescheid 2022 vom 15.03.2023 lediglich der Pauschbetrag für Werbungskosten in Abzug gebracht wurden.

Seine Beschwerde vom 20.03.2023 gegen den Einkommensteuerbescheid 2022 begründete der Beschwerdeführer damit, dass er in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2022 vergessen habe, das Pendlerpauschale sowie den Pendlereuro zu berücksichtigen.

Mit Schreiben vom 27.07.2023 wurde der Beschwerdeführer ersucht, je Arbeitgeber einen Ausdruck aus dem Pendlerrechner der Abgabenbehörde zu übermitteln.

Am 28.07.2023 übermittelte der Beschwerdeführer elektronisch die/den Erklärung/Nachweis zur Berücksichtigung des Pendlerpauschales und des Pendlereuro, aus der/dem hervorgeht, dass die "Anschrift der Wohnung", "***Bf-Adr2***" laute und die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte an 4 bis 7 Tagen im Kalendermonat zurückgelegt werde.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 02.08.2023 wurde die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2022 vom 15.03.2023 mit der Begründung als unbegründet abgewiesen, dass der Beschwerdeführer laut Melderegister seit 24.10.2018 mit Hauptwohnsitz in ***Bf-Adr*** gemeldet und somit die Benützung des öffentlichen Verkehrsmittels zumutbar sei.

Am 22.09.2023 wurde dem Beschwerdeführer ein Ersuchen um Ergänzung mit folgendem Inhalt via FinanzOnline übermittelt:

"zur Überprüfung brauchen wir noch Informationen. Bitte halten Sie den Termin für die Beantwortung ein. Die Nichtbeantwortung der Ergänzungspunkte innerhalb der Frist kann Folgen haben (zum Beispiel die Streichung von Ausgaben oder Absetzbeträgen).

Was brauchen wir von Ihnen?

Im Falle des Bestehens mehrerer Wohnsitze ist entweder der zur Arbeitsstätte nächstgelegene Wohnsitz oder der Familienwohnsitz (LStR 2002 Rz 343 f) für die Berechnung des Pendlerpauschales maßgeblich. Voraussetzung ist, dass die entsprechende Wegstrecke auch tatsächlich zurückgelegt wird. Im Kalendermonat kann für die Berechnung des Pendlerpauschales nur ein Wohnsitz zugrunde gelegt werden. Liegen die Voraussetzungen für einen Familienwohnsitz (Rz 343 f) nicht vor, so ist stets der der Arbeitsstätte nächstgelegene Wohnsitz für das Pendlerpauschale maßgeblich (vgl. LStR 2002 Rz 259).

Ein Familienwohnsitz (§ 16 Abs. 1 Z 6 lit. f und § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988) liegt dort, wo ein in (Ehe)Partnerschaft oder in Lebensgemeinschaft lebender Steuerpflichtiger oder ein alleinstehender Steuerpflichtiger seine engsten persönlichen Beziehungen (zB Familie, Freundeskreis, Freizeitgestaltung, Vereinsmitgliedschaften) und einen eigenen Hausstand hat. Der Steuerpflichtige hat einen eigenen Hausstand, wenn er eine Wohnung besitzt, deren Einrichtung seinen Lebensbedürfnissen entspricht. Ein eigener Hausstand liegt jedenfalls nicht vor, wenn der Steuerpflichtige Räumlichkeiten innerhalb eines Wohnungsverbandes einer oder mehrerer Personen(en), die nicht (Ehe)Partner sind oder mit denen eine Lebensgemeinschaft besteht, mitbewohnt (LStR 2002 Rz 343).

Der Hauptwohnsitz eines Menschen iSd § 1 Abs. 7 MeldeG 1991 ist an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen, sodass für die Begründung des Hauptwohnsitzes einerseits der faktische Aufenthalt und andererseits der Wille ("... in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht...") erforderlich ist, die Unterkunft zum Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu machen.

Zur Prüfung, ob sich in ***Bf-Adr2*** im Jahr 2022 Ihr Familienwohnsitz iSd § 4 der Pendlerverordnung befunden hat, werden Sie gebeten die unten angeführten Nachweise zu erbringen:
-Bitte legen Sie für beide Wohnsitze in Wien und ***Bf-Adr2*** Mietverträge, Energiekostenabrechnungen (Strom, Heizung, Warmwasser, etc...), Gemeindeabrechnungen und Belege allfälliger weiterer durch Sie getragene Aufwendungen vor.
- Bewohnen Sie die Liegenschaft in ***Bf-Adr2*** alleine mit Ihrer Gattin oder gibt es weitere Bewohner an dieser Meldeadresse?
- Weshalb sind Sie nach wie vor mit Hauptwohnsitz in Wien gemeldet?
- Hält sich Ihre Gattin ganzjährig in ***Bf-Adr2*** auf?
- Bitte legen Sie Nachweise vor, die belegen, dass sich Ihre engsten persönlichen Beziehungen, in ***Bf-Adr2*** befinden (nehmen Sie zB am Vereinsleben in ***Bf-Adr2*** teil?, gibt es Verwandte in der Nähe?)
- Wieviel Zeit verbringen Sie in ***Bf-Adr2***?
- Welches Fahrzeug nutzen Sie für die Fahrten?
- Bitte legen Sie Nachweise der Fahrten durch Jahresprüfungsprotokolle/Jahresservice vor.

Wie können Sie uns antworten?

• Elektronisch über FinanzOnline auf der Startseite "Ergänzungsersuchen" beantworten. Dort können Sie auch Unterlagen hochladen.

• Per Post oder durch Abgabe im Finanzamt. In diesem Fall geben Sie bitte Ihre Steuernummer an, damit wir Ihre Nachricht schneller zuordnen können. Oder Sie verwenden die Rückseite dieses Schreibens für Ihre Antwort. Noch ein Hinweis: Übermitteln Sie uns bitte ausschließlich Belegkopien und keine Originalunterlagen.

Frist zur Beantwortung bis zum: 03.11.2023
Wenn Sie den Termin nicht einhalten können, informieren Sie uns bitte rechtzeitig."

Das Ergänzungsersuchen vom 22.09.2023 blieb unbeantwortet.

Mit Vorlagebericht vom 21.02.2024 wurde die Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht vorgelegt.

II. Über die Beschwerde wurde erwogen:

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zu Grunde gelegt:

Der Beschwerdeführer ist Polizist und seine Arbeitsstätte befindet sich im ***X*** Wiener Gemeindebezirk.

Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau haben einen Wohnsitz im Südburgenland, von dem der Beschwerdeführer die Entfernung zu seiner Arbeitsstätte, nämlich 161 km, an vier bis sieben Tagen im Kalendermonat zurücklegt.

Der Hauptwohnsitz des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau befindet sich im ***Y*** Wiener Gemeindebezirk, wo der Beschwerdeführer und seine Ehefrau in der ***Bf-Adr*** eine Eigentumswohnung besitzen, die gemeinsam von den beiden Eheleuten jedenfalls an den Arbeitstagen bewohnt wird und die 12,2 km von der Arbeitsstätte des Beschwerdeführers entfernt ist.

Der Sachverhalt ergibt sich aus den von der Abgabenbehörde dem Bundesfinanzgericht vorgelegten Unterlagen und der folgenden Beweiswürdigung:

2. Beweiswürdigung

In der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2022 vom 20.02.2023 gab der Beschwerdeführer seine Anschrift mit "***Bf-Adr***" an, während er in der "Erklärung zur Berücksichtigung des Pendlerpauschales und des Pendlereuro" vom 03.03.2023 - weniger als 14 Tage später - die "Anschrift der Wohnung" mit "***Bf-Adr2***" angab.

Da die Abgabenbehörden die abgabepflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln haben, die für die Abgabepflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind, wurde - zur Klärung des Umstandes, wo sich der Familienwohnsitz des Beschwerdeführers im Streitjahr 2022 nun tatsächlich befunden hat - der Beschwerdeführer mit Vorhalt vom 22.09.2023 via FinanzOnline ersucht, mehrere Fragen zu beantworten und diverse Unterlagen nachzureichen.

Obwohl auf Verlangen der Abgabenbehörde die Abgabepflichtigen zur Beseitigung von Zweifeln den Inhalt ihrer Anbringen zu erläutern und zu ergänzen sowie dessen Richtigkeit zu beweisen haben, blieb der Vorhalt vom 22.09.2023 bis dato unbeantwortet.

Im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau im September 2018 eine Eigentumswohnung mit der in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2022 angegebenen Anschrift "***Bf-Adr***" erworben haben, die erwähnte Adresse im Zentralen Melderegister als Hauptwohnsitz des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau ausgewiesen wird, die Entfernung von dieser Adresse zur Arbeitsstätte des Beschwerdeführers mit 12,2 km lediglich einen Bruchteil der Entfernung von ***Bf-Adr2*** zur Arbeitsstätte (161 km) beträgt, und der Beschwerdeführer im bisherigen Beschwerdeverfahren weder behauptet noch nachgewiesen hat, in ***Bf-Adr2*** einen eigenen Hausstand und seine engsten persönlichen Beziehungen zu haben, geht das Bundesfinanzgericht davon aus, dass sich im Streitjahr 2022 der Familienwohnsitz des Beschwerdeführers in der "***Bf-Adr***" befunden hat.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

§ 16 Abs 1 EStG 1988 lautet:

Werbungskosten sind die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen. […] Werbungskosten sind auch:

1.-5. […]

6. Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Für die Berücksichtigung dieser Aufwendungen gilt:

a) Diese Ausgaben sind durch den Verkehrsabsetzbetrag (§ 33 Abs 5 Z 1) abgegolten. Nach Maßgabe der lit b bis j steht zusätzlich ein Pendlerpauschale sowie nach Maßgabe des § 33 Abs 5 Z 4 ein Pendlereuro zu. Mit dem Verkehrsabsetzbetrag, dem Pendlerpauschale und dem Pendlereuro sind alle Ausgaben für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abgegolten.

b) - e) […]

f) Bei Vorliegen mehrerer Wohnsitze ist für die Berechnung des Pendlerpauschales entweder der zur Arbeitsstätte nächstgelegene Wohnsitz oder der Familienwohnsitz (§ 20 Abs 1 Z 2 lit e) maßgeblich.

g) - i) […]

j) Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, Kriterien zur Festlegung der Entfernung und der Zumutbarkeit der Benützung eines Massenverkehrsmittels mit Verordnung festzulegen.

Gemäß § 4 Abs 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Kriterien zur Ermittlung des Pendlerpauschales und des Pendlereuros, zur Einrichtung eines Pendler-rechners und zum Vorliegen eines Familienwohnsitzes (Pendlerverordnung), BGBl II 2013/276 idF BGBl II 2019/324 liegt ein Familienwohnsitz (§ 16 Abs 1 Z 6 lit f und § 20 Abs 1 Z 2 lit e EStG 1988) dort, wo

1. ein in (Ehe)Partnerschaft oder Lebensgemeinschaft lebender Steuerpflichtiger oder

2. ein alleinstehender Steuerpflichtiger

seine engsten persönlichen Beziehungen (zB Familie, Freundeskreis) und einen eigenen Hausstand (Abs 2) hat.

Gemäß § 4 Abs 2 der Pendlerverordnung hat der Steuerpflichtige einen eigenen Hausstand, wenn er eine Wohnung besitzt, deren Einrichtung seinen Lebensbedürfnissen entspricht. Ein eigener Hausstand liegt jedoch nicht vor, wenn der Steuerpflichtige Räumlichkeiten innerhalb eines Wohnungsverbandes einer oder mehrerer Person(en), die nicht (Ehe)Partner sind oder mit denen eine Lebensgemeinschaft besteht, mitbewohnt.

Aufgrund der oben dargelegten Beweiswürdigung geht das Bundesfinanzgericht davon aus, dass der Familienwohnsitz iSd § 4 Pendlerverordnung des Beschwerdeführers im Streitjahr 2022 nicht an der Adresse im Südburgenland, sondern an der Adresse in "***Bf-Adr***" war. Das Pendlerpauschale und der Pendlereuro für die Fahrten zwischen ***Bf-Adr2*** und der Arbeitsstätte des Beschwerdeführers in ***X***, sind somit nicht zu berücksichtigen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Frage, wo sich der Familienwohnsitz des Beschwerdeführers im Streitjahr befand, ist eine auf Ebene der Sachverhaltsermittlung und freien Beweiswürdigung zu lösende Tatfrage, die zu keiner Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung führt. Tatfragen sind kein Thema für eine ordentliche Revision.
Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher nicht zulässig.

Wien, am 7. März 2024

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 279 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 1 Abs. 7 MeldeG, Meldegesetz 1991, BGBl. Nr. 9/1992
§ 4 Pendlerverordnung, BGBl. II Nr. 276/2013
§ 16 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 4 Abs. 2 Pendlerverordnung, BGBl. II Nr. 276/2013

Schlagworte:

Pendlerpauschale, Wohnsitz, Arbeitsstätte, Hausstand, Familienwohnsitz, Pendlerverordnung

Stichworte