BFG RV/6100049/2017

BFGRV/6100049/201719.4.2018

Doppel- oder Überzahlungen

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2018:RV.6100049.2017

 

Beachte:
Revision eingebracht. Beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2018/15/0014. Mit Erk. v. 24.10.2019 als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungstext

 

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R in der Beschwerdesache X-GmbH, Anschr., vertreten durch Deloitte Salzburg Wirtschaftsprüfungs GmbH, Ignaz-Rieder-Kai 13a, 5020 Salzburg, gegen die Bescheide des Finanzamtes Salzburg-Stadt vom 06. Oktober 2016, betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 2012 und 2013, zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

 

Die Beschwerdeführerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Unternehmensgegenstand laut § 3 Abs. 1 des neugefassten Gesellschaftsvertrages vom 04.12.2008 der XYhandel, der XYverlag sowie der Handel mit Waren aller Art und das Betreiben einer Werbeagentur ist (Bilanzstichtag 30. Juni).

Im Rahmen einer abgabenbehördlichen Prüfung, die Jahre 2009 bis 2011 umfassend (Nachschauzeitraum 07/2011-12/2012), stellte das Betriebsprüfungsorgan u.a. Folgendes fest (vgl. Prüfungsbericht vom 20.09.2013):

“Tz. 2 Erträge Überzahlungen

Im Prüfungszeitraum wurden Doppel- oder Überzahlungen von Kunden festgestellt, die folgendermaßen behandelt wurden: Mittels monatlichem EDV-Report werden jene Überzahlungen erfasst, welche älter als 12 Monate sind. Diese Überzahlungen werden generell über das 0%-Ertragskonto ausgebucht. Dagegen werden Überzahlungen, die nicht mittels EDV-Report erfasst werden, von Mitarbeitern händisch auf 10% bzw. 20% Ertragskonten ausgebucht, wobei sich der jeweilige Umsatzsteuersatz durch den ursprünglichen Umsatz bestimmt.

Diese von Kunden getätigten Doppel- oder Überzahlungen stehen im Kausalzusammenhang mit steuerbaren Lieferungen und sind somit als Teil des Entgeltes im Sinne des § 4 Abs 1 UStG anzusehen, sofern es nicht zu einer Rückzahlung und damit zu einer Änderung der Bemessungsgrundlage kommt (vgl. BFH vom 19.7.2007 - V R 11/05):

Entgelt für eine Leistung ist alles, was der Leistende für seine Leistung vom Leistungsempfänger erhalten hat. Zahlt der Kunde die Leistung irrtümlich doppelt oder zahlt er versehentlich zu viel, ist der Gesamtbetrag Entgelt (Anschluss an BFH 13.12.1995 Aktenzeichen XI R 16/95, BFHE 179).

Die vereinbarten Entgelte einschließlich der Über- und Doppelzahlungen sind demnach zunächst steuerlich zu erfassen, denn die Kunden haben über die vereinbarten Entgelte hinaus die Gesamtentgelte gezahlt, "um die Leistung zu erhalten“. Dass sie sich hinsichtlich des Umfangs bzw. des Fortbestands der Zahlungsverbindlichkeit im Irrtum befanden, ändert nichts am Zweck der Zahlung, sondern berührt lediglich das Zahlungsmotiv. Wie der BFH bereits entschieden hat, stellt der Gesamtbetrag der tatsächlich erhaltenen Zahlungen das Entgelt für eine Leistung (auch bei Überzahlungen) dar, wenn sie aufgrund keines anderen Rechts- oder Anspruchsgrundes als eben dem der Leistung zugrundeliegenden erbracht wurden.

In der Rückzahlung eines Teils der Überzahlungen wäre eine Änderung der Bemessungsgrundlage (ex nunc) zu sehen. Soweit der restliche Teil der Überzahlungen endgültig bei der Klägerin verblieb, weil sie davon ausgehen konnte, dass die Kunden ihre verbleibenden Rückzahlungsansprüche nicht mehr weiterverfolgten, lag weder eine weitere Minderung der Bemessungsgrundlage vor noch ist im "Wegfall einer Verbindlichkeit" eine nachträgliche Erhöhung der Bemessungsgrundlage zu sehen, weil die Umsatzbesteuerung der Gesamtentgelte bereits im Jahr der tatsächlichen Zahlung erfolgt ist.

Der BFH sieht die “Doppelbesteuerung'' auch in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht. Gem. Art. 73 der MwStSystRL gehört zur Bemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten "erhält oder erhalten soll“.

Die Bemessungsgrundlage für das Entgelt gem. § 4 öUStG umfasst alles, was der Empfänger aufzuwenden hat, um die Lieferung zu erhalten (§ 4 Abs. 1 UStG) oder freiwillig aufwendet (§ 4 Abs. 2 Z 1 UStG). Dazu gehören nach ho. Ansicht auch die vorliegenden Doppel- oder Überzahlungen [...]“.

Zu den “Überzahlungen“ hatte die Beschwerdeführerin im Rahmen der Betriebsprüfung dem Prüfungsorgan Folgendes erläuternd mitgeteilt (e-mail vom 18.02.2013):

“Wie telefonisch besprochen, erhalten Sie die Hauptgründe, die zu einer irrtümlichen Überzahlung durch unsere Kunden führen:

1. Die Hauptursache entsteht bei Bestellungen im Internet durch abweichende Schreibweise der Kundenadressen. Der Kunde bestellt und gibt seine Adresse ein. Die Kundeneingabe entspricht aber nicht der korrekten Postadressierung (Eingabe z.B. A. Baumgartner Str. statt Anton Baumgartner Str.). Damit die Kundensendung korrekt von der Post weiterverarbeitet werden kann und das Kundenpaket auch zugestellt wird, wird die Kundenadresse im Nachgang korrigiert. Der Kunde bestellt jetzt wieder und gibt im Internet seine Kundennummer nicht ein und schreibt seine Adresse wieder abweichend von der korrekten Schreibweise. Dies hat zur Folge, dass ein neues Kundenkonto (also eine Dublette) entsteht. Die neue Bestellung läuft jetzt auf das neue Konto und die Kundenzahlung häufig auf das alte Konto (z.B. wenn der Kunde im electronic banking eine Vorlage auf die erste Kundennummer abspeichert). So erhält der Kunde eine Mahnung über das neue Konto, das ja einen offenen Saldo ausweist. Setzt sich der Kunde nicht mit uns in Verbindung und klärt den lrrtum auf (Umbuchung der Zahlung) und zahlt aufgrund der Mahnung noch einmal, bleibt die erste irrtümliche Zahlung als Überzahlung auf dem ersten Konto stehen.

2. Eine zweite Ursache von Kundendubletten sind Adressänderungen durch die Post. Durch Eingemeindungen oder Umbenennung von Straßen ändert sich die Postanschrift. Dies wird von den Kunden bei Bestellungen häufig ignoriert. Vor der Auslieferung wird die Adresse von uns korrigiert. Bestellt der Kunde dann wieder mit seiner alten Adresse, entsteht eine Dublette wie oben geschildert und somit eine irrtümliche Überzahlung.

3. Der Kunde retourniert einen Artikel. Die Einbuchung der Retoure überschneidet sich jedoch mit der 1. Mahnung. Der Kunde zahlt jedoch die Mahnung irrtümlich zusätzlich.

4. Es bestellt ein Ehepaar. Der Gatte zahlt z. B mit electronic banking. Die Gattin findet den Erlagschein und bezahlt diesen irrtümlich zusätzlich.“

Die Abgabenbehörde folgte der oben näher dargestellten Prüfungsfeststellung und setzte mit Bescheiden vom 30.09.2013 die Umsatzsteuer für die Monate Juli 2011 bis Dezember 2011 und Jänner 2012 bis Dezember 2012, neu fest.

Gegen diese neuen Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide brachte die Beschwerdeführerin innerhalb verlängerter Berufungsfrist mit Schriftsatz vom 14.11.2013 Berufung ein.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 13.01.2014 gab die Abgabenbehörde der Berufung (nunmehr Beschwerde) keine Folge.

In der Folge beantragte die Beschwerdeführerin die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen (Schreiben vom 04.02.2014). Die diesbezügliche Vorlage erfolgte mit Bericht vom 18.02.2014.

Am 20.03.2014 übermittelte die Beschwerdeführerin der Abgabenbehörde auf elektronischem Weg die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2012 und am 31.03.2015 jene für das Jahr 2013. In der Umsatzsteuerjahreserklärung 2012 wurden die Doppel- bzw. Überzahlungen betr. die Monate 07/2011 bis 06/2012 und in der Umsatzsteuerjahreserklärung 2013 jene betr. die Monate 07/2012 bis 12/2012 (die Erklärung der Umsätze erfolgt jeweils für ein abweichendes Wirtschaftsjahr 01.07. bis 30.06.) nicht als steuerpflichtige Umsätze erfasst. Auf den Umstand, dass die Doppel- bzw. Überzahlungen im Hinblick auf die abweichende Rechtsauffassung in den Umsatzsteuerjahreserklärungen 2012 und 2013 nicht in Ansatz gebracht werden, hatte die Beschwerdeführerin die Abgabenbehörde bereits im Rahmen der Betriebsprüfung aufmerksam germacht.

Mit Bescheiden vom 06.05.2016 setzte die Abgabenbehörde die Umsatzsteuer für die Jahre 2012 und 2013 fest, wobei die Umsatzsteuerjahresbescheide, bedingt durch ein Versehen der Behörde, erklärungsgemäß ergingen.

Da dem Beschwerdebegehren in den Umsatzsteuerveranlagungsbescheiden für die Jahre 2012 und 2013 (gemäß § 253 BAO gilt die Bescheidbeschwerde gegen die Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide gem. § 21 Abs. 3 UStG 1994 auch als gegen die Umsatzsteuerveranlagungsbescheide gem. § 21 Abs. 4 UStG 1994 gerichtet) Rechnung getragen wurde, wurde die Beschwerde seitens des Bundesfinanzgerichtes mit Beschluss vom 15.09.2016 gemäß § 261 Abs. 1 lit. a BAO als gegenstandslos erklärt.

In weiterer Folge wurden die Umsatzsteuerveranlagungsbescheide für die Jahre 2012 und 2013 vom 06.05.2016 von der Abgabenbehörde gemäß § 299 BAO aufgehoben und gleichzeitig durch neue Bescheide ersetzt (Bescheide vom 06.10.2016). In diesen Bescheiden wurden neben der steuerlichen Umsetzung von Prüfungsfeststellungen, die aus einer bei der Beschwerdeführerin mittlerweile stattgefundenen GPLA-Prüfung resultierten, die Doppel- bzw. Überzahlungen als steuerpflichtige Umsätze der Umsatzsteuer unterworfen.

In der Begründung dieser Bescheide verweist die Abgabenbehörde hinsichtlich der Erfassung der Doppel- bzw. Überzahlungen auf den Betriebsprüfungsbericht vom 20.09.2013 und die Beschwerdevorentscheidung vom 13.01.2014. Die Bemessungsgrundlagen seien – so die Abgabenbehörde - im Jahr 2012 um € 147.890,62 (20 %) und € 121.278,00 (10%) und im Jahr 2013 um € 147.890,62 (20%) und € 131.555,40 (10%) erhöht worden (Stellungnahme vom 29.07.2016). Hierbei handelt es sich bei dem in der Begründung für das Jahr 2012 genannten Betrag von € 147.890,62 (Erhöhung der 20 % igen Bemessungsgrundlage) um einen Schreibfehler. Der Betrag lautet richtig € 186.378,47 (€ 183.285,35 Erhöhung aufgrund der Doppel- bzw. Überzahlungen und € 3.093,12 Erhöhung aufgrund der GPLA-Prüfung). Mit der von der Abgabenbehörde genannten Stellungnahme vom 29.07.2016 ist das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 28.07.2016 gemeint, in dem sie erstmals die inzwischen stattgefundene GPLA-Prüfung betreffend die Jahre 2011 bis 2015 anspricht, aus der sich Auswirkungen auf die Umsatzsteuer ergeben.

Gegen die neuen Umsatzsteuerbescheide 2012 und 2013 vom 06.10.2016 erhob die Beschwerdeführerin innerhalb verlängerter Beschwerdefrist mit Schreiben vom 15.12.2016 Bescheidbeschwerde, wobei der Wortlaut der Beschwerde mit jenem der Berufung vom 14.11.2013 ident ist. Gemäß § 262 BAO beantragte die Beschwerdeführerin die Beschwerde ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen.

In der Rechtsmittelschrift führt sie Folgendes aus:

Die Finanzverwaltung berufe sich im Kern auf die Entscheidungen des deutschen BFH, die zum deutschen UStG ergangen seien.

Die entsprechende Bestimmung des § 10 deutsches UStG laute wie folgt:
"[ ... ] Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer [ ... ]."
Die korrespondierende österreichische Fundstelle (§ 4 Abs. 1 UStG) laute aber wie folgt:
"[ ... ] Entgelt ist alles, was der Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung aufzuwenden hat, um die Lieferung oder sonstige Leistung zu erhalten (Solleinnahme); [...]."

Die deutsche Regelung stelle darauf ab, was der Leistungsempfänger aufwende, um die Leistung zu erhalten. Nach der Rechtsprechung des BFH komme es auf das Motiv, warum der Leistungsempfänger die Beträge aufwende, nicht an und seien somit auch irrtümlich bezahlte Beträge zum Entgelt zu rechnen. Die Formulierung des § 10 dUStG unterscheide sich von § 4 Abs. 1 öUStG jedoch entscheidend.

Die österreichische Bestimmung stelle explizit auf die Solleinnahme ab. Als Solleinnahme sei das vereinbarte Entgelt, also das Entgelt, das der Kunde vertraglich zu zahlen habe, anzusehen. Doppel- bzw. Überzahlungen seien keine bedungenen Einnahmen. Die in Rede stehenden Beträge habe der Leistungsempfänger nicht aufzuwenden, um die Leistung der X-GmbH zu erhalten. Werde die Doppel- bzw. Überzahlung nicht geleistet, schulde die X-GmbH trotzdem ihre Leistung.

Nach Art. 73 MwSt-RL umfasse die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bilde, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger [ ... ] erhalte oder erhalten soll [ ... ]. Nach ständiger Rechtsprechung setze der Begriff Entgelt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen erbrachter Leistung und empfangenem Gegenwert voraus (vgl. ua EuGH 16.10.1997 Rs C-258/95 Fillibeck, 2.6.1994, Rs C-33/93 Empire Stores Ltd; 29.7.2010, Rs C-40/09 Astrazeneca). Die unmittelbare Verknüpfung zwischen der Doppel- oder Überzahlung und der von der X-GmbH zu erbringenden bzw. erbrachten Leistung, die nach Meinung des EuGH Bedingung für die Besteuerung sei, sei nicht gegeben.

Eine etwaige Mehreinnahme könnte allenfalls als freiwillige Leistung iSd § 4 Abs. 2 Z 1 UStG zu werten sein. Aber auch freiwillige Aufwendungen müssten, um Entgeltsbestandteil zu werden, mit einer konkreten Leistung in Zusammenhang stehen. Für freiwillige Leistungen gelte ebenfalls das do-ut-des Prinzip, also “Leistung um der Gegenleistung Willen“. Ein derartiger Zusammenhang sei jedoch bei den vorliegenden Über- und Doppelzahlungen nicht gegeben. Der Leistungsempfänger wende nicht bewusst mehr auf, um die Leistung der X-GmbH zu erhalten oder eine besonders zufriedenstellende Leistung zu honorieren. Auch aus der nicht erfolgenden Rückzahlung könne nicht geschlossen werden, dass der Kunde die Beträge der X-GmbH tatsächlich überlassen möchte. Vielmehr passierten die Doppel- und Überzahlungen irrtümlich und seien dem Kunden gar nicht bewusst. Freiwillig aufgewendet könnte ein Betrag nur durch eine bewusste Handlung oder eine explizite Willensäußerung werden, an der es im gegenständlichen Fall jedoch fehle. Mangels Leistungswillen des Kunden könnte bei den gegenständlichen Doppel- und Überzahlungen eine freiwillige Leistung iSd § 4 Abs. 2 Z 1 UStG nicht angenommen werden.

Der EuGH stelle im Gegensatz zu der von der Finanzverwaltung zitierten Rechtsprechung des BFH sehr wohl auf das Zahlungsmotiv ab (vgl. auch Gurtner/Pichler, Umsatzsteuerliche Behandlung von Über- und Doppelzahlungen, SWK 6/2008, 299).

Der BFH anerkenne, dass reine Fehlüberweisungen mangels Zusammenhang von Entgelt und Leistung nicht der Umsatzsteuer unterlägen. Eine Unterscheidung zwischen Fehlüberweisung und (irrtümlichen) Doppel- bzw. Überzahlungen sei in der Praxis schwierig. In beiden Fällen mangle es dem Zahlenden jedenfalls am Leistungswillen, da seine Zahlung nicht für den Erhalt der bezogenen Leistung erforderlich sei und auch keine freiwillige Leistung vorliege. Eine Gleichbehandlung von Doppel- und Überzahlungen und Fehlüberweisungen im Sinne einer Nichtbesteuerung sei daher wohl geboten und finde auch in der MwSt-RL sowie in der ständigen EuGH-Rechtsprechung Deckung. Die Umsetzung durch § 4 Abs. 1 bzw. Abs. 2 UStG sei somit richtlinienkonform.

Mit Schreiben vom 10.01.2017 legte die Abgabenbehörde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Im vorliegenden Fall herrscht Streit darüber, ob Doppel- oder Überzahlungen der Umsatzsteuer zu unterwerfen sind.

Die Abgabenbehörde vertritt im Beschwerdefall die Auffassung, die Doppel- oder Überzahlungen zählten zum Entgelt gemäß § 4 UStG 1994. Die Bemessungsgrundlage iSd der genannten Bestimmung umfasse alles, was der Empfänger aufzuwenden habe, um die Lieferung zu erhalten (§ 4 Abs. 1 UStG 1994) oder freiwillig aufwende (§ 4 Abs. 2 Z 1 UStG 1994). Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 19.07.2007, V R 11/05, im Anschluss an das Urteil vom 13.12.1995, XI R 16/95) sei Entgelt für eine Leistung alles, was der Leistende für seine Leistung vom Leistungsempfänger erhalten habe. Zahle der Kunde die Leistung irrtümlich doppelt oder zahle er versehentlich zu viel, sei der Gesamtbetrag Entgelt. Dass sich die Kunden hinsichtlich des Umfangs bzw. des Fortbestands der Zahlungsverbindlichkeit im Irrtum befunden hätten, ändere nichts am Zweck der Zahlung, sondern berühre lediglich das Zahlungsmotiv. Die Doppel- oder Überzahlungen seien als Teil des Entgelts zu erfassen, wenn sie aufgrund keines anderen Rechts oder Anspruchsgrundes als eben dem der Leistung zugrundeliegenden erbracht worden seien. Der BFH sehe sich hier auch in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht (Art. 73 der MwStSystRL).

Die Beschwerdeführerin hält dieser Auffassung entgegen, die Rechtsprechung des BFH, auf die sich die Abgabenbehörde stütze, sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die maßgebende Bestimmung des deutschen UStG (§ 10) unterscheide sich von der österreichischen Vorschrift des § 4 Abs. 1 UStG 1994 entscheidend. Die österreichische Bestimmung stelle explizit auf die Solleinnahme ab. Als Solleinnahme sei das vereinbarte Entgelt, also das Entgelt, das der Kunde vertraglich zu zahlen habe, anzusehen. Doppel- bzw. Überzahlungen seien aber keine bedungenen Einnahmen. Eine unmittelbare Verknüpfung zwischen den Doppel- oder Überzahlungen und der von ihr zu erbringenden bzw. erbrachten Leistung sei nicht gegeben. Die Doppel- oder Überzahlungen könnten auch nicht als freiwillige Leistung iSd § 4 Abs. 2 Z 1 UStG 1994 angesehen werden. Freiwillig könnte ein Betrag nur durch eine bewusste Handlung oder eine explizite Willensäußerung aufgewendet werden. Mangels Leistungswillen der Kunden stellten die Doppel- oder Überzahlungen keine freiwillige Leistung dar. Entgegen der Ansicht des BFH stelle der EuGH sehr wohl auf das Zahlungsmotiv ab. Weiters könnten irrtümliche Doppel- oder Überzahlungen nicht anders gesehen werden als Fehlüberweisungen, eine Gleichbehandlung sei geboten.

Mit diesem Vorbringen vermag die Beschwerdeführerin nicht durchzudringen. Dies aus nachstehenden Gründen:

Die Auffassung der Beschwerdeführerin, wonach sich die deutsche und österreichische Rechtslage hinsichtlich der Bestimmung des Entgelts erheblich voneinander unterscheiden, teilt das Bundesfinanzgericht nicht.

§ 10 Abs. 1 des deutschen UStG lautet (Wiedergabe erfolgt auszugsweise):

Der Umsatz wird bei Lieferungen und sonstigen Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1) und bei dem innergemeinschaftlichen Erwerb (§ 1 Abs. 1 Nr. 5) nach dem Entgelt bemessen. Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer. Zum Entgelt gehört auch, was ein anderer als der Leistungsempfänger dem Unternehmer für die Leistung gewährt […]

§ 4 des österreichischen UStG lautet (Wiedergabe erfolgt auszugsweise):
(1) Der Umsatz wird im Falle des § 1 Abs. 1 Z 1 nach dem Entgelt bemessen. Entgelt ist alles, was der Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung aufzuwenden hat, um die Lieferung oder sonstige Leistung zu erhalten (Solleinnahme); […]
(2) Zum Entgelt gehört auch,

1. was der Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung freiwillig aufwendet, um die Lieferung oder sonstige Leistung zu erhalten,

2. was ein anderer als der Empfänger dem Unternehmer für die Lieferung oder sonstige Leistung gewährt.

[...]
(10)  Die Umsatzsteuer gehört nicht zur Bemessungsgrundlage.

Nach der deutschen Rechtslage (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG) ist Entgelt alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten (mit Ausnahme der auf die Leistung entfallenden Umsatzsteuer) – siehe dazu Schuhmann in Rau/Dürrwächter UStG § 10 Anm. 40).

Nichts anderes gilt im österreichischen Recht. Nach § 4 Abs. 1 UStG 1994 ist Entgelt alles, was der Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung aufzuwenden hat, um die Lieferung oder sonstige Leistung zu erhalten (Solleinnahme). Gemäß § 4 Abs. 2 Z 1 UStG 1994 zählt zum Entgelt auch, was der Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung freiwillig aufwendet, um die Lieferung oder sonstige Leistung zu erhalten. Die Umsatzsteuer gehört gemäß Absatz 10 leg.cit. nicht zur Bemessungsgrundlage.

Demnach ist auch nach österreichischem Recht maßgebend, was der Leistungsempfänger letztlich aufwendet.

Die Beschwerdeführerin greift in der Beschwerdeschrift Satz 2 aus § 4 Abs. 1 UStG 1994 heraus (vgl. Entgelt ist alles, was der Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung aufzuwenden hat, um die Lieferung oder sonstige Leistung zu erhalten [Solleinnahme]) und stellt diesen Satz der deutschen Regelung (Satz 2 des § 10 Abs. 1 UStG – vgl. Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten) gegenüber. Diese Vorgangsweise erweist sich jedoch als verfehlt. Die österreichische Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 UStG 1994 kann nicht für sich allein, sondern nur zusammen mit jener des § 4 Abs. 2 leg.cit. gesehen werden, mit der sie in untrennbarem Zusammenhang steht. Zum Entgelt iSd § 4 UStG 1994 gehören auch die im Abs. 2 angeführten Leistungen (in Z 1 werden die freiwilligen Leistungen des Leistungsempfängers genannt).

Es mag zwar sein, dass die in § 4 Abs. 1 Satz 2 UStG getroffene Regelung wenig geglückt ist. Der Begriff der Soll-Einnahme ist unüblich und hat sich nicht eingebürgert. Er stimmt auch mit dem Gesetzeswortlaut nicht überein: Bemessungsgrundlage ist auch bei sog. Sollbesteuerung vorerst, was der Leistungsempfänger aufzuwenden hat, nicht was der Unternehmer bekommen soll. Das “vereinbarte Entgelt“ ist im Übrigen nur eine steuertechnische Größe. Auch bei Sollbesteuerung ist Bemessungsgrundlage das, was der Unternehmer letztlich erhält, “was wirtschaftlich tatsächlich zugeflossen, also endgültig gezahlt wurde“ (VwGH 14.06.1984, 83/15/0177, VwGH 30.05.1988, 86/15/0119), gleichgültig, ob dies vereinbart ist oder nicht. Entgelte, die kraft Gesetzes geschuldet werden (zB kommunale Benützungsgebühren), zählen daher ebenso zur Bemessungsgrundlage wie nicht vereinbarte (freiwillige) Gegenleistungen (vgl. Ruppe/Achatz UStG5 § 4 Tz 18).

Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass der Entgeltbegriff des § 10 Abs. 1 Satz 2 des dUStG in seiner ursprünglichen Fassung (UStG 1967) ebenfalls darauf abstellte, was der Leistungsempfänger aufzuwenden hatte, um die Leistung zu erhalten. So lautete § 10 Abs. 1 Satz 2 in der Fassung des UStG 1967: “Entgelt ist alles, was der Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung vereinbarungsgemäß aufzuwenden hat, um die Lieferung oder sonstige Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (Solleinnahme)“. Mit dem Steueränderungsgesetz 1973 vom 26.06.1973 wurde § 10 Abs. 1 Satz 2 wie folgt geändert: Entgelt ist alles, was der Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung (Leistungsempfänger) aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer“. Durch das genannte Steueränderungsgesetz wurden die Zweifel, die aufgrund der ursprünglichen Fassung entstanden waren, beseitigt. In der Neufassung wurde das Wort “vereinbarungsgemäß“ gestrichen und durch die Verwendung des Wortes “aufwendet“ deutlich gemacht, dass auch bei der Sollbesteuerung die Umsatzsteuer letztlich nur nach der Gegenleistung bemessen wird, die der Unternehmer tatsächlich erhält. Die neue Fassung stellte klar, dass auch freiwillig gewährte oder kraft Gesetzes und nicht aufgrund einer Vereinbarung geschuldete Gegenleistungen zum Entgelt gehören (vgl. Schuhmann in Rau/Dürrwächter UStG § 10 Anm. 3).

Daraus ist ersichtlich, dass das Entgelt im Sinne des österreichischen Umsatzsteuerrechtes dem Entgelt im Sinne des deutschen Umsatzsteuerrechtes entspricht, sodass die Rechtsprechung des BFH (siehe dazu unten) auch für den Beschwerdefall Aussagekraft besitzt.

Dass zum Entgelt auch gehört, was der Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung freiwillig aufwendet, um die Lieferung oder sonstige Leistung zu erhalten, entspricht dem Gedanken einer Einkommensverwendungssteuer: Entscheidend ist nicht, was der Abnehmer aufzuwenden hat, sondern was er tatsächlich aufwendet (so auch VwGH 16.11.2006, 2005/14/0129 ). Der Unternehmer hat nicht das zu versteuern, was er zu bekommen hat, sondern was er tatsächlich erhält. Zum Entgelt zählen nicht nur Aufwendungen, die getätigt werden, um die Leistung zu erhalten, sondern auch solche, die getätigt werden, weil man die Leistung erhalten hat. Für die Steuerpflicht bei einer Einkommensverwendungssteuer kann es nicht darauf ankommen, ob die freiwillige Gegenleistung vor, während oder nach der Leistungserbringung entrichtet wird, sofern es sich um eine Gegenleistung für eine erbrachte oder zu erbringende Leistung handelt (vgl. Ruppe/Achatz UStG5 § 4 Tz 100).

Der Entgeltbegriff ist in § 4 UStG 1994 aus der Sicht des Leistungsempfängers definiert. Seine Leistungen sind (nur) Entgelt, soweit sie aufgewendet werden, um die Leistung des Unternehmers zu erhalten. Nur das ist Entgelt, was in einer Zweckbindung zur Erlangung der Lieferung oder sonstigen Leistung steht (Entgeltlichkeitszusammenhang; vgl. auch VwGH 12.11.1990, 90/15/0014) – vgl. Ruppe/Achatz UStG5 § 4 Tz 10.

Nicht maßgeblich für die Entgeltseigenschaft ist,

vgl. Ruppe/Achatz UStG5 § 4 Tz 11.

Der BFH hat sich in seinem Urteil vom 19.07.2007, V R 11/05, mit der umsatzsteuerlichen Behandlung von Doppel- oder Überzahlungen befasst. In dem genannten Urteil hat der Gerichtshof ausgesprochen, dass auch derartige Zahlungen der Umsatzsteuerpflicht unterliegen. Zahlt der Kunde die Leistung irrtümlich doppelt oder zahlt er versehentlich zu viel, ist der Gesamtbetrag Entgelt iSd § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG. Doppel- oder Überzahlungen sind steuerlich zu erfassen, denn die Kunden haben – so das Höchstgericht – über die vereinbarten Entgelte hinaus die Gesamtentgelte gezahlt “um die Leistung zu erhalten“. Dass sie sich hinsichtlich des Umfangs bzw. des Fortbestands der Zahlungsverbindlichkeiten im Irrtum befunden haben, ändert nichts am Zweck der Zahlung, sondern berührt lediglich das Zahlungsmotiv. Der BFH nimmt in dieser Entscheidung auf das Urteil vom 13.12.1995, XI R 16/95 (hinsichtlich der näheren Einzelheiten siehe die entsprechende Entscheidung) Bezug und weist darauf hin, dass der Gesamtbetrag der tatsächlich erhaltenen Zahlungen das Entgelt für eine Leistung iSd § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG auch bei Überzahlungen darstellt, wenn sie aufgrund keines anderen Rechts- oder Anspruchsgrundes als dem der Leistung erbracht worden sind.

Der BFH begründet seine Rechtsauffassung wie folgt (Wiedergabe erfolgt in gekürzter Form, hinsichtlich des vollständigen Wortlautes siehe das betreffende Urteil):

a) Für die Anknüpfung des Entgelts an die tatsächlich erhaltene Gegenleistung spreche bereits der Wortlaut von Art. 11 Teil A Abs. 1 a der 6. MwSt.-RL. Danach gehöre zur Bemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bilde, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten “erhält oder erhalten soll" (unverändert Art. 73 der MwStSystRL 2006/112).

b) Auch die historische Auslegung spreche hierfür. Nachdem noch in § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1967 bestimmt gewesen sei, dass zum Entgelt nur dasjenige gehöre, was der Empfänger der Leistung “vereinbarungsgemäß" aufzuwenden gehabt hätte, um die Leistung zu erhalten, sei durch Art. 6 § 1 Nr. 4 des Steueränderungsgesetzes 1973 (vom 26. Juni 1973, BGBl I 1973, 676, 684) diese Fassung durch den heute geltenden Wortlaut mit der Anknüpfung an die tatsächliche Leistung ersetzt worden.

c) Die Anknüpfung an das tatsächlich erhaltene Entgelt entspreche auch dem Zweck der Vorschrift, die Umsatzsteuer letztlich nach dem Entgelt zu bemessen, "das sich aufgrund der von ihm wirklich vereinnahmten Gegenleistung ergibt" (BFH-Urteil vom 16. Januar 2003 V R 72/01). Werde ein Entgelt vereinbart, das später ganz oder teilweise uneinbringlich werde, so sei die (höhere) Bemessungsgrundlage nach der ausdrücklichen Regelung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG letztlich nach dem (niedrigeren) verbleibenden Entgelt auszurichten. Nichts anderes könne aber dann auch im umgekehrten Fall gelten, wenn die tatsächliche Zahlung bewusst oder irrtümlich über das vereinbarte Entgelt hinausgehe und erst nachträglich auf die Höhe des vereinbarten Entgelts korrigiert werde.

d) Dem Charakter einer tatsächlich erhaltenen Zahlung als Entgelt stehe auch nicht entgegen, dass bei einer Über- oder Doppelzahlung ein Rückzahlungsanspruch des Zahlenden aus ungerechtfertigter Bereicherung bestehe. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH führe die Erteilung einer Gutschrift erst dann zu einer Änderung der Bemessungsgrundlage, wenn der Kunde tatsächlich über die Gutschrift durch Auszahlung oder anderweitig verfügt habe (EuGH-Urteil vom 29. Mai 2001 C- 86/99, Freemans). Dann könne aber vorliegend nichts anderes gelten, wenn der Steuerpflichtige ein erhöhtes Entgelt für seine Leistung erhalten habe und eine - aber nicht realisierte - Rückzahlungsverpflichtung bestehe.

e) Schließlich führe die Rechtsauffassung des Senats auch zu praktikablen Ergebnissen, denn gerade in Fällen, in denen - wie im Streitfall - auch im Rahmen einer Betriebsprüfung nicht genau geklärt werden könne, ob die auf dem Betriebskonto eingegangenen Zahlungen tatsächlich Über- oder Doppelzahlungen seien oder aus sonstigen Gründen erfolgt seien, brauche hier für die Festlegung des Entgelts nicht näher differenziert zu werden, solange feststehe, dass die Zahlungen in Zusammenhang mit den Leistungen des Steuerpflichtigen stünden und kein anderer Rechts- oder Leistungsgrund in Betracht komme. Auch entfalle die mit Rechtsunsicherheit verbundene Festlegung eines Zeitpunktes, in dem (vor Ablauf der Verjährungsfrist) nicht mehr mit einer Rückzahlungsforderung gerechnet werden müsse.

Die vom BFH angestellten Erwägungen gelten in gleicher Weise auch für die rechtliche Situation in Österreich (zu lit. b der Ausführungen des BFH siehe die voranstehenden Ausführungen, wonach auch nach österreichischem Recht maßgebend ist, was der Leistungsempfänger tatsächlich aufwendet).

Aus der dargelegten Judikatur des BFH ergibt sich für den vorliegenden Fall Folgendes:

Die gegenständlichen von den Kunden geleisteten Doppel- oder Überzahlungen (genau genommen handelt es sich um Doppelzahlungen) sind der Umsatzsteuer zu unterziehen. Die Zahlungen stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der von der Beschwerdeführerin erbrachten Leistung. Die Zahlungen werden von den Kunden einzig und allein deshalb getätigt, um ihre Leistung für die von der Beschwerdeführerin erbrachte Leistung zu vollbringen. Ein anderer Zuwendungsgrund liegt nicht vor. Die Zahlungen erfolgen seitens der Kunden aufgrund keines anderen Rechts- oder Anspruchsgrundes als dem, der der Leistung zugrunde liegt. Die Kunden wollen eine vermeintliche Kaufpreisschuld tilgen, die Doppel- oder Überzahlung beruht lediglich auf einem Motivirrtum. Werden die Doppel- oder Überzahlungen zurückgezahlt, liegt eine Minderung der Bemessungsgrundlage nach § 16 UStG 1994 vor.

Die strittigen Doppel- oder Überzahlungen stellen einen Teil des Entgelts iSd § 4 UStG 1994 dar, das von den Kunden für die von der Beschwerdeführerin erbrachte Leistung geleistet wurde. Ob Zahlungen in der klaren Vorstellung, eine Leistungsverbindlichkeit zu erfüllen, geleistet werden oder im Irrtum über eine vermeintliche Leistungsverbindlichkeit, darauf kommt es nicht an. Entscheidend ist, was tatsächlich gezahlt wird. Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass auch freiwillige Leistungen von einem Willensentschluss des Leistenden getragen sind, der sich ja gerade dadurch manifestiert, dass geleistet wird. Auch irrtümlich geleistete Zahlungen erfolgen auf Basis der Freiwilligkeit. Die diesbezüglichen Ausführungen der Beschwerdeführerin gehen daher ins Leere.

Desgleichen ist auch das Vorbringen der Beschwerdeführerin, der EuGH stelle im Gegensatz zu der von der Finanzverwaltung zitierten Rechtsprechung des BFH sehr wohl auf das Zahlungsmotiv ab, nicht geeignet, um der Beschwerde zum Durchbruch zu verhelfen. Die Beschwerdeführerin nimmt in diesem Zusammenhang auf den Artikel “Umsatzsteuerliche Behandlung von Über- und Doppelzahlungen“ von Gurtner/Pichler, SWK 2008, 299, Bezug, die in ihren Ausführungen diesbezüglich ausdrücklich die Entscheidung Tolsma (EuGH 03.03.1994, Rs. C-16/93 ) ansprechen. Aus der Entscheidung Tolsma lässt sich aber für den Beschwerdefall schon deshalb nichts gewinnen, weil es im Fall Tolsma bereits an einem Rechtsverhältnis zwischen dem Leistenden und Leistungsempfänger mangelt, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden.

Auch der von der Beschwerdeführerin vertretenen Ansicht, wonach eine Gleichbehandlung von Doppel- oder Überzahlungen und Fehlüberweisungen geboten ist, vermag sich das Bundesfinanzgericht nicht anzuschließen. Fehlüberweisungen und Doppel- oder Überzahlungen unterscheiden sich voneinander wesentlich. Bei einer Fehlüberweisung ohne vorangegangene Leistung ist ein steuerbarer Vorgang nicht gegeben, weil das Entgelt dann nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer Leistung steht. Im Gegensatz dazu ist bei einer Über- oder Doppelzahlung der unmittelbare Zusammenhang zwischen Entgeltszahlung und Leistung noch gegeben, weil der Kunde seine vermeintliche Kaufpreisschuld tilgen will und die Über- oder Doppelzahlung im Zusammenhang mit einem tatsächlichen Leistungsaustausch steht; sie beruht lediglich auf einem Motivirrtum (vgl. BFH 19.07.2007, V R 11/05).

Zulässigkeit einer Revision:

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Fall liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, da zur steuerlichen Behandlung von Doppel- oder Überzahlungen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes existiert. Eine Revision ist daher zulässig.

 

 

Salzburg-Aigen, am 19. April 2018

 

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 4 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994

Verweise:

BFH 19.07.2007, V R 11/05
BFH 13.12.1995, XI R 16/95
VwGH 14.06.1984, 83/15/0177
VwGH 30.05.1988, 86/15/0119
VwGH 16.11.2006, 2005/14/0129
VwGH 12.11.1990, 90/15/0014

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