Anwendung des Progressionsvorbehalts: Mittelpunkt der Lebensinteressen in Deutschland - unbeschränkte Steuerpflicht in Österreich
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2022:RV.2100636.2021
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin * in der Beschwerdesache des Beschwerdeführers, *Adresse*, vertreten durch Feilenreiter & Co. Wirtschaftsprüfungs GesmbH, Wiesackerstraße 624, 8962 Gröbming, über die Beschwerde vom 30. April 2021 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom 28. April 2021 betreffend Einkommensteuer 2018 Steuernummer XXX zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Mit elektronischen Anbringen vom 17.08.2020 wurde der Abgabenbehörde durch den Vertreter des Beschwerdeführers (kurz Bf.) mitgeteilt, dass der Bf. aufgrund seines Zweitwohnsitzes in G, in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig sei und die Steuerklärungen E1, E1b und U1 für das Jahr 2018 zur Veranlagung übermittelt werden.
Mit Ergänzungsersuchen vom 27.08.2020 wurde der Bf. zusammengefasst aufgefordert mitzuteilen, warum er laut ZMR-Daten nicht in Österreich gemeldet sei und bekannt zu geben, wo sich der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen befinde und um welche Art von Vermietung es sich handle.
In der Beantwortung des Ergänzungsersuchens teilte der Vertreter des Bf. zur Vermietung des zuvor genannten Liegenschaftsobjektes mit, dass der Bf. Eigentümer eines Wohnhauses sei, welches er an Feriengäste vermiete und auch selber nutze. Die Nutzung des Hauses sei jederzeit möglich, da der Bf. die Fremdvergabe an Gäste selbst regle. Der Bf. erfülle nicht die Voraussetzungen der Verordnung betreffend inländische Zweitwohnsitze, wonach für ihn ausschließlich § 26 Abs. 1 BAO maßgeblich sei. Die Vermietung werde von Deutschland aus betrieben. Der Bf. sei verheiratet und der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen sei Deutschland. Er versteuere sein Welteinkommen in Deutschland. In Österreich bestehe unbeschränkte Steuerpflicht.
In Beantwortung eines weiteren Ergänzungsersuchens wurde der deutsche Bescheid über die Einkommensteuer des Jahres 2018 übermittelt.
Im Einkommensteuerbescheid 2018 wurden bei der Berechnung der Einkommensteuer die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abzüglich der Sonderausgabenpausschale und die in Deutschland erzielten Einkünfte (abzüglich Krankenversicherung) in Höhe von € 79.123,- zur Berechnung des Durschnittsteuersatz herangezogen.
Dagegen erhob der Bf. fristgerecht Beschwerde und begründete, dass die Berücksichtigung des Progressionsvorbehaltes unzulässig sei, da sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Bf. in Deutschland befinde. Das Welteinkommen sei gemäß Art. 4 des DBA mit Deutschland in Deutschland zu versteuern. Gemäß Rz 7593 und Rz 7595 der Einkommensteuerrichtlinien 2000 sei kein Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen.
In der abweisenden Beschwerdevorentscheidung wurde von der Abgabenbehörde zusammengefasst ausgeführt, dass der Bf. selbstständige und nichtselbstständige Einkünfte in Deutschland habe und er seit Juni 2018 in Österreich ein Ferienappartement vermiete. Es sei unstrittig, dass er aufgrund des Wohnsitzes in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig und in Deutschland ansässig sei. Aufgrund des Art. 23A Abs. 3 des OECD-Musterabkommens 1977 sowie des OECD-Musterabkommens 2017, welcher im Wesentlichen Art. 23 Abs. 1 lit. c DBA AUT-GER entspreche, sei die Anwendung des Progressionsvorbehalts durch den Staat, aus dem die Einkünfte stammen, nicht auszuschließen. Die innerstaatliche Rechtsgrundlage für die Anwendung des Progressionsvorbehaltes ergäbe sich aus den §§ 1, 3 und 33 EStG 1988. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstrecke sich auf das Welteinkommen. In den bisher ergangenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes werde hinsichtlich der Berücksichtigung der ausländischen Einkünfte bei der Steuersatzermittlung rein auf die unbeschränkte Steuerpflicht in Österreich abgestellt. Die Ansässigkeit sei nicht als Voraussetzung für die Anwendung des Progressionsvorbehalts erwähnt.
Im fristgerechten Vorlageantrag führte der Bf. zusammengefasst aus, dass die Rz 7593 und Rz 7595 der Einkommensteuerrichtlinie 2000 exakt die Verhältnisse des Bf. wiederspiegeln würden. Das in der Beschwerdevorentscheidung zitierte Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 14.05.2020 zu GZ RV/7100310/2020 sei in keinster Weise mit einem vergleichbaren Sachverhalt befasst. Der Bf. sei wegen des Zweitwohnsitzes unbeschränkt steuerpflichtig. Somit käme aufgrund des im Ausland gelegenen Mittelpunktes der Lebensinteressen nach der Abkommensdefinition nur dem ausländischen Staat (= Deutschland) die Funktion des Wohnsitzstaates und das Besteuerungsrecht zu, sodass in Österreich keine Progressionsbesteuerung durchzuführen sei. Dies werde von der Behörde aufgrund des Verweises auf Art. 23 Abs. 1 lit c DBA AUT-GER auch indirekt bestätigt.
Im Vorlagebericht wurde von der Abgabenbehörde ergänzend ausgeführt, dass sich die unbeschränkte Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 2 EStG 1988 auf alle in- und ausländischen Einkünfte (Welteinkommen) erstrecke. In zwei Fällen (Erkenntnis des BFG vom 14.05.2020 zu GZ RV/7100310/2020 und vom 18.03.2021 zu GZ RV/7100347/2021, bei welchen gegen letzteres Erkenntnis eine Revision eingebracht wurde) sei entschieden worden, das ausländische Einkünfte ungeachtet der Ansässigkeit in einem anderen Staat bei der Berechnung des Steuersatzes zu berücksichtigen seien. Es spiele dabei keine Rolle welcher Staat der Ansässigkeitsstaat sei und werde die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Mit Beschluss vom 19.07.2022 wurde der Bf. aufgefordert dem Gericht bekannt zu geben, ob Parteiinteressen gegen eine Aussetzung des Verfahrens vorliegen, da der Ausgang des VwGH-Verfahrens zur Frage, ob bei der Besteuerung der Inlandseinkünfte einer abkommensrechtlich im Ausland ansässigen, aber in Österreich unbeschränkt steuerpflichtigen Person auch in Österreich der Progressionsvorbehalt geltend gemacht werden kann, von wesentlicher Bedeutung für die Entscheidung in der vorliegenden Beschwerdesache ist. Mit Schreiben vom 21.07.2022 wurde vom Vertreter des Bf. mitgeteilt, dass keine Bedenken gegen die Aussetzung bestehen. Die Entscheidung wurde vom Bundesfinanzgericht mit Beschluss vom 01.08.2022 ausgesetzt.
Mit Schreiben vom 24.10.2022 ersuchte der Bf. um Fortsetzung des Verfahrens aufgrund einer Entscheidung des Bundesfinanzgerichts vom 08.06.2022 zu GZ RV/71020222/2022 und um Stattgabe der Beschwerde.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Der Bf. ist Alleineigentümer eines Hauses in Österreich mit der Adresse in G. Das Haus wird vom Bf. benützt und an Feriengäste vermietet. Die Eigennutzung des Hauses durch den Bf. ist jederzeit möglich, da die Vermietung durch den Bf. selbst erfolgt. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Bf. befindet sich in Deutschland, wo er unternehmerisch tätig und verheiratet ist.
Der Bf. bezieht im streitgegenständlichen Jahr in Österreich Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von € 2.022,95. Laut Bescheid des deutschen Finanzamtes über die Einkommensteuer für das Jahr 2018 bezieht der Bf. in Deutschland Einkünfte aus selbstständiger Arbeit in Höhe von € 80.820,- und Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in Höhe von € 1.792,-. Als Beitrag zur Krankenversicherung wurde ein Betrag von € 3.489,- geleistet.
Das Einkommen ausländischer Einkünfte ergibt für die in Deutschland erzielten Einkünfte abzüglich der Krankenversicherung einen Gesamtbetrag in Höhe von € 79.123,-. Im Einkommensteuerbescheid 2018 des Bf. wurde von der Abgabenbehörde die Einkommensteuer, unter Berücksichtigung des Einkommens ausländischer Einkünfte für die Berechnung des Durchschnittsteuersatzes, mit € 692,- festgesetzt.
Beweiswürdigung
Die Sachverhaltsfeststellungen sind im Wesentlichen unstrittig, ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt und insbesondere aus den vom Bf. vorgelegten Nachweisen wie dem deutschen Steuerbescheid sowie aus dem Abgabeninformationssystem der Finanzverwaltung.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Gesetzliche Grundlagen:
Gemäß § 1 Abs. 2 EStG 1988 sind jene natürlichen Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt steuerpflichtig. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf alle in- und ausländischen Einkünfte.
Das im konkreten Fall relevante Abkommen der Republik Österreich und Deutschland, DBA-Deutschland, zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (BGBl Nr. III 2002/182) enthält in Art. 4 die Vereinbarungen der Abkommensstaaten über die ansässige Person, in Art. 14 und Art. 15 die Vereinbarungen über selbstständige und unselbstständige Arbeit und in Art. 23 die Vereinbarungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung:
Artikel 4
Ansässige Person
(1) Im Sinne dieses Abkommens bedeutet der Ausdruck "eine in einem Vertragsstaat ansässige Person" eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort auf Grund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist, und umfasst auch diesen Staat, seine Gebietskörperschaften und andere juristische Personen des öffentlichen Rechts. Der Ausdruck umfasst jedoch nicht eine Person, die in diesem Staat nur mit Einkünften aus Quellen in diesem Staat oder mit in diesem Staat gelegenem Vermögen steuerpflichtig ist.
(2) Ist nach Absatz 1 eine natürliche Person in beiden Vertragsstaaten ansässig, so gilt Folgendes:
a) Die Person gilt als nur in dem Staat ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt; verfügt sie in beiden Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen);
[…]
Artikel 14
Selbständige Arbeit
- 1. Einkünfte, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus einem freien Beruf oder aus sonstiger selbständiger Tätigkeit bezieht, dürfen nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, dass der Person im anderen Vertragsstaat für die Ausübung ihrer Tätigkeit gewöhnlich eine feste Einrichtung zur Verfügung steht. Steht ihr eine solche feste Einrichtung zur Verfügung, so dürfen die Einkünfte im anderen Staat besteuert werden, jedoch nur insoweit, als sie dieser festen Einrichtung zugerechnet werden können.
- 2. […]
- 3. Artikel 15
- 4. Unselbständige Arbeit
- 5. Vorbehaltlich der Artikel 16 bis 20 dürfen Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen Vertragsstaat ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so dürfen die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden.[….]
Artikel 23
Vermeidung der Doppelbesteuerung
(1) Bei einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Person wird die Steuer wie folgt
festgesetzt:
- 1. Von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer werden die Einkünfte aus der Republik Österreich sowie die in der Republikösterreich gelegenen Vermögenswerte ausgenommen, die nach diesem Abkommen in der Republikösterreich besteuert werden dürfen und nicht unter Buchstabe b fallen. Die Bundesrepublik Deutschland behält aber das Recht, die so ausgenommenen Einkünfte und Vermögenswerte bei der Festsetzung des Steuersatzes für andere Einkünfte und Vermögenswerte zu berücksichtigen. Für Einkünfte aus Dividenden gelten die vorstehenden Bestimmungen nur dann, wenn diese Dividenden an eine in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Gesellschaft (jedoch nicht an eine Personengesellschaft) von einer in der Republik Österreich ansässigen Gesellschaft gezahlt werden, deren Kapital zu mindestens 10 vom Hundert unmittelbar der deutschen Gesellschaft gehört, und bei der Ermittlung der Gewinne der ausschüttenden Gesellschaft nicht abgezogen worden sind.
- 2. Für die Zwecke der Steuern vom Vermögen werden von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ebenfalls Beteiligungen ausgenommen, deren Ausschüttungen, falls solche gezahlt werden würden, nach den vorhergehenden Sätzen von der Steuerbemessungsgrundlage auszunehmen wären.
b) Auf die deutsche Steuer vom Einkommen für die folgenden Einkünfte wird unter Beachtung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts über die Anrechnung ausländischer Steuern die österreichische Steuer angerechnet, die nach österreichischem Recht und in Übereinstimmung mit diesem Abkommen für diese Einkünfte gezahlt worden ist:
- aa) Dividenden, die nicht unter Buchstabe a fallen,
- bb) Zinsen,
- cc) Lizenzgebühren,
- dd) Einkünfte, die nach Artikel 13 Absatz 2 in der Republik Österreich besteuert werden dürfen,
- ee) Einkünfte, die nach Artikel 15 Absatz 5 in der Republik Österreich besteuert werden dürfen,
- ff) Vergütungen, die nach Artikel 16 Absatz 1 in der Republik Österreich besteuert werden
- dürfen,
- gg) Einkünfte, die nach Artikel 17 in der Republik Österreich besteuert werden dürfen.
c) Einkünfte oder Vermögen einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Person, die nach dem Abkommen von der Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland auszunehmen sind, dürfen gleichwohl in der Bundesrepublik Deutschland bei der Festsetzung der Steuer für das übrige Einkommen oder Vermögen der Person einbezogen werden.
(2) Bei einer in der Republik Österreich ansässigen Person wird die Steuer wie folgt festgesetzt:
- a) Bezieht eine in der Republik Österreich ansässige Person Einkünfte oder hat sie Vermögen und dürfen diese Einkünfte oder dieses Vermögen nach diesem Abkommen in der Bundesrepublik Deutschland besteuert werden, so nimmt die Republik Österreich vorbehaltlich der Buchstaben b und c diese Einkünfte oder dieses Vermögen von der Besteuerung aus.
- b) Bezieht eine in der Republik Österreich ansässige Person Einkünfte, die nach den Artikeln 10, 11, 13 Absatz 2 und 17 Absatz 1 Satz 2 und 3 in der Bundesrepublik Deutschland besteuert werden dürfen, so rechnet die Republik Österreich auf die vom Einkommen dieser Person zu erhebende Steuer den Betrag an, der der in der Bundesrepublik Deutschland gezahlten Steuer entspricht. Der anzurechnende Betrag darf jedoch den Teil der vor der Anrechnung ermittelten Steuer nicht übersteigen, der auf die aus der Bundesrepublik Deutschland bezogenen Einkünfte entfällt.
- c) Dividenden im Sinne des Artikels 10 Absatz 2 Buchstabe a, die von einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Gesellschaft an eine in der Republik Österreich ansässige Gesellschaft gezahlt werden und die bei Ermittlung der Gewinne der ausschüttenden Gesellschaft nicht abgezogen worden sind, sind, vorbehaltlich der entsprechenden Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts der Republik Österreich, aber ungeachtet etwaiger nach diesem Recht abweichender Mindestbeteiligungserfordernisse, in der Republik Österreich von der Besteuerung ausgenommen.
- d) Einkünfte oder Vermögen einer in der Republik Österreich ansässigen Person, die nach dem Abkommen von der Besteuerung in der Republik Österreich auszunehmen sind, dürfen gleichwohl in der Republik Österreich bei der Festsetzung der Steuer für das übrige Einkommen oder Vermögen der Person einbezogen werden.
Rechtliche Beurteilung:
Unstrittig ist, dass der Bf. in Österreich aufgrund seines Wohnsitzes in G unbeschränkt steuerpflichtig ist und sich in Deutschland der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen befindet, er somit in Deutschland ansässig ist.
Strittig ist, ob für die Ermittlung der österreichischen Einkommensteuer des Bf. auch die deutschen Einkünfte (dem Grunde nach) zwecks Anwendung eines Progressionsvorbehaltes zu berücksichtigen sind.
Das gegenständliche Verfahren war aufgrund der zum Erkenntnis des BFG vom 18.03.2022 zu GZ RV/7100347/2021 beim Verwaltungsgerichtshof (kurz VwGH) anhängigen Revisionsverfahrens ausgesetzt und ist aufgrund der Entscheidung des VwGH vom 07.09.2022, Ra 2021/13/0067 von Amts wegen gemäß § 271 Abs. 2 BAO fortzusetzen.
Im Erkenntnis vom 07.09.2022 zu GZ Ra 2021/13/0067 hat der VwGH zu einem gleich gelagerten Sachverhalt wie folgt ausgeführt:
10 Gemäß § 1 Abs. 2 EStG 1988 sind jene natürlichen Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt steuerpflichtig. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf alle in- und ausländischen Einkünfte. Der Steuersatz bemisst sich nach dem (Gesamt)Einkommen, worin innerstaatlich der Progressionsvorbehalt seine Rechtsgrundlage findet (vgl. VwGH 24.5.2007, 2004/15/0051 und abermals 29.7.2010, 2010/15/0021).
11 Soweit die Revisionswerberin vorbringt, aus § 3 EStG 1988 sei abzuleiten, dass innerstaatlich kein Progressionsvorbehalt bestehen könne, weil es sonst keiner expliziten Regelung über besondere Progressionsvorbehalte in § 3 Abs. 3 EStG 1988 bedürfte und generell alle Befreiungen in § 3 EStG 1988 bei der Festsetzung der Steuer für das übrige Einkommen des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen wären, ist dem Folgendes entgegenzuhalten: Bei der Beurteilung der Steuerpflicht grenzüberschreitender Sachverhalte muss zunächst der Steueranspruch nach innerstaatlichem Steuerrecht, also durch Anwendung des EStG 1988, ermittelt werden. Gemäß § 1 Abs. 2 zweiter Satz EStG 1988 ist dabei bei unbeschränkt Steuerpflichtigen das nach den Vorschriften des EStG 1988 ermittelte Welteinkommen heranzuziehen. Auf der Grundlage dieses Steueranspruchs errechnet sich der anzuwendende Durchschnittssteuersatz. Sodann wird der Teil des Einkommens, das aufgrund des DBA der Besteuerungsbefugnis Österreichs entzogen wird, aus der Bemessungsgrundlage ausgeschieden und der zuvor ermittelte Durchschnittssteuersatz auf das übrige Einkommen angewendet.
12 Wird die Steuer auf das Welteinkommen errechnet, bleiben die von der Revision angesprochenen steuerbefreiten Einkünfte außer Ansatz, weil die Steuerberechnung durch Anwendung des EStG 1988 erfolgt und § 3 leg.cit. diese Einkünfte steuerfrei stellt. Diese Einkünfte sind also nach innerstaatlichem Recht (aufgrund § 3 EStG 1988) nicht steuerpflichtig und können daher nicht in die Bemessungsgrundlage für die Steuer einfließen und somit auch nicht die Höhe des anzuwendenden Durchschnittssteuersatzes beeinflussen, soweit nicht das Gesetz - wie insbesondere in § 3 Abs. 3 EStG 1988 - eine Sonderregelung trifft.
13 Auch das DBA-Türkei steht der Anwendung des Progressionsvorbehaltes für den Quellenstaat nicht entgegen.
14 Das Abkommen enthält zu der hier strittigen Frage des Progressionsvorbehalts für den Quellenstaat keine Bestimmungen. Der Methodenartikel bezieht sich jeweils auf den Ansässigkeitsstaat, nicht aber auf den Quellenstaat.
15 Art. 22 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 lit. b des DBA mit der Türkei sind Art. 23A Abs. 3 des OECD-Musterabkommens 1977 nachgebildet.
16 Der Kommentar zum OECD-Musterabkommen 1977 führt in Rn 56 zu Art. 23A aus, dass diese Regelung die Anwendung des Progressionsvorbehalts durch den Quellenstaat nicht ausschließt:
"Paragraph 3 of Article 23A relates only to the State of residence. The form of the Article does not prejudice the application by the State of source of the provisions of its domestic laws concerning the progression."
17 Auch in der Literatur wird vertreten, dass das OECD-Musterabkommen dem Quellenstaat die Anwendung eines Progressionsvorbehalts nicht verbietet (vgl. Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 23A Rz 122, mwN; so auch Loukota/Jirousek/Schmidjell-Dommes/Daurer, IntStR I/1, 201, Rz 44; Auer/Petutschnig/Resenig, SWI 2021, 120f).
18 Aus den Materialien zum DBA-Türkei geht ebenfalls nicht hervor, dass ein Progressionsvorbehalt für den Quellenstaat ausgeschlossen werden sollte. Sie enthalten lediglich den Hinweis, dass Österreich auf OECD-Grundlage die Befreiungsmethode unter Progressionsvorbehalt anwendet.
19 Im Lichte dessen ist Art. 22 des DBA-Türkei so zu verstehen, dass für den Quellenstaat ein Progressionsvorbehalt weder eingeräumt noch verboten wurde. Das DBA-Türkei entfaltet somit hinsichtlich des Progressionsvorbehalts keine Schrankenwirkung.
20 Da das österreichische Recht bei einer unbeschränkt steuerpflichtigen Person für die Ermittlung der Höhe des Steuersatzes auch die ausländischen Einkünfte heranzieht und das DBA-Türkei die Heranziehung der türkischen Einkünfte bei Ermittlung des Steuersatzes nicht verbietet, bemisst sich der Steuersatz in Österreich auch nach diesen türkischen Einkünften der Revisionswerberin.
Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies:
Wie vom VwGH ausgeführt ist bei der Beurteilung der Steuerpflicht grenzüberschreitender Sachverhalte zunächst der Steueranspruch nach innerstaatlichem Steuerrecht, also durch Anwendung des EStG 1988, zu ermittelt. Gemäß § 1 Abs. 2 zweiter Satz EStG 1988 ist dabei bei unbeschränkt Steuerpflichtigen das nach den Vorschriften des EStG 1988 ermittelte Welteinkommen heranzuziehen.
Aufgrund der - unstrittigen - unbeschränkten Steuerpflicht des Bf. sind gemäß § 1 Abs. 2 EStG 1988 alle in- und ausländischen Einkünfte für die Berechnung des Steuersatzes heranzuziehen, zumal sich der Steuersatz nach dem (Gesamt-)Einkommen, worin innerstaatlich der Progressionsvorbehalt seine Rechtsgrundlage findet, bemisst.
Auch das DBA-Deutschland steht - gleichgelagert wie das oa. VwGH-Erkenntnis betreffen dem DBA-Türkei - der Anwendung des Progressionsvorbehaltes für den Quellenstaat nicht entgegen.
Das Abkommen enthält zu der Frage des Progressionsvorbehalts für den Quellenstaat keine Bestimmungen. Der Methodenartikel bezieht sich jeweils auf den Ansässigkeitsstaat, nicht aber auf den Quellenstaat.
Art. 23 Abs. 1 lit c DBA mit Deutschland ist dem Art. 23A Abs. 3 des OECD-Musterabkommens 1977 nachgebildet. Wie vom VwGH in Randnummer 17 ausgeführt, wird in der Literatur vertreten, dass das OECD-Musterabkommen dem Quellenstaat die Anwendung eines Progressionsvorbehalts nicht verbietet.
Das DBA-Deutschland entfaltet hinsichtlich des Progressionsvorbehalts keine Schrankenwirkung. Da Art. 23 des DBA-Deutschland so zu verstehen ist, dass für den Quellenstaat ein Progressionsvorbehalt weder eingeräumt noch verboten wurde, sind bei einer unbeschränkt steuerpflichtigen Person für die Ermittlung der Höhe des Steuersatzes auch die ausländischen Einkünfte heranzuziehen.
Die Abgabenbehörde hat daher zu Recht im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018 bei der Berechnung der Einkommensteuer die deutschen Einkünfte des Bf. herangezogen und waren diese in die Bemessungsgrundlage für die Berechnung des Durchschnittsteuersatzes einzubeziehen.
Abschließend wird noch angemerkt, dass die Hinweise der Bf. auf die Lohnsteuerrichtlinien 2002 der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen kann, da die Lohnsteuerrichtlinien lediglich als Auslegungsbehelf die Rechtsansicht des Bundesministeriums für Finanzen wiedergeben und daher keine über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgehende Rechte und Pflichten begründen können.
Die Beschwerde war abzuweisen.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine ordentliche Revision an den VwGH ist nicht zulässig, da die zu beantwortende Rechtsfrage vom VwGH bereits in der oa. Judikatur des VwGH geklärt wurde und das Erkenntnis der Judikatur des VwGH entspricht.
Graz, am 22. November 2022
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 1 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise: | |
