BFH X R 62/04

BFHX R 62/0417.7.2008

Amtlicher Leitsatz:

  1. 1. Auch Schulgeld für den Besuch eines englischen Internats kann unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG abziehbar sein.
  2. 2. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem nationalen Recht hat insbesondere zur Folge, dass gemeinschaftsrechtswidrige Vorschriften des nationalen Steuerrechts nicht anzuwenden sind, ohne dass es einer Vorlage an das BVerfG oder den EuGH bedarf (Anwendungsvorrang).

Auch Schulgeld für Penne in England hilft in Deutschland sparen

Der BFH hat entschieden, dass auch Schulgeld für den Besuch eines englischen Internats von einem deutschen Steuerbürger als Sonderausgabe vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen werden kann. Es handelt sich um eine schulische Einrichtung, die staatlich anerkannt und das Schulgeld nicht "nach den Besitzverhältnissen der Eltern" ausgerichtet ist. Ferner muss für das Kind Anspruch auf Kindergeld oder auf den steuerlichen Kinderfreibetrag bestehen. Abgesetzt werden dürfen 30 % des Entgelts für den Schulbesuch — mit Ausnahme des Satzes, der auf "Beherbergung, Betreuung und Verpflegung" (= Unterbringung) entfällt.

Quelle: Wolfgang Büser

Normen

§ 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG

FG Köln - 28.06.2001 - AZ: 7 K 8690/99

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über den Abzug von Zahlungen an eine Auslandsschule.

Der 1981 geborene Sohn der Kläger und Revisionskläger (Kläger) besuchte im Streitjahr (1998) bis zu den Sommerferien die Klasse 10a des Städtischen Gymnasiums in T. Für das folgende Schuljahr wurde er auf Antrag der Kläger durch Verfügung des Schulleiters vom 20. Mai 1998 gemäß der nordrhein-westfälischen Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die gymnasiale Oberstufe beurlaubt, um die Jahrgangsstufe 11 im Rahmen eines Schüleraustausches in einer ausländischen Schule zu absolvieren, wobei die im Ausland verbrachte Zeit auf die Verweildauer in der gymnasialen Oberstufe angerechnet werden und der Sohn nach seiner Rückkehr seine schulische Laufbahn in der Jahrgangsstufe 12 fortsetzen sollte. Der Sohn besuchte dementsprechend ab 1. September 1998 die staatliche C-School, England, mit angegliedertem Internat. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger unter anderem 18 726 DM Schulgeld für den Besuch der C-School als Sonderausgaben geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte den Abzug mit der Begründung ab, dass die Beträge nicht für den Besuch einer gesetzlich anerkannten Schule gezahlt worden seien.

Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machten die Kläger geltend, dass die C-School durch die Verfügung des Schulleiters anerkannt worden sei. Soweit die einschlägige Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dem Abzug von Schulgeld für den Besuch ausländischer Schulen entgegenstehe, verstoße sie gegen den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG). Die entgegenstehende Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. Juni 1997 X R 74/95 (BFHE 183, 436, BStBl II 1997, 617) betreffe einen früheren Veranlagungszeitraum und sei angesichts des fortgeschrittenen Integrationsprozesses in der Europäischen Gemeinschaft auf das Streitjahr nicht übertragbar.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab; das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1044 veröffentlicht.

Die Revision gegen diese Entscheidung hat der XI. Senat des BFH mit Beschluss vom 20. Februar 2004 zugelassen.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG.

Sie beantragen sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung der angefochtenen Verwaltungsakte Schulgeldzahlungen in Höhe von 18 726 DM (9 574,45 EUR) als Sonderausgaben abzuziehen.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Im Einverständnis mit den Beteiligten ruhte das Verfahren zwischenzeitlich (Beschluss vom 4. Oktober 2006).

Mit Urteil vom 11. September 2007 hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in der Sache C-76/05 --Schwarz und Gootjes-Schwarz-- (Slg. 2007, I-6849, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2007, 1670) entschieden, es sei mit Art. 18 und Art. 49 EG nicht zu vereinbaren, dass Schulgeldzahlungen zwar für bestimmte Privatschulen im Inland, nicht aber für Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten als Sonderausgaben abgezogen werden könnten.

II.

Die Revision ist begründet und führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die vom FG getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob und in welcher Höhe die Schulgeldzahlungen als Sonderausgaben abgezogen werden können.

1.

Abziehbar sind gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG 30% des Entgelts, das der Steuerpflichtige für ein Kind, für das er Anspruch auf einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder auf Kindergeld hat, für den Besuch einer gemäß Art. 7 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) staatlich genehmigten oder nach Landesrecht erlaubten Ersatzschule sowie einer nach Landesrecht anerkannten allgemein bildenden Ergänzungsschule entrichtet.

Ausgenommen vom Schulgeldabzug ist das Entgelt für Beherbergung, Betreuung und Verpflegung (§ 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG; BFH-Urteil vom 14. Dezember 2004 XI R 32/03, BFHE 209, 40, BStBl II 2005, 518, m.w.N.). Der Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG bezweckt die Förderung von Privatschulen unter gleichzeitiger Beschränkung des Abzugs auf den Besuch solcher Schulen, die in gewisser Weise in das öffentliche Schulwesen einbezogen sind, bestimmte staatliche Anforderungen erfüllen müssen und deshalb typischerweise besonders förderungsbedürftig sowie förderungswürdig sind (BFH-Urteile vom 11. Juni 1997 X R 77/94, BFHE 183, 432, BStBl II 1997, 615; in BFHE 183, 436, BStBl II 1997, 617, und X R 144/95, BFHE 183, 445, BStBl II 1997, 621).

Mit Urteil in Slg. 2007, I-6849, DStR 2007, 1670 hat der EuGH entschieden, dass dann, wenn Steuerpflichtige eines Mitgliedstaats ihre Kinder zur Schulausbildung in eine Schule in einem anderen Mitgliedstaat schickten, deren Leistungen nicht unter Art. 49 EG fielen (also keine Privatschulen seien, die sich im Wesentlichen aus privaten Mitteln finanzierten), Art. 18 EG einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehe, die vorsehe, dass Schulgeldzahlungen an bestimmte Schulen im Inland als Sonderausgaben einkommensteuermindernd berücksichtigt werden könnten, diese Möglichkeit aber in Bezug auf Schulgeldzahlungen an Schulen in anderen Mitgliedstaaten generell ausschließe. Gleiches gelte für Privatschulen, da dann ein Verstoß gegen Art. 49 EG vorliege.

2.

Im Streitfall kann der Senat auf der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen nicht beurteilen, ob die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfüllt sind.

a)

Die Norm des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG ist wegen des Anwendungsvorrangs des EG-Rechts normerhaltend i.S. der EuGH-Entscheidung in Slg. 2007, I-6849, DStR 2007, 1670 europarechtskonform auszulegen (vgl. auch BFH-Urteil vom 20. September 2006 I R 113/03, BFH/NV 2007, 220 - zum Abzug von Steuerberatungskosten eines niederländischen Steuerpflichtigen). Dies führt dazu, dass das "europarechtswidrige Tatbestandsmerkmal" nicht zu beachten ist, dass also dann, wenn die Schule im EU-Ausland --gleichgültig ob öffentliche oder Privatschule im Sinne des EuGH-Urteils-- zu einem im Inland ohne Abstriche anerkannten Schulabschluss führt, der Abzug des für den Besuch dieser Schule gezahlten Schulgeldes --also ohne Beträge für Beherbergung, Betreuung und Verpflegung-- dem Grunde nach in Betracht zu ziehen ist.

Im Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht besteht ein Vorrang des Gemeinschaftsrechts. Der EuGH hat bereits frühzeitig entschieden, dass Kollisionsfälle zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht nur durch einen umfassenden Vorrang des Gemeinschaftsrechts gelöst werden können. Der Vorrang bezieht sich auf alle Rechtsquellen des Gemeinschaftsrechts, einschließlich des sekundären Gemeinschaftsrechts. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, selbst aus der Verletzung europäischen Rechts die möglichen Konsequenzen für die Vergangenheit zu ziehen (EuGH-Urteil vom 10. April 2008 Rs. C-309/06 --Marks & Spencer--, Betriebs-Berater --BB-- 2008, 1158). "Europäische Rechtsakte" sind nach der Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG -- (Urteil vom 12. Oktober 1993 2 BvR 2134/92, 2159/92, BVerfGE 89, 155) nur dann nicht verbindlich, wenn europäische Einrichtungen oder Organe den Unions-Vertrag in einer Weise handhaben und fortbilden, die von dem Vertrag nicht mehr gedeckt wäre (sog. "ausbrechende Rechtsakte").

Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem nationalen Recht hat insbesondere zur Folge, dass gemeinschaftsrechtswidrige Vorschriften des nationalen Steuerrechts nicht anzuwenden sind, ohne dass es einer Vorlage an das BVerfG oder den EuGH bedarf (Anwendungsvorrang). Dieser Anwendungsvorrang ist durch die Rechtsprechung des EuGH und auch des BVerfG abgedeckt (vgl. EuGH-Urteil in BB 2008, 1158; BVerfG-Beschluss vom 7. Juni 2000 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147; a.A. offenbar Gosch, DStR 2007, 1895, 1897); nach der letztgenannten Entscheidung des BVerfG sind Verfassungsbeschwerden und Vorlagen von Gerichten von vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlegt, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des EuGH nach Ergehen der Solange II-Entscheidung (BVerfG-Beschluss vom 22. Oktober 1986 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339) unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken sei. Im Streitfall kommt eine Vorlage nach Art. 100 GG daher nicht in Betracht; es ist nicht zu erkennen, dass die Entscheidung des EuGH in Grundrechte der Kläger eingreift; ganz im Gegenteil kommt ihnen diese zugute, indem möglicherweise das für den Besuch einer englischen Schule geleistete Schulgeld abziehbar ist.

Zur Nichtanwendung des dem Gemeinschaftsrecht widersprechenden nationalen Rechts sind alle mit der Rechtssache befassten Instanzen verpflichtet (zu Vorstehendem vgl. Jarass in Jarass/ Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 9. Aufl., Art. 23 Rz 33 f.; Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2. Aufl., § 7 Rz 9; Wegener in Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl., Art. 220 EGV, Rz 27 f.; Terhechte, Der Vorrang des Unionsrechts, Juristische Schulung 2008, 403).

b)

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr haben die Kläger Schulgeld in Höhe von 18 726 DM für den Besuch der C-School als Sonderausgaben geltend gemacht. Das FG hat nicht näher geprüft, ob und in welchem Umfang in diesem Betrag Kosten für Verpflegung und Unterbringung enthalten sind.

c)

Weiter setzt der Abzug von Schulgeldzahlungen voraus, dass durch die Höhe der gezahlten Beträge keine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern gefördert wird. Denn das BVerfG hat Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG als verletzt angesehen, wenn die Schule nicht mehr allgemein zugänglich ist. Im Grundsatz müssen alle Schüler ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Lage die Privatschule besuchen können (BVerfG-Urteil vom 8. April 1987 1 BvL 8, 16/84, BVerfGE 75, 40, 63 f.; zum Ganzen auch BFH-Urteil vom 14. Dezember 2004 XI R 66/03, BFHE 209, 48, BStBl II 2005, 473). Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist bereits ein Schulgeld von mehreren Hundert Mark schädlich (vgl. BVerfG-Urteil in BVerfGE 75, 40, 64). Zwar ist das Sonderungsverbot kein Tatbestandsmerkmal des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG; bei dem Besuch einer Schule im EU-Ausland ist aber fiktiv zu prüfen, ob sie nach deutschem Recht anerkannt worden wäre; in diesem Zusammenhang ist das Sonderungsverbot von Bedeutung.

Der Senat kann nicht beurteilen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Nach Auffassung des Senats kann zudem ein hohes Schulgeld z.B. durch Stipendien oder durch andere Maßnahmen, die den ungehinderten Zugang (auch deutscher Schüler) ermöglichen, kompensiert werden. Andererseits kann es entgegen der Auffassung des FG nicht allein darauf ankommen, dass in der Praxis das Sonderungsverbot möglicherweise nicht beachtet wird. Meilicke hat in Internationales Steuerrecht 2006, 447 (vgl. auch Müller, EFG 2008, 607) darauf hingewiesen, dass in der deutschen Besteuerungspraxis die Absetzbarkeit von Schulgeld nicht am Sonderungsverbot scheitert; das indes ist kein hinreichender Grund, an den Voraussetzungen des grundgesetzlich verankerten Sonderungsverbots nicht festzuhalten. Möglicherweise kommt den Klägern insoweit § 52 Abs. 24b EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2009 (Regierungsentwurf) zugute; danach gilt § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG in der bisherigen Fassung für noch nicht bestandskräftige Steuerfestsetzungen der Veranlagungszeiträume vor 2008 mit der Maßgabe, dass es sich nicht um eine nach Art. 7 Abs. 4 GG staatlich genehmigte oder nach Landesrecht erlaubte Ersatzschule oder eine nach Landesrecht anerkannte allgemein bildende Ergänzungsschule handeln muss.

Hinweis: Das Dokument wurde redaktionell aufgearbeitet und unterliegt in dieser Form einem besonderen urheberrechtlichen Schutz. Eine Nutzung über die Vertragsbedingungen der Nutzungsvereinbarung hinaus - insbesondere eine gewerbliche Weiterverarbeitung außerhalb der Grenzen der Vertragsbedingungen - ist nicht gestattet.

Stichworte