BFH VII B 164/96

BFHVII B 164/969.1.1997

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) handelt u. a. mit Textilien und Lederwaren, die sie aus Drittländern durch Entnahme aus dem ihr bewilligten offenen Zollager in den freien Verkehr einführte. Von Mitte 1983 an ließ die Klägerin einigen ihrer im Ausland ansässigen Lieferanten das zur Herstellung der Lederbekleidung verwendete Leder und die hochwertigen textilen Oberstoffe kostenlos zur Verfügung stellen. Die Hersteller berechneten der Klägerin Preise, in denen die Kosten für die von der Klägerin zur Verfügung gestellten Materialien nicht enthalten waren. Das den Lieferanten zur Verfügung gestellte Leder kam aus der EG, aber auch aus Japan und Neuseeland.

Aufgrund einer Prüfungsanordnung des Beklagten und Beschwerdegegners (Hauptzollamt - HZA - ) fand bei der Klägerin eine Außenprüfung des offenen Zollagers über die Besteuerungsgrundlagen der eingeführten Waren hinsichtlich der Eingangsabgaben statt. Als Prüfungsunterlagen standen den Prüfern des HZA das Wareneingangsbuch, Kreditorenkonten, Wareneinkaufskonto, Einkaufsrechnungen, Bank- und Speditions unterlagen, Zollbelege der Abfertigung zum freien Verkehr und der Abfertigung zum offenen Zollager, die Gesamt- und die Einzel kartei des offenen Zollagers sowie Vertragsunterlagen zur Verfügung. Bei der Prüfung der Abwicklung des offenen Zollagers wurden Zu- und Abgangsbelege für das Jahr 1982 vollständig geprüft. Für die Folgezeit beschränkte sich die Prüfung auf die Einfuhren aus ... . Bei der Prüfung fiel den Prüfern des HZA nicht auf, daß die Klägerin den Herstellern im Ausland kostenlos Leder und Stoffe zur Verfügung stellte und aufgrund der ausgestellten Rechnungen nur die Herstellungskosten zahlte. In der Prüfung wurde vom HZA die zollwertrechtliche Abwicklung durch die Klägerin nicht beanstandet.

Aufgrund einer weiteren Prüfungsanordnung prüfte das HZA bei der Klägerin erneut. Während der Prüfung stellten die Prüfer des HZA fest, daß die Klägerin in ihren Zollwertanmeldungen das ihren Lieferanten im Ausland kostenlos zur Verfügung gestellte Leder nicht berücksichtigt hatte. Die Klägerin hatte den Wert des kostenlos zur Verfügung gestellten Materials weder bei den Zugangsbelegen zum offenen Zollager noch bei den Entnahmen in den freien Verkehr angemeldet.

Das HZA erhob, gestützt auf Art. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 (NacherhebungsVO) des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung ... (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - Nr. L 197/1), von der Klägerin für im einzelnen aufgeführte Entnahmen aus ihrem offenen Zollager Zoll nach, weil das kostenlos zur Verfügung gestellte Material in den Zollwert einzubeziehen sei.

Das Finanzgericht (FG) führte in seinem Urteil, soweit es die Klage für unbegründet hielt, u. a. aus: Der der Zollfestsetzung zugrunde zu legende Zollwert, der sich auch hinsichtlich der Zugangsbelege für die Einfuhren aus dem Ausland aus angemeldeten CMT-Preisen nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1224/80 (ZollwertVO) des Rates vom 28. Mai 1980 über den Zollwert der Waren (ABlEG Nr. L 134/1) ergebe, weil diese Preise den tatsächlich gezahlten und zu zahlenden Preis darstellten, sei entgegen den Angaben der Klägerin für die Zugangsbelege nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i. und iii ZollwertVO um den Wert des Leders und der Stoffe zu er höhen, die den Lieferanten im Ausland zur Verfügung gestellt wurden. Nach diesen Vorschriften sei nämlich der entsprechend aufgeteilte Wert der in den eingeführten Waren enthaltenen Materialien, die wie hier mittelbar von der Klägerin als dem Käufer für die Herstellung der zu bewertenden Lederwaren zur Verfügung gestellt wurden, dem Zollwert nach Art. 3 Abs. 1 ZollwertVO hinzuzurechnen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin umfasse die danach vorzunehmende Hinzurechnung auch den Verschnitt, den die Lieferanten im Ausland mit der Klägerin nicht abgerechnet hätten und der im Ausland verblieben sei.

Die Nacherhebung sei nicht nach Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO ausgeschlossen, denn insoweit liege kein Irrtum der Zollbehörden im Sinne dieser Vorschrift vor.

Außerdem habe die Klägerin nicht alle geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet.

Gegen das Urteil begehrt die Klägerin mit der Beschwerde die Zulassung der Revision, weil es sich um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung handle (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Entscheidungsgründe

1.

Der Nichtzulassungsbeschwerde ist der Erfolg nicht bereits deswegen zu versagen, weil die aufgeworfenen Fragen zu Art. 8 Abs. 1 Buchst. b ZollwertVO und Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO ausgelaufenes Recht betreffen (s. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rz. 12, m. w. N.) Die genannten Vorschriften gelten vielmehr i. d. F. von Art. 32 Abs. 1 Buchst. b und Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex fort; ihre Auslegung ist daher nach wie vor von allgemeinem Interesse.

2.

Die Nichtzulassungsbeschwerde kann aber deshalb keinen Erfolg haben, weil die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen, denen sie grundsätzliche Bedeutung beimißt, entweder (a) nicht klärungsbedürftig oder (b) nicht in der nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise dargelegt worden sind.

a)

Die Klägerin hält die Auslegung der Art. 3 und 8 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i ZollwertVO in bezug darauf für klärungsbedürftig, ob bei der Zollbewertung der im Streitfall eingeführten Lederbekleidung der gesamte Wert des außerhalb eines passiven Veredelungsverkehrs vom Käufer ohne Berechnung an den Hersteller gelieferten Leders oder nur dessen um den Wert des Verschnitts gekürzter Wert zu berücksichtigen sei. Sie meint, daß der im Herstellungsland verbliebene Verschnitt bei der Ermittlung des Zollwerts nicht zu berücksichtigen sei und stützt sich dafür insbesondere auf den Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i ZollwertVO, wonach nur der Wert der in den eingeführten Waren "enthaltenen" Materialien (usw.) zu berücksichtigen sei. Dabei versteht sie das Wort "enthalten" als körperlich enthalten.

Entgegen der Meinung der Klägerin ist diese Frage nicht klärungsbedürftig, weil sich ihre Beantwortung eindeutig aus den maßgebenden Vorschriften der ZollwertVO ergibt und das angefochtene Urteil insoweit mit der bereits früher geäußerten Rechtsauffassung des Senats übereinstimmt. Demgegenüber hat die Klägerin keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen, die zu einer erneuten Prüfung der Frage Anlaß geben könnten (vgl. dazu Gräber/Ruban, a. a. O., § 115 Rz. 9). Der Senat hat nämlich in seinem Urteil vom 14. Mai 1991 VII R 65/89 (BFH/NV 1992, 213, 215) ausgeführt, daß die Hinzurechnungsvorschrift des Art. 8 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i ZollwertVO weit gefaßt (Wert der ... "Materialien, Bestandteile, Teile und dergleichen") und in ihrer Anwendung nicht an eine (teilweise) körperliche Identität zwischen beigestellten und eingeführten Waren gebunden sei. Als "in der eingeführten Ware enthalten" müßten neben den körperlich in der Ware enthaltenen Beistellungen auch die Waren angesehen werden, die als Abfälle, Reste, Ausschußwaren und sonstige Verluste zwar nicht unmittelbar in der eingeführten Ware enthalten seien, aber zu deren Herstellung verwendet wurden. Selbst Waren, die als Produktionshilfsmittel zur Herstellung der Einfuhrwaren gebraucht worden seien, ohne selbst in diese einzugehen, könnten unter diese Vorschrift fallen. Die Vorschrift sei nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten auszulegen. Sie ist daher nicht dahin zu verstehen, daß nur der Wert des körperlich in der eingeführten Ware enthaltenen Anteils der beigestellten Ware zu berücksichtigen ist. Entscheidend sind die für den Erwerb der eingeführten Ware aufgewendeten Kosten. Dazu gehören auch die Kosten für den im Herstellungsland verbleibenden Verschnitt des zur Herstellung der Waren vom Käufer beigestellten Materials, soweit es vom Hersteller nicht vergütet oder für den Käufer anderweitig verwendet wird. Daß allein diese Betrachtungsweise den wirtschaftlichen Gegebenheiten entspricht, ergibt sich im Streitfall schon daraus, daß die Klägerin in ihren für die interne Kalkulation bestimmten Rechnungen jeweils auch anteilig den Wert des gesamten gelieferten Materials zugrunde gelegt hat.

Diese Auffassung steht auch in Übereinstimmung mit der in der Literatur vertretenen Meinung (Zepf, Wertverzollung, Teil IV, Art. 8 A. 3.2.2.; Schulz/Zimmermann/Müller-Eiselt, Der Veredelungsverkehr, I. 39/21 ff.) und ist erst neuerdings wieder durch den Senatsbeschluß vom 4. Juni 1996 VII B 254/95 (BFH/NV 1997, 80) bestätigt worden.

Die wirtschaftliche Betrachtungsweise liegt ersichtlich ebenfalls der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zugrunde, der in seinem Urteil vom 7. März 1991 Rs. C-116/89 (EuGHE 1991, I-1095) entschieden hat, beim Kauf über Erntesaatgut, zu dessen Erzeugung vom Käufer geliefertes Basissaatgut verwendet wurde, seien für die Ermittlung des Zollwerts dem gezahlten oder zu zahlenden Preis gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i ZollwertVO Lizenzgebühren für die Vermehrung des Basissaatguts, die der Käufer an den Züchter des Basissaatguts für das Erntesaatgut zu entrichten hat, auch dann hinzuzurechnen, wenn die züchterische Leistung im Zollgebiet der Gemeinschaft erarbeitet worden sei. Dies - wohl gemerkt -, obwohl das Basissaatgut in dem eingeführten Erntesaatgut körperlich jedenfalls nicht vollständig enthalten ist (vgl. dazu Senat in BFH/NV 1992, 213, 215).

Da sich der Senat auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH weiß und deshalb keine Zweifel an der Auslegung der Art. 3 und 8 Abs. 1 Buchst. b ZollwertVO hat, kommt eine Zulassung der Revision mit dem Ziel, eine Vorlage der Frage zur Vorabentscheidung nach Art. 177 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft an den EuGH zu ermöglichen, ebenfalls nicht in Betracht.

b)

Außerdem hält die Klägerin die Auslegung von Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO im Hinblick darauf für klärungsbedürftig, ob ein Irrtum im Sinne dieser Verordnung auch dann vorliege, wenn der zuständigen Behörde aufgrund einer Prüfungsanordnung im Rahmen einer Außenprüfung alle relevanten Prüfungsunterlagen für einen bestimmten Zeitraum zugänglich gemacht werden, die Unterlagen objektiv einen Fehler bei der Zollanmeldung aufwiesen, der jedoch durch die zuständige Behörde nicht festgestellt werde und ein Prüfungsbericht ergehe, in dem weder Beanstandungen noch Vorbehalte ausgesprochen würden. Wenn die zuständige Behörde bei einer späteren Prüfung den Fehler aufdecke, so dürfe dies nicht zu einer Nacherhebung für den vorangegangenen bereits geprüften Zeitraum führen. Sie meint, der Begriff Irrtum i. S. von Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO erfasse nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 27. Juni 1991 Rs. C-348/89, EuGHE 1991, I-3299, 3306 Tz. 20) "jedweden Irrtum, der die getroffene Entscheidung fehlerhaft mache". Dieser Irrtum könne nicht nur in einer unrichtigen Auslegung und Anwendung von anwendbaren Vorschriften liegen; er könne auch dadurch begründet sein, daß die zuständige Behörde zwar die Prüfung für alle Besteuerungsunterlagen anordne und sich diese Unterlagen auch zur Verfügung stellen lasse, die tatsächliche Überprüfung aber nur für einen Teil der Besteuerungsunterlagen vornehme.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin insoweit die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage dargelegt hat (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Stützt nämlich das FG seine Entscheidung - wie im Streitfall hinsichtlich Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO - auf mehrere Erwägungen, die jeweils für sich die Entscheidung tragen, muß mit der Nichtzulassungsbeschwerde für jede dieser Erwägungen ein durchgreifender Zulassungsgrund vorgetragen werden (ständige Rechtsprechung; vgl. nur Senatsbeschluß vom 27. Juli 1993 VII B 214/92, BFH/NV 1994, 559). Daran fehlt es jedenfalls hinsichtlich der zweiten Erwägung, auf die das FG keine Entscheidung zu Art. 5 Abs. 2 NacherhebungsVO alternativ und ebenfalls allein tragend gestützt hat.

Das FG hat seine Entscheidung, mit der es das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Nacherhebung verneint hat, auch darauf gestützt, daß die Klägerin nicht alle geltenden Bestimmungen betreffend die Zollerklärung beachtet habe, weil sie in den Zollwertanmeldungen die Frage Nr. 14 in dem nach Art. 1 nach der Verordnung (EWG) Nr. 1496/80 (AnmeldeVO) der Kommission vom 11. Juni 1980 über die Anmeldung der Angaben für den Zollwert und über vorzulegende Unterlagen (ABlEG Nr. L 154/16) vorgeschriebenen Vordruck D. V. 1 nicht beantwortet habe. Daß sie hierzu - aufgrund vorangegangener Prüfungen oder Auskünfte des HZA - weder verpflichtet gewesen noch daß ihr die zutreffende Beantwortung der Frage Nr. 14 unzumutbar gewesen sei, habe die Klägerin nicht vorgetragen. Insoweit habe sie nur vorgetragen, das HZA hätte ihre unrichtigen Angaben durch entsprechende Überprüfung der Rechnungen bemerken können. Der Umstand, daß die Zollbehörden bei einer Prüfung leicht Unrichtigkeiten hätten entdecken können, befreie die Zollbeteiligten aber nicht von der vollständigen und wahrheitsgemäßen Angabe in den Zoll- und Zollwertanmeldungen. Diese Entscheidung des FG steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats, wonach der Zollbeteiligte keinen Anspruch auf Verzicht auf eine Zollnacherhebung hat, wenn er die geltenden Bestimmungen über die Zoll anmeldung nicht beachtet hat (Senatsurteil vom 5. April 1990 VII R 50/88, BFH/NV 1991, 204; vgl. auch EuGH-Urteil in EuGHE 1991, I-3299, 3308 Tz. 26).

Soweit die Klägerin diesbezüglich nunmehr meint, ihre Verpflichtung könne nicht über die Angaben hinausgehen, die der Abgabenschuldner vernünftigerweise kennen müsse und sich beschaffen könne, hat sie die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage nicht in der nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise dargelegt. In dem nach Art. 16 ZollwertVO i. V. m. dem durch die AnmeldeVO vorgeschriebenen Vordruck D. V. 1 zur Anmeldung der Angaben über den Zollwert sind unter Nr. 14 die Fragen in Bezug auf die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b ZollwertVO eindeutig gestellt. Die Klägerin wäre demnach dazu verpflichtet gewesen, die entsprechenden Angaben zu machen. Ob sie zur Erfüllung dieser Pflicht objektiv und subjektiv in der Lage war, ist jedenfalls keine im Revisionsverfahren grundsätzlich zu klärende Rechts-, sondern eine Tatfrage im Einzelfall, die nicht zur Zulassung der Revision führen kann.

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