Normen
§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG
§ 2 Abs. 1 LStDV
Gründe
I.
Im September 1992 begann der damals 17-jährige Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) nach seinem Realschulabschluss eine Ausbildung zum Beamten im mittleren Polizeivollzugsdienst der Schutzpolizei bei der Hessischen Bereitschaftspolizei. Er wurde als Polizeihauptwachtmeister-Anwärter unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf in den Vorbereitungsdienst eingestellt. Die Ausbildung des Klägers erfolgte nach der hessischen "Ausbildungs- und Prüfungsordnung für den mittleren Polizeivollzugsdienst und Prüfungsbestimmungen für Eignungsauswahlverfahren, Unterweisungen, Funktionslehrgänge und Zusatzausbildungen" (APOmPVD in der im Streitjahr 1993 geltenden Fassung).
Nach § 10 Abs. 1 APOmPVD gliedert sich der Vorbereitungsdienst der hessischen Schutzpolizei in drei Ausbildungsabschnitte, nämlich 1. die einjährige Grundausbildung, 2. die einjährige weitere polizeiliche Ausbildung und 3. den sechsmonatigen Fachlehrgang I. Im zweiten Ausbildungsabschnitt haben alle Anwärter die Fahrerlaubnis der Klasse 3 und die Berechtigung B zum Führen von Dienstfahrzeugen zu erwerben. Der Erwerb der Berechtigung B ist Voraussetzung für die Teilnahme an der weiteren Ausbildung (§ 12 Abs. 4 APOmPVD). Nach § 12 Abs. 6 APOmPVD wird der zweite Ausbildungsabschnitt mit einer Leistungsstandfeststellung abgeschlossen. Der erfolgreiche Abschluss dieses Abschnitts ist Voraussetzung für die Zulassung zum dritten Ausbildungsabschnitt.
Die einschlägige Ausbildung der Beamtenanwärter erfolgt in Lehrgängen an der Hessischen Polizeischule oder bei den Abteilungen der Hessischen Bereitschaftspolizei nach vom Hessischen Ministerium des Inneren und für Europaangelegenheiten (HMdI) genehmigten Lehrplänen durch Polizeifahrlehrer. Danach soll der Lehrgangsteilnehmer "aufgrund seines Wissens und der erlangten Fahrfertigkeit in der Lage sein, Pkw der Polizei selbständig auch in schwierigen Verkehrslagen verkehrsgerecht und sicher zu führen." Demgemäß bestimmen die einschlägigen Richtlinien des HMdI, dass die sich an die Ausbildung anschließende Prüfung auch "die über die allgemeinen Richtlinien zum Erwerb einer Fahrerlaubnis hinausgehenden polizeispezifischen Forderungen für die Erteilung einer Berechtigung" umfasst.
Nachdem der Kläger Mitte 1993 zunächst die Fahrerlaubnis der Klasse 1a privat erworben hatte, erhielt er nach Abschluss seiner Ausbildung an der Polizeifahrschule der Hessischen Bereitschaftspolizei im Dezember 1993 die Berechtigung B zum Führen von Dienstkraftfahrzeugen der Hessischen Vollzugspolizei nebst der Fahrerlaubnis der Klasse 3. Die durch diese Ausbildung entstandenen Kosten, die vom Dienstherrn getragen wurden, beliefen sich für 1993 auf rd. 2.670,00 DM.
Bei einer Lohnsteuer-Außenprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, der Kläger habe --wie andere Polizeibeamte ebenfalls-- durch den kostenlosen Erwerb des Führerscheins der Klasse 3 eine steuerpflichtige Zuwendung erhalten. Der Prüfer schätzte den geldwerten Vorteil insoweit auf 1.500,00 DM. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte dieser Auffassung und erließ einen nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid für 1993, in dem er die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit entsprechend erhöhte.
Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 1507 veröffentlichten Gründen statt. Der Kläger habe zwar einen geldwerten Vorteil erlangt, indem er Aufwendungen für die Fahrerlaubnis der Klasse 3 erspart habe. Dieser Vorteil stelle aber keinen Arbeitslohn dar, weil er dem Kläger im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Dienstherrn gewährt worden sei.
Dagegen wendet sich das FA mit seiner Revision, mit der es die Verletzung materiellen Rechts rügt. Es ist im Wesentlichen der Auffassung, das FG hätte zwischen dem Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse 3 und der Berechtigung B zum Führen von Dienstkraftfahrzeugen i.S. des § 12 Abs. 4 Satz 1 APOmPVD unterscheiden müssen. Nur die Ausbildung zur Berechtigung B liege im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Dienstherrn. Diese Kosten seien nicht als geldwerter Vorteil zu betrachten. Anders sei es jedoch bei den Kosten für die Fahrerlaubnis der Klasse 3. Entgegen der Auffassung des FG habe der Kläger insoweit einen geldwerten Vorteil in beträchtlicher Höhe erlangt. Dieser überwiege das zweifellos vorhandene eigenbetriebliche Interesse des Dienstherrn an einer ordnungsgemäßen Ausbildung. Der Vorteil sei auch nicht der "Belegschaft als Gesamtheit" zugewendet worden. Nur eine besondere Personengruppe sei in den Genuss der Ausbildung zur Fahrerlaubnis Klasse 3 gekommen; und zwar nur diejenigen, die noch keinen entsprechenden Führerschein besessen hätten. Der Vorteil sei dem Kläger auch nicht aufgedrängt worden. Es sei dem Kläger nicht untersagt gewesen, die Fahrerlaubnis durch eine private Fahrschule zu erwerben. Der Vorteil, der sich aus dem ersparten Aufwand zum Erwerb der Fahrerlaubnis Klasse 3 ergebe, besitze auch eine Marktgängigkeit. Soweit das FG die Auffassung vertrete, dass grundsätzlich im Rahmen von Ausbildungsverhältnissen keine geldwerten Vorteile anfallen könnten, könne dem nicht allgemein zugestimmt werden. Der ersparte Aufwand sowie das private Interesse des Klägers hinsichtlich des uneingeschränkt nutzbaren Führerscheins sei offenkundig.
Das FA beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er vertritt im Wesentlichen --unter Bezugnahme auf die Vorentscheidung-- die Auffassung, Arbeitslohn liege nicht vor, weil die Ausbildung zum Polizeibeamten ausschließlich im eigenbetrieblichen Interesse des Dienstherrn erfolgt sei. Die betreffenden Ausbildungsinhalte seien durch Gesetz bzw. durch Verordnung zwingend vorgegeben. Die private Nützlichkeit der Fahrerlaubnis der Klasse 3 erweise sich lediglich als Reflex und mithin als notwendige Begleiterscheinung der betriebsfunktionalen Zielsetzungen des Dienstherrn.
II.
Die Revision des FA ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1.
Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit auch Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Arbeitslohn sind nach § 2 Abs. 1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) alle Einnahmen, die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis zufließen; dabei ist unerheblich, unter welcher Bezeichnung und in welcher Form die Einnahmen gewährt werden.
Demgemäß ist Arbeitslohn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) jeder geldwerte Vorteil, der durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst ist. Das ist der Fall, wenn der Vorteil nur deshalb gewährt wird, weil der Zurechnungsempfänger Arbeitnehmer des Arbeitgebers ist, der Vorteil also mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis eingeräumt wird, und wenn sich die Leistung des Arbeitgebers im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl., 2003, § 19 Rz. 24, m.w.N.). Arbeitslohn liegt auch dann vor, wenn Vergütungen in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis, welches der Ausbildung des betreffenden Leistungsempfängers dient, gezahlt werden
(ständige Rechtsprechung; z.B. BFH-Urteil vom 19. April 1985 VI R 131/81, BFHE 143, 572, BStBl II 1985, 465; vgl. auch Urteile vom 18. Juli 1985 VI R 93/80, BFHE 144, 237, BStBl II 1985, 644; vom 24. September 1985 IX R 96/82, BFHE 144, 442, BStBl II 1986, 184).
Dagegen sind solche Vorteile nicht als Arbeitslohn anzusehen, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen. Vorteile besitzen danach keinen Arbeitslohncharakter, wenn sie im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers gewährt werden. Dies ist der Fall, wenn sich aus den Begleitumständen wie Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seiner besonderen Geeignetheit für den jeweiligen verfolgten betrieblichen Zweck ergibt, dass diese Zielsetzung ganz im Vordergrund steht und ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen deshalb vernachlässigt werden kann (ständige Rechtsprechung; z.B. BFH-Urteil vom 30. Mai 2001 VI R 177/99, BFHE 195, 373, BStBl II 2001, 671, m.w.N.). In Grenzfällen ist eine wertende Gesamtbeurteilung aller den Vorgang prägenden Umstände vorzunehmen (Küttner/Thomas, Personalbuch 2003, Stichwort Arbeitsentgelt, Rz. 32).
2.
In Anwendung dieser Grundsätze hat die Vorinstanz die Kosten für den Erwerb der Fahrerlaubnis (Klasse 3) zu Recht nicht als Arbeitslohn angesehen.
a)
Dem FA ist darin zuzustimmen, dass der vom Arbeitgeber finanzierte Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse 3 regelmäßig einen geldwerten Vorteil darstellt. Denn hierdurch werden eigene Aufwendungen für den Fahrunterricht erspart. Es ist auch zutreffend, dass der erlangte Vorteil nicht als geringfügig zu werten ist. Ebenso ist die allgemeine Erkenntnis richtig, dass zwischen dem Ausmaß der Bereicherung des Arbeitnehmers und der Intensität des eigenbetrieblichen Interesses des Arbeitgebers eine Wechselwirkung besteht. Je höher die Bereicherung des Arbeitnehmers ist, desto geringer erscheint das eigenbetriebliche Interesse des Arbeitgebers (ständige Rechtsprechung; BFH-Urteil vom 2. Februar 1990 VI R 15/86, BFHE 159, 513, BStBl II 1990, 472; Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 19 Rz. 30, m.w.N.).
b)
Die Würdigung des FG, im Streitfall habe ein ganz überwiegendes eigenbetriebliches Interesse des Dienstherrn vorgelegen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
aa)
Die Darlegungen des FG betreffend die landesrechtlichen Ausbildungsvorschriften können vom Senat nicht überprüft werden. Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO kann eine Revision nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruht. Soweit das Tatsachengericht folglich Gegenstand und Inhalt der landesrechtlichen Vorschriften festgestellt hat, ist das Revisionsgericht hieran gemäߧ 155 FGO i.V.m. § 562 der Zivilprozessordnung (ZPO a.F., jetzt § 560 ZPO) wie an tatsächliche Feststellungen des FG gebunden (vgl. BFH-Urteil vom 26. März 2002 VI R 45/00, BFHE 198, 554, BStBl II 2002, 827, m.w.N.). Dies gilt auch für die Frage, welchen Zweck die einschlägigen hessischen Ausbildungsvorschriften verfolgt haben. Die diesbezüglichen Feststellungen des FG sind im Streitfall nicht revisibel.
bb)
Das FG hat in einer den Senat bindenden Weise festgestellt, welche Ausbildungsziele im mittleren Polizeivollzugsdienst mit den einschlägigen landesrechtlichen Ausbildungsvorschriften verfolgt werden. Neben der Gefahrenabwehr gehören hierzu auch die Überwachung, Kontrolle und Sicherung des Straßenverkehrs. In Hessen darf der Kläger ein Kraftfahrzeug der Vollzugspolizei nur führen, wenn er (neben der Fahrerlaubnis für die Klasse des Fahrzeugs) eine besondere, polizeispezifische Berechtigung besitzt. Sowohl bei den Ausbildungsinhalten als auch der entsprechenden Prüfung werden insoweit wesentlich höhere Anforderungen an das Können des Anwärters gestellt, als dies beim privaten Erwerb der allgemeinen Fahrerlaubnis der Klasse 3 der Fall ist. Dieser qualifizierte Kenntnisstand der Polizeianwärter erschließt sich auch aus dem in der Vorentscheidung in Bezug genommenen Schreiben des HMdI vom 20. Oktober 1997. Danach haben die Anwärter 78 Stunden theoretischen und 112 Stunden praktischen Unterricht eigens in speziellen Lehrgängen der Hessischen Polizeischule bzw. in Abteilungen der Hessischen Bereitschaftspolizei zu absolvieren. Damit will der Dienstherr sicherstellen, dass der Anwärter aufgrund seines Wissens und der erlangten Fahrfertigkeit in der Lage ist, Polizeifahrzeuge selbständig auch in schwierigen Verkehrslagen und Grenzsituationen verkehrsgerecht und sicher zu führen. Ebenso benötigt der Anwärter im Hinblick auf verkehrsregelnde und -überwachende Funktionen sowie das Einschreiten in Gefahren- und Unfallsituationen ein Mehr an theoretischem und praktischem Wissen als ein Besitzer des Führerscheins der Klasse 3. Die Vorinstanz hat ferner herausgestellt, dass der Kläger den Fahrunterricht als Teil der Gesamtausbildung genauso hinnehmen musste wie die anderen nach der APOmPVD vorgeschriebenen Unterrichtsfächer. Der Erwerb der Berechtigung B zum Führen von Dienstfahrzeugen (und damit auch die Fahrerlaubnis der Klasse 3) war zudem nach § 12 Abs. 6 APOmPVD zwingend Voraussetzung für den weiteren Ausbildungsgang. Das Nichtbestehen der entsprechenden Prüfung hätte zwangsläufig die vorzeitige Beendigung der Ausbildung und die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zu Folge gehabt. Den Ausführungen des FG ist ferner zu entnehmen, dass der Erwerb der Berechtigung B als der entscheidende Umstand anzusehen ist. Der miterlangte Erwerb der (normalen) Fahrerlaubnis der Klasse 3 erweist sich im Kern als bloße Dreingabe. Die hieran anknüpfende Würdigung des FG, dass das eigenbetriebliche Interesse des Dienstherrn ganz im Vordergrund gestanden habe, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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