BFH V R 16/08

BFHV R 16/0819.11.2009

Amtlicher Leitsatz:

Die Lieferung selbst (vor Verpachtung) erzeugter landwirtschaftlicher Erzeugnisse durch einen Landwirt unterliegt auch dann (noch) der Besteuerung nach Durchschnittssätzen, wenn sie nach Verpachtung seiner landwirtschaftlichen Nutzflächen erfolgt. (Einschränkung des BFH-Urteils vom 21. April 1993 XI R 50/90, BFHE 171, 129, BStBl II 1993, 696.)

Normen

§ 14 Abs. 3 S. 1 UStG
§ 19 Abs. 1 S. 4 UStG
§ 24 UStG
Art. 25 Abs. 1 RL 388/77/EWG

FG Niedersachsen - 06.03.2008 - AZ: 5 K 602/03

 

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Erbengemeinschaft, ist Rechtsnachfolgerin des im Jahr 2004 verstorbenen Landwirts Herrn K. Herr K betrieb einen landwirtschaftlichen Betrieb und versteuerte seine Umsätze pauschal nach § 24 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG).

Mit Verträgen vom 1. Mai 1996 verpachtete Herr K mit Wirkung zum 1. Oktober 1996 die landwirtschaftlichen Nutzflächen seines Betriebs. Die Wirtschaftsgebäude, Vorräte, Maschinen und stehende Ernte behielt er zurück.

Im Zeitraum vom 1. Oktober 1996 bis zum 31. Dezember 1996 lieferte Herr K Zuckerrüben im Wert von 27 668,07 DM brutto an eine Zuckerfabrik; außerdem erhielt er in diesem Zusammenhang eine Anfuhrentschädigung in Höhe von 1 964,69 DM.

Herr K gab für das Jahr 1996 (Streitjahr) keine Umsatzsteuererklärung ab, weil er der Auffassung war, auch die nach dem 1. Oktober 1996 ausgeführten Lieferungen der Zuckerrüben unterlägen der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte dagegen im Umsatzsteuerbescheid für 1996 vom 1. Juni 2001 Umsatzsteuer in Höhe von 2 570 DM gegen Herrn K fest. Das FA führte zur Begründung aus, es gehe davon aus, dass Herr K hinsichtlich der in der Zeit vom 1. Oktober 1996 bis 31. Dezember 1996 ausgeführten Zuckerrübenlieferungen und der Anfuhrvergütung Umsatzsteuer in Höhe von 9,5% gesondert ausgewiesen habe, obwohl er nach der Verpachtung (1. Oktober 1996) als Kleinunternehmer i.S. von § 19 Abs. 1 UStG hierzu nicht berechtigt gewesen sei. Die Pauschalbesteuerung nach § 24 UStG habe mit der Verpachtung der landwirtschaftlichen Nutzflächen zum 1. Oktober 1996 geendet. Herr K schulde die von ihm gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG.

Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 25. Juli 2003 mit der Begründung zurück, nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) setze die Anwendung des § 24 UStG voraus, dass der Steuerpflichtige einen aktiv bewirtschafteten land- und forstwirtschaftlichen Betrieb unterhalte. Diese Voraussetzung sei bei Herrn K mit der Verpachtung der landwirtschaftlichen Flächen ab dem 1. Oktober 1996 nicht mehr gegeben.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte zur Begründung aus, bei richtlinienkonformer Auslegung des § 24 UStG unterliege der Verkauf der letzten Ernte eines landwirtschaftlichen Unternehmers auch dann der Durchschnittssatzbesteuerung, wenn der Betrieb im Zeitpunkt des Verkaufs nicht mehr aktiv bewirtschaftet werde.

Das Urteil ist in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 2008, 1420 veröffentlicht.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung von § 24 UStG und führt zur Begründung im Wesentlichen aus:

Die Auffassung des FG widerspreche der bisherigen Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 21. Februar 1980 V R 113/73, BFHE 131, 104, BStBl II 1980, 613, und vom 21. April 1993 XI R 50/90, BFHE 171, 129, BStBl II 1993, 696) sowie zweier FG (FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 31. März 2003 4 K 282/01, EFG 2003, 1055; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. April 2004 6 K 1254/02, EFG 2004, 1410), wonach die Anwendung der Durchschnittssatzbesteuerung einen bestehenden landwirtschaftlichen Betrieb voraussetze.

Diese Rechtsprechung sei trotz der europarechtlichen Ausführungen des FG in der Vorentscheidung weiterhin zutreffend. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) habe in den Urteilen vom 15. Juli 2004 Rs. C-321/02, Harbs (Slg. 2004, I-7101, BFH/NV Beilage 2004, 371) und vom 26. Mai 2005 Rs. C-43/04, Stadt Sundern (Slg. 2005, I-4491, BFH/NV Beilage 2005, 320) betont, dass Art. 25 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) eng auszulegen sei. Weiterhin habe der EuGH klargestellt, dass nicht allein die formale Eigenschaft als landwirtschaftlicher Erzeuger für die Anwendung der Pauschalbesteuerung ausreiche, sondern dass zusätzlich auf die Art der getätigten Umsätze abzustellen sei (Hinweis auf EuGH-Urteil Harbs in Slg. 2004, I-7101, BFH/NV Beilage 2004, 371 Rdnr. 31). Die Voraussetzung des Art. 25 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG, wonach "landwirtschaftlicher Erzeuger" ein Steuerpflichtiger sei, "der seine Tätigkeit im Rahmen eines nachstehend definierten Betriebs ausübt", werde vom EuGH ausdrücklich bestätigt.

Aus den Entscheidungen des EuGH ergäben sich hingegen keinerlei Hinweise darauf, dass die Pauschalbesteuerung auch auf einen landwirtschaftlichen Erzeuger anzuwenden sei, der seine landwirtschaftliche Tätigkeit nicht mehr ausübe.

Das FA beantragt,

die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision des FA ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1.

Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist, schuldet nach § 14 Abs. 3 Satz 1 UStG in der im Streitjahr 1996 geltenden Fassung den ausgewiesenen Betrag.

Das FG hat zu Recht entschieden, dass diese Vorschrift im Streitfall jedenfalls deshalb nicht eingreift, weil die Umsätze des Herrn K aus den Lieferungen der Zuckerrüben nach Verpachtung der landwirtschaftlichen Nutzflächen seines Betriebs zum 1. Oktober 1996 der Besteuerung nach Durchschnittssätzen gemäß § 24 UStG unterliegen. Deshalb scheidet eine Steuerfestsetzung nach § 14 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 4 UStG --wie vom FA in dem angefochtenen Steuerbescheid vorgenommen-- aus. Denn ein Landwirt darf über Umsätze, die der Besteuerung nach Durchschnittssätzen unterliegen, gemäß § 24 Abs. 1 Satz 4 UStG eine Rechnung mit Ausweis des maßgebenden Durchschnittssatzes ausstellen.

2.

Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG in der im Streitjahr 1996 geltenden Fassung wird für "die im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätze" vorbehaltlich der Sätze 2 bis 4 die Steuer für die nicht näher bezeichneten --hier einschlägigen-- "übrigen Umsätze" auf 9% bzw. 9,5% ab April 1996 der Bemessungsgrundlage festgesetzt. Die Vorsteuerbeträge werden, soweit sie den "übrigen Umsätzen" zuzurechnen sind, auf 9% bzw. 9,5% der Bemessungsgrundlage für diese Umsätze festgesetzt; ein weiterer Vorsteuerabzug entfällt (§ 24 Abs. 1 Sätze 3 und 4 UStG). Durch diese Regelungen gleichen sich Steuer und Vorsteuer aus, so dass der Landwirt im Ergebnis für diese Umsätze keine Umsatzsteuer zu entrichten hat. Gleichwohl darf der Landwirt die Umsatzsteuer seinem Vertragspartner in Rechnung stellen (vgl. BFH-Urteil vom 31. Mai 2007 V R 5/05, BFHE 217, 290, BFH/NV 2007, 2202, unter II. 1.).

a)

Herr K hat die Zuckerrüben noch im Rahmen seines landwirtschaftlichen Unternehmens (§ 24 Abs. 1 Satz 1 UStG) geliefert (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG, § 2 Abs. 1 UStG).

aa)

Unternehmen und Unternehmereigenschaft erlöschen erst, wenn der Unternehmer alle Rechtsbeziehungen abgewickelt hat, die mit dem aufgegebenen Betrieb zusammenhängen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 171, 129, BStBl II 1993, 696, unter II. 1., m.w.N.; vgl. auch EuGH-Urteil vom 3. März 2005 Rs. C-32/03, Fini H, Slg. 2005, I-1599, BFH/NV Beilage 2005, 179). Die Lieferung der Zuckerrüben stand mit dem landwirtschaftlichen Betrieb des Herrn K in einem engen sachlichen Zusammenhang; die damit verbundenen Leistungen erbrachte Herr K daher noch im Rahmen seines landwirtschaftlichen Betriebs.

bb)

Als land- und forstwirtschaftlicher Betrieb gilt nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 UStG u.a. die Landwirtschaft. Darunter versteht man die planmäßige Nutzung des Bodens und die Verwertung der gewonnenen Erzeugnisse (vgl. BFH-Urteil vom 12. Oktober 2006 V R 36/04, BFHE 215, 356, BStBl II 2007, 485, unter II. 4. a, m.w.N.).

Zwar betreibt ein Unternehmer, der seinen landwirtschaftlichen Betrieb verpachtet und dessen unternehmerische Betätigung im Bereich der Landwirtschaft sich in dieser Verpachtung erschöpft, mit der Verpachtung keinen landwirtschaftlichen Betrieb i.S. des § 24 UStG (vgl. BFH-Urteile in BFHE 131, 104, BStBl II 1980, 613; vom 25. November 2004 V R 8/01, BFHE 208, 73, BStBl II 2005, 896).

Da die "Landwirtschaft" auch die Verwertung der durch Bodennutzung gewonnenen Erzeugnisse umfasst, fallen unter "die im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebs" ausgeführten Umsätze (§ 24 Abs. 1 UStG) auch die nach Verpachtung der landwirtschaftlichen Nutzflächen erfolgten Lieferungen der selbst erzeugten Zuckerrüben durch Herrn K (vgl. BFH-Urteil in BFHE 215, 356, BStBl II 2007, 485, unter II. 4. a).

b)

Dieser Beurteilung steht entgegen der Auffassung des FA das BFH-Urteil in BFHE 131, 104, BStBl II 1980, 613 nicht entgegen. Denn in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Streitfall hatte ein Landwirt seinen landwirtschaftlichen Betrieb, zu dem auch Weinberge gehörten, an seinen Sohn verpachtet und als Pacht u.a. einen Teil des aus der Traubenernte gekelterten Weins erhalten. Diesen Wein hatte der Landwirt veräußert. Es ging also um die Veräußerung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die der Landwirt als Naturalpacht von seinem Sohn (Pächter) erhalten hatte, nicht aber um die Veräußerung von selbsterzeugten landwirtschaftlichen Erzeugnissen wie hier.

c)

Zwar hat der XI. Senat des BFH im Urteil in BFHE 171, 129, BStBl II 1993, 696 ausgeführt, die Anwendung des § 24 UStG setze voraus, dass der landwirtschaftliche Betrieb noch bewirtschaftet wird (vgl. Leitsatz 2 und unter II. 3. der Gründe). Der XI. Senat hat aber auf Anfrage mit Beschluss vom 17. November 2009 (XI ER -S- 1/09) mitgeteilt, dass er der Rechtsauffassung des erkennenden Senats für den Fall der Veräußerung selbsterzeugter landwirtschaftlicher Erzeugnisse zustimme.

Im Übrigen betraf dieses Urteil nicht die Veräußerung selbsterzeugter landwirtschaftlicher Produkte, sondern die Gewährung einer --nach Einstellung der Landwirtschaft beantragten-- Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung.

3.

Diese Auffassung steht im Einklang mit Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG, auf dem § 24 UStG nach der Gesetzesbegründung "beruht" (so BTDrucks 8/1779, S. 49).

a)

Gemäß Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten auf landwirtschaftliche Erzeuger eine Pauschalregelung anwenden. Landwirtschaftlicher Erzeuger i.S. des Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG ist ein Steuerpflichtiger, der seine Tätigkeit im Rahmen eines Betriebs ausübt, der in dem einzelnen Mitgliedstaat im Rahmen der in Anhang A genannten Erzeugertätigkeiten als solcher gilt (Art. 25 Abs. 2 erster und zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG).

In Anhang A sind lediglich "Tätigkeiten der landwirtschaftlichen Erzeugung" aufgelistet --wie "Ackerbau im Allgemeinen" (Anhang A I. 1.)--, nicht aber die Vermarktung dieser Erzeugnisse. Dass auch diese Tätigkeit --soweit es sich dabei um die Vermarktung der eigenen Erzeugnisse handelt-- notwendigerweise zu einem landwirtschaftlichen Betrieb gehört, hielt der Richtliniengeber offenbar für nicht besonders regelungsbedürftig (vgl. BFH-Urteile vom 6. Dezember 2001 V R 43/00, BFHE 197, 330, BStBl II 2002, 701, unter II. 3. a; vom 14. Juni 2007 V R 56/05, BFHE 217, 298, BStBl II 2008, 158, unter II. 3. b aa).

b)

Zwar darf die Sonderregelung in Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG nur angewandt werden, soweit dies zur Erreichung ihres Zieles erforderlich ist; außerdem ist die Regelung als Abweichung oder Ausnahme von einer allgemeinen Regelung eng auszulegen (vgl. EuGH-Urteil Harbs in Slg. 2004, I-7101, BFH/NV Beilage 2004, 371 Rdnr. 27). Dass die Anwendung der Pauschalregelung in Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG auch auf die Veräußerung selbst erzeugter Produkte nach Verpachtung des Betriebs anzuwenden ist, ergibt sich aber aus dem Ziel und der Ausgestaltung dieser Regelung.

Die gemeinsame Pauschalregelung in Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG soll die Belastung durch die Steuer auf die von den Landwirten bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen dadurch ausgleichen, dass den landwirtschaftlichen Erzeugern, die ihre Tätigkeit im Rahmen eines landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder Fischereibetriebs ausüben, ein Pauschalausgleich gezahlt wird, wenn sie landwirtschaftliche Erzeugnisse liefern oder landwirtschaftliche Dienstleistungen erbringen (vgl. EuGH-Urteile Harbs in Slg. 2004, I-7101, BFH/NV Beilage 2004, 371 Rdnr. 29; Stadt Sundern in Slg. 2005, I-4491, BFH/NV Beilage 2005, 320 Rdnr. 28).

Dieser von Art. 25 der Richtlinie 77/388/EWG bezweckte Ausgleich der von einem Landwirt bezogenen Eingangsleistungen mit Umsatzsteuer wird nach der Systematik des Pauschalierungsverfahrens (erst dann) gewährt, wenn er landwirtschaftliche Erzeugnisse liefert oder landwirtschaftliche Dienstleistungen erbringt. Deshalb müssen --wie das FG zu Recht ausgeführt hat-- die Durchschnittssätze auch noch für die "letzte Ernte" des Betriebs gelten, unabhängig davon, ob sie noch während der aktiven Bewirtschaftung der Flächen veräußert wird oder erst später (ebenso Zaisch in Leingärtner, Besteuerung der Landwirte, Kap. 57 Rz 37; Oelmaier, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2007, 271; Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 24 Rz 298; Tehler in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 24 Rz 47; Schuhmann in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 24 Rz 110; a.A. FG Schleswig-Holstein, Urteil in EFG 2003, 1055; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 6. Juni 2007 IV A 5 - S 7410/07/0015, BStBl I 2007, 507).

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