BFH V B 78/04

BFHV B 78/0429.11.2004

Amtlicher Leitsatz:

Wird der Vorsteuerabzug von einem Leistungsempfänger aus Lieferungen in sog. "Karussellen" geltend gemacht, in denen Waren nach einem Gesamtplan eine Lieferkette durchlaufen und ggf. an den vorbezeichneten Lieferungsempfänger zurück"geliefert" werden, ist zweifelhaft, ob diese Warenbewegungen innerhalb des Kreises der Umsatzbesteuerung unterliegen.

Normen

§ 69 Abs. 2 S. 3 FGO
§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG
§ 14 UStG

FG Baden-Württemberg - 07.05.2004 - AZ: 12 V 10/04

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist eine 1997 gegründete GmbH. Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer ist S. Gegenstand des Unternehmens ist der Handel mit Computerteilen.

Aufgrund der Ergebnisse einer Prüfung der Steuerfahndungsstelle (Steufa) ließ der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) von der Antragstellerin geltend gemachte Vorsteuerbeträge nicht mehr zum Abzug zu. Nach den Feststellungen der Steufa beteiligte sich die Antragstellerin an einem betrügerischen europaweiten Umsatzsteuerkarussell (strafrechtlicher und steuerlicher Ermittlungsbericht vom 5. Dezember 2002). Die Antragstellerin nahm innerhalb des Karussells die Stellung eines sog. Buffers II ein. Sie bezog dabei ihre Waren (zentrale Rechenprozessoren - Central Processing unit; sog. CPU) nahezu ausschließlich von einem anderen Buffer I (H-GmbH) und verkaufte sie an weitere an dem Karussell beteiligte Firmen, insbesondere an die B-AG als sog. Distributor. Hierbei ist es nach Berechnungen der Steufa auch zu Doppel- und Mehrfachdurchläufen derselben Ware gekommen; über den gesamten Prüfungszeitraum berechneten die Prüfer, dass die Antragstellerin jedenfalls 10 % der gehandelten Waren nicht nur einmal, sondern mehrfach bezogen und weiterverkauft hat. Aufgrund der Ergebnisse der Prüfung ging das FA davon aus, dass ein Angestellter der Antragstellerin, O, dessen Verhalten der Antragstellerin zuzurechnen sei, von der Durchführung des Karussells gewusst habe. Nur durch sein gezieltes Handeln habe diese am Karussellgeschäft erfolgreich partizipieren können. Im Übrigen komme es auf die --behauptete-- Gutgläubigkeit nicht an, weil eine Tätigkeit, die nur auf die Erlangung der Vorsteuer ausgerichtet sei, keine unternehmerische Tätigkeit im Sinne des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sei. Der Vorsteuerabzug scheitere außerdem daran, dass die Antragstellerin keine Lieferungen erbracht habe. In Übereinstimmung hiermit geht auch das Urteil der 3. Strafkammer des Landgerichts im Urteil gegen Verantwortliche der H-GmbH (Az. 3 KLs 59 Js 6992/01) davon aus, dass die Antragstellerin an dem Umsatzsteuerkarussell beteiligt war.

Das FA vertrat deshalb in den geänderten Umsatzsteuerbescheiden vom 4. Juli 2003 für die Jahre 1999 und 2000 und in den am 7. Juli 2003 geänderten Umsatzsteuer-Vorauszahlungs-Bescheiden für Januar und Februar 2001 die Auffassung, die Klägerin habe die Waren nicht für ihr Unternehmen bezogen, denn § 2 UStG setze die Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr voraus; die Antragstellerin sei dagegen nur im Rahmen des von vornherein geplanten künstlichen Gebildes, des Karussells, tätig geworden und habe darüber hinaus keine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt. Bei "Lieferungen" im Karussellgeschäft werde keine Verfügungsmacht verschafft. Die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug lägen deshalb nicht vor. Die in den Ausgangsrechnungen ausgewiesene und entrichtete Umsatzsteuer schulde sie nach § 14 Abs. 3 Satz 2 2. Alternative UStG i.V.m. § 13 Abs. 2 Nr. 4 UStG. Die geänderten Bescheide führten zu Nachzahlungsansprüchen gegenüber der Antragstellerin in Höhe von 10.262.375,46 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 1.385.417,00 EUR für das Jahr 1999, 10.616.077,56 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 560.602,00 EUR für das Jahr 2000 sowie 1.071.594,82 EUR für die Monate Januar und Februar 2001. Wegen der Rückstände pfändete das FA bei der Antragstellerin deren Firmenkonto bei der X-Bank in Höhe von 879.422,00 EUR.

Gegen die geänderten Bescheide erhob die Antragstellerin Einspruch und beantragte, deren Vollziehung ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

Das FA setzte mit Bescheid vom 23. Dezember 2003 die Vollziehung der angefochtenen Bescheide gegen Sicherheitsleistung in Höhe des bereits gepfändeten Betrages von 879.422,00 EUR aus. Eine Sicherheitsleistung sei erforderlich, weil der Steueranspruch ohne Anordnung einer Sicherheitsleistung gefährdet sei. Die Antragstellerin habe selbst vorgetragen, sie habe seit März 2003 ihre aktive Geschäftstätigkeit weitgehend eingestellt. Die Kreditlinie mit 250.000,00 EUR sei ausgeschöpft. Nach einer vorläufigen Bilanz zum 31. Dezember 2002 seien keine nennenswerten Vermögenswerte ersichtlich, die zur Erfüllung des Steueranspruchs herangezogen werden könnten. Bei Rechtskraft der Steuerforderung drohe die Insolvenz der Antragstellerin. Um trotz des öffentlichen Sicherungsbedürfnisses die Antragstellerin in ihrer wirtschaftlichen Freiheit so wenig wie möglich zu beschränken, habe sich das FA bei Festsetzung der Sicherheitsleistung an dem bereits gepfändeten Vermögenswert orientiert, der weniger als 5 % der Steuerforderung betrage.

Ihren Antrag beim Finanzgericht (FG), die Aussetzung der Vollziehung (AdV) ohne Sicherheitsleistung zu gewähren, begründete die Antragstellerin im Wesentlichen damit, der Einspruch gegen die geänderten Bescheide werde mit großer Wahrscheinlichkeit Erfolg haben. Sämtliche Lieferanten der Antragstellerin seien im Handelsregister eingetragene GmbHs und Unternehmer i.S. des § 2 UStG. Die Vermutung der Ermittlungsbehörden eines bis nach Deutschland hinein straff organisierten länderübergreifenden Umsatzsteuerkarussells habe sich nicht bestätigt. Die Antragstellerin habe mit den im Wesentlichen von der Firma H-GmbH erworbenen CPUs über Jahre hinweg in Form von Weiterverkauf und Weiterbelieferung von bereits mit den Kunden zuvor telefonisch vereinbarten Warenbewegungen gehandelt. Über die tatsächlich erbrachten angelieferten Computerteile sei ordnungsgemäß abgerechnet worden. Die Antragstellerin sei gutgläubig gewesen. Schließlich spreche für die vollständige Abziehbarkeit der Vorsteuer die im Zusammenhang mit dem Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz eingefügte Vorschrift des § 25d UStG als Haftungstatbestand für schuldhaft nicht abgeführte Umsatzsteuer. Das Ziel des neuen Haftungstatbestandes bestehe erkennbar darin, mit dem Haftungsanspruch gegen den berechtigten Vorsteueranspruch aufrechnen zu können. Die neue Regelung zeige im Umkehrschluss, dass in Fällen wie dem Vorliegenden ein Vorsteuerabzug auf der Buffer-Ebene nicht versagt werden könne. Dies ergebe sich auch aus dem in der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) verankerten Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer.

Das FG gab dem Antrag der Antragstellerin auf AdV der angefochtenen Bescheide ohne Sicherheitsleistung statt, weil mit großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten sei. Der Beschluss ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1405 abgedruckt.

Hiergegen richtet sich die vom FG unter Hinweis auf unterschiedliche Beurteilung der Karussellgeschäfte zugelassene Beschwerde des FA.

Das FA beantragt,

den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antrag abzuweisen.

Die Antragstellerin tritt der Beschwerde entgegen.

II.

Die Beschwerde ist begründet.

Da das FA die Aussetzung bzw. die Aufhebung der Vollziehung bereits angeordnet hat, ist im vorliegenden Verfahren nur darüber zu entscheiden, ob sie zu Recht von der geforderten Sicherheitsleistung abhängig gemacht wurde. Entgegen der Auffassung des FG liegen die Voraussetzungen, unter denen von einer Sicherheitsleistung abgesehen werden kann, nicht vor.

1.

Nach § 69 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann die AdV von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden.

Durch die Verknüpfung mit einer Sicherheitsleistung sollen im öffentlichen Interesse Steuerausfälle bei einem für die Steuerpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang vermieden werden.

a)

Die Anordnung einer Sicherheitsleistung war im Streitfall geboten, da die Antragstellerin über keine nennenswerte Vermögenswerte verfügt, ihre Kreditlinie ausgeschöpft und sie im Übrigen die aktive Geschäftstätigkeit seit März 2003 weitgehend eingestellt hat. Das FA geht deshalb zu Recht davon aus, dass nicht damit zu rechnen ist, dass die Antragstellerin die Steuerschuld nach einer endgültigen gerichtlichen Feststellung auch tatsächlich an das FA abführen kann.

b)

Das öffentliche Interesse an einer Sicherheitsleistung muss im Streitfall nicht ausnahmsweise zurücktreten, denn es ist --entgegen der Auffassung des FG-- weder mit Gewissheit noch mit großer Wahrscheinlichkeit in der Hauptsache ein günstiger Prozessausgang für den Steuerpflichtigen zu erwarten (vgl. dazu Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Juni 1999 IV B 126/98, BFH/NV 1999, 1461; vom 4. April 1996 V S 1/96, V B 6/96, BFH/NV 1996, 795).

c)

Die Antragstellerin begehrt den Abzug von Vorsteuerbeträgen, die ihr für angebliche Lieferungen von Computerteilen in Rechnung gestellt worden sind.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG 1999 kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Der Vorsteuerabzug der Antragstellerin setzt daher u.a. voraus, dass über Lieferungen an sie abgerechnet wurde.

Wird der Vorsteuerabzug von einem Lieferungsempfänger aus Lieferungen in sog. "Karussellen" geltend gemacht, in denen Waren nach einem Gesamtplan eine Lieferkette durchlaufen und ggf. an den vorbezeichneten Lieferungsempfänger zurück "geliefert" werden, ist zweifelhaft, ob diese Warenbewegungen (oder welche davon) innerhalb des Kreises der Umsatzbesteuerung unterliegen.

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) liegen u.a. die Vorabentscheidungsersuchen Rs. C-354/03 und Rs. C-355/03 des High Court of Justice (England & Wales) vor, die im Wesentlichen darauf gerichtet sind, ob die Beurteilung des Rechts eines Händlers auf Vorsteuerabzug (im Karussell) nur unter Bezugnahme auf

Von der Einbindung der Antragstellerin in ein derartiges Karussell ist nach den bisherigen Feststellungen auszugehen. Im Regelfall haben Karusselle folgende Funktionsweise:

Dabei werden Waren aus einem anderen Mitgliedstaat an einen Erwerber im Inland steuerfrei verkauft. Der Erwerber (sog. Missing Trader) veräußert die Ware mit einem geringen Aufschlag an einen Abnehmer (sog. Buffer I), der den in der Rechnung des Missing Trader ausgewiesenen Steuerbetrag als Vorsteuer abzieht. Der Missing Trader zahlt --wie von vornherein beabsichtigt-- keine Umsatzsteuer und ist deswegen auch nicht mehr zu belangen.

Der Buffer I veräußert die Ware an einen Buffer II mit einem Gewinnaufschlag, der mit dem zuvor berechneten Aufschlag allerdings die Höhe der vom Missing Trader hinterzogenen Steuer nicht überschreitet. Die Waren werden schließlich nach dem Vorsteuerabzug durch den Buffer II von diesem an einen Exporteur (sog. Distributor) veräußert, der sie wieder steuerfrei in den Ausgangsmitgliedstaat veräußert und die ihm berechnete Umsatzsteuer als Vorsteuer abzieht.

Ergibt die Antwort des EuGH, dass entweder der maßgebende einzelne Umsatz, aufgrund dessen der Vorsteuerabzug geltend gemacht wird oder die gesamte Warenbewegung nicht als sog. "wirtschaftliche Tätigkeit" i.S. der Richtlinie 77/388/EWG (steuerbare Tätigkeit i.S. des UStG) anzusehen ist, sind die Folgerungen des FA zutreffend: ein Vorsteuerabzug aus Rechnungen über die Warenbewegung scheidet aus. Der Rechnungsaussteller schuldet die ausgewiesene Steuer nach § 14 Abs. 3 UStG (a.F.); andererseits können die Warenbewegungen nicht als Umsatz besteuert werden. Dass diese Beurteilung nach den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben unzutreffend ist, ist weder mit Gewissheit noch mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten.

Entgegen der Auffassung des FG widerspricht die Inanspruchnahme nach § 14 Abs. 3 UStG nicht dem Neutralitätsprinzip der Umsatzsteuer; die Inanspruchnahme ist nur zulässig, solange und soweit die Gefährdung des Steueraufkommens nicht beseitigt ist. Kommt es nicht dazu, ist die Inanspruchnahme systemkonform (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 17. Mai 2001 V R 77/99, BFHE 194, 552 , BFH/NV 2001, 1168, jetzt auch BStBl II 2004, 370 ).

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