BFH III R 50/06

BFHIII R 50/0627.8.2008

§ 33 Abs. 1 EStG
§ 33 Abs. 2 S. 1 EStG
FG Münster - 30.03.2006 - AZ: 3 K 5739/03 E

 

Gründe

A.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erlitt im Jahre 1993 bei einem Skiunfall eine Knieverletzung. Im Verlauf der medizinischen Behandlung kam es zu einer Infektion des rechten Kniegelenks, die zu einer Knochenentzündung und zu einer Arthrose mit einer partiellen Versteifung führte. In der Folgezeit waren mehrere Operationen notwendig. Die Klägerin war der Ansicht, einem der behandelnden Ärzte sei ein Kunstfehler vorzuwerfen. Sie klagte auf Ersatz des materiellen Schadens in Höhe von 41 989,85 DM (Eigenanteil für Medikamente, Verdienstausfall, Fahrtkosten wegen Heilbehandlungen usw.), auf Schmerzensgeld von 60 000 DM und beantragte außerdem festzustellen, dass ihr künftiger materieller und immaterieller Schaden zu ersetzen sei. Die im Jahre 1998 erhobene Klage zum Landgericht (LG) wurde in allen Punkten abgewiesen, auch das Berufungsverfahren, das durch Urteil des Oberlandesgerichts vom ... 2000 endete, hatte keinen Erfolg.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2000 beantragte die Klägerin, die Aufwendungen, die ihr im Zusammenhang mit dem Rechtsstreit erwachsen waren (Gerichtskosten, Rechtsanwaltsgebühren, Gutachterkosten), als außergewöhnliche Belastung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ließ die Aufwendungen nicht zum Abzug zu. Gegen den Einkommensteuerbescheid 2000 wandte sich die Klägerin mit Einspruch, der hinsichtlich der außergewöhnlichen Belastung ohne Erfolg blieb.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage überwiegend ab und berücksichtigte von den geltend gemachten Aufwendungen von 42 928 DM nur einen Betrag von 9 779 DM (Urteil vom 30. März 2006 3 K 5739/03 E, Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 1907). Das FG war der Ansicht, die Prozesskosten seien insoweit nicht als zwangsläufig anzusehen, als sie mit den Leistungsanträgen zusammenhingen. Hingegen sei hinsichtlich des Feststellungsantrags Zwangsläufigkeit zu bejahen, weil dieser Antrag für die Klägerin von existenzieller Bedeutung gewesen sei. Es habe durchaus die Möglichkeit bestanden, dass die Klägerin aufgrund ihrer körperlichen Beeinträchtigung ihren Arbeitsplatz verlieren würde, auch sei nicht absehbar gewesen, welche Folgewirkungen, die bis zu einer Amputation hätten reichen können, zu befürchten gewesen seien. Die Zahlungen an die Gerichtskasse, für den vom LG bestellten Gutachter, an die eigenen und gegnerischen Rechtsanwälte sowie die Fahrtkosten seien durch alle drei Klageanträge verursacht worden. Aufteilungsmaßstab seien die Streitwerte der einzelnen Anträge von 41 989,85 DM (materieller Schaden), 60 000 DM (immaterieller Schaden) und 20 000 DM (Feststellungsantrag), so dass auf den letztgenannten Antrag ein Anteil von 16,4%. entfalle. Ein anderer Maßstab sei allerdings bei den Aufwendungen von 3 127 DM für das in der Berufungsinstanz in Auftrag gegebene Privatgutachten anzuwenden, da sie in gleicher Höhe angefallen wären, wenn die Klägerin nur den Feststellungsantrag gestellt hätte. Sie könnten daher in vollem Umfang als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

Zur Begründung der Revision trägt die Klägerin vor, der vom FG angewandte Aufteilungsmaßstab zur Ermittlung der als außergewöhnliche Belastung abziehbaren Prozesskosten sei unzutreffend. Unstreitig seien die Kosten insoweit nicht abziehbar, als sie auf den Klageantrag, der auf den Ersatz des immateriellen Schadens gerichtet gewesen sei, entfielen. Demgegenüber habe das auf Ersatz des materiellen Schadens von ca. 42 000 DM gerichtete Klagebegehren angesichts eines verfügbaren Einkommens der Klägerin von ca. 54 000 DM durchaus existenzielle Bedeutung gehabt. Prozesskosten seien als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, wenn der Prozess einen existenziell wichtigen Bereich eines Steuerpflichtigen betreffe. Jedenfalls müssten die Kosten für den vom LG bestellten Gutachter in voller Höhe und nicht nur anteilig angesetzt werden, da diese Aufwendungen --ebenso wie die Kosten für das Privatgutachten-- auch dann entstanden wären, wenn die Klägerin nur den Feststellungsantrag gestellt hätte.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer 2000 unter Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 24. April 2002 sowie der Einspruchsentscheidung vom 29. September 2003 auf 28 483 DM (14 563,13 EUR) herabzusetzen.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Es ist der Ansicht, in der ursprünglichen Revisionsschrift fehle ein hinreichend bestimmter Revisionsantrag, so dass die Revision unzulässig sei. In materiell-rechtlicher Hinsicht komme es nicht darauf an, ob die Prozesskosten so hoch seien, dass ihre Höhe existenzbedrohend sei, sondern darauf, ob der Prozess, der die Kosten verursacht habe, von existenzieller Bedeutung gewesen sei.

B.

I.

Die Revision ist zulässig. Die Revisionsbegründungsschrift vom 27. Juli 2006 genügt den Anforderungen des § 120 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Dem Vorbringen der Klägerin lässt sich entnehmen, dass sie das Urteil des FG als mit dem materiellen Bundesrecht unvereinbar ansieht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO) und dass sie sich insofern beschwert fühlt, als das FG die Prozesskosten und weitere Aufwendungen, die auf den auf Ersatz des materiellen Schadens gerichteten Klageantrag entfielen, nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt hat. Die Stellung eines förmlichen Revisionsantrags war entbehrlich (s. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl. 2006, § 120 Rz 53).

II.

Die Revision ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 FGO). Über den vom FG gewährten Umfang hinaus können keine Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

1.

Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird gemäß § 33 Abs. 1 EStG auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird. Aufwendungen erwachsen einem Steuerpflichtigen dann nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.

a)

Bei den Kosten eines Zivilprozesses spricht nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (Senatsurteile vom 9. Mai 1996 III R 224/94, BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596, m.w.N.; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, BFHE 198, 94, BStBl II 2002, 382; vom 18. März 2004 III R 24/03, BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726). Derartige Kosten sind nur dann zwangsläufig, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis für den Steuerpflichtigen zwangsläufig ist (Senatsurteil in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596). Daran fehlt es nach der Rechtsprechung des BFH im Allgemeinen bei einem Zivilprozess (s. Senatsurteil in BFHE 206, 16 , BStBl II 2004, 726). Darüber hinaus ist es in der Regel der freien Entscheidung der Parteien überlassen, ob sie sich zur Durchsetzung oder Abwehr eines zivilrechtlichen Anspruchs einem Prozess(kosten)risiko aussetzen (vgl. Senatsurteile in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596, und in BFHE 206, 16 , BStBl II 2004, 726). Lässt sich der Steuerpflichtige trotz ungewissen Ausgangs auf einen Prozess ein, liegt die Ursache für die Prozesskosten in seiner Entscheidung, das Prozessrisiko in der Hoffnung auf ein für ihn günstiges Ergebnis in Kauf zu nehmen; es entspräche nicht Sinn und Zweck des § 33 EStG, ihm die Kostenlast zu erleichtern, wenn sich das im eigenen Interesse bewusst in Kauf genommene Risiko zu seinem Nachteil realisiert hat (BFH-Urteil in BFHE 206, 16 , BStBl II 2004, 726).

b)

Trotz unsicherer Erfolgsaussichten kann der Steuerpflichtige gezwungen sein, einen Prozess zu führen, der einen für ihn existenziell wichtigen Bereich oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt, so dass er ohne den Rechtsstreit Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können (Senatsurteil in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596).

2.

Von diesen Grundsätzen ist das FG ausgegangen und hat zu Recht die Prozesskosten insoweit, als sie auf den auf Ersatz des materiellen Schadens gerichteten Klageantrag entfielen, nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt. Die (vermeintliche) Schadensersatzforderung der Klägerin berührte nicht deren existenziellen Bereich, auch wenn sie auf Ausgleich des erlittenen materiellen Schadens gerichtet war, der durch eine Beeinträchtigung ihrer körperlichen Gesundheit eingetreten war. Der Ausgang des Prozesses war für die Klägerin hinsichtlich dieses Leistungsantrags zwar von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung, nicht aber von existenzieller. Die Gefahr, die Existenzgrundlage zu verlieren oder die lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht mehr befriedigen zu können, hätte für die Klägerin nicht bestanden, wenn sie sich nicht dazu entschlossen hätte, ihren (vermeintlichen) Schadensersatzanspruch gerichtlich zu verfolgen. Von einer existenziellen Bedeutung kann auch nicht deshalb gesprochen werden, weil die Prozesskosten eine Höhe erreichten, die die Klägerin nicht mehr aus ihrem laufenden Einkommen bestreiten konnte. Entscheidend ist vielmehr, ob der Rechtsgrund des Zivilprozesses den existenziellen Bereich betraf. Dies ist hinsichtlich des Ersatzes des materiellen Schadens zu verneinen.

3.

Die anteiligen Prozesskosten, die mit dem auf Ersatz des immateriellen Schadens gerichteten Klageantrag zusammenhingen, sind nach übereinstimmender Ansicht der Beteiligten keine außergewöhnliche Belastung. Insoweit hat die Klägerin auch nicht die steuerliche Berücksichtigung beantragt.

4.

Ob das FG zutreffend die Prozesskosten insoweit, als sie auf den Feststellungsantrag entfielen, zu Recht dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung beurteilt hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Jedenfalls kann der vom FG angewandte Maßstab zur Ermittlung des Anteils der abziehbaren Aufwendungen nicht zugunsten der Klägerin geändert werden.

a)

Das FG hat zutreffend den Prozentsatz der --seiner Ansicht nach-- zu berücksichtigenden Aufwendungen überwiegend dadurch ermittelt, dass es den Streitwert des Feststellungsantrags ins Verhältnis zur Summe der Streitwerte aller Klageanträge gesetzt hat.

b)

Nicht zu folgen ist dem FG allerdings darin, dass es die Aufwendungen für das von der Klägerin für die Berufungsinstanz beauftragte Privatgutachten von 3 127 DM vorab und in vollem Umfang den auf den Feststellungsantrag entfallenden Prozesskosten zugeordnet hat, weil diese Aufwendungen auch dann entstanden wären, wenn die Klägerin allein diesen Antrag verfolgt hätte. Eine solche Vorwegzuordnung, die mit einer hypothetischen Sachverhaltsvariante begründet wird, ist bei der Ermittlung des als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigenden Anteils an den (Gesamt-)Kosten nicht vorzunehmen. Auch bei der Aufteilung von Werbungskosten, die im Zusammenhang mit steuerpflichtigen und steuerfreien Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit angefallen sind, sind Werbungskosten nicht etwa deshalb ohne Kürzung nach § 3c EStG abziehbar, weil sie auch ohne die steuerfreien Lohnbestandteile entstanden wären (s. BFH-Urteil vom 11. Februar 1993 VI R 66/91, BFHE 170, 392, BStBl II 1993, 450). Die Aufwendungen für das Privatgutachten standen zum Feststellungsantrag nicht in einem engeren Zusammenhang als zu den übrigen Klageanträgen. Dementsprechend hat auch das Begehren der Klägerin auf volle steuerliche Berücksichtigung der Aufwendungen für das vom LG in der ersten Instanz bestellte Gutachten keinen Erfolg. Der vom FG gewährte zu hohe Abzug nach § 33 EStG führt allerdings nicht zu einer Heraufsetzung der Steuer, da nur die Klägerin Revision eingelegt hat und deshalb eine "Verböserung" des FG-Urteils nicht statthaft ist (§§ 96 Abs. 1, 121 FGO).

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