BFH III R 49/06

BFHIII R 49/0625.1.2007

Amtlicher Leitsatz:

  1. 1. Ob ein Anbau ein gegenüber dem bestehenden Gebäude selbständiges Wirtschaftsgut darstellt, ist --vom Nutzungs- und Funktionszusammenhang abgesehen-- nach bautechnischen Kriterien zu beurteilen. Entscheidend hierfür sind die statische Standfestigkeit der Gebäudeteile und die dazu getroffenen Baumaßnahmen wie z.B. eigene tragende Mauern und eigene Fundamente.
  2. 2. Ein Anbau, der keine eigene Standfestigkeit besitzt, ist kein selbständiges Wirtschaftsgut. Auf die Höhe der Bauaufwendungen, die erforderlich sind, um im Fall der Trennung den Gebäudeteil (Anbau) standfest zu machen, kommt es nicht an.

Normen

§ 2 Abs. 3 InvZulG 1999
§ 7 Abs. 5 EStG 1997

FG Thüringen - 29.03.2006 - AZ: III 107/02

 

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) --eine GmbH-- betreibt ein Unternehmen, dessen Gegenstand die Entwicklung, der Bau, der Vertrieb und die Wartung von Anlagen und Sondermaschinen ist.

Das Grundstück, auf welchem die Klägerin ihren Betrieb zur Herstellung von Sondermaschinen betreibt, ist im Fördergebiet belegen und besteht aus mehreren Grundstücken im Rechtssinn.

Im Jahr 1995 bebaute die GmbH das Grundstück mit einem zweigeschossigen Büro- und Sozialgebäude mit einer Grundfläche von 500 qm und einer sich daran anschließenden eingeschossigen Produktionshalle mit einer Grundfläche von 1 800 qm. Die Produktionshalle und das Büro- und Sozialgebäude stehen im Eigentum der GmbH.

Im Jahr 1998 erweiterte die Klägerin die Produktionshalle durch einen Anbau mit einer Grundfläche von 844 qm ("erster Anbau"). Im Jahr 1999 errichtete sie einen weiteren Anbau mit einer Grundfläche von 1 284 qm ("zweiter Anbau"). Der zweite Anbau war mit Baugenehmigung vom 28. Januar 1999 genehmigt und dort als "Anbau an Produktionshalle" bezeichnet worden. Die beiden Anbauten stehen im Eigentum der Klägerin.

Zwischen dem zweigeschossigen Büro- und Sozialgebäude und der Produktionshalle befindet sich eine Brandmauer. Die Produktionshalle und der erste Anbau wurden als Stahlrahmenhalle mit Wandelementen aus Gasbetonplatten errichtet. Die beiden nicht voneinander getrennten Hallenkörper haben einen Dachaufbau aus Stahlträgern und Trapezblech-Mineralsteinwolle-Stahltrapezblech (Mehrschichtendach aus Trapezblech). Die aus Fertigteilsockelplatten und Gasbetonplatten bestehende abschließende Giebelwand des ersten Anbaus wurde bei der Errichtung des zweiten Anbaus abgerissen.

Auch der zweite Anbau ist eine Stahlrahmenhalle mit Wandelementen aus Gasbetonplatten an den Längsseiten und einer Isopaneelwand als Gebäudeabschluss an der Giebelwand. Das Dach ist ebenfalls als Stahltragwerk mit Mehrschichtendach aus Trapezblech konstruiert. Die Längswände wurden an die Stützen des ersten Anbaus montiert. Zusätzliche Stützen wurden nicht errichtet, obwohl Hülsenfundamente hergestellt worden waren. Das Dach wurde im Verbindungsbereich auf die Stahlträger des ersten Anbaus aufgelegt. Mit dem Bau des zweiten Anbaus entstand eine durchgehende Halle mit einer Gesamtlänge von 113,4 m. Durch die gesamte Halle führt eine Kranbahn mit zwei Kränen. Der (Industrie-)Fußboden enthält zwischen erstem und zweitem Anbau eine Trennungsfuge (Dehnungsfuge). Der zweite Anbau besitzt eigene Sektionaltore, eine eigene Energieversorgung und Entsorgung zur Dachentwässerung sowie technische Versorgungseinrichtungen. Die Stromkreise, die Druckluftanlage und die Heizkreisläufe sind getrennt.

Die Klägerin beantragte u.a. für die Herstellung des zweiten Anbaus eine Investitionszulage für das Kalenderjahr 1999 nach § 2 Abs. 3 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1999. Die Herstellungskosten des zweiten Anbaus betrugen 1 001 064,17 DM (= 511 835,98 EUR).

Bei einer Nachschau gelangte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) zu der Auffassung, der zweite Anbau sei kein zulagenbegünstigter Neubau, da er nach dem Gesamtbild der Verhältnisse eine Erweiterung des bereits vorhandenen Altbaus und damit kein selbständiges Wirtschaftsgut darstelle. Das FA berücksichtigte die Herstellungskosten des zweiten Anbaus daher nicht bei der Festsetzung der Investitionszulage für das Kalenderjahr 1999. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies das FA als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1605 veröffentlicht.

Das FG führte im Wesentlichen aus, nach § 2 Abs. 3 InvZulG 1999 sei die Herstellung neuer Gebäude zulagenbegünstigt. Ein Anbau sei u.a. dann ein selbständiges Wirtschaftsgut, wenn die Teile des Bauwerks ohne weitere erhebliche Bauaufwendungen voneinander getrennt werden könnten (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 28. Juni 2001, BStBl I 2001, 379 Rz 68, unter Hinweis auf Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. Dezember 1974 V R 30/74, BFHE 114, 295, BStBl II 1975, 344; vom 21. Juli 1977 V R 58/75, BFHE 123, 527, BStBl II 1978, 78, und vom 15. September 1977 V R 14/76, BFHE 123, 531, BStBl II 1978, 123).

Diese Voraussetzung sei im Streitfall erfüllt, weil eine Trennung des Anbaus mit einem Aufwand von weniger als 10 v.H. seiner Herstellungskosten möglich sei.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 2 Abs. 3 InvZulG 1999.

Das FA trägt im Wesentlichen vor, die vom FG zur Abgrenzung des erheblichen Bauaufwands angewandte "Wesentlichkeitsgrenze von 10 v.H." finde weder in § 2 Abs. 3 InvZulG 1999 noch in der Rechtsprechung und den Verwaltungsvorschriften eine Stütze. Nach dem BFH-Urteil in BFHE 123, 531, BStBl II 1978, 123 seien Aufwendungen zur statischen Sicherung eines Gebäudes --wie im Streitfall-- stets als erheblicher Bauaufwand zu beurteilen. Im Übrigen handele es sich dabei um fiktive Kosten einer Trennung des Anbaus. Für die Gewährung einer Investitionszulage seien jedoch die tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich.

Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die Errichtung des zweiten Anbaus eine nach § 2 Abs. 3 InvZulG 1999 begünstigte Investition ist.

1.

Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1999 sind begünstigte Investitionen u.a. die Herstellung neuer Gebäude, soweit die Gebäude mindestens fünf Jahre nach ihrer Herstellung in einem Betrieb des verarbeitenden Gewerbes oder in einem Betrieb der produktionsnahen Dienstleistungen i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 InvZulG 1999 verwendet werden. Nach der Definition in § 2 Abs. 3 Satz 1 InvZulG 1999 sind Gebäude auch Eigentumswohnungen, im Teileigentum stehende Räume und andere Gebäudeteile, die selbständige unbewegliche Wirtschaftsgüter sind.

Nach der Gesetzesbegründung ist der Begriff des Neubaus nach den für die degressive Absetzung für Abnutzung (AfA) nach § 7 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1997 bestehenden Grundsätzen auszulegen. Danach entstehe nur dann ein Neubau, wenn die eingefügten Neubauteile dem Gesamtgebäude das Gepräge geben, so dass es in bautechnischer Hinsicht neu sei. Das sei insbesondere der Fall, wenn verbrauchte Teile ersetzt würden, die für die Nutzungsdauer bestimmend seien (BTDrucks 13/7792, 13). Nachträgliche Herstellungsarbeiten sind daher nicht nach § 2 Abs. 3 InvZulG 1999 begünstigt.

Wird --wie im Streitfall-- ein bestehendes Gebäudes durch einen Anbau erweitert, ist die Investition demnach nur dann nach § 2 Abs. 3 InvZulG 1999 begünstigt, wenn ein selbständiges, neben den Altbau tretendes neues Gebäude, ein selbständiger Gebäudeteil oder ein einheitliches neues Gebäude unter Einbeziehung des Altgebäudes entsteht.

Ein Anbau an ein bestehendes Gebäude ist ein selbständiges Gebäude, wenn er mit dem Altgebäude baulich nicht verschachtelt ist. Trotz baulicher Verschachtelung des Anbaus mit dem bestehenden Gebäude ist ein selbständiger Gebäudeteil anzunehmen, wenn der Anbau in unterschiedlichem Nutzungs- und Funktionszusammenhang mit dem bereits vorhandenen Gebäude steht oder an ihm gesondertes Wohnungs- oder Teileigentum besteht. Durch einen mit dem Gebäude verschachtelten Anbau entsteht ein einheitliches neues Gebäude, wenn die Neubauteile dem Gesamtgebäude das Gepräge geben; hierfür sind regelmäßig die Größen- und Wertverhältnisse der Alt- und Neubauteile maßgebend (BFH-Urteile vom 9. August 1974 V R 11/74, BFHE 114, 569, BStBl II 1975, 342; vom 18. August 1977 V R 164/75, BFHE 123, 165, BStBl II 1978, 46, und vom 18. Dezember 1986 V R 176/75, BFHE 149, 78, BStBl II 1987, 350).

Ob ein Anbau ein gegenüber dem bestehenden Gebäude selbständiges Wirtschaftsgut darstellt, ist --vom Nutzungs- und Funktionszusammenhang abgesehen-- nach bautechnischen Kriterien zu beurteilen. Entscheidend hierfür sind die statische Standfestigkeit der Gebäudeteile und die dazu getroffenen Baumaßnahmen wie z.B. eigene tragende Mauern und eigene Fundamente (vgl. die zur Selbstverbrauchsteuer nach § 30 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes 1967 ergangene Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 15. Februar 1990 V R 7/85, BFH/NV 1991, 61, m.w.N.). Ein Anbau, der keine eigene statische Standfestigkeit besitzt, ist folglich kein selbständiges Wirtschaftsgut. Auf die Höhe der Bauaufwendungen, die erforderlich sind, um im Fall der Trennung den Gebäudeteil (Anbau) standfest zu machen, kommt es --entgegen der Auffassung des FG-- nicht an.

Zwar hat der BFH in früheren Urteilen ausgeführt, eine Verschachtelung setze bauliche Verbindungen voraus, die nicht ohne erhebliche Bauaufwendungen voneinander getrennt werden können (z.B. Urteile in BFHE 114, 295, BStBl II 1975, 344; in BFHE 123, 527, BStBl II 1978, 78, und in BFHE 123, 531, BStBl II 1978, 123). In erster Linie hat er jedoch die Frage der baulichen Verschachtelung nach der eigenen Standfestigkeit des Anbaus aufgrund eigener Fundamentierung und Ausstattung mit eigenen, tragenden Mauern beurteilt. Im Urteil in BFH/NV 1991, 61 hat er bei mangelnder eigener Standfestigkeit des Anbaus die Höhe der Aufwendungen, um den Anbau standfest zu machen, ausdrücklich nicht als maßgebendes Kriterium dafür angesehen, ob der Anbau als selbständiges Wirtschaftsgut zu beurteilen ist.

2.

Nach diesen Grundsätzen ist der zweite Anbau nicht --wie vom FG angenommen-- mangels baulicher Verschachtelung ein selbständiges Gebäude. Jedoch ist durch diesen Anbau ein neues Gebäude unter Einbeziehung des Altgebäudes entstanden, weil die Neubauteile dem Gesamtgebäude das Gepräge geben.

a)

Die bauliche Verschachtelung des zweiten Anbaus mit dem ersten Anbau ergibt sich daraus, dass nach den tatsächlichen Feststellungen des FG die Standfestigkeit des zweiten Anbaus von dem ersten Anbau abhängt. Im Streitfall wurden die Längswände an die Stützen des ersten Anbaus montiert. Auch wurde das Dach im Verbindungsbereich auf die Stahlträger des ersten Anbaus aufgelegt; zusätzliche Stützen wurden nicht errichtet. Ein Abriss des ersten Anbaus würde daher --wie das FG selbst festgestellt hat-- ohne Sicherungsmaßnahmen zum Einsturz des zweiten Anbaus führen.

Weiter spricht im Streitfall der Verzicht auf eine Trennwand zwischen dem ersten und dem zweiten Anbau für die Annahme einer Gebäudeeinheit, weil beide Gebäudeteile dadurch eine einheitliche Produktionshalle bilden. Die Einheitlichkeit beider Gebäudeteile wird noch durch die durchgängige Kranbahn mit zwei Kränen unterstrichen. Dass der zweite Anbau eine eigene Entsorgung zur Dachentwässerung, eine eigene Energieversorgung sowie eigene technische Versorgungseinrichtungen besitzt, rechtfertigt aufgrund der genannten baulichen Verbindungen keine abweichende Beurteilung. Ferner ist unerheblich, dass bereits die Hülsenfundamente für eine eigene Abstützung des zweiten Anbaus hergestellt worden sind, da die Klägerin auf diesen Fundamenten keine zusätzlichen Stützen errichtet hat. Für die Beurteilung der baulichen Verschachtelung sind allein die tatsächlichen Verhältnisse maßgeblich.

b)

Das durch den zweiten Anbau an die Halle entstandene einheitliche Gebäude wird aufgrund der Größen- und Wertverhältnisse durch den zweiten Anbau geprägt.

Maßgeblich sind im Streitfall die Größen- und Wertverhältnisse des ersten Anbaus zum zweiten Anbau. Die ursprüngliche Produktionshalle bleibt außer Betracht, da sie nicht im Eigentum der Klägerin steht. Anhaltspunkte dafür, dass der Klägerin die ursprüngliche Produktionshalle zumindest als wirtschaftlicher Eigentümerin persönlich zuzurechnen ist, sind im Streitfall nicht erkennbar. Der zweite Anbau mit einer Grundfläche von 1 284 qm überwiegt nach seinen Größenverhältnissen den ersten Anbau mit einer Grundfläche von 844 qm. Aufgrund des geringen zeitlichen Abstands zwischen der Errichtung beider Anbauten und der identischen Bauausführung ist auch vom wertmäßigen Überwiegen des zweiten Anbaus auszugehen.

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