Normen
§ 14 BewG i.d.F. vor Inkrafttreten des ÄndG-BewG 1965
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 120.000,00 DM, der dem Kläger zu 1. nach dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. März 1960 gegen das Land Berlin zusteht, der Vermögensabgabe unterliegt.
Der Kläger zu 1. betrieb in Berlin bis in den zweiten Weltkrieg hinein eine Großhandlung. Während der ersten Kriegsmonate erwarb er mit privaten Mitteln einen großen Posten Waren. Diesen lagerte er im Jahre 1943 in dem Keller eines Gebäudes ein. Dieser Keller überstand die Kriegszerstörung des Gebäudes. Das gesamte private Lager sowie Hausrat gingen erst nach dem Krieg infolge von Maßnahmen des Bergungsamtes verloren.
Der Kläger zu 1. erhob im Frühjahr 1949 vor dem Landgericht Berlin Klage gegen die Stadtgemeinde von Groß-Berlin auf Schadensersatz in Höhe von 150.000,00 DM nebst 4 v. H. Zinsen seit Klagezustellung u.a. wegen des Verlustes des Warenlagers und des Abhandenkommens von Hausrat. Das Landgericht erließ am 13. Januar 1951 ein Grundurteil, in dem die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt wurde. Durch Urteil des Kammergerichts Berlin vom 25. März 1952 wurde unter Abänderung des Landgerichts-Urteils die Klage abgewiesen. Durch Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 11. Juli 1953 wurde dem Kläger zu 1. für die Revisionsinstanz das Armenrecht zunächst verweigert, dann aber durch Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 5. Juli 1954 doch bewilligt. Durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28. Oktober 1954 wurde das Urteil des Kammergerichts aufgehoben und die Sache an das Kammergericht zurückverwiesen. Durch Urteil des Kammergerichts vom 1. April 1955 wurden unter Abänderung des Landgerichts-Urteils vom 13. Januar 1951 die Ansprüche des Klägers auf Ersatz der Handelsware und des Hausrats dem Grunde nach zur Hälfte für gerechtfertigt erklärt. Der Bundesgerichtshof hob durch Urteil vom 20. März 1958 dieses Urteil des Kammergerichts insoweit auf als u.a. die Ansprüche auf Ersatz der Handelsware und des Hausrats zur Hälfte abgewiesen worden waren. In diesem Umfang wurde die Sache an das Kammergericht zurückverwiesen. In diesem Umfang wurde die Sache an das Kammergericht zurückverwiesen. Das Kammergericht erklärte daraufhin durch Urteil vom 9. März 1959 diese beiden Ansprüche dem Grunde nach in vollem Umfang für gerechtfertigt. Dieses Urteil wurde rechtskräftig. Das Land Berlin zahlte dem Kläger daraufhin 30.000,00 DM. Das Landgericht Berlin verurteilte durch Urteil vom 17. März 1960 das Land Berlin zur Zahlung von weiteren 90.000,00 DM nebst 4 v. H. Zinsen seit dem 1. April 1949. Auch dieses Urteil wurde rechtskräftig.
Das Finanzamt (FA) veranlagte durch Bescheid vom 31. Mai 1963 die Kläger zur Vermögensabgabe. Als abgabepflichtiges Vermögen setzte das FA die Schadensersatzforderung des Klägers zu 1. mit dem Nennwert von 120.000,00 DM an und zog davon 20.000,00 DM ab, die der Kläger zu 1. auf Grund eines Vergleichs in einer Rückerstattungssache, die die Großhandlung des Klägers zu 1. betraf, an den Rückerstattungsberechtigten bezahlt und als Prozeßkosten aufgewandt hatte.
Mit der Sprungberufung trugen die Kläger im wesentlichen vor: Für die Stichtagsbewertung zum 1. April 1949 dürfe nicht das 1960 erstrittene Landgerichts-Urteil zugrunde gelegt werden. Es müsse vielmehr gefragt werden, was ein außenstehender Dritter am Bewertungsstichtag für die Schadensersatzforderung gezahlt hätte. Die Antwort sei, daß kein vernünftiger Mensch damals mehr als 5.000,00 DM für den gesamten Anspruch gegeben hätte. Denn es hätten Unklarheiten über die Beweisbarkeit des Sachverhalts und Zweifel über die aus dem Sachverhalt zu ziehenden Rechtsfolgen bestanden. Wie der Prozeßverlauf, insbesondere die für den Kläger zu 1. ungünstigen Entscheidungen selbst des Bundesgerichtshofs, zeigten, seien auch in den späteren Jahren die Aussichten für den Kläger zu 1. äußerst kritisch, zuweilen sogar hoffnungslos gewesen, den Schadensersatzanspruch gegen das Land Berlin durchzusetzen. Es sei auch nicht vereinbar, wenn einerseits der Senator für Finanzen als Vertreter des verklagten Landes Berlin bis 1959 die Ansicht vertreten habe, dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch zu und andererseits das FA die Forderung zum 1. April 1949 mit dem Nennbetrag bewerte. In der Auffassung des Senators für Finanzen sei ein besonderer Umstand im Sinne des § 14 BewG a. F. zu sehen. Hilfsweise machten die Kläger geltend, daß die bis Ende 1955 fällig gewordenen Vierteljahrsbeträge verjährt seien.
Die Sprungberufung hatte nur insoweit Erfolg, als das Verwaltungsgericht die in der Zeit vom 1. April 1952 bis 31. Dezember 1954 fällig gewordenen Vierteljahrsbeträge als verjährt ansah. Im übrigen wurde die Berufung als unbegründet zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht führt im wesentlichen aus: Der Schadensersatzanspruch sei nicht, wie die Kläger meinten, mit dem gemeinen Wert (§ 10 BewG a. F.) zu bewerten, sondern nach § 14 BewG a. F. mit dem Nennwert, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründeten. Das sei hier nicht der Fall. Der Ansatz einer Forderung werde nicht dadurch ausgeschlossen, daß über sie am Bewertungsstichtag ein Rechtsstreit anhängig sei. In solchen Fällen müsse nach den am Stichtag bestehenden Verhältnissen beurteilt werden, ob und in welcher Höhe der Gläubiger mit seinem Anspruch durchdringen werde. Dabei könnten auch Verhältnisse berücksichtigt werden, die am Stichtag bereits bestanden, aber erst später hätten festgestellt werden können. Das widerspreche nicht dem Stichtagsprinzip. Forderungen und Schulden, die am Stichtag strittig gewesen seien, könnten danach entsprechend späteren Rechtsmittelentscheidungen bewertet werden, sofern der Sachverhalt, der die Bejahung einer Forderung oder Schuld rechtfertige, schon am Stichtag bestanden habe. Diese Auffassung entspreche der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und des Bundesfinanzhofs (BFH). Im Streitfall lägen unter Berücksichtigung der durch den Zivilprozeß eingetretenen Klärung besondere Umstände im Sinne des § 14 BewG a. F., die einen geringeren Wert als den Nennwert begründen könnten, nicht vor.
Mit der nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandelnden Rechtsbeschwerde rügen die Kläger unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts und Verstöße wider den klaren Inhalt der Akten. Unter Wiederholung und Ergänzung ihres bisherigen Vorbringens sind sie weiterhin der Auffassung, daß der Wert der Forderung des Klägers zu 1. am 1. April 1949 keinesfalls den Freibetrag nach § 29 LAG überstiegen habe. Sie beantragen, das Urteil des Finanzgerichts und den Vermögensabgabebescheid vom 31. Mai 1963 ersatzlos aufzuheben.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
I.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei der Schadensersatzforderung des Klägers zu 1. um eine Kapitalforderung im Sinne des § 14 BewG a. F. handelt. Kapitalforderungen sind nach § 14 Abs. 1 BewG a. F. grundsätzlich mit dem Nennwert zu bewerten. Diese Vorschrift findet ihre Begründung darin, daß Kapitalforderungen nicht wie andere Wirtschaftsgüter (z.B. Waren) zur Veräußerung (Abtretung) bestimmt sind, sondern zur Verwertung durch Einziehung. Für ihre Bewertung kann deshalb entgegen der Auffassung der Kläger nicht der Betrag maßgebend sein, den der Kläger zu 1. bei einer Abtretung der Schadensersatzforderung an einen Dritten am Währungsstichtag hätte erzielen können, sondern der Betrag, der bei Geltendmachung der Forderung an diesem Stichtag vom Schuldner gefordert werden konnte. Eine Bewertung mit dem gemeinen Wert nach § 10 BewG a. F. scheidet insoweit aus (vgl. RFH-Urteile III A 426/33 vom 19. April 1934, RStBl 1934, 647; III e A 77/34 vom 10. Januar 1935, RStBl 1935, 323; BFH-Urteile III 109/57 U vom 20. März 1959, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 69 S. 1 - BFH 69, 1 -, BStBl III 1959, 262; III 116/61 vom 21. Januar 1966, BFH 86, 273, BStBl III 1966, 419).
II.
Das Verwaltungsgericht weist zutreffend darauf hin, daß der RFH mehrfach zur Frage der Bewertung von Forderungen und Schulden, deren Bestehen am Stichtag dem Grunde und der Höhe nach umstritten war, Stellung genommen hat. In dem Urteil III A 42/34 vom 8. Juni 1934 (RStBl 1934, 1023) hat er ausgeführt, daß beim Abzug einer Körperschaftsteuerschuld, zu der die Steuerpflichtige am Stichtag veranlagt war, die sie aber immer bestritten habe und von der sie dann wieder im Rechtsmittelverfahren freigestellt worden war, der Ausgang des Rechtsmittelverfahrens zu berücksichtigen sei. Im Urteil III 215/37 vom 10. Februar 1938 (RStBl 1938, 537) legt der RFH dar, daß bei der Bewertung einer am Stichtag zweifelhaften Forderung oder Schuld die nach dem Stichtag eingetretene Klärung der Verhältnisse berücksichtigt werden müsse. Das Urteil III 60/43 vom 26. November 1943 (RStBl 1944, 147) behandelt einen Fall, in dem eine Aufwertungsforderung am Stichtag dem Grunde und der Höhe nach zweifelhaft war, die Zweifel aber im Zeitpunkt der Veranlagung dadurch beseitigt waren, daß dem Steuerpflichtigen durch ein rechtskräftiges Zivilgerichtsurteil die Forderung in bestimmter Höhe zugesprochen war. Der RFH führt aus, die Forderung könne in einem solchen Fall auf zwei verschiedene Arten bewertet werden. Sie könne entweder mit einem nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit ihres Bestehens am Stichtag zu schätzenden Betrag oder mit dem Betrag angesetzt werden, den sie nach dem inzwischen ergangenen Zivilgerichtsurteil habe; es sei nicht zu beanstanden, daß das FA bei einer Forderung, die vollwertig und auch erfüllt worden sei, von den beiden zulässigen Bewertungsarten diejenige gewählt habe, die zu einer Versteuerung der Forderung führe. Der Senat ist in dem Urteil III 296/61 vom 12. Juni 1964 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1965 S. 155) dieser Rechtsprechung gefolgt. Er hat eine (Schadensersatzverpflichtung, 1965 S. 155) dieser Rechtsprechung gefolgt. Er hat eine Schadensersatzverpflichtung, über die am Bewertungsstichtag ein Zivilrechtsstreit anhängig war, mit dem Betrag zum Abzug zugelassen, zu dessen Zahlung der Steuerpflichtige in dem Zivilrechtsstreit rechtskräftig verurteilt worden war. Er hat unter Hinweis auf das BFH-Urteil III 345/57 S vom 8. Januar 1960 (BFH 70, 222, BStBl III 1960, 83) ausgeführt, daß es keine Verletzung des Stichtagsprinzips bedeute, wenn bei der Frage des Bestehens und des Wertes dieser Schadensersatzverpflichtung Umstände berücksichtigt werden, die zwar erst nach dem Stichtag vorgelegen haben. Der Senat hat ferner darauf hingewiesen, daß eine Schadensersatzverpflichtung nicht erst durch das zivilgerichtliche Urteil entstehe, sondern daß sie, wenn überhaupt eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung vorliege, bereits in dem Zeitpunkt entstanden sei, in dem diese Handlung vorgenommen worden sei. Das Urteil des Zivilgerichts kläre nur die Frage, ob tatsächlich eine solche Handlung vorliege, die zu einer Schadensersatzverpflichtung führe, und wie hoch diese Verpflichtung sei. Das Zivilgerichtsurteil habe insoweit nur deklaratorische Bedeutung. An dieser Auffassung hält der Senat auch hinsichtlich einer Schadensersatzforderung, jedenfalls für den Regelfall, fest. Er ist jedoch der Meinung, daß in besonders gelagerten Fällen eine Berücksichtigung des Ausgangs eines am Stichtag schwebenden Prozesses bei der Bewertung einer Forderung oder einer Schuld auf den Bewertungsstichtag nicht zulässig ist. Ein solcher Ausnahmefall kann insbesondere bei umstrittenen Schadensersatzforderungen dann vorliegen, wenn nach der Besonderheit der tatsächlichen Vorgänge, auf die sich die Forderung gründet, und nach der am Bewertungsstichtag bestehenden Prozeßlage ein erhebliches Prozeßrisiko besteht. Liegt ein solcher Ausnahmefall vor, dann kann die Schadensersatzforderung nur mit einem Wert angesetzt werden, der nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit ihrer Durchsetzbarkeit nach den Verhältnissen vom Bewertungsstichtag zu schätzen ist.
III.
Da die Vorentscheidung von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, war sie aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie wird nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO an das Finanzgericht zurückverwiesen. Das Finanzgericht wird nunmehr zu prüfen haben, ob bei der hier streitigen Schadensersatzforderung ein Ausnahmefall im Sinne der obigen Ausführungen vorliegt. Sollte das der Fall sein, dann wäre der Wert der Forderungen nach den Verhältnissen vom 1. April 1949 vom Finanzgericht zu schätzen.