Normen
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG
§ 124 Abs. 1 BauGB
Gründe
I.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarben mit notariellem Kaufvertrag vom 18. Januar 2002 von der V-GmbH je zur ideellen Hälfte ein in der Stadt B belegenes Baugrundstück, das bei Vertragsschluss nicht erschlossen war und in dem vorhandenen Zustand verkauft wurde. Die V-GmbH verpflichtete sich gegenüber den Klägern, die Erschließung des Kaufgrundstücks nach Maßgabe des noch zwischen ihr und der Stadt B für das gesamte Baugebiet abzuschließenden Erschließungsvertrags durchzuführen (§ 1 Abs. 3 des Grundstückskaufvertrags). Die Kläger hatten, jeweils zahlbar bis zum 1. Mai 2002, an die V-GmbH neben dem Grundstückskaufpreis einen Betrag zur Abgeltung der zukünftigen Erschließung des Grundstücks von ... EUR je qm zu zahlen. Die Zahlung brauchte nicht zu erfolgen, solange nicht die Baustraße so weit erstellt war, dass mit Baumaßnahmen auf dem Kaufobjekt begonnen werden konnte (§ 5 Abs. 2 des Grundstückskaufvertrags). Die V-GmbH war zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt, falls der Erschließungsvertrag nach § 124 Abs. 1 des Baugesetzbuches (BauGB) mit der Stadt B nicht bis zum 31. Januar 2002 rechtsverbindlich abgeschlossen wurde. Dieser Erschließungsvertrag wurde am 28. Januar 2002 geschlossen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte gegen die Kläger für ihren Erwerb durch Bescheide vom 13. Februar 2002 Grunderwerbsteuer fest und bezog den Abgeltungsbetrag für Erschließungskosten in die Bemessungsgrundlage ein. Mit den hiergegen erhobenen Einsprüchen machten die Kläger geltend, das Grundstück sei in unerschlossenem Zustand erworben worden und daher sei der Abgeltungsbetrag für Erschließungskosten keine Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks. Durch Einspruchsbescheide vom 12. September 2002 setzte das FA die Grunderwerbsteuer aus anderen Gründen auf jeweils ... EUR herab und wies die Einsprüche im Übrigen als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die V-GmbH habe sich verpflichtet, den Klägern das Grundstück in erschlossenem Zustand zu verschaffen. Es mache grunderwerbsteuerrechtlich keinen Unterschied, ob ein Grundstück unerschlossen mit der Verpflichtung des Veräußerers zur Erschließung oder bereits in erschlossenem Zustand erworben werde. Die Kläger hätten, da sich die V-GmbH sowohl ihnen als auch der Stadt B zur Erschließung verpflichtet habe, im Ergebnis (wirtschaftlich) ein bebaubares Grundstück erworben.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung von § 8 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG).
Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Grunderwerbsteuerbescheide vom 13. Februar 2002 in der Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 12. September 2002 dahin abzuändern, dass die Grunderwerbsteuer auf jeweils ... EUR herabgesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur antragsgemäßen Herabsetzung der Steuer (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht den von den Klägern an die V-GmbH zur Abgeltung der Erschließungskosten gezahlten Betrag als Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks behandelt.
1.
Bei einem nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG grunderwerbsteuerbaren Grundstückskaufvertrag bemisst sich die Grunderwerbsteuer gemäß § 8 Abs. 1 GrEStG nach dem Wert der Gegenleistung. Als Gegenleistung gilt nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG u.a. der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen. Für den Umfang der Gegenleistung ist entscheidend, in welchem tatsächlichen Zustand das Grundstück zum Gegenstand des Erwerbsvorgangs gemacht wurde (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. März 2001 II R 39/99, BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93, m.w.N.).
a)
Ob Erschließungskosten als Gegenleistung zu erfassen sind, ist danach zu beurteilen, ob das Grundstück unerschlossen oder erschlossen bzw. mit der Verpflichtung des Veräußerers, es erschlossen zu verschaffen, Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist (BFH-Urteile in BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93; vom 15. März 2001 II R 51/00, BFH/NV 2001, 1297; vom 11. Februar 2004 II R 31/02, BFHE 204, 489, BStBl II 2004, 521). Ein Grundstück ist tatsächlich erschlossen, wenn die Erschließungsanlagen i.S. des BauGB, z.B. Straßen, Verkehrs- und Grünanlagen (vgl. § 127 Abs. 2 BauGB) vorhanden sind.
b)
Ist ein Grundstück im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrags bereits tatsächlich erschlossen, kann Gegenstand eines solchen Vertrages nur das erschlossene Grundstück sein; der zur Abgeltung der Erschließung neben dem eigentlichen Grundstückskaufpreis gesondert ausgewiesene Betrag gehört in diesem Fall zur Gegenleistung.
Ist das Grundstück im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrages noch nicht erschlossen, verpflichtet sich jedoch der Veräußerer, das Grundstück dem Erwerber in erschlossenem Zustand zu verschaffen, so ist das Grundstück in diesem Zustand Gegenstand des Erwerbsvorgangs i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG. Der auf die Erschließung entfallende Teil des Kaufpreises ist Entgelt für den Grundstückserwerb (BFH-Urteile vom 9. Mai 1979 II R 56/74, BFHE 128, 92, BStBl II 1979, 577, und in BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93). Ob das erschlossene Grundstück Gegenstand der Übereignungsverpflichtung ist, ist jeweils im Wege der Auslegung der getroffenen Vereinbarungen zu ermitteln.
2.
Im Streitfall hat das FG zu Unrecht angenommen, die V-GmbH habe sich verpflichtet, den Klägern das Grundstück in erschlossenem Zustand zu verschaffen.
a)
Das von den Klägern erworbene Grundstück war bei Abschluss des Grundstückskaufvertrags tatsächlich noch nicht erschlossen. Nach § 3 Abs. 1 des Grundstückskaufvertrags wurde das Grundstück auch in diesem vorhandenen (unerschlossenen) Zustand verkauft.
b)
Das Grundstück war nicht deshalb im erschlossenen Zustand Gegenstand der Übereignungsverpflichtung, weil die V-GmbH gleichzeitig Veräußerin des Grundstücks und Erschließungsträger i.S. des § 124 Abs. 1 BauGB war und sich sowohl gegenüber den Klägern als auch der Stadt B vertraglich zur Erschließung nach Maßgabe des Erschließungsvertrags verpflichtet hat.
aa)
Wird ein im Zeitpunkt des Abschlusses eines Grundstückskaufvertrages noch unerschlossenes Grundstück als solches ("unerschlossen") zum Gegenstand der zivilrechtlichen Übereignungsverpflichtung gemacht und übernimmt der Erwerber gleichzeitig mit dem Abschluss des Kaufvertrages gegenüber einem von der Gemeinde nach § 124 Abs. 1 BauGB beauftragten --nicht mit dem Grundstücksveräußerer identischen-- Erschließungsträger die Verpflichtung, einen bestimmten Betrag für die zukünftige Erschließung des Grundstücks zu zahlen, liegt hierin kein Entgelt für den Erwerb des Grundstücks. Gegenstand eines solchen Erwerbsvorgangs ist nach dem Inhalt der hier allein maßgeblichen zivilrechtlichen Übereignungspflicht nur das "unerschlossene" Grundstück (BFH-Urteile in BFHE 128, 92, BStBl II 1979, 577, und in BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93).
Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum grunderwerbsteuerrechtlich einheitlichen Erwerbsgegenstand bei Erwerb eines Grundstücks im zukünftig bebauten Zustand sind wegen des sich aus der öffentlich-rechtlichen Erschließungslast der Gemeinde (vgl. § 123 BauGB) ergebenden besonderen Charakters der Grundstückserschließung nicht anwendbar (BFH-Urteil in BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93). Dies gilt auch dann, wenn die Erschließung von einem privaten Erschließungsträger i.S. des § 124 Abs. 1 BauGB vorgenommen wird. Auch in diesem Fall bleibt die Erschließung eine öffentliche Aufgabe und stellt keine mit der zivilrechtlichen Übereignungspflicht objektiv zusammenhängende Leistung an einen bestimmten Grundstückserwerber dar (BFH-Urteil in BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93). Die rechtliche Wirkung der Vereinbarung des Erschließungsträgers mit den Grundstückserwerbern über die Höhe ihrer Kostenbeteiligung erschöpft sich in der Regelung der Kostenbeteiligung und macht die --ihrem Rechtscharakter nach öffentlich-rechtliche-- Erschließung nicht zu einer Leistung an den Zahlungsverpflichteten.
bb)
Diese Grundsätze gelten ebenso dann, wenn --wie im Streitfall-- der Grundstücksverkäufer gleichzeitig Erschließungsträger i.S. des § 124 Abs. 1 BauGB ist und sich vertraglich gegenüber dem Grundstückskäufer verpflichtet, die Erschließung des veräußerten Grundstücks entsprechend dem mit der Gemeinde geschlossenen Erschließungsvertrag durchzuführen. Auch in diesem Fall erschöpfen sich die getroffenen Vertragsregelungen im Verhältnis zwischen Grundstücksveräußerer und Erwerber in einer (privatrechtlichen) Regelung der Kostenbeteiligung. Auf diese Vertragsgestaltung können die Grundsätze zum grunderwerbsteuerrechtlich einheitlichen Erwerbsgegenstand keine Anwendung finden, weil die Durchführung der Erschließung nach Maßgabe des Erschließungsvertrags i.S. des § 124 Abs. 1 BauGB ausschließlich im öffentlichen Interesse erfolgt und eine öffentliche Aufgabe der Gemeinde bleibt. Denn eine Gemeinde kann nach § 124 Abs. 1 BauGB nur die technische Durchführung und kostenmäßige Abwicklung der Erschließung auf den Erschließungsunternehmer übertragen, nicht aber die ihr gemäß § 123 Abs. 1 BauGB obliegende Erschließungslast (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl. 2001, § 6 Rz 6). Dementsprechend hat auch das privatrechtliche Rechtsverhältnis zwischen dem Erschließungsunternehmer und den von ihm erwerbenden Grundstückskäufern keinen rechtlich relevanten Einfluss auf das durch einen Erschließungsvertrag begründete Rechtsverhältnis zwischen der Gemeinde und dem Erschließungsunternehmer (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 9. November 1984 8 C 77/83, BVerwGE 70, 247). Kommt der Erschließungsträger seinen Verpflichtungen gegenüber der Gemeinde bzw. einem Grundstückserwerber nicht nach, aktualisiert sich wiederum die Erschließungsaufgabe der Gemeinde mit der Folge, dass sie die Erschließung (wieder) selbst übernehmen bzw. vollenden muss (dazu BFH-Urteil in BFHE 194, 452, BStBl II 2002, 93, m.w.N.; Driehaus, a.a.O., § 6 Rz 52, 62).
c)
Dem Grundstückskaufvertrag kann auch im Übrigen nicht entnommen werden, dass das Grundstück in erschlossenem Zustand zum Gegenstand der zivilrechtlichen Übereignungsverpflichtung gemacht wurde.
aa)
Die von der V-GmbH gegenüber den Klägern eingegangene Verpflichtung zur Erschließung des Grundstücks war Gegenstand einer eigenständigen vertraglichen Verpflichtung, für die eine gegenüber der Kaufpreisvereinbarung verselbständigte Entgeltvereinbarung getroffen wurde. Auch war die Wirksamkeit des Grundstückskaufvertrags nicht von der vollständigen Durchführung der Erschließungsmaßnahmen abhängig. Andernfalls hätte es nicht des der V-GmbH eingeräumten Rücktrittsrechts für den Fall bedurft, dass es nicht zum rechtverbindlichen Abschluss des Erschließungsvertrags mit der Stadt B bis zum 31. Januar 2002 kommt (§ 12 Abs. 1 des Grundstückskaufvertrags).
bb)
Die Kläger haben auch nicht etwa deshalb ein erschlossenes Grundstück erworben, weil der Kaufpreis und der Abgeltungsbetrag für Erschließungskosten nicht fällig waren, solange nicht die Baustraße so weit erstellt war, dass mit Baumaßnahmen auf dem Kaufgrundstück begonnen werden konnte (§ 5 Abs. 2 des Grundstückskaufvertrages). Die Herstellung der Baustraße war lediglich ein erster Teilakt der Gesamterschließung, der --wie sich aus § 1 Abs. 4 des Grundstückskaufvertrags ergibt-- die "endgültige Fertigstellung der Erschließungsanlagen, insbesondere der Endausbau der Straßen" noch zu einem späteren Zeitpunkt nachzufolgen hatte.
cc)
Schließlich war --entgegen der Auffassung des FG-- der Abgeltungsbetrag für Erschließungskosten auch nicht etwa deshalb eine Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks, weil die Kläger ein (wirtschaftlich) bebaubares Grundstück erworben haben. Die Bebaubarkeit des Grundstücks ist für die Frage, ob ein Abgeltungsbetrag für Erschließungskosten grunderwerbsteuerrechtlich eine Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks ist, ohne Bedeutung.
Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben.
3.
Die Sache ist spruchreif. Die Grunderwerbsteuerbescheide vom 13. Februar 2002 in der Fassung der Einspruchsentscheidungen vom 12. September 2002 sind insoweit rechtswidrig, als das FA den von den Klägern zu zahlenden Abgeltungsbetrag für Erschließungskosten in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einbezogen hat. Die angefochtenen Bescheide waren gemäß § 100 Abs. 1 FGO zu ändern und die Grunderwerbsteuer unter Zugrundelegung einer Bemessungsgrundlage von jeweils ... EUR auf jeweils ... EUR herabzusetzen.
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