BFH I R 78/07

BFHI R 78/0720.8.2008

Amtlicher Leitsatz:

  1. 1. Die für die personelle Ausweitung der unbeschränkten Steuerpflicht maßgebende Höhe der Einkünfte in § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG 2002 ist nach deutschem Recht zu ermitteln, und zwar auch dann, wenn die Einkünfte im ausländischen Wohnsitzstaat zum Teil steuerfrei sind.
  2. 2. Überschreiten die im ausländischen Wohnsitzstaat erzielten Einkünfte bei einer Ermittlung nach deutschem Recht die absolute Wesentlichkeitsgrenze des § 1 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG 2002, ist eine Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer auch dann ausgeschlossen, wenn die ausländischen Einkünfte nach dem Recht des Wohnsitzstaates ermittelt unterhalb der absoluten Wesentlichkeitsgrenze liegen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die steuerpflichtigen Einkünfte im Wohnsitzstaat so hoch sind, dass sie den persönlichen Verhältnissen des Ehegatten Rechnung tragen.

Normen

§ 1 Abs. 3 S. 2 EStG 2002
§ 1a Abs. 1 Nr. 2 S. 3 EStG 2002
§ 26 EStG 2002
§ 26b EStG 2002
§ 32a EStG

 

Gründe

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute mit Wohnsitz in Kufstein/Österreich. Der Kläger bezog im Streitjahr 2003 Einkünfte aus einer in München ausgeübten nichtselbständigen Arbeit in Höhe von 25 371 EUR. Außerdem hatte er noch in Österreich der Besteuerung unterliegende sonstige Einkünfte in Höhe von 288 EUR. Die Klägerin war in Österreich erwerbstätig. Nach der dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) vorgelegten Bescheinigung "EU/EWR" der Steuerbehörde Kufstein beliefen sich die Einkünfte der Klägerin, die in Österreich der Besteuerung unterlagen, auf 12 697 EUR. Diese Einkünfte wurden entsprechend dem österreichischen Einkommensteuergesetz lediglich mit einem Betrag von 10 775,52 EUR zur Einkommensteuer herangezogen.

Die Kläger beantragten in der gemeinsamen Einkommensteuererklärung für 2003 die Zusammenveranlagung. Das FA erließ lediglich einen Einkommensteuerbescheid gegenüber dem Kläger, da es der Auffassung war, die Voraussetzungen des § 1a des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr gültigen Fassung (EStG 2002) seien nicht erfüllt. Das Finanzgericht (FG) München gab der Klage durch Urteil vom 21. September 2007 8 K 1786/05, veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2008, 303, statt. Es war unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 25. Januar 2007 Rs. C-329/05 "Meindl" (EuGHE I 2007, 1107) der Auffassung, die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung lägen vor.

Das FA rügt mit seiner Revision eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Das FG hat zu Unrecht die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung nach § 26, § 26b i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002 bejaht.

1.

Nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002 können nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten auf Antrag gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 (i.V.m. § 26b) EStG 2002 zusammenveranlagt werden, wenn nur einer von ihnen die Voraussetzungen der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG 2002 oder der "fiktiven unbeschränkten Einkommensteuerpflicht" nach § 1 Abs. 3 EStG 2002 erfüllt. Voraussetzung ist zum einen, dass der unbeschränkt steuerpflichtige Ehegatte Staatsangehöriger eines EU/EWR-Staates ist und der andere Ehegatte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im EU/EWR-Ausland hat. Zum anderen sind die Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG 2002 zu beachten. Hierbei ist auf die Einkünfte beider Ehegatten abzustellen und der Betrag von 6 136 EUR zu verdoppeln (§ 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG 2002).

a)

Eine Zusammenveranlagung ist danach nur dann möglich, wenn entweder die Einkünfte beider Ehegatten im Kalenderjahr mindestens zu 90 v.H. der deutschen Einkommensteuer unterliegen (sog. relative Wesentlichkeitsgrenze) oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Betrag von 12 272 EUR nicht übersteigen (sog. absolute Wesentlichkeitsgrenze). Die Höhe der nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte muss zudem gemäß § 1a Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG 2002 durch eine Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nachgewiesen werden.

b)

Die Einkünfteermittlung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG 2002 vollzieht sich in zwei Stufen. Zunächst ist in einem ersten Schritt die Summe der Welteinkünfte zu ermitteln. Diese sind sodann in einem zweiten Schritt in die Einkünfte, die der deutschen Einkommensteuer unterliegen, und die Einkünfte, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, aufzuteilen.

c)

Bei der Ermittlung der Welteinkünfte sind sämtliche Einkünfte, unabhängig davon, ob sie im In- und im Ausland erzielt wurden, nach deutschem Recht zu ermitteln. § 1a Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG 2002 enthalten keine spezielle Regelung, wie die Einkünfte zu ermitteln sind, so dass der Begriff der Einkünfte dem deutschen Einkommensteuerrecht zu entnehmen ist (Senatsbeschluss vom 28. Juni 2005 I R 114/04, BFHE 210, 296, BStBl II 2005, 835). Unberücksichtigt bleiben bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG 2002 allerdings nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegende Einkünfte, die im Ausland nicht besteuert werden, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei sind (§ 1 Abs. 3 Satz 4 i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2008 --JStG 2008-- vom 20. Dezember 2007, BGBl. I 2007, 3150). Diese Regelung gilt auch für Veranlagungszeiträume vor 2008, soweit Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind (§ 52 Abs. 1a EStG i.d.F. des JStG 2008).

2.

Die Kläger erfüllen danach die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung nicht.

Der Kläger hat in Österreich sonstige Einkünfte in Höhe von 288 EUR und die Klägerin laut der dem FA vorgelegten Bescheinigung "EU/EWR" Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 12 697 EUR erzielt. Diese Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit unterlagen nach dem im Klageverfahren eingereichten Steuerbescheid der Klägerin nur in Höhe von 10 775,52 EUR der österreichischen Besteuerung. Ob dieser Umstand, der aus der vorgelegten Bescheinigung nicht ersichtlich ist, zugunsten der Kläger berücksichtigt werden kann, oder ob von den in der Bescheinigung ausgewiesenen Einkünften in Höhe von 12 697 EUR auszugehen ist, kann offenbleiben. Denn die Klage kann auch dann keinen Erfolg haben, wenn man berücksichtigt, dass von den bescheinigten Einkünften lediglich 10 775,52 EUR in Österreich steuerpflichtig waren. Nach den Feststellungen des FG beruht dies darauf, dass nach österreichischem Einkommensteuerrecht ein 13. und 14. Monatsgehalt steuerfrei sind und die von der Klägerin getragenen Sozialabgaben als Werbungskosten abgezogen werden können. Bei unterstellter inländischer Besteuerung hätte die Klägerin jedoch Einkünfte in Höhe von 12 697 EUR erzielt, da nach deutschem Einkommensteuerrecht Sozialabgaben nicht als Werbungskosten abziehbar und ein 13. und 14. Monatsgehalt nicht steuerfrei sind. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2008 liegen daher nicht vor.

Die Kläger haben danach im Streitjahr insgesamt Einkünfte von 38 356 EUR erzielt (25 371 EUR und 12 985 EUR). Davon unterliegen nur die vom Kläger erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von 25 371 EUR der inländischen Besteuerung. Damit liegt zum einen der Anteil der inländischen Einkünfte beider Ehegatten an den Gesamteinkünften unter 90 v.H., zum anderen ist auch die absolute Grenze des § 1 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG 2002 von 12 272 EUR überschritten. Eine Zusammenveranlagung ist daher nicht möglich.

3.

Gegen dieses Ergebnis bestehen keine europarechtlichen Bedenken.

Die Kläger werden zwar gegenüber Ehegatten, die beide unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind, ungleich behandelt, weil sie nicht zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden können. Sie werden hierdurch aber nicht diskriminiert, weil sie sich nicht in einer vergleichbaren Situation wie im Inland wohnhafte Ehegatten befinden.

a)

Im Hinblick auf die direkten Steuern befinden sich in einem Mitgliedstaat ansässige Personen und Gebietsfremde in der Regel nicht in einer vergleichbaren Situation, weil die Einkünfte, die ein Gebietsfremder im Hoheitsgebiet eines Staates erzielt, meist nur einen Teil seiner Gesamteinkünfte darstellen, deren Schwerpunkt in seinem Wohnort liegt, und weil die persönliche Steuerkraft des Gebietsfremden, die sich aus der Berücksichtigung seiner Gesamteinkünfte sowie seiner persönlichen Lage und seines Familienstandes ergibt, am leichtesten an dem Ort beurteilt werden kann, an dem der Mittelpunkt seiner persönlichen Interessen und seiner Vermögensinteressen liegt; dieser Ort ist in der Regel der ständige Aufenthaltsort des Betroffenen.

Versagt ein Mitgliedstaat Gebietsfremden bestimmte Steuervergünstigungen, die er Gebietsansässigen gewährt, so ist dies in Anbetracht der objektiven Unterschiede zwischen der Situation der Gebietsansässigen und derjenigen der Gebietsfremden sowohl hinsichtlich der Einkunftsquelle als auch hinsichtlich der persönlichen Steuerkraft oder der persönlichen Lage und des Familienstandes in der Regel nicht diskriminierend (EuGH-Urteil vom 14. September 1999 Rs. C-391/97 "Gschwind", EuGHE I 1999, 5451, BStBl II 1999, 841).

Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Gebietsfremde in seinem Wohnsitzstaat keine nennenswerten Einkünfte hat und sein zu versteuerndes Einkommen im Wesentlichen aus einer Tätigkeit bezieht, die er im Beschäftigungsstaat ausübt. In diesem Falle ist der Wohnsitzstaat nämlich nicht in der Lage, ihm die Vergünstigungen zu gewähren, die sich aus der Berücksichtigung seiner persönlichen Lage und seines Familienstandes ergeben, so dass zwischen der Situation eines solchen Gebietsfremden und der eines Gebietsansässigen, der eine vergleichbare nichtselbständige Beschäftigung ausübt, kein objektiver Unterschied besteht, der eine Ungleichbehandlung hinsichtlich der Berücksichtigung der persönlichen Lage und des Familienstandes des Steuerpflichtigen bei der Besteuerung rechtfertigen könnte. Entsprechendes gilt für einen verheirateten Gebietsansässigen, der im Wesentlichen das Familieneinkommen im Beschäftigungsstaat bezieht, dessen einkommensloser Ehegatte aber in einem anderen Mitgliedstaat wohnt. In diesem Fall darf ihn der Beschäftigungsstaat nicht wie einen ledigen Steuerpflichtigen ohne Familienunterhaltslasten behandeln (EuGH-Urteil vom 16. Mai 2000 Rs. C-87/99 "Zurstrassen", EuGHE I 2000, 3337).

b)

Im Streitfall liegt eine derartige Ausnahmesituation nicht vor. Die Kläger erzielen fast ein Drittel des Familieneinkommens in Österreich. Der Kläger ist auf seinen Antrag hin als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig i.S. des § 1 Abs. 3 EStG 2002 behandelt worden. Die Unterhaltslasten gegenüber Kindern und sein persönliches Existenzminimum (§ 32a EStG) wurden hierdurch berücksichtigt. Die Klägerin erzielt in Österreich Einkünfte, die auch nach österreichischem Recht ermittelt erheblich höher sind als der das Existenzminimum abgeltende Grundfreibetrag des § 32a EStG. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass den persönlichen Verhältnissen der Ehefrau, die durch die Einzelveranlagung des Klägers noch nicht berücksichtigt wurden, vom österreichischen Staat hinreichend Rechnung getragen werden kann.

Das EuGH-Urteil "Meindl" in EuGHE I 2007, 1107 steht dem nicht entgegen. In diesem Fall hatte der Ehemann das gesamte Familieneinkommen in Deutschland erzielt; die Ehefrau hatte keine steuerpflichtigen Einkünfte, sondern nur Lohnersatzleistungen in Österreich bezogen, die bei unterstellter inländischer Steuerpflicht ebenfalls steuerfrei gewesen wären. Österreich konnte daher die persönlichen Verhältnisse der Ehegatten mangels steuerpflichtiger Einkünfte nicht berücksichtigen. Demgegenüber hat die Klägerin jedoch in Österreich etwa ein Drittel des Familieneinkommens und weitaus höhere Einkünfte als den Grundfreibetrag erwirtschaftet, so dass ihrem existenziellen Grundbedarf durch die österreichische Besteuerung Rechnung getragen werden kann. Entgegen der Auffassung der Kläger ist dem EuGH-Urteil in EuGHE I 2007, 1107 nicht zu entnehmen, dass die Höhe der Einkünfte nach ausländischem Recht ermittelt werden müsste. Maßgeblich ist vielmehr, ob den persönlichen Verhältnissen der Ehegatten, soweit sie vom Beschäftigungsstaat nicht berücksichtigt werden, im Ansässigkeitsstaat Rechnung getragen werden kann. Dies ist bei der Höhe der von der Klägerin erzielten Einkünfte der Fall.

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