Normen
§ 6 KStG 1951
§ 17 KStG 1951
§ 17 KStDV 1951
Gründe
Die Beschwerdeführerin (Bfin.) betreibt den Textilgroßhandel. Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer ist der Kaufmann A. Seit August 1948 hatte er laufend Beträge entnommen, die die Bfin. als Darlehen an den Gesellschafter verbuchte. Sie betrugen am 31. Dezember 1948 = 5 000 DM, am 31. Dezember 1949 = 31 000 DM und am 31. Dezember 1950 = 43 500 DM. Im Laufe des Jahres 1951 erhöhten sie sich auf 54 000 DM. Zum 31. Dezember 1951 bereinigte die Bfin. nach ihrer Angabe die Bilanz in der Weise, daß die Darlehen als Kapitalentnahmen des Gesellschafters behandelt und über das gemäß § 35 des D-Markbilanzgesetzes (DMBG) gebildete DM-Bilanzrücklagekonto ausgebucht wurden.
Das Finanzamt behandelte in der vorläufigen Körperschaftsteuer-Veranlagung 1951 die Ausbuchung der Darlehen von 54 000 DM als eine verdeckte Gewinnausschüttung an den Gesellschafter. Da die Bfin. für 1951 einen Verlust auswies, nahm das Finanzamt wegen der verdeckten Gewinnausschüttung eine Mindestbesteuerung nach § 17 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) vor. Das Finanzgericht folgte dem Finanzamt.
Die Prüfung der Rechtsbeschwerde ergibt folgendes:
Erhält ein Gesellschafter unter der Bezeichnung "Darlehen" Beträge von seiner Gesellschaft, so kann es sich um echte Darlehen handeln, wie sie auch zwischen Fremden im Wirtschaftsleben vorkommen (vgl. Urteile des Senats I 195/55 U vom 8. November 1955 - Bundessteuerblatt (BStBl) 1955 III S. 391, Slg. Bd. 61 S. 499-, I 103/53 U vom 6. Dezember 1955 - BStBl 1956 III S. 80, Slg. Bd. 62 S. 214 -, Urteil des Reichsfinanzhofs VI 696/37 vom 23. Februar 1938 - Reichssteuerblatt (RStBl) 1938 S. 507, Bd. 43 S. 239 -). Das ist insbesondere der Fall, wenn die Beträge dem Gesellschafter nur zur vorübergehenden Verwendung überlassen werden und mit der Rückzahlung sicher gerechnet wird (§ 607 BGB). Für die Frage der Rückzahlung ist insbesondere bedeutsam, zu welchem Zweck die Beträge entnommen und ob über die Rückzahlung Vereinbarungen getroffen und eingehalten worden sind. Die Verzinslichkeit gehört nicht zum Wesen eines Darlehens. Wird dem Gesellschafter ein ernsthaftes Darlehen gegeben, ohne daß eine Verzinsung vereinbart ist, so liegt, da die Verzinsung im Wirtschaftsleben üblich ist, in der Zinslosigkeit in der Regel ein besonderer Vorteil, den die Gesellschaft ihrem Gesellschafter gewährt; in dem Verzicht auf einen angemessenen Zins liegt dann eine verdeckte Gewinnausschüttung der Gesellschaft an den Gesellschafter.
Nicht selten werden Entnahmen aus der Gesellschaft aber nur als "Darlehen" bezeichnet. Eine Rückzahlung ist von vornherein nicht ernsthaft beabsichtigt. Die Bezeichnung "Darlehen" wird nur gewählt, um den Sachverhalt zu verschleiern und eine Einkommensbesteuerung der Entnahmen beim Gesellschafter auf unabsehbare Zeit hintanzuhalten. Solche Fälle kommen im Wirtschaftsleben besonders bei Kapitalgesellschaften vor, bei denen nur eine Person (sogenannte Einmanngesellschaften) oder nur nächste Familienangehörige (sogenannte Familiengesellschaften) Gesellschafter sind. Hier wird die Gesellschaft von den Gesellschaftern gewöhnlich wie ein ihnen gehörendes Personenunternehmen behandelt. Geben solche Gesellschaften ihren Gesellschaftern "Darlehen", so besteht für die Finanzbehörden Anlaß, im Einzelfall zu prüfen, ob die "Darlehen" wirklich wirtschaftlich und rechtlich den Charakter von Darlehen haben oder ob sie nicht von vornherein Gewinnausschüttungen sind. Ein Maßstab bei dieser Prüfung ist, ob die Gesellschaft auch einem Fremden, der nicht ihr Gesellschafter ist, unter sonst gleichen Verhältnissen ein Darlehen zu geben bereit wäre (Urteile des Reichsfinanzhofs VI A 766/34 vom 14. September 1935, RStBl 1936 S. 107, VI 696/37 a.a.O.). Im Wirtschaftsleben ist bei der Gewährung von Darlehen wesentlich, daß das Darlehen in angemessener Frist zurückgezahlt wird und die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Darlehnsnehmers Sicherheit für die Rückzahlung bieten. Ein wirtschaftlich handelnder Mensch ist nicht bereit, einem anderen auf unabsehbare Zeit ohne Sicherheit und vielleicht gar zinslos fortgesetzt steigende Beträge als Darlehen zu geben, die der andere zum Lebensunterhalt im weitesten Sinn verwendet und infolgedessen wahrscheinlich nicht zurückzahlen kann. In solchen Fällen kann die Gewährung der "Darlehen" nur aus den nahen Beziehungen des Gesellschafters zu seiner Gesellschaft erklärt werden. Hier liegt die Gewinnausschüttung schon in der Hingabe der Beträge; sie wirkt sich im Jahr der Hingabe der Beträge aus.
Es ist aber auch möglich, daß ein von der Gesellschaft hingegebener Betrag zunächst ein echtes Darlehen ist, aber im Laufe der Zeit zu erkennen ist, daß mit der Rückzahlung nicht mehr zu rechnen ist. Hier liegt die Gewinnausschüttung in dem Verzicht auf die Rückzahlung des Darlehens (Erlaß der Darlehnsforderung). Vgl. dazu Urteil des Reichsfinanzhofs VI 696/37 a.a.O. Der Vorgang ist in dem Jahr zu berücksichtigen, in dem der Verzicht als vollzogen zu betrachten ist.
Ob ein von der Gesellschaft hingegebener und als Darlehen bezeichneter Betrag bei wirtschaftlicher Betrachtung von vornherein eine Gewinnausschüttung ist oder im Laufe der Zeit den Charakter einer Gewinnausschüttung annimmt, ist im wesentlichen eine Frage der tatsächlichen Feststellung, die unter Berücksichtigung aller Umstände zu treffen ist. Je mehr aber die Interessen der Gesellschaft und ihrer Gesellschafter steuerlich miteinander verflochten sind, um so mehr muß verlangt werden, daß die Beteiligten klare Verhältnisse schaffen und in Zweifelsfällen durch Anführung von Tatsachen zur Aufklärung beitragen.
Im Streitfall hat die Bfin. ihrem Alleingesellschafter ständig steigende Darlehen gegeben, obgleich sie erhebliche Verluste hatte. Ob ernsthafte Rückzahlungsvereinbarungen getroffen und durchgeführt worden sind, lassen die Akten nicht erkennen. Ebensowenig ist zu ersehen, zu welchem Zweck der Gesellschafter die als Darlehen bezeichneten Beträge entnommen hat. Es besteht die Möglichkeit, daß schon die laufende Hingabe der Beträge verdeckte Gewinnausschüttungen waren, die verdeckte Gewinnausschüttung also nicht, wie die Vorinstanzen angenommen haben, erst in der Ausbuchung der Darlehen lag. Die Frage, in welchem Jahr die Ausschüttungen vorgenommen worden sind, kann auch für die Körperschaftsteuer bedeutsam sein, insbesondere dafür, für welche Jahre eine Mindestbesteuerung vorzunehmen ist, für die Berechnung des Mindesteinkommens und für den anzuwendenden Steuersatz.