BFH

BFHVII R 26/017.5.2002

§ 118 Abs. 2 FGO

 

Gründe

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ließ am 17. Januar 1997 durch eine Spedition eine aus den USA eingeführte Filmkamera mit Zubehör beim Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt --HZA--) zur Überführung in die aktive Veredelung (Ausbesserung) anmelden. Das HZA entsprach dem Antrag, sicherte die Nämlichkeit und setzte die Wiederausfuhr auf den 17. Juli 1997 fest. Mit Schreiben vom 15. Juli 1997 teilte die Spedition dem HZA mit, dass die betreffenden Waren bereits am 11. März 1997 wieder ausgeführt worden seien. Die Ausfuhr sei ausfuhrrechtlich wie ein Verkauf ins Ausland abgewickelt worden. Mit dem angefochtenen Steuerbescheid vom 28. Juli 1997 forderte das HZA von der Klägerin die Einfuhrabgaben (Zoll, Einfuhrumsatzsteuer und Ausgleichszinsen) an. Der Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 9. September 1997) dagegen blieb erfolglos.

Auf die Klage hin hob das Finanzgericht (FG) den Steuerbescheid und die Einspruchsentscheidung antragsgemäß insoweit auf, als darin der Zoll festgesetzt worden war. Es führte im Einzelnen aus, eine Steuerschuld sei weder nach Art. 203 noch nach Art. 204 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex --ZK--) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 302/1) entstanden.

Eine Zollschuld nach Art. 204 Abs. 1 Buchst. a oder Buchst. b ZK sei nicht entstanden. Zwar liege eine Pflichtverletzung hinsichtlich der zum Veredelungsverkehr abgefertigten Waren vor, weil diese nicht zur Ausfuhr (als Gemeinschaftswaren) hätten angemeldet werden dürfen, sondern zur Wiederausfuhr (als Nichtgemeinschaftswaren) hätten angemeldet werden müssen. Diese Verfehlung habe sich aber nicht wirklich auf die Abwicklung des betreffenden Zollverfahrens ausgewirkt. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin die betreffenden Waren der zollamtlichen Überwachung habe entziehen wollen oder grob fahrlässig gehandelt habe, seien weder vorgetragen worden noch seien solche ersichtlich.

Eine Zollschuld sei auch nicht nach Art. 203 Abs. 1 ZK durch Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung entstanden, insbesondere auch nicht deswegen, weil die Waren als Gemeinschaftswaren zur Ausfuhr angemeldet worden sind. Die in Art. 865 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (Zollkodex-Durchführungsverordnung --ZKDVO--) der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 253/1) festgelegte Annahme, dass eine Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung vorliege, wenn eine Nichtgemeinschaftsware fälschlicherweise als Gemeinschaftsware angemeldet werde, gelte dann nicht, wenn die zollamtliche Überwachung durch die unzutreffende Anmeldung nicht --auch nicht künftig-- unterbrochen oder aufgehoben werde und die Falschanmeldung keine Auswirkungen auf die Zollbehandlung der betreffenden Ware habe. Dies sei der Fall, wenn Nichtgemeinschaftswaren fälschlicherweise als Gemeinschaftswaren zur Ausfuhr angemeldet, anschließend unverzüglich und endgültig aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht und Zollbelange durch den Umstand, dass sie als Gemeinschaftswaren angemeldet worden sind, in keiner Weise berührt würden.

Mit der Revision rügt das HZA eine unrichtige Anwendung der Art. 203 ZK i. V. m. Art. 865 ZKDVO und der Art. 204 ZK i. V. m. Art. 859 ZKDVO.

Es beantragt,

die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie teilt die Beurteilung der Sache durch das FG. Es stelle sich die Frage, ob ein Schreibfehler (falsche Angabe des Verfahrenscodes für die Ausfuhr statt für die Wiederausfuhr) auf der Anmeldung das Vorliegen einer Entziehung begründen könne, wenn feststehe, dass die Filmkamera nach erfolgter Reparatur wieder ausgeführt worden sei. Das HZA lege Art. 865 ZKDVO fehlerhaft aus. Es stelle zu Unrecht die Behauptung auf, dass für Luftverkehrsgesellschaften eine falsche Zollanmeldung unter bestimmten Voraussetzungen kein endgültiges Entziehen bedeuten würde. Das Wort "endgültig" sei jedoch in dieser Vorschrift überhaupt nicht genannt. Außerdem ergebe sich aus dieser Vorschrift auch nicht, dass ein Fehler beim Ausfüllen eines Formulars nicht berichtigt werden könne. Die Vorschrift habe lediglich für solche Fälle Bedeutung, in denen eine fehlerhafte Anmeldung nicht berichtigt werde. Dies sei aber hier nicht der Fall.

Außerdem komme Art. 865 ZKDVO nur zur Anwendung, wenn die falsche Zollanmeldung zur Folge habe, dass der Ware fälschlicherweise der Status einer Gemeinschaftsware zuerkannt werde. Bei der Kamera handele es sich aber um eine Gemeinschaftsware. Sollte deshalb der Schreibfehler bei der Zollanmeldung tatsächlich eine Einfuhr zur Folge haben, so würde es sich um eine zollfreie Einfuhr handeln. Im Übrigen regele Art. 251 Nr. 1 ZKDVO sogar, dass in Fällen, in denen die Waren auf Grund eines Irrtums in ein Zollverfahren, das die Verpflichtung zur Entrichtung von Einfuhrabgaben enthält, statt in ein anderes Zollverfahren übergeführt worden sind, die Zollanmeldung für ungültig erklärt werden kann, sofern die Waren nicht anders verwendet worden sind, als es in dem Zollverfahren, in das die Waren hätten übergeführt werden sollen, vorgesehen ist. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall eindeutig erfüllt, so dass eine Berichtigung der Zollanmeldung möglich sei.

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Das FG hat rechtsfehlerhaft das Entstehen einer Zollschuld durch Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung für die eingeführten, in die aktive Veredelung übergeführten Waren verneint.

Die Zollschuld ist nach Art. 203 Abs. 1 ZK i. V. m. Art. 865 Unterabs. 1 ZKDVO entstanden.

a) Nach Art. 203 Abs. 1 ZK entsteht eine Einfuhrzollschuld, wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird. Nach Art. 865 Unterabs. 1 ZKDVO stellt die Zollanmeldung einer Ware ein Entziehen der Ware aus der zollamtlichen Überwachung dar, wenn sie zur Folge hat, dass der Ware fälschlicherweise der zollrechtliche Status einer Gemeinschaftsware zuerkannt wird.

b) Bei den eingeführten, in den aktiven Veredelungsverkehr zwecks Ausbesserung (Art. 114 Abs. 2 Buchst. c Anstrich 3 ZK) übergeführten Waren handelte es sich nicht um Gemeinschaftswaren. Was Gemeinschaftswaren sind, ist in Art. 4 Nr. 7 ZK definiert. Danach sind aus nicht zum Zollgebiet der Gemeinschaft gehörenden Ländern oder Gebieten eingeführte Waren nur dann Gemeinschaftswaren, wenn sie in den freien Verkehr übergeführt worden sind (Art. 4 Nr. 7 Anstrich 2 ZK). Diese Voraussetzung ist bei den im Streitfall in das Zollgebiet eingeführten Waren nicht erfüllt, weil sie zum aktiven Veredelungsverkehr, einem Nichterhebungsverfahren (Art. 84 Abs. 1 Buchst. a Anstrich 3 ZK), abgefertigt worden sind (Art. 313 Abs. 2 Buchst. c ZKDVO).

c) Die Einfuhrzollschuld ist für die Nichtgemeinschaftswaren gemäß Art. 865 Unterabs. 1 ZKDVO entstanden, weil diese im Anschluss an den aktiven Veredelungsverkehr nicht, wie das nach Art. 118, 182 Abs. 1 Anstrich 1 ZK, Art. 577, 578 ZKDVO a. F. erforderlich gewesen wäre, als Nichtgemeinschaftswaren zur Wiederausfuhr nach aktiver Veredelung, sondern zur Ausfuhr als Gemeinschaftswaren (Art. 161 ZK) angemeldet worden sind. Das ergibt sich aus dem im Einheitspapier, mit dem die Waren zur Ausfuhr angemeldet wurden, in Feld 37 angegebenen Verfahrenscode 1000 0, aus dem hervorgeht, dass die Waren als Gemeinschaftswaren ausgeführt werden sollten (s. Vorschriftensammlung Bundesfinanzverwaltung Z 34 55 Abschn. C - Teil I). Dies hatte zur Folge, dass keine Anmeldung zur Beendigung des aktiven Veredelungsverkehrs verlangt wurde und die Waren auf dem für die Beförderung nach Zürich ausgestellten Luftfrachtbrief als Gemeinschaftswaren mit der Kurzbezeichnung "C" gekennzeichnet wurden (Art. 444 Abs. 11 Buchst. c ZKDVO und Art. 52 Abs. 11 Buchst. c Anlage II des Übereinkommens über ein gemeinsames Versandverfahren, ABlEG 1987 Nr. L 226/2, jeweils in der zum maßgebenden Zeitpunkt geltenden Fassung). Den betreffenden Waren wurde damit der Status einer Gemeinschaftsware zuerkannt mit der Folge, dass dafür die Zollschuld durch Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung entstanden ist (vgl. auch Senatsbeschluss vom 9. November 2000 VII B 101/00, BFH/NV 2001, 498).

Anders als das FG meint, ist es in diesem Zusammenhang unerheblich, dass die Waren aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft ausgeführt worden sind. Da die Waren als Gemeinschaftswaren ausgeführt wurden, könnten sie theoretisch als solche zollfrei wieder in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingeführt werden, wenn ihr Gemeinschaftscharakter auf Grund des Luftfrachtbriefs als Vorpapier mit einem etwa in der Schweiz ausgestellten Versandpapier T2L bzw. Versandschein T2 nachgewiesen oder ihre Rückwareneigenschaft (Art. 185 ZK) belegt würde.

d) Soweit sich die Klägerin im Revisionsverfahren darauf beruft, dass es sich bei der Angabe des Verfahrenscodes für die "Ausfuhr" statt für die "Wiederausfuhr" um einen Schreibfehler gehandelt habe, sieht der Senat dies als neues tatsächliches Vorbringen an, das im Revisionsverfahren nicht mehr berücksichtigt werden kann, weil der Senat an die tatsächlichen Feststellungen des FG gebunden ist (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

e) Die Klägerin kann die Anmeldung der Waren als Gemeinschaftswaren zur Ausfuhr auch nicht dadurch ungeschehen machen, dass sie sie gemäß Art. 251 Nr. 1 ZKDVO für ungültig erklären lässt. Dies scheitert abgesehen davon, dass schon tatbestandsmäßig der in der genannten Bestimmung angesprochene Fall nicht vorliegt, auch daran, dass die Waren nicht mehr, wie nach Art. 251 Nr. 1 Anstrich 3 ZKDVO vorausgesetzt, nach einer etwaigen Ungültigkeitserklärung der Ausfuhranmeldung unverzüglich zu dem Zollverfahren der Wiederausfuhr angemeldet werden könnten, weil sie bereits ausgeführt worden sind und deshalb nicht mehr in das Verfahren der Wiederausfuhr übergeführt werden können.

Entsprechendes gilt, soweit den Ausführungen der Klägerin zu entnehmen sein sollte, dass ihrer Meinung nach die Waren zollfrei zum freien Verkehr hätten abgefertigt werden müssen und dies nachträglich dadurch erreicht werden könne, dass die Anmeldung zum aktiven Veredelungsverkehr für ungültig erklärt wird. Auch insoweit könnte die in Art. 251 Nr. 1 ZKDVO vorgeschriebene Voraussetzung der unverzüglichen Anmeldung zu dem anderen Verfahren (Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr) nicht mehr erfüllt werden, weil die Waren bereits wieder ausgeführt worden sind und sie deshalb nicht mehr in den freien Verkehr im Zollgebiet der Gemeinschaft übergeführt werden könnten.

Der Senat kann es deshalb dahingestellt sein lassen, ob es in diesem Verfahren überhaupt möglich wäre, an Stelle der Zollbehörde eine abgegebene Zollanmeldung für ungültig zu erklären.

f) Die Zollschuld ist in der Person der Klägerin gemäß Art. 203 Abs. 3 Anstrich 1 ZK entstanden. Das HZA hat die Klägerin daher mit Recht für den Zoll in Anspruch genommen. Eine andere hier nicht zu klärende Frage ist, ob ein Erlass der Abgaben nach Art. 239 ZK in Betracht kommt.

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