§ 235 AO 1977
§ 233a AO 1977
§ 162 AO 1977
§ 370 AO 1977
§ 235 Abs. 4 AO 1977
Gründe
I. Streitig ist, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) zu Recht gegen die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) Hinterziehungszinsen auf durch die Eltern hinterzogene Vermögensteuern festgesetzt hat.
Die Klägerin, die zu Lebzeiten der Eltern zusammen mit ihnen zur Vermögensteuer veranlagt worden ist, ist befreite Vorerbin ihrer 1993 verstorbenen Mutter. Diese war Alleinerbin des 1991 vorverstorbenen Vaters. Die Vermögensteuererklärungen bis einschließlich 1989 waren von beiden Eltern unterschrieben und diejenigen für 1990 bis 1992 nur noch von der Mutter. Die Erklärung auf den 1. Januar 1993 hatte der Betreuer der Klägerin unterschrieben. Die Erklärungen für 1985 bis 1988 enthielten keine Angaben über ausländisches Kapitalvermögen, die Erklärungen für 1985 bis 1992 darüber hinaus keine Angaben über Kunstgegenstände und Sammlungen. Die Erklärungen ab 1989 enthielten erstmals Angaben über ausländische Anleihen und diejenigen ab 1990 über ein ausländisches Festgeldguthaben. Erstmals in der Erklärung für 1993 wurden Kunstgegenstände und eine Waffensammlung erwähnt.
Nach dem Tod der Mutter ergab sich, dass zu ihrem Todeszeitpunkt ein bislang nicht erklärtes Wertpapierdepot in Luxemburg mit einem Wert von 910 121 DM bestand und in den Jahren 1992 bis 1994 für 908 000 DM Kunstgegenstände und eine Waffensammlung veräußert worden waren. Dies führte zu einer Neuveranlagung auf den 1. Januar 1985 und zu geänderten Vermögensteuerbescheiden auf den 1. Januar 1986 bis 1. Januar 1993. Dabei hatte das FA das luxemburger Wertpapierdepot auf den 1. Januar 1993 mit 850 000 DM angesetzt und diesen Betrag im Einvernehmen mit dem Betreuer und der steuerlichen Beratung der Klägerin auf die vorausgegangenen Stichtage mit jeweils 6 v. H. abgezinst. Die Kunstgegenstände und die Sammlung bewertete es zu allen Stichtagen bis zum 1. Januar 1992 mit 454 000 DM und zum 1. Januar 1993 mit 204 000 DM. Die Bescheide wurden bestandskräftig.
Anschließend setzte das FA durch Bescheid vom 6. Oktober 1997 gegen die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin ihrer Mutter --und über diese-- auch ihres Vaters gemäß § 235 der Abgabenordnung (AO 1977) Hinterziehungszinsen für hinterzogene Vermögensteuern der Jahre 1985 bis 1993 in Höhe von insgesamt 14 561 DM fest. Dabei war zuvor für die Jahre ab 1989 die Normalverzinsung gemäß § 233a AO 1977 abgezogen worden.
Nach erfolglosem Einspruch wies das Finanzgericht (FG) durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 602 veröffentlichte Urteil vom 17. Februar 2000 die Klage überwiegend ab. Es hob den angefochtenen Zinsbescheid lediglich insoweit auf, als er die auf das Jahr 1993 entfallenden Zinsen in Höhe von 125 DM betraf, weil die Steuererklärung auf den 1. Januar 1993 nicht mehr von den Eltern der Klägerin abgegeben worden war. Das FG war der Ansicht, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BVerfGE 93, 121 , BStBl II 1995, 655) habe der nach 1996 erfolgten Festsetzung von Hinterziehungszinsen für vor 1997 entstandene Vermögensteuern nicht entgegengestanden. Soweit die Erhebung von Hinterziehungszinsen auch den subjektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung voraussetze, könne dieser auch noch bezüglich einer bereits verstorbenen Person festgestellt werden. Das rechtliche Gehör stehe dabei dem jeweiligen (lebenden) Verfahrensbeteiligten zu. Angesichts des bedeutenden Umfangs des hinterzogenen Wertpapierdepots sowie des bedeutenden Werts der Kunstgegenstände und der Waffensammlung sei deren Verschweigen durch die Eltern bzw. allein durch die Mutter vorsätzlich gewesen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass in den Erklärungsvordrucken ausdrücklich nach derartigem Vermögen gefragt worden sei. Wie die Angaben in den Erklärungen ab 1989 zeigten, sei zumindest der Mutter auch bekannt gewesen, das im Ausland angelegtes Kapitalvermögen habe versteuert werden müssen.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, durch die genannte Entscheidung des BVerfG sei die Strafbarkeit einer Steuerhinterziehung nach § 370 AO 1977 entfallen; dass hindere auch die Festsetzung von Hinterziehungszinsen. Denn auch die Hinterziehungszinsen hätten Strafcharakter. Soweit der Strafcharakter der Hinterziehungszinsen mit der Begründung geleugnet werde, die Zinsen dienten lediglich der Abschöpfung des Gewinns, überzeuge dies nicht. Denn es werde weder geprüft, ob ein Gewinn erzielt worden sei, noch werde ggf. dessen Höhe ermittelt. Derartige "Strafzinsen" verstießen gegen den Grundsatz "nulla poena sine lege" sowie gegen Art. 6 und 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).
Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter teilweiser Aufhebung der Vorentscheidung den Bescheid über die Festsetzung von Hinterziehungszinsen vom 6. Oktober 1997 sowie die Einspruchsentscheidung vom 10. Dezember 1998 vollen Umfangs aufzuheben.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
II. Die Revision ist unbegründet.
1. Soweit die Klägerin geltend macht, der Beschluss des BVerfG in BVerfGE 93, 121 , BStBl II 1995, 655 bewirke, dass Zuwiderhandlungen gegen das Vermögensteuerrecht, die sich auf vor 1997 verwirklichte Steuertatbestände bezögen, nach 1996 strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden könnten, unterliegt sie einem Rechtsirrtum. Wie der erkennende Senat mit Urteil vom 24. Mai 2000 II R 25/99 (BFHE 191, 240, BStBl II 2000, 378) entschieden hat, können derartige Zuwiderhandlungen nach wie vor verfolgt und auf die dadurch hinterzogenen Vermögensteuern auch Hinterziehungszinsen festgesetzt werden. Zur Begründung im Einzelnen wird dazu auf dieses Urteils Bezug genommen. Die gegen das Urteil eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG durch Beschluss vom 10. Mai 2001 1 BvR 1242/00 nicht zur Entscheidung angenommen.
2. Das FG hat auch zu Recht festgestellt, dass die Eltern der Klägerin bzw. nur deren Mutter bezogen auf die streitigen Vermögensteuerzeiträume den Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 AO 1977) erfüllt haben. Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen setzt zwar nicht die Bestrafung des Täters voraus, verlangt aber, dass der objektive und subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt sind und kein Schuldausschließungsgrund vorliegt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 2. April 1998 V R 60/97, BFHE 186, 1 , BStBl II 1998, 530). Das FG hat angenommen, dass die Eltern bzw. später nur die Mutter sowohl den objektiven als auch den subjektiven Tatbestand der Vermögensteuerhinterziehung für die streitigen Zeiträume erfüllt haben.
a) Die Feststellungen, die das FG zur Annahme des objektiven Hinterziehungstatbestandes veranlasst haben, sind von der Klägerin nicht angegriffen worden. Die Feststellungen sind ausreichend. Das FG durfte bei seiner Tatsachenwürdigung berücksichtigen, dass zwischen dem FA und den Vertretern der Klägerin im Besteuerungsverfahren Einvernehmen darüber bestand, dass sich das luxemburger Depot sowie die Kunstgegenstände und die Waffen während des gesamten verbliebenen Zeitraums von 1985 bis 1992 im Vermögen der Eltern befunden haben und dass die darauf beruhenden (geänderten) Vermögensteuerbescheide nicht angefochten worden sind. Auch soweit das FG im Ergebnis der Methode, nach der das FA die Höhe des zu den einzelnen Stichtagen hinterzogenen Vermögens geschätzt hat, gefolgt ist, ist dies nicht zu beanstanden. Im Rahmen der Prüfung, ob eine Steuerhinterziehung vorgelegen hat, können zur Ermittlung der verkürzten Steuern die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO 1977 geschätzt werden (vgl. Kohlmann, Steuerstrafrecht, Kommentar, 7. Aufl. , Stand November 2000, § 370 AO 1977 Anm. 157).
b) Die gegen die Annahme des Hinterziehungsvorsatzes vorgebrachten Einwendungen der Klägerin sind unbegründet. Die Eltern der Klägerin bzw. später nur deren Mutter haben jährlich Vermögensteuererklärungen abgegeben und darin umfangreiches Vermögen erklärt. Ab 1989 ist auch ein Teil des im Ausland angelegten Kapitalvermögens erklärt worden. Die Eltern haben daher gewusst, dass nicht nur inländisches, sondern auch ausländisches Vermögen anzugeben ist. Den Eltern war auch bekannt, dass sie erhebliches Vermögen im Ausland angelegt hatten. Es gibt keinen Grund für die Annahme, das nicht erklärte Vermögen sei lediglich vom Vater ohne Wissen der Mutter gebildet und --soweit es Geldvermögen betrifft-- in Luxemburg angelegt worden. Ab Mitte 1991 ist die Mutter überdies alleinige Inhaberin dieses Vermögens gewesen. Schuldausschließungsgründe werden von der Klägerin nicht geltend gemacht; für das Vorliegen solcher Gründe gibt es auch keine Anhaltspunkte.
3. Wie der BFH unter Bezugnahme auf eine seit langem bestehende Rechtsprechung nochmals mit Urteil vom 27. April 1991 VIII R 84/89 (BFHE 165, 330, BStBl II 1992, 9) entschieden hat, kann zu dem Zweck, Steuern oder steuerliche Nebenleistungen festzusetzen, auch noch nach dem Tod der Steuerpflichtigen festgestellt werden, dass sie den Tatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht haben. Darin liegt keine Verurteilung der Täter postum; diese gelten auch nicht im Nachhinein als vorbestraft. Das Recht auf Gehör gemäß Art. 103 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) i. V. m. § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) steht in derartigen Fällen den am Verfahren Beteiligten --im Streitfall der Klägerin-- zu (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 165, 330, BStBl II 1992, 9, 11).
Die Festsetzung der Hinterziehungszinsen hat entgegen der Ansicht der Klägerin auch keinen Strafcharakter. Ebenso wie die nachträgliche Erhebung der hinterzogenen Steuern dient auch die Festsetzung der Hinterziehungszinsen lediglich der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Sie soll den Vorteil ausgleichen, der in der verspäteten Zahlung der hinterzogenen Steuern liegt. Der Vorteilsausgleich wird durch die im Übrigen erst durch das Steuerreformgesetz (StRG 1990) vom 25. Juli 1988 (BStBl I, 1093) eingeführte Normalverzinsung nach § 233a AO 1977 allein, schon wegen des unterschiedlichen Beginns des Zinslaufs, nicht erreicht. Durch die Anrechnungsvorschrift des § 235 Abs. 4 AO 1977 sowie durch die Regelung des Abs. 3 Satz 2 der Vorschrift, wonach für eine Zeit, für die Säumniszuschläge verwirkt sind, Hinterziehungszinsen nicht erhoben werden dürfen, ist aber sichergestellt, dass es nicht zu einem mehrfachen Ansatz des Zinsvorteils kommt. Der Vorteil wird dabei ebenso wie bei der Normalverzinsung nach § 233a AO 1977 in typisierender Weise bemessen. Aufgrund dessen ist die Berufung darauf, dass tatsächlich kein entsprechender Liquiditätsvorteil erzielt wurde, ausgeschlossen (so BFH-Urteil vom 20. September 1995 X R 86/94, BFHE 178, 555, BStBl II 1996, 53). Bereits diese Gleichartigkeit der Zinssätze sowohl für die Hinterziehungszinsen als auch für die Zinsen nach § 233a AO 1977 zeigt, dass von einem Strafcharakter der Hinterziehungszinsen nicht gesprochen werden kann.
4. Art. 6 und 7 Abs. 1 EMRK sind nicht berührt. Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen unterfällt nicht dem Begriff der strafrechtlichen Anklage i. S. des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK. Ihr kommt auch bei weiter Auslegung kein Strafcharakter im Sinne der EMRK zu (vgl. dazu auch BFH-Urteil in BFHE 165, 330, BStBl II 1992, 9, 12). Aus demselben Grund ist auch Art. 7 Abs. 1 EMRK nicht einschlägig.