Normen
§ 22 Nr. 3 EStG
Gründe
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist als Rechtsnachfolger seines verstorbenen Vaters Eigentümer eines bebauten Grundstücks, für das das Grundbuch unter anderem auf die im Servitutenbuch eingetragenen vor dem 1. Januar 1900 geregelten Rechtsverhältnisse zu den Nachbargrundstücken verweist. Nach dieser Eintragung im Servitutenbuch durfte aufgrund einer Übereinkunft der früheren Eigentümer der Stall des Nachbargrundstücks "dicht" an das heute dem Kläger gehörende Grundstück "angebaut" werden. Dafür hatte sich der Eigentümer des Nachbargrundstücks verpflichtet, diesen Bau, der eine bestimmte Höhe nicht überschreiten durfte, nie zu erhöhen und keine Änderungen vorzunehmen, die das Lichtrecht des heute dem Kläger gehörenden Grundstücks beeinträchtigen.
Nachdem der Vater des Klägers von einem Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück erfahren hatte, wandte er dagegen ein, durch den geplanten Bau, der höher sei als sein eigenes Gebäude, sei ein ausreichender Lichteinfall in den Räumen seines Dachgeschosses nicht mehr gewährleistet. Dem Vorhaben stünden der Bebauungsplan und privatrechtliche Einwendungen aufgrund der Eintragung im Servitutenbuch entgegen. Daraufhin erhoben die Eigentümer des Nachbargrundstücks vor dem Landgericht Feststellungsklage, dass sie durch eine Servitutenlast nicht gehindert seien, ihr Grundstück mit einem Grenzbau zu versehen. Schließlich schlossen die Eigentümer des Nachbargrundstücks mit dem Vater des Klägers eine Vereinbarung, nach der dieser sich gegen Zahlung von 200 000 DM verpflichtete, keine Einwendungen mehr gegen das Baugesuch zu erheben, und auf etwaige dem Bauvorhaben entgegenstehende zivilrechtliche Ansprüche verzichtete. Die Eintragungen im Grundbuch und im Servitutenbuch blieben unverändert.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erfasste den Betrag von 200 000 DM als Einkünfte gemäß § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 1022).
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 22 Nr. 3 EStG.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und unter Abänderung des Einkommensteuerbescheids 1993 vom 19. Februar 1996 die Einkommensteuer auf 20 648 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Aus der Vergleichsvereinbarung und ihrem Vollzug könne nicht auf die Veräußerung oder Aufgabe des Servituts geschlossen werden. Der Vergleich wirke nur zwischen den Vertragsparteien und enthalte keine Verpflichtung zur Löschung des Servituts. Der Vater des Klägers habe lediglich auf die Geltendmachung des Servituts verzichtet. Es sei auch tatsächlich nicht gelöscht worden und stehe einem neuen Eigentümer wieder uneingeschränkt zu.
II.
Die Revision ist begründet. Nach § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Klage stattzugeben. Das FG hat zu Unrecht die vom Vater des Klägers empfangene Zahlung von 200 000 DM als sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 3 EStG beurteilt.
1. Nach § 22 Nr. 3 Satz 1 EStG sind sonstige Einkünfte (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 EStG) Einkünfte aus Leistungen, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 EStG) noch zu den Einkünften i. S. von § 22 Nr. 1, 1a, 2 oder 4 EStG gehören, z. B. Einkünfte aus gelegentlichen Vermittlungen und aus der Vermietung beweglicher Gegenstände.
a) Eine (sonstige) Leistung i. S. von § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Unterlassen oder Dulden, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann und das um des Entgelts willen erbracht wird; ausgenommen sind Veräußerungsvorgänge oder veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich, bei denen ein Entgelt dafür erbracht wird, dass ein Vermögensgegenstand in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird (ständige Rechtsprechung, z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. November 1997 X R 124/94, BFHE 184, 540 , BStBl II 1998, 133, m. w. N. ; vom 14. September 1999 IX R 89/95, BFH/NV 2000, 423). Der Gesetzgeber hat eine abschließende --positive und negative-- Regelung für die Besteuerung von Vorgängen im Bereich der Umschichtung von Sachen und Rechten des Privatvermögens getroffen. Diese Vorgänge sollen nur dann der Einkommensteuer unterliegen, wenn die Voraussetzungen des § 23 EStG (ggf. § 22 Nr. 1 oder § 17 EStG) vorliegen (BFH-Urteil vom 5. August 1976 VIII R 117/75, BFHE 120, 182, BStBl II 1977, 27).
Ob eine Zahlung als Entgelt für eine sonstige Leistung oder für die endgültige Aufgabe eines Vermögenswerts in seiner Substanz zu qualifizieren ist, richtet sich nach dem wirtschaftlichen Gehalt der zugrunde liegenden Leistungen. Entscheidend ist dabei nicht, wie die Parteien diese Leistungen benannt, sondern was sie nach dem Gesamtbild der wirtschaftlichen Verhältnisse wirklich gewollt und tatsächlich bewirkt haben (BFH-Urteile vom 5. August 1976 VIII R 97/73, BFHE 120, 180, BStBl II 1977, 26; vom 26. Oktober 1982 VIII R 83/79, BFHE 138, 177, BStBl II 1983, 404; vom 10. August 1994 X R 42/91, BFHE 175, 362, BStBl II 1995, 57; in BFHE 184, 540 , BStBl II 1998, 133; in BFH/NV 2000, 423).
b) Ist der Steuerpflichtige als Grundstückseigentümer Inhaber eines dinglichen Rechts an einem Nachbargrundstück, dessen Bebaubarkeit dadurch eingeschränkt wird, und verzichtet er gegen Entgelt endgültig auf dieses Recht, so gehört das Entgelt nicht zu den Einkünften gemäß § 22 Nr. 3 EStG. Es handelt sich um eine nicht steuerbare private Vermögensumschichtung. Das Recht am Nachbargrundstück steht zwar nur dem Steuerpflichtigen als Grundstückseigentümer zu und kann nicht losgelöst von seinem Grundstück übertragen werden. Es handelt sich aber um eine vermögenswerte Rechtsposition, die --über das Eigentum am eigenen Grundstück hinaus-- ein zusätzliches dingliches Recht am Nachbargrundstück umfasst und dessen Bebauung beschränkt. Dieses dingliche Recht am Nachbargrundstück, das gesondert begründet und aufgehoben werden kann, ist ein selbstständiges Wirtschaftsgut, dessen Aufgabe gegen Entgelt einen veräußerungsähnlichen Vorgang darstellt.
c) Ein solches dingliches Recht am Nachbargrundstück ergibt sich im Streitfall aus der vom FG festgestellten Eintragung im Servitutenbuch. Das Servitut ist eine nach gemeinem Recht entstandene Grunddienstbarkeit, die seinerzeit durch formlosen Vertrag begründet werden konnte (Staudinger/Hönle, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 13. Bearbeitung 1998, Art. 184 EGBGB Rn. 5, m. w. N. ). Sie ist nach dem In-Kraft-Treten des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) mit ihrem früheren Inhalt und Rang bestehen geblieben; für ihre Ausübung gelten nunmehr die Vorschriften der §§ 1020 bis 1028 BGB (Art. 184 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch --EGBGB--).
Im Streitfall begründete das Servitut nach seinem vom FG festgestellten Wortlaut und der Interessenlage der beteiligten Grundstückseigentümer sowohl Belastungen für das heute dem Kläger gehörende Grundstück als auch für das Nachbargrundstück. Während der Nachbar an das Gebäude auf dem Grundstück des Klägers "dicht" anbauen durfte, hatte sich der Nachbar im Gegenzug verpflichtet, ("Dagegen . . . verbindlich gemacht"), sein Gebäude in Zukunft nicht ("nie") zu erhöhen. Mithin umfasste das Servitut entgegen der Auffassung des FG nicht nur die Pflicht, den Anbau des Nachbarn zu dulden, sondern es begründete außerdem zu Gunsten des heute dem Kläger gehörenden Grundstücks eine Dienstbarkeit auf dem Nachbargrundstück des Inhalts, dass dessen Bebauung eine bestimmte Höhe nicht überschreiten durfte.
Die danach dem Vater des Klägers in Bezug auf das Nachbargrundstück zustehende Grunddienstbarkeit zur Begrenzung der Bauhöhe stellte, auch wenn sie nicht für sich allein übertragbar war, ein eigenständiges Wirtschaftsgut dar, das der Vater des Klägers in seiner Substanz endgültig aufgegeben hat. Das FA wendet dagegen zu Unrecht ein, das Servitut bestehe fort, weil die entsprechenden Eintragungen nicht gelöscht oder berichtigt worden seien. Der in dem Vergleichsvertrag zwischen dem Vater des Klägers und den Eigentümern des Nachbargrundstücks schriftlich vereinbarte Verzicht auf etwaige dem Bauvorhaben entgegenstehende zivilrechtliche Ansprüche umfasste auch die --formfrei mögliche-- Aufgabeerklärung hinsichtlich des Servituts (vgl. Art. 189 Abs. 3 EGBGB; Dehner, Nachbarrecht im Bundesgebiet --ohne Bayern--, 6. Aufl. 1982, S. 723 f. ). Eine Löschung oder Berichtigung der Eintragungen im Servitutenbuch oder im Grundbuch waren für die Wirksamkeit des Verzichts nicht erforderlich. Die Eintragung einer altrechtlichen Dienstbarkeit hat nicht die Bedeutung einer rechtlichen Vervollkommnung, sondern nur die einer tatsächlichen Kundmachung; deshalb bringt eine außerhalb des Grundbuchs eingetretene Aufhebung einer eingetragenen Dienstbarkeit alten Rechts diese zum Erlöschen, auch wenn die Löschung im Grundbuch nicht durchgeführt wird (Staudinger/ Ring, a. a. O. , 1994, Vorbem. 24 zu §§ 1018 bis 1029).
d) Dadurch, dass der Vater des Klägers gegen Entgelt auf die Grunddienstbarkeit am Nachbargrundstück verzichtet und damit eine "abtrennbare Rechtsposition" aufgegeben hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 120, 180, BStBl II 1977, 26), unterscheidet sich der Streitfall von anderen durch den BFH beurteilten Fallgestaltungen, in denen der Steuerpflichtige sich verpflichtet hatte, sein eigenes Grundstück in bestimmter Weise zu nutzen oder eine bestimmte Nutzung zu dulden (vgl. BFH-Urteile vom 19. April 1994 IX R 19/90, BFHE 174, 342, BStBl II 1994, 640; vom 4. September 1996 XI R 20/96, BFH/NV 1997, 336; in BFHE 184, 540 , BStBl II 1998, 133) oder Widerstand gegen ein Bauvorhaben des Nachbarn aufzugeben (BFH-Urteile in BFHE 120, 180, BStBl II 1977, 26; in BFHE 138, 177, BStBl II 1983, 404; in BFHE 175, 362, BStBl II 1995, 57). Der Vater des Klägers hat nicht nur gegen Entgelt die Bebauung des Nachbargrundstücks geduldet und auf baurechtliche oder nachbarrechtliche Einwendungen verzichtet, sondern er hat auf eine in früheren Zeiten vertraglich begründete, ihm zustehende gesonderte Grunddienstbarkeit am Nachbargrundstück verzichtet. Die Aufgabe dieser einen eigenständigen Vermögenswert bildenden Rechtsposition war endgültig (vgl. zur Bedeutung der Abänderbarkeit oder Aufhebbarkeit einer Rechtsänderung BFH-Urteil in BFHE 184, 540 , BStBl II 1998, 133; zur Einräumung einer unbefristeten Dienstbarkeit BFH-Urteil vom 17. Mai 1995 X R 64/92, BFHE 177, 479 , BStBl II 1995, 640). Mithin liegt eine Vermögensumschichtung (veräußerungsähnlicher Vorgang) vor, die nicht unter § 22 Nr. 3 EStG fällt.
2. Da die Vorentscheidung auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Einkommensteuer ist antragsgemäß herabzusetzen.