BFH

BFHXI R 16/9513.12.1995

Amtlicher Leitsatz:

1. Die infolge Erteilung der Gutschrift berichtigte Bemessungsgrundlage ist gem. § 17 I UStG 1980 erneut zu berichtigen, wenn feststeht, daß der Kunde die Gutschrift nicht in Anspruch nimmt.

2. Erteilt das Versandhandelsunternehmen einem Kunden aufgrund einer Mängelrüge eine Gutschrift, so kann darin eine Änderung der Bemessungsgrundlage i. S. des § 17 I UStG 1980 liegen.

3. Bezahlt der Kunde eines Versandhandelsunternehmens die ihm gelieferte Ware irrtümlich doppelt, so ist der Gesamtbetrag Entgelt i. S. des § 10 I 2 UStG 1980.

4. Nur im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Anschaffung von Wohnraum getätigte Erhaltungsaufwendungen können als Vorkosten geltend gemacht werden; dazu reicht es nicht aus, die im vermieteten Zustand erworbene (Sozial-) Wohnung erst nach Ablauf der Wohnungsbindung und Auszug des Mieters für eigene Wohnzwecke herzurichten.

Normen

§ 10e Abs. 6 EStG
§ 10 Abs. 1 UStG
§ 17 Abs. 1 UStG

 

Tatbestand:

I.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war in den Streitjahren (1985 bis 1987) Organträgerin (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes - UStG 1980 -) verschiedener Versandhandelsunternehmen. Im Anschluß an eine Außenprüfung unterwarf der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) in Änderungsbescheiden für die Streitjahre u. a. auf sog. Doppelzahlungen sowie auf Gutschriften ohne Warenrückgabe entfallende Erlöse der Organgesellschaften mit den Nettobeträgen der Umsatzsteuer. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) handelte es sich bei den Doppelzahlungen um die als außerordentlicher Ertrag behandelten Doppelzahlungen von Kunden, die von diesen nicht zurückgefordert oder verrechnet worden waren; bei den Gutschriften ohne Warenrückgabe handelte es sich um von den Organgesellschaften gewährte Teilgutschriften aus vorangegangenen Lieferungen, z. B. Preisnachlässe wegen Beanstandungen, die von den Kunden nicht in Anspruch genommen worden waren.

Das FG wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage im wesentlichen ab und führte insoweit zur Begründung aus: Zu Recht habe das FA die von den Kunden erbrachten Doppelzahlungen in vollem Umfang als Entgelt i. S. des § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980 für die Leistungen der Organgesellschaften erfaßt.

Das FA habe ferner im Hinblick auf die Gutschriften ohne Warenrückgabe zu Recht keine Entgeltsminderung nach § 17 Abs. 1 UStG 1980 angenommen, weil hierfür Voraussetzung sei, daß der Versandhandelskunde den ihm zugesagten Preisnachlaß tatsächlich in Anspruch nehme. Das Urteil ist in der Umsatzsteuer-Rundschau (UR) 1995, 310 teilweise abgedruckt.

Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Sie macht geltend:

1. Nur die in den Versandhandelskatalogen und ergänzenden Preislisten festgelegten Preise stellten die von ihren Organgesellschaften für die Leistung erwartete Gegenleistung dar. Das Leistungsverhalten ihrer Organgesellschaften sei nicht darauf ausgerichtet gewesen, doppelt geleistete Zahlungen zu erhalten. Dies werde auch aus den den Kunden erteilten Gutschriften deutlich.

2. Die Zahlung eines Versandhandelskunden aufgrund der bloßen Auftragsbestätigung könne nur als Zahlung ohne jeglichen Rechtsgrund gewertet und nicht mit der erst nachfolgenden Lieferung in Verbindung gebracht werden.

3. Jedenfalls habe die Mitteilung an die Kunden über die ihnen zustehende Gutschrift und die Verbuchung des gutgeschriebenen Betrags auf einem separaten Konto zu einer Verminderung der Bemessungsgrundlage gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 geführt. Der Gutschriftsbetrag stehe dem Kunden für einen Zeitraum von ca. 2 Jahren zur Verfügung. Erst wenn der Kunde innerhalb dieses Zeitrahmens keine weiteren Bestellungen aufgebe, würden die nicht in Anspruch genommenen Gutschriftsbeträge von ihren Organgesellschaften erfolgswirksam vereinnahmt.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 1985 bis 1987 dahin gehend zu ändern, daß die Umsatzsteuer 1985 um ... DM, die Umsatzsteuer 1986 um ... DM und die Umsatzsteuer 1987 um ... DM ermäßigt wird.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Das FG hat zwar zutreffend entschieden, daß die sog. Doppelzahlungen der Versandhandelskunden zum Entgelt i. S. des § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980 für die ihnen gelieferten Waren gehören. Die Vorentscheidung ist jedoch aufzuheben, weil in bezug auf die umsatzsteuerrechtliche Behandlung der nicht in Anspruch genommenen Gutschriften nicht erkennbar ist, über welchen Sachverhalt das FG zu entscheiden hatte.

1. Der Umsatz wird bei Lieferungen nach dem Entgelt bemessen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980). Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980). Hat sich diese Bemessungsgrundlage geändert, so hat der Unternehmer, der den Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG 1980). Die Berichtigung der Bemessungsgrundlage ist für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist (§ 17 Abs. 1 Satz 3 UStG 1980).

a) Über den vertraglich vereinbarten Preis hinausgehende Aufwendungen (Mehraufwendungen) des Leistungsempfängers gehören dann i. S. des § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980 zum Entgelt für eine Leistung, wenn sie aufgrund keines anderen Rechts- oder Anspruchsgrundes als dem der Leistung zugrundeliegenden erbracht werden (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Februar 1972 V R 118/71, BFHE 105, 79, BStBl II 1972, 405; vom 13. Dezember 1973 V R 57/72, BFHE 111, 191, BStBl II 1974, 191; vom 25. November 1986 V R 109/76, BFHE 148, 351, BStBl II 1987, 228, unter II.1.; vom 15. Dezember 1988 V R 24/84, BFHE 155, 431, BStBl II 1989, 252, unter II.1.; vom 31. August 1992 V R 47/88, BFHE 169, 250, BStBl II 1992, 1046, unter II.2.a, und vom 11. Mai 1995 V R 86/93, BFHE 177, 563, BStBl II 1995, 613, unter II.1.; Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 5. Aufl., § 10 Rz. 19ff.; Birkenfeld, Umsatzsteuer-Handbuch, III Rz. 52).

Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Die Versandhandelskunden haben die streitigen Zahlungen allein deshalb erbracht, um ihre Leistung für die Lieferung der von ihnen bestellten Waren zu bewirken; ein anderer Zuwendungsgrund - insbesondere eine Schenkung - scheidet aus. Dies gilt auch dann, wenn eine Zahlung aufgrund einer bloßen Auftragsbestätigung zivilrechtlich als Zahlung ohne jeglichen Rechtsgrund zu werten wäre, wie die Klägerin meint. Unerheblich ist auch, welche Gegenleistung die Versandhandelsunternehmen erwarteten. Denn § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980 bestimmt den Umfang des Entgelts aus der Sicht des Leistungsempfängers (vgl. BFH-Urteile vom 28. Januar 1988 V R 112/86, BFHE 152, 360, BStBl II 1988, 473, unter II.2.; vom 6. Oktober 1988 V R 124/83, BFH/NV 1989, 469, unter 1.b).

Wie das FG ferner zutreffend dargelegt hat, steht dieses Ergebnis in Einklang mit Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Danach ist Besteuerungsgrundlage bei Lieferungen von Gegenständen alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer für diese Umsätze vom Abnehmer oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen. Bemessungsgrundlage im Sinne dieser Vorschrift ist die tatsächlich erhaltene Gegenleistung für die erbrachte Leistung (vgl. Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 23. November 1988 Rs. 230/87, EuGHE 1988, 6365, UR 1990, 307, unter 16.; vom 27. März 1990 Rs.C-126/88, EuGHE 1990, 1235, UR 1991, 204, unter 19.; vom 5. Mai 1994 Rs.C-38/93, EuGHE 1994, 1679, 1692, BStBl II 1994, 548, unter 8., und vom 2. Juni 1994 Rs.C-33/93, EuGHE 1994, 2329, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Richtlinie 77/388/EWG, Art. 11, Rechtsspruch 13, unter 18.).

b) Zu den von den Kunden nicht in Anspruch genommenen Gutschriften hat das FG in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die Klägerin diese Erlöse nicht der Umsatzsteuer unterworfen hat. Dies spricht dafür, daß die Frage streitig ist, ob eine bei Erteilung der Gutschrift vorgenommene Minderung des Entgelts mit entsprechender Berichtigung nach § 17 UStG 1980 (erste Berichtigung) nunmehr dahingehend zu berichtigen ist, daß die Erlöse aus den nicht in Anspruch genommenen Gutschriften die Bemessungsgrundlage wieder erhöhen (zweite Berichtigung). Nach der Begründung des FG läßt sich allerdings nicht ausschließen, daß es tatsächlich über die Frage, ob sich durch die Erteilung der jeweiligen Gutschrift das Entgelt mindert, entschieden hat.

Sollten die Ausführungen des FG dahin zu verstehen sein, daß es bei der vom FA vorgenommenen Erhöhung der Bemessungsgrundlage um die Erlöse aus der Ausbuchung der Gutschriften bleiben soll, so wäre dem zu folgen, wenn - wozu Feststellungen des FG fehlen - bei Erteilung der Gutschrift infolge Minderung des Entgelts die Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 1 UStG 1980 berichtigt worden wäre. In diesem Fall würde sich die Bemessungsgrundlage wieder auf den Betrag des Entgelts erhöhen, wenn feststeht, daß der Kunde die Gutschrift nicht in Anspruch nimmt. Die Bemessungsgrundlage wäre nach § 17 Abs. 1 UStG 1980 entsprechend zu berichtigen. Hätte demgegenüber die Erteilung der Gutschrift bisher nicht zu einer Berichtigung des Entgelts geführt, so wären die Erlöse aus den nicht in Anspruch genommenen Gutschriften umsatzsteuerrechtlich nicht zu erfassen; denn sie wären dann bereits im ursprünglichen Entgelt enthalten und versteuert.

Sollte die Frage der erstmaligen Berichtigung infolge der Erteilung der Gutschrift streitig sein, so kann der Rechtsauffassung des FG, daß es hierfür der Inanspruchnahme der Gutschrift durch den Kunden bedürfe, nicht gefolgt werden.

Eine Änderung der Bemessungsgrundlage i. S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG 1980 liegt nach der Rechtsprechung des BFH u. a. dann vor, wenn die Forderung auf die Gegenleistung aufgrund einer späteren Vertragsänderung teilweise erlischt (vgl. BFH-Beschluß vom 10. März 1983 V B 46/80, BFHE 138, 107, BStBl II 1983, 389, unter 3.). Dies gilt insbesondere bei einer Herabsetzung der Kaufpreisschuld aufgrund einer Mängelrüge (vgl. Mößlang in Sölch/Ringleb/List, a. a. O., § 17 Rz. 35; Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz, 10. Aufl., § 10 UStG 1993 Rz. 116, § 17 UStG Rz. 17; Birkenfeld, a. a. O., VI Rz. 61; Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, 7. Aufl., § 17 Rz. 23; Bunjes/Geist, Umsatzsteuergesetz, 4. Aufl., § 17 Rz. 10; Lippross in Sauerland/Schmidt/Lippross, Umsatzsteuer, 18. Aufl., S. 402f.; Weiß, UR 1986, 83, 90, unter e). Dabei ist eine Minderung (bereits dann) gemäß § 465 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vollzogen, wenn sich der Verkäufer auf Verlangen des Käufers mit ihr einverstanden erklärt (vgl. dazu im einzelnen H. B. Westermann in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., § 465 Rz. 3ff.; Huber in Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, 12. Aufl., § 465 Rz. 5ff.; Honsell in Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., § 465 Rz. 8ff.).

Eine zur Berichtigung nach § 17 Abs. 1 UStG 1980 führende Änderung der Bemessungsgrundlage kann danach in den Fällen der Minderung aufgrund von Mängelrügen bereits im Zeitpunkt der Erteilung der Gutschrift gegeben sein.

Die Sache geht an das FG zurück, damit es die gebotenen tatsächlichen Feststellungen nachholt und erneut über die umsatzsteuerrechtliche Behandlung der Gutschriften entscheidet.

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