BFH

BFHIV R 124/9211.8.1994

Amtlicher Leitsatz:

Die Vorschrift des § 52 Abs. 21 (jetzt Abs. 19) S. 4 EStG ist auch anzuwenden, wenn eine Kommanditgesellschaft aufgelöst wird und der Kommanditist sein negatives Kapitalkonto nicht ausgleichen muß.

Normen

§ 52 Abs. 20 EStG

 

Tatbestand:

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr (1985) Kommanditist der E-GmbH & Co. KG (KG). Die KG war Besitzgesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung mit der E-GmbH (GmbH) als Betriebsgesellschaft. Die Tätigkeit der KG bestand in der Vermietung der Betriebsgrundstücke an die GmbH.

Im Juni 1985 wurde über das Vermögen der KG das Konkursverfahren eröffnet. Die wesentlichen Betriebsgrundstücke wurden im Rahmen des Konkursverfahrens in den Jahren 1985 bis 1989 veräußert.

Das Wirtschaftsjahr der KG endet am 30. September. Die letzte Bilanz der KG wurde auf den 30. September 1984 aufgestellt. In dieser Bilanz wurde für den Kläger ein negatives Kapitalkonto in Höhe von ./. 1 370 619 DM ausgewiesen. Für das Streitjahr gab die KG keine Steuererklärungen mehr ab. Mit Bescheid vom 25. April 1988 schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) im Wege der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung den Gewinn der KG für 1985 auf null DM. Dabei kam es auch zur Nachversteuerung der negativen Kapitalkonten des Klägers und der Kommanditisten G und des Beigeladenen. Für den Kläger wurde in Höhe des negativen Kapitalkontos von ./. 1 370 619 DM ein laufender Gewinn festgestellt.

Gegen den Feststellungsbescheid vom 25. April 1988 legte der Kommanditist G Einspruch mit der Begründung ein, der Gewinn sei bei ihm als tarifbegünstigter Veräußerungsgewinn festzustellen, da er seinen Kommanditanteil am 28. November 1984 veräußert habe. Dem Einspruch wurde stattgegeben. Der Gewinn des Klägers wurde in dem geänderten Feststellungsbescheid vom 21. November 1988 erneut als laufender Gewinn festgestellt. Der Einspruch des Klägers, mit dem geltend gemacht wurde, auch beim Kläger sei der Gewinn aus dem Wegfall des negativen Kapitalkontos als nach §§ 16, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) begünstigter Gewinn festzustellen, wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage gegen die Einspruchsentscheidung vom 12. April 1989 als unbegründet ab.

Gegen das FG-Urteil richtet sich die Revision des Klägers, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

I. Der Kläger macht geltend, der für ihn festgestellte Gewinnanteil sei nach §§ 16, 34 EStG begünstigt. Die Frage, ob ein festgestellter Gewinnanteil beim Gesellschafter nach dem Tarif oder begünstigt nach den §§ 16, 34 EStG zu versteuern ist, geht den Gesellschafter persönlich an. Er ist deshalb insoweit klagebefugt nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 FGO. Der Kläger konnte deshalb Klage erheben und gegen das die Klage abweisende Urteil Revision einlegen.

II. Entgegen der Auffassung des FG gilt der Gewinnanteil des Klägers gemäß § 52 Abs. 21 Satz 4 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung (jetzt § 52 Abs. 19 Satz 4 EStG) als Veräußerungsgewinn i. S. des § 16 EStG.

1. Scheidet ein Kommanditist oder ein anderer Mitunternehmer, dessen Haftung der eines Kommanditisten vergleichbar ist und dessen Kapitalkonto in der Steuerbilanz der Gesellschaft auf Grund von ausgleichs- oder abzugsfähigen Verlusten negativ geworden ist, aus der Gesellschaft aus oder wird in einem solchen Fall die Gesellschaft aufgelöst, so gilt der Betrag, den der Mitunternehmer nicht ausgleichen muß, als Veräußerungsgewinn i. S. des § 16 EStG. Die Vorschrift des § 52 Abs. 21 Satz 4 EStG spricht damit zwei Fallgruppen an. Zunächst wird der Fall angesprochen, daß ein Kommanditist (oder haftungsmäßig vergleichbarer Mitunternehmer) aus der Gesellschaft ausscheidet, dabei aber die Gesellschaft fortbesteht. Für diesen Fall wird die Rechtsfolge angeordnet, daß der Kommanditist einen Betrag in Höhe seines negativen Kapitalkontos, soweit dieses durch ausgleichs- oder abzugsfähige Verluste entstanden ist, als Veräußerungsgewinn i. S. des § 16 EStG versteuern muß. Die gleiche Rechtsfolge wird für den Fall angeordnet, daß die Gesellschaft als solche aufgelöst wird und der Kommanditist sein dann vorhandenes negatives Kapitalkonto nicht ausgleichen muß. Dabei kommt es nach Wortlaut, Sinn und Zweck des Gesetzes entgegen der Auffassung des FG nicht auf das Ausscheiden des Kommanditisten an, das nicht zu den in § 131 des Handelsgesetzbuches (HGB) genannten Auflösungsgründen gehört. Der Fall, der in der zweiten Alternative des § 52 Abs. 21 Satz 4 EStG ("in einem solchen Fall") angesprochen wird, ist vielmehr immer dann gegeben, wenn die KG, aus welchem Grund auch immer, aufgelöst wird und gleichzeitig feststeht, daß der Kommanditist sein zu diesem Zeitpunkt vorhandenes negatives Kapitalkonto nicht ausgleichen muß. Denn ebenso wie im Fall des Ausscheidens aus einer fortbestehenden KG mit negativem Kapitalkonto und ohne Ausgleichsverpflichtung ergibt sich auch bei Auflösung einer KG ohne Ausgleichsverpflichtung die Notwendigkeit, die frühere Verlustzurechnung infolge der "Anerkennung" des negativen Kapitalkontos rückgängig zu machen, weil es nicht mehr zu einer "Haftung" des Kommanditisten für die zum negativen Kapitalkonto führenden Verluste mit späteren Gewinnen der KG kommen kann. Deshalb wird, soweit ersichtlich, auch im Schrifttum allgemein die Auffassung vertreten, daß die Vorschrift des § 52 Abs. 21 Satz 4 EStG auch den Fall der Auflösung der KG erfaßt (vgl. z. B. Lademann/Söffing, Einkommensteuergesetz, § 15a Anm. 121; Schmidt, Einkommensteuergesetz, 13. Aufl., § 15 a Anm. 90; Schulze-Osterloh in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 15a EStG Anm. 43; Brandt in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 15a Rz. 102).

2. Im Streitfall waren die Voraussetzungen des § 52 Abs. 21 Satz 4 EStG erfüllt. Mit der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der KG am 18. Juni 1985 war die KG gemäß § 131 Nr. 3 i. V. m. § 161 Abs. 2 HGB aufgelöst worden. Das durch Verluste entstandene negative Kapitalkonto des Klägers belief sich im Auflösungszeitpunkt auf 1 370 619 DM. Allerdings war der Kläger verpflichtet, Anteile an etwaigen späteren Gewinnen der KG zur (Teil)Auffüllung des negativen Kapitalkontos zu verwenden. Insbesondere galt dies auch für Gewinne aus der Veräußerung des Grundvermögens der KG. Darauf kommt es aber im Streitfall nicht an. Die Höhe des Veräußerungsgewinns ist vorliegend nicht strittig. Gegenstand des Verfahrens ist nur die Frage, ob der festgestellte Veräußerungsgewinn nach §§ 16, 34 EStG begünstigt ist. Allerdings ist Gegenstand des steuergerichtlichen Verfahrens grundsätzlich nicht das einzelne Besteuerungsmerkmal, sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheids (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344). Zu einer Saldierung einzelner Besteuerungsgrundlagen kann es aber nur kommen, wenn die angefochtene Regelung in einem Zahlenwert, in der Regel also in einem Steuer- oder Steuermeßbetrag besteht (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 65 Anm. 43). Bei Feststellungsbescheiden kommt es deshalb zu einer Saldierung nur innerhalb der Besteuerungsgrundlage, die Gegenstand der Klage ist (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 23. Oktober 1989 GrS 2/87, BFHE 159, 4, BStBl II 1990, 327, 330 unter C. II. 3.). Andere Feststellungen, die im Bescheid enthalten sind, die aber nicht angefochten werden, sind nicht Gegenstand des Klageverfahrens, so z. B. nicht die Höhe des Gewinns, wenn nicht diese, sondern die Verteilung des Gewinns auf die Gesellschafter streitig ist (BFH-Urteil vom 10. Februar 1988 VIII R 352/82, BFHE 152, 414, BStBl II 1988, 544). Im Streitfall ist nicht die Höhe des festgestellten Gewinns streitig, sondern dessen Qualifikation als laufender oder als Veräußerungsgewinn. Bei dieser Qualifikation handelt es sich um eine verfahrensrechtlich selbständige Feststellung.

Deshalb kann in diesem Verfahren nicht darüber entschieden werden, ob der Veräußerungsgewinn anders (niedriger) hätte festgestellt werden müssen, weil im maßgebenden Zeitpunkt noch mit Veräußerungsgewinnen der KG zu rechnen war, die vom Kläger zur Teilauffüllung seines negativen Kapitalkontos hätten verwendet werden müssen. Da der angefochtene Bescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) steht, können im übrigen Umstände, die die Höhe des Veräußerungsgewinns berühren, auch noch nachträglich berücksichtigt werden; die Rechtskraft des Urteils in diesem Verfahren beschränkt sich auf den Ausspruch zur Qualifikation des festgestellten Gewinns als Veräußerungsgewinn oder laufender Gewinn (BFH-Urteil vom 7. Februar 1990 I R 145/87, BFHE 161, 387 , BStBl II 1990, 1032).

3. Unerheblich ist entgegen der Auffassung des FG, daß das FA die Nachversteuerung unabhängig von der Vorschrift des § 52 Abs. 21 Satz 4 EStG damit begründet hat, das negative Kapitalkonto sei nachzuversteuern, da mit der Erzielung von Gewinnen durch die KG nicht mehr zu rechnen sei. In der Tat kann auch der bloße Wegfall der Gewinnerzielungsmöglichkeit bei der KG zur Nachversteuerung negativer Kapitalkonten der Kommanditisten führen, ohne daß die Voraussetzungen des § 52 Abs. 21 Satz 4 EStG - Ausscheiden des Kommanditisten aus der fortbestehenden KG oder Auflösung der KG - erfüllt sein müßten. Der Gewinn aus dem "Wegfall" des negativen Kapitalkontos ist dann als laufender, nicht tarifbegünstigter Gewinn zu erfassen, wenn die Gewinnerzielungsmöglichkeit bereits vor der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebs entfällt (BFH-Beschluß vom 10. November 1980 GrS 1/79, BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164). Sind jedoch, wie im Streitfall, in dem Veranlagungszeitraum, in dem das FA den Wegfall der Gewinnerzielungsmöglichkeit annimmt, auch die Voraussetzungen des § 52 Abs. 21 Satz 4 EStG erfüllt, so hat die ausdrückliche gesetzliche Regelung Vorrang und führt zur Anwendung des § 52 Abs. 21 Satz 4 EStG. Darauf, ob die gesetzliche Regelung sachlich gerechtfertigt ist (kritisch Schmidt, a. a. O., § 15a Anm. 90a; a. A. Schulze-Osterloh in Herrmann/Heuer/Raupach, a. a. O., § 15a EStG Anm. 44), kommt es nicht an. Das Gericht ist an die eindeutige gesetzliche Regelung gebunden.

4. Das FG hat sich darauf berufen, es sei nicht einzusehen, daß der Wegfall eines negativen Kapitalkontos infolge Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der KG günstiger behandelt werden solle, nämlich durch Anwendung der §§ 16, 34 EStG, als der Wegfall des negativen Kapitalkontos bei Ablehnung des Konkursverfahrens mangels Masse. In diesem Fall kommt es in der Tat nicht zur Auflösung der KG (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 8. Oktober 1979 II ZR 257/78, BGHZ 75, 178). Bei Nichteröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse wird es regelmäßig. aber entweder zu einer Fortführung des Unternehmens oder, da mit langwierigen Maßnahmen zur Veräußerung von Massevermögen nicht zu rechnen ist, zu einer Betriebsaufgabe i. S. des § 16 Abs. 3 EStG kommen. Im übrigen kann die Frage, wie dieser Fall unter dem Gesichtspunkt der §§ 16, 34 EStG zu behandeln wäre, die Anwendung der Vorschriften im Streitfall nicht berühren.

5. Entgegen der Auffassung des FA ist die Vorschrift des § 52 Abs. 21 Satz 4 EStG auch auf die Nachversteuerung negativer Kapitalkonten anzuwenden, die auf Verlusten beruhen, auf die § 15 a EStG noch nicht anzuwenden war. Dies ergibt sich bereits daraus, daß die Vorschrift keinen entsprechenden Vorbehalt enthält, sondern ganz allgemein an den Sachverhalt anknüpft, daß negative Kapitalkonten durch ausgleichs- oder abzugsfähige Verluste entstanden sind. Das können Verluste sein, die aufgrund der zeitlichen Anwendungsvorschriften zu § 15a EStG noch ausgeglichen oder abgezogen werden können; es können auch Verluste sein, die außerhalb des zeitlichen Anwendungsbereichs des § 15a EStG vor 1980 oder - bei sog. Altbetrieben (wie im Streitfall) - vor 1985 (1985/86) entstanden sind (vgl. § 52 Abs. 21 Satz 2 Nr. 1 i. V. m. Satz 3 Nr. 1 EStG).

III. Da somit der dem Kläger zugerechnete Gewinnanteil gemäß § 52 Abs. 21 Satz 4 EStG i. V. m. §§ 16, 34 EStG begünstigt ist, bedarf es nicht der Prüfung und Entscheidung, ob ein Fall der Betriebsaufgabe i. S. des § 16 Abs. 3 EStG vorliegt oder ob, wie in dem vom Kläger vorgelegten Rechtsgutachten ausgeführt wird, die Vorschriften der §§ 16, 34 EStG entsprechend anwendbar sein sollen oder ob es zu einer Betriebsaufgabe durch Wegfall der personellen Voraussetzungen für die Betriebsaufspaltung zwischen der KG und der GmbH gekommen ist.

IV. Das FG ist aufgrund seiner abweichenden rechtlichen Beurteilung zu dem Ergebnis gelangt, der Veräußerungsgewinn des Klägers sei nicht nach §§ 16, 34 EStG begünstigt. Das FG-Urteil und die Einspruchsentscheidung des FA mußten deshalb aufgehoben werden.

Die Sache ist spruchreif. Unter Abänderung des angefochtenen Feststellungsbescheids vom 21. November 1988 wird der Gewinn des Klägers aus dem Wegfall seines negativen Kapitalkontos als Veräußerungsgewinn i. S. der §§ 16, 34 EStG festgestellt.

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