BFH

BFHVI R 113/887.4.1992

Amtlicher Leitsatz:

Bei der Ermittlung der auf Dienstreisen entfallenden Kfz-Kosten kann der Steuerpflichtige einen Teilnachweis der ihm tatsächlich entstandenen Aufwendungen erbringen und weitere dem Grunde nach feststehende Aufwendungen schätzen lassen. Dabei darf das FA von den für den Steuerpflichtigen ungünstigsten Umständen ausgehen.

Normen

§ 9 Abs. 1 S. 1 EStG
§ 9a Abs. 1 Nr. 1 EStG
§ 19 EStG
§ 162 AO 1977

Hessisches FG (EFG 1988, 626)

 

Tatbestand:

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr 1984 nichtselbständig tätig. In seiner Einkommensteuererklärung machte er beruflich veranlaßte Fahrtkosten als Werbungskosten geltend. Er gab an, mit dem eigenen PKW insgesamt 6 221 km beruflich gefahren zu sein, davon 1 073 km bis zum 30. April 1984. Die dafür angefallenen Kosten berechnete er mit dem pauschalen Kilometersatz der Lohnsteuer-Richtlinien 1984 (LStR) von 0,42 DM. Die Aufwendungen für die verbleibenden ab Mai 1984 gefahrenen 5 148 km berechnete er mit 0,63 DM/km und führte zur Ermittlung dieses Betrages aus: Die Absetzung für Abnutzung (AfA) für das Ende April 1984 gebraucht angeschaffte Fahrzeug betrage ein Drittel der Anschaffungskosten von 16 000 DM, also 5 333 DM. Die nachgewiesenen Kosten für Versicherung, Wartung u. a. beliefen sich auf 1 697,87 DM. Die Summe dieser Aufwendungen von 7 030,87 DM sei durch die Gesamtfahrleistung von Mai bis Ende Dezember 1984 von 16 590 km zu dividieren, so daß sich ein Betrag von 0,42 DM/km ergebe. Die Benzinkosten seien nicht ermittelt worden. Da ihr Anfallen dem Grunde nach feststehe, sei ihre Höhe zu schätzen. Bei einem geschätzten Verbrauch des Modells Opel Senator von 15 Liter/100 km und einem geschätzten durchschnittlichen Benzinpreis von 1,40 DM/1 Liter Super ergäben sich Benzinkosten von 0,21 DM/km, so daß die Gesamtkosten pro Kilometer sich auf 0,63 DM beliefen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) anerkannte die geltend gemachten Fahrtkosten unter Hinweis auf den fehlenden Nachweis der Benzinkosten nur in Höhe von 0,42 DM/km abzüglich der Arbeitgebererstattung.

Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen gerichtete Klage ab. Das Urteil ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1988, 626 veröffentlicht.

Der Kläger, der mit seiner vom FG zugelassenen Revision an seinem Klagebegehren festhält, rügt die Verletzung des § 9 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und trägt vor: Er habe durch Belege nachgewiesen, daß ihm für AfA, Wartung, Versicherung u. a. Aufwendungen von 0,42 DM/km entstanden seien. Die Benzinkosten seien anhand des durchschnittlichen Verbrauchs eines Fahrzeugs der oberen Mittelklasse bzw. der Oberklasse geschätzt worden, zumal er sich einen sehr forschen Fahrstil angeeignet habe und es sich bei dem Fahrzeug um einen Opel Senator 3,0 E handele. Der Benzinpreis sei mit den 1984 für Super-Benzin durchschnittlich anfallenden Kosten von 1,40 DM/Liter geschätzt. Nachdem Kosten von 0,42 DM/km nachgewiesen seien und weitere Aufwendungen für den Benzinverbrauch dem Grunde nach festständen, könne ihm nicht zugemutet werden, sich mit dem Pauschalsatz von 0,42 DM/km zufriedenzugeben. Es müsse vielmehr zusätzlich der Aufwand für Benzin im Wege der Schätzung zugestanden werden. Das vom FG gebilligte Vorgehen des FA führe zu einer offensichtlich unzutreffenden Besteuerung.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Beruflich veranlaßte Reisekosten sind Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG). Bei Fahrten mit dem eigenen PKW ist der durch die beruflichen Fahrten veranlaßte Anteil der gesamten PKW-Kosten abziehbar. Soweit den Pauschbetrag des § 9 a Abs. 1 Nr. 1 EStG übersteigende Werbungskosten geltend gemacht werden, sind diese nachzuweisen. Der Nachweis für PKW-Kosten ist durch Vorlage von Rechnungen oder Quittungen für getätigte Aufwendungen sowie durch die an der voraussichtlichen tatsächlichen Nutzungsdauer des PKW orientierte Berechnung der AfA (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 i. V. m. § 7 Abs. 1 EStG) zu erbringen.

Im Streitfall hat die Vorinstanz rechtsfehlerfrei festgestellt und zwischen den Beteiligten ist auch nicht streitig, daß der Kläger die tatsächlichen Kfz-Kosten nicht vollständig nachgewiesen hat. Zu einem vollständigen Nachweis der tatsächlichen Kfz-Kosten hätte es gehört, auch die tatsächlich entstandenen Aufwendungen für Benzin zu belegen. Dies ist nicht geschehen, und zwar auch nicht für einen repräsentativen Zeitraum, der die Ermittlung eines individuellen Kilometersatzes ermöglicht hätte.

Da ein vollständiger Nachweis der PKW-Kosten nicht erbracht ist, ist das FG rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen für eine Schätzung gemäß § 162 der Abgabenordnung (AO 1977) erfüllt waren. Danach hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann.

a) Im Streitfall konnten die seit Mai angefallenen tatsächlichen PKW-Kosten des Klägers teilweise auf der Grundlage der von ihm vorgelegten Belege ermittelt werden. Soweit der Kläger keinen Nachweis über seine Aufwendungen für Treibstoff erbracht hat, sind diese entgegen der Auffassung des FG der Höhe nach zu schätzen, wenn der Kläger nachweist, daß ihm dem Grunde nach dafür Aufwendungen entstanden sind und ihm das Benzin z. B. nicht kostenlos von seinem Arbeitgeber überlassen worden ist.

Bei der Schätzung der Aufwendungen für den Treibstoff dürfen sich FA und FG von dem Gedanken leiten lassen, daß hierdurch im Ergebnis nicht eine Besserstellung gegenüber solchen Steuerpflichtigen eintreten darf, die den für einen vollständigen Nachweis erforderlichen Aufwand auf sich nehmen. Es wäre daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das FA oder FG bei der Schätzung der Aufwendungen für Treibstoff die jeweils günstigsten Umstände - d. h. die niedrigsten Benzinpreise und den niedrigsten Treibstoffverbrauch - zugrunde legten. Dabei wäre es zunächst Aufgabe des Steuerpflichtigen, die tatsächlichen Umstände der Treibstoffbeschaffung im einzelnen darzulegen. Geschieht dies nicht, so wäre das FA oder FG zu einer griffweisen Schätzung berechtigt. Denn derjenige Steuerpflichtige, der ihm zumutbare und seine Sphäre betreffende Nachweise nicht erbringt und sich selbst den damit verbundenen Arbeitsaufwand erspart hat, muß es hinnehmen, daß die Finanzbehörde im Rahmen der danach ihr obliegenden Schätzung in einem Massenverfahren nur einen solchen Verwaltungsaufwand treibt, der dem eigenen niedrigen Aufwand des Steuerpflichtigen entspricht.

b) Soweit das FG eine solche, nach § 162 AO 1977 gebotene Teilschätzung nicht für zulässig erachtet und den Kläger wegen des fehlenden Vollbeweises auf den pauschalen Kilometersatz nach Abschn. 25 Abs. 8 LStR verwiesen hat, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Es ist zwar richtig, daß der Bundesfinanzhof (BFH) in seiner ständigen Rechtsprechung die in den LStR bestimmten pauschalen Kilometersätze als eine rechtlich mögliche typisierende Schätzung (vgl. § 217 der Reichsabgabenordnung - AO -, § 162 AO 1977) nicht nachgewiesener Kfz-Kosten von Arbeitnehmern auf Dienstreisen anerkannt hat (Urteile vom 4. August 1967 VI R 309/66, BFHE 89, 532, BStBl III 1967, 728; vom 15. Dezember 1967 VI R 268/67, BFHE 90, 498, BStBl II 1968, 126; vom 17. Dezember 1976 VI R 118/75, BFHE 121, 193, BStBl II 1977, 295; vom 27. Juni 1980 VI R 147/77, BFHE 131, 53, BStBl II 1980, 651; vom 25. Oktober 1985 VI R 15/81, BFHE 145, 181, BStBl II 1986, 200). Die rechtlich nicht zu beanstandende Möglichkeit, die PKW-Kosten typisierend zu schätzen, verwehrt es dem Steuerpflichtigen jedoch nicht, einen Teilnachweis der ihm tatsächlich entstandenen Aufwendungen zu erbringen und die übrigen Aufwendungen unter Beachtung der oben dargestellten Grundsätze schätzen zu lassen. Die vom FG vertretene gegenteilige Auffassung liefe auf eine Einschränkung des § 162 AO 1977 hinaus, die sich dem Gesetz nicht entnehmen läßt.

c) Dieser Ansicht steht nicht entgegen, daß der BFH es abgelehnt hat, die in den ADAC-Tabellen ausgewiesenen Beträge als einen Nachweis der tatsächlichen Kosten anzusehen (vgl. BFHE 90, 498, BStBl II 1968, 126; BFHE 131, 53, BStBl II 1980, 651). Denn durch die Anwendung der ADAC-Tabelle würde nur die typisierende Schätzung der LStR durch eine andere typisierende Schätzung ersetzt. Ein solcher Fall ist nicht damit vergleichbar, daß - wie im Streitfall - ein Teil der tatsächlich für den konkreten PKW angefallenen Aufwendungen nachgewiesen wird. Bei der hier vorliegenden Fallgestaltung geht es nicht mehr darum, ob der von der Finanzverwaltung in den LStR praktizierten typisierenden Schätzung der Vorzug vor einer anderen zu geben ist, sondern darum, daß aufgrund eines konkreten Teilnachweises gemäß § 162 AO 1977 eine Schätzung weiterer Aufwendungen vorzunehmen ist, soweit deren Entstehen dem Grunde nach feststeht. Dabei ist allerdings - wie bereits dargelegt - zu berücksichtigen, daß die jeder Schätzung immanenten Unsicherheiten zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen dürfen, der sich den ihm zumutbaren Arbeitsaufwand erspart hat.

d) Die Vorentscheidung ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen und deshalb aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache ist an das FG zurückzuverweisen. Bei der Ermittlung der tatsächlich nachgewiesenen Aufwendungen wird die Vorinstanz bei der Berechnung der AfA nach den Grundsätzen des Senatsurteils vom 26. Juli 1991 VI R 82/89 (BFHE 165, 378 ) zu verfahren haben. Die AfA ist dabei pro rata temporis anzusetzen. Auch die nachgewiesenen Kosten des Klägers für seinen privaten PKW sind nur insoweit durch berufliche Fahrten des Streitjahres veranlaßt und zu berücksichtigen, als sie dem Streitjahr wirtschaftlich zugeordnet werden können.

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