Normen
§ 4 UStG
Tatbestand:
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Organträger (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes - UStG - 1980) der Parkhaus GmbH (P-GmbH), die verschiedene Parkhäuser betreibt und Einstellplätze an Dauerparker (Vertragsdauer mindestens ein Monat) und an Kurzparker (stundenweise Berechnung des Entgelts) überläßt.
Einem Teil der Dauerparker sind genau bestimmte Parkplätze zugewiesen. Die anderen Dauerparker können jeden unbesetzten Parkplatz benutzen, wobei ein computergesteuertes Reservierungssystem gewährleistet, daß dem Dauerparker jederzeit ein Parkplatz zur Verfügung steht. Sobald die Anzahl der freien Plätze die Anzahl der nicht im Parkhaus befindlichen Kfz von Dauerparkern unterschreitet, wird das Parkhaus für Kurzparker auf "besetzt" geschaltet. Der Dauerparker kann in diesem Fall auf einer gesonderten Spur in das Parkhaus einfahren. Wird dem Kurzparker gegen Entgegennahme einer Parkberechtigungskarte Einfahrt gewährt, kann er das Fahrzeug auf einem freien Stellplatz seiner Wahl abstellen.
Die Klägerin behandelte in ihrer Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1984 die Überlassung von Plätzen an Dauerparker - sofern die Überlassung für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten vereinbart war - als steuerfreie Vermietung i. S. des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980; im übrigen beurteilte sie die Überlassung von Parkplätzen als kurzfristige Vermietung i. S. von § 4 Nr. 12 Buchst. a Satz 2 UStG 1980 und damit als steuerpflichtig.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) vertrat nach einer Betriebsprüfung unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 4. Dezember 1980 V R 60/79 (BFHE 132, 124, BStBl II 1981, 231) die Auffassung, die Überlassung von Parkplätzen durch die Klägerin sei insgesamt steuerpflichtig, da kein Mietvertrag, sondern ein Vertrag eigener Art vorliege. Denn dem Benutzer eines Parkhauses werde nicht der Gebrauch einer bestimmten nur ihm zur Verfügung stehenden Parkfläche unter Ausschluß anderer gewährt, sondern ihm werde lediglich gestattet, den Kraftwagen an irgendeiner Stelle abzustellen, wobei der Benutzer den gewählten Platz nach Belieben wechseln könne. Das FA erhöhte deshalb den Betrag der steuerpflichtigen Umsätze um die auf die langfristigen Dauerparker entfallenden Umsätze unter gleichzeitiger Erhöhung des Anteils der abziehbaren Vorsteuerbeträge, so daß sich eine Mehrsteuer von ... DM ergab.
Das Finanzgericht (FG) gab der Sprungklage, mit der die Klägerin beantragte, die Umsatzsteuer 1984 um ... DM herabzusetzen, statt (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1989, 653).
Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 unter Hinweis auf die Abweichung des FG-Urteils von der Rechtsprechung des BFH sowie der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung (jetzt Abschn. 77 Abs. 2 der Umsatzsteuer-Richtlinien - UStR - 1988). Es beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Gemäß § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 sind die Umsätze aus der Vermietung von Grundstücken umsatzsteuerbefreit. Nach ständiger Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und des BFH ist der Begriff der Grundstücksvermietung bürgerlich-rechtlich zu bestimmen.
a) Grundstück in diesem Sinne ist nicht nur der räumlich abgegrenzte Teil der Erdoberfläche, sondern unter diesen Begriff fallen auch die Teile des Grundstücks, wozu Gebäude und Gebäudeteile wie Stockwerke, Wohnungen, einzelne Räume gehören. Denn Gebäudeteile können Gegenstand besonderer Rechte sein, wie von der Regelung des § 580 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vorausgesetzt wird. Danach gelten die Vorschriften über die Miete von Grundstücken auch für die Miete von Räumen (soweit nicht ein anderes bestimmt ist).
Des weiteren ist anerkannt, daß nicht nur der durch Boden, Decke und Wände begrenzte Raum, sondern auch ein Teil des Raumes "vermietete Sache" sein kann. Der Raumteil kann nach seiner Grundfläche bemessen und durch sie gekennzeichnet sein.
b) Vermietung bedeutet die Gebrauchsüberlassung und Gebrauchserhaltung der vermieteten Sache (§§ 535, 536 BGB).
aa) Es ist nicht erforderlich, daß die vermietete Sache bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestimmt ist. Schuldrechtliche Verträge können auch über unbestimmte, aber bestimmbare Leistungen geschlossen werden. Dabei kann die spätere Konkretisierung der Leistung durch beide Parteien, durch eine Partei oder durch einen Dritten erfolgen (§§ 315, 317 BGB). Es kommt daher nicht darauf an, ob sich der Mieter die Mietfläche selbst aussuchen kann (BFH-Urteil vom 4. Dezember 1980 V R 60/79, BFHE 132, 124, BStBl II 1981, 231). Zwar haben der RFH (Urteile vom 6. November 1936 V A 10/36, RStBl 1937, 11; vom 6. Mai 1948 V 316/37, Steuerwarte - StW - 1938 Nr. 383) und der BFH (Urteil vom 29. November 1955 V 193/55 U, BFHE 62, 150, BStBl III 1956, 56) die Auffassung vertreten, Obhutspflichten und damit eine die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG ausschließende Verwahrung seien anzunehmen, wenn nicht ein bestimmter abgegrenzter Grundstücks- oder Raumteil überlassen worden sei. Die Unterscheidung zwischen Miete und Verwahrung ist jedoch sachgerechter danach zu treffen, ob das Schwergewicht der Vertragspflichten mehr auf der Obhutspflicht für die (verwahrte) Sache oder mehr in der Gewährung der Grundstücksfläche oder des Raumteils liegt (Voelskow in Münchener Kommentar, Bürgerliches Gesetzbuch, Vor § 535 RdNr. 11; vgl. auch Rüttinger in Plückebaum/Malitzky, Umsatzsteuergesetz, § 4 Nr. 12 Rz. 284 ff., 310).
bb) Gebrauchsüberlassung bedeutet, daß der Vermieter dem Mieter die Sache in einer Weise zur Verfügung stellt, die es diesem erlaubt, ohne weiteres den vertragsmäßigen Gebrauch auszuüben (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 20. November 1967 VIII ZR 92/65, Der Betrieb - DB - 1968, 213). § 868 BGB geht davon aus, daß der Mieter die tatsächliche Gewalt über die Sache erlangt. Wesensbestimmend für den Mietvertrag ist aber die Einräumung des Gebrauchs. Besitz ist nur insoweit erforderlich, als der Gebrauch ihn voraussetzt (Reichsgericht - RG -, Entscheidung vom 16. Mai 1933 VII 50/33, RGZ Bd. 141, 99; Staudinger/Emmerich, Bürgerliches Gesetzbuch, 12. Aufl., 1981, §§ 535, 536 Rz. 19).
2. Das Urteil des FG stimmt mit dieser Rechtsauffassung überein.
a) Die Klägerin hat mit den Parkhausbenutzern Mietverträge geschlossen. Gegenstand eines jeden Mietvertrags war ein Abstellplatz für ein Kfz innerhalb des Gebäudes (Parkhaus). Konkretisiert wurde dieser Raumteil durch den Mieter mit dem Abstellen des Kfz. Die Klägerin gewährte den Gebrauch des Mietgegenstandes, indem sie dem Mieter die Einfahrt ins Parkhaus eröffnete. Weitere Obhutspflichten, die dem Vertragsverhältnis den Charakter einer Verwahrung geben würden, hatte die Klägerin nach den Feststellungen des FG nicht.
b) Der Annahme eines Mietvertrags stünde nicht entgegen, wenn die Mieter die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit gehabt hätten, den gewählten Abstellplatz nach Belieben zu wechseln. Vermietet wäre in diesem Fall der jeweils vom Mieter konkretisierte Vertragsgegenstand, d. h. der jeweils belegte Abstellplatz im Parkhaus. Durch das Auswechseln des Abstellplatzes würde nicht ein neuer Mietvertrag geschlossen, sondern lediglich der eine Mietgegenstand durch einen gleichartigen anderen Mietgegenstand ausgewechselt. Dies gilt für Kurzparker, aber auch allgemein für Dauerparker, die während der Vertragslaufzeit bei jeder neuen Einfahrt in das Parkhaus den jeweiligen Vertragsgegenstand durch Belegen der Abstellfläche neu bestimmen.
Von dieser Betrachtungsweise gehen auch die Zivilgerichte aus. So hat der BGH (Urteil vom 18. Dezember 1974 VIII ZR 187/73, BGHZ 63, 333 ) Mietrecht angewendet, als ein Hotelgast, der seinen PKW auf dem Hotelparkplatz abgestellt hatte und dabei den genauen Abstellplatz auswählen konnte, vom Hotelier Schadensersatz verlangte. Die Frage, ob der Hotelgast den Abstellplatz hätte wechseln können, spielte für die Qualifizierung des Vertragsverhältnisses ersichtlich keine Rolle. Das gleiche gilt für die vom FG zitierte Rechtsprechung der Untergerichte, bei denen nur die Abgrenzung von Mietvertrag und Verwahrungsvertrag, d. h. die Frage nach dem Umfang der Obhutspflichten, erörtert wurde.
An der gegenteiligen im Urteil in BFHE 132, 124, BStBl II 1981, 231 geäußerten Rechtsauffassung hält der Senat nicht fest (zur Kritik an dieser Entscheidung vgl. Quack, Umsatzsteuer-Rundschau 1981, 174; ferner Rüttinger, a. a. O., § 4 Nr. 12 Rz. 218 ff., 393 ff., unter Berufung auf Bettermann, Miete und Pacht im Spiegelbild der finanzgerichtlichen Rechtsprechung zu § 4 Nr. 10 UStG, Berlin 1959, 11, 18).
c) Der BFH hat in früheren Entscheidungen die Auffassung vertreten, bei der Prüfung, ob eine Vermietung i. S. des § 4 Ziff. 10 UStG 1951 vorliege, seien die geschichtliche Entwicklung sowie Sinn und Zweck dieser Befreiungsvorschrift zu berücksichtigen (vgl. insbesondere Urteile vom 23. Oktober 1957 V 153/55 U, BFHE 65, 585, BStBl III 1957, 457; vom 20. Januar 1966 V 249/63, BFHE 85, 545). Der Senat kann offenlassen, inwieweit dieser Auffassung auch für das UStG 1980 zu folgen ist. Denn der Gesetzgeber sieht die Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen als "Vermietung" von Grundstücken i. S. des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980 an (Satz 2 der Nr. 12).
d) Die Beteiligten sind zutreffend davon ausgegangen, daß die Vermietung auf eine Dauer von sechs Monaten und mehr nicht als kurzfristig i. S. des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 zu beurteilen ist. Nach Auffassung des Senats stellt die in Abschnitt 77 Abs. 4 der Umsatzsteuer-Richtlinien 1988 niedergelegte Verwaltungsauffassung eine zutreffende Auslegung des Gesetzes dar.
Ein Vergleich des Wortlauts des § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 ("kurzfristige Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen") mit Art. 13 Teil B Buchst. b Nr. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern vom 17. Mai 1977 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 145 S. 1) - "Vermietung von Plätzen für das Abstellen von Fahrzeugen" - legt die Annahme nahe, daß die Richtlinie vom deutschen Gesetzgeber nicht zutreffend umgesetzt worden ist. Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften ist angesichts des klaren Wortsinns der Richtlinie nicht geboten. Da sich die von der Richtlinie abweichende Regelung in § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG 1980 zugunsten der Klägerin auswirkt, braucht die Frage einer Berufung der Klägerin auf die Richtlinie nicht erörtert zu werden.