Normen
§ 16 Abs. 3 EStG
§ 7 GewStG
Tatbestand:
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb die Herstellung und den Vertrieb sowie den Handel mit X. Aus diesem Betrieb, den bis zum November 1969 der verstorbene Ehemann der Klägerin führte, wurden früher Gewinne von jährlich mehreren hunderttausend DM, im Jahre 1970 ein Gewinn von ... DM und in den Jahren 1971 bis 1973 Gewinne zwischen ca. ... DM und ... DM erzielt. Im Januar 1974 entschloß sich die Klägerin, den Betrieb aufzugeben. Bis zum 30. Juni 1974 veräußerte sie alle Wirtschaftsgüter des Betriebs. Sie erzielte im Jahre 1974 einen Gewinn von insgesamt 89 378 DM.
Nach einer Betriebsprüfung erkannte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) in dem Bescheid über die gesonderte Gewinnfeststellung 1974 und im Gewerbesteuermeßbescheid 1974 von dem Gewinn nur 1 447 DM als steuerbegünstigten Aufgabegewinn i. S. des § 16 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an; den Restgewinn von 87 931 DM, der aus der Veräußerung der X-Bestände stammte, behandelte das FA als laufenden Gewinn.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Juni 1970 IV 350/64 (BFHE 99, 479, BStBl II 1970, 719) ab. Nach diesem Urteil sei die Veräußerung vom Umlaufvermögen an den bisherigen Abnehmerkreis nicht nach § 16 Abs. 3 EStG begünstigt. Die X-Bestände seien trotz langer Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen noch Umlaufvermögen gewesen. Die Verkäufe seien für die Klägerin normale Geschäftsvorfälle gewesen; dem stehe nicht entgegen, daß die Veräußerung an Unternehmer erfolgt sei, die auf der gleichen Handelsstufe wie die Klägerin gestanden und auch X verarbeitet hätten, denn im X-Handel seien Rücklieferungen an Lieferanten üblich.
Die Klägerin beantragt mit der Revision, den strittigen Gewinn in Höhe von 87 931 DM bei der gesonderten Gewinnfeststellung 1974 als tarifbegünstigten Aufgabegewinn i. S. des § 16 Abs. 3 EStG zu behandeln und ihn beim Gewerbesteuermeßbetrag 1974 nicht als Gewerbeertrag zu erfassen. Sie macht geltend, das Urteil in BFHE 99, 479, BStBl II 1970, 719 könne keine Anwendung finden, weil die verkauften Waren wegen ihrer langen Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen - nämlich 7 bis 25 Jahre - praktisch zum Anlagevermögen gehört hätten und deshalb aus deren Veräußerung kein laufender, sondern ein Aufgabegewinn i. S. des § 16 Abs. 3 EStG entstanden sei. Daß die Veräußerung der X-Bestände kein normales Geschäft gewesen sei, ergebe sich auch daraus, daß die Abnehmer Geschäftspartner gewesen seien, mit denen seit 3 1/2 Jahren keine Geschäftsverbindungen mehr bestanden hätten. Es könne nicht gefordert werden, daß sich die Klägerin andere Abnehmer hätte suchen müssen. Aber auch wenn man die veräußerten Bestände als Umlaufvermögen und die Veräußerungen als normale Geschäfte ansehe, gehörten die daraus erzielten Gewinne im Falle der Aufgabe zum Aufgabegewinn i. S. des § 16 Abs. 3 EStG.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Mit der Veräußerung des Umlaufvermögens nach erklärter Geschäftsaufgabe sei in Wirklichkeit eine Abwicklung des Gewerbebetriebs bezweckt worden. Die daraus erzielten Gewinne seien nach dem Urteil in BFHE 99, 479, BStBl II 1970, 719, keine begünstigten Aufgabegewinne.
Entscheidungsgründe
1. Der strittige Gewinn in Höhe von 87 931 DM ist Aufgabegewinn i. S. des § 16 Abs. 3 EStG. Er ist deshalb im gesonderten Gewinnfeststellungsbescheid 1974 als solcher festzustellen.
Eine Betriebsaufgabe ist anzunehmen, wenn der Inhaber eines Betriebs seine gewerbliche Tätigkeit einstellt und die dem Betrieb gewidmeten Wirtschaftsgüter in einem einheitlichen Vorgang innerhalb eines kurzen Zeitraums entweder veräußert oder in das Privatvermögen überführt und dadurch die stillen Reserven in einem Zuge aufdeckt (BFH-Urteil vom 23. Juni 1977 IV R 81/73, BFHE 122, 505, BStBl II 1977, 721, mit weiteren Nachweisen). Veräußerungsgewinne nach § 16 Abs. 1 EStG und Gewinne aus der Betriebsaufgabe nach § 16 Abs. 3 EStG unterliegen einer begünstigten Besteuerung, weil es zu Härten führen würde, wenn durch die Auflösung aller stillen Reserven eines Betriebs jahrelang aufgestaute Gewinne in einem Zuge mit dem normalen Steuersatz versteuert werden müssen (BFH-Urteil vom 13. Dezember 1979 IV R 69/74, BFHE 129, 380, BStBl II 1980, 239, mit weiteren Nachweisen). Im Gegensatz zu diesen massiert entstehenden außerordentlichen Gewinnen berühren die außerhalb der Betriebsaufgabe anfallenden normalen Geschäfte und ihre Abwicklung den Aufgabegewinn nicht (BFH-Urteile vom 19. Mai 1971 I R 46/70, BFHE 102, 380, BStBl II 1971, 688, und in BFHE 99, 479, BStBl II 1970, 719).
Im Streitfall sind die Voraussetzungen der Betriebsaufgabe gegeben. Zum Vorgang der Betriebsaufgabe gehören auch die Verkäufe der X-Bestände; sie sind keine normalen Geschäfte außerhalb der Betriebsaufgabe. Nach dem Urteil in BFHE 99, 479, BStBl II 1970, 719, setzt zwar ein Steuerpflichtiger, der Umlaufgüter an einen Abnehmerkreis veräußert, mit dem er auch bisher seine Geschäfte abschloß, damit trotz Betriebsaufgabe seine normale gewerbliche Tätigkeit fort, aus der er einen nichtbegünstigten laufenden Gewinn aus Gewerbebetrieb erzielt. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß in allen Fällen, in denen bei der Betriebsaufgabe Umlaufvermögen veräußert wird, insoweit ein nichtbegünstigter laufender Gewinn vorliegt. Die Klägerin hat im Streitfall mit der Veräußerung der X-Bestände ihre laufende gewerbliche Tätigkeit nicht fortgesetzt. Sie hat die Veräußerung ihres Umlaufvermögens zeitlich innerhalb des Betriebsaufgabevorgangs - nämlich in der ersten Jahreshälfte 1974 - durchgeführt und die Bestände nicht, wie es einer normalen gewerblichen Betätigung entsprechen würde, an viele Kunden, sondern nur an zwei Abnehmer veräußert, die auf der gleichen Handelsstufe wie sie selbst standen. Mit den beiden Abnehmern, die die Firma der Klägerin früher beliefert hatten, hatte sie schon seit längerem keine geschäftlichen Kontakte mehr. Sie hatte sich mit ihnen vielmehr in Verbindung gesetzt, um die Betriebsaufgabe in kurzer Zeit zu ermöglichen. Hierdurch unterscheidet sich die Streitsache von dem durch das Urteil in BFHE 99, 479, BStBl II 1970, 719, entschiedenen Fall. Bei der Veräußerung der X-Bestände handelt es sich um Vorgänge, die entgegen der Auffassung des angefochtenen Urteils wirtschaftlich zur Betriebsaufgabe selbst gehören, auch wenn die beiden Abnehmer in früheren Jahren die Klägerin beliefert haben und Rücklieferungen im X-Handel üblich sind.
2. Da der strittige Gewinn in Höhe von 87 931 DM Veräußerungsgewinn i. S. des § 16 Abs. 3 EStG ist, erhöht er bei der Festsetzung des Gewerbesteuermeßbetrags 1974 nicht den Gewerbeertrag nach § 7 des Gewerbesteuergesetzes. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 2. Februar 1972 I R 217/69, BFHE 105, 35, BStBl II 1972, 470, und vom 25. Mai 1962 I 78/61 S, BFHE 75, 467, BStBl III 1962, 438) bleiben Veräußerungsgewinne nach § 16 EStG bei der Ermittlung des Gewerbeertrags außer Ansatz. Denn Vorgänge nach der Beendigung der werbenden Tätigkeit können den Gewerbebetrag nicht beeinflussen.
3. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Im Gewinnfeststellungsbescheid 1974 ist festzustellen, daß der Gewinn in Höhe von insgesamt 89 378 DM ein Veräußerungsgewinn i. S. des § 16 EStG ist.