Normen
§ 17 KVStG 1972
§ 18 Abs. 1 KVStG 1972
§ 18 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972
§ 18 Abs. 2 Nr. 2 KVStG 1972
Tatbestand:
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) schloß am 31. Oktober 1972 mit der A AG, an deren Grundkapital sie mit ... DM beteiligt war, einen Verschmelzungsvertrag, aufgrund dessen das Vermögen der A AG auf sie übergehen sollte. Die Aktionäre der Klägerin stimmten dem Vertrag in der Hauptversammlung vom 2. November 1972 zu und erhöhten das Grundkapital auf ... DM. Die Aktionäre der A AG erteilten dem Verschmelzungsvertrag am 21. November 1972 ihre Zustimmung. Die Verschmelzung ist am 22. Dezember 1972 in das Handelsregister des Sitzes der A AG und am 28. Dezember 1972 in das Handelsregister des Sitzes der Klägerin eingetragen worden.
Am 30. Oktober 1972 hatte die A AG mit ihrer Tochtergesellschaft, der B AG, an der sie zu 100 v. H. beteiligt war, einen Vertrag geschlossen, wonach der Teilbetrieb "... geschäft" zum 30. Juni 1972 mit allen Aktiven und Passiven auf die B AG übergehen sollte. Die Gegenleistung bestand in jungen Aktien im Nennwert von ... DM. Zu diesem Zwecke beschloß die B AG am 30. Oktober 1972 eine Kapitalerhöhung, die am 22. Dezember 1972 nach der Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister des Sitzes der A AG in das Handelsregister des Sitzes der B AG eingetragen wurde.
Zu dem Vermögen, das durch die Verschmelzung von der A AG auf die Klägerin überging, gehörten auch Wertpapiere.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) sah in der Verschmelzung ein Anschaffungsgeschäft und setzte durch zwei Steuerbescheide vom 10. Februar 1977 Börsenumsatzsteuer fest. Ein Steuerbescheid war hinsichtlich des Steuermaßstabes vorläufig i. S. des § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977). Durch diesen Bescheid wurden die Wertpapiere erfaßt, für die es an einem Kurswert fehlt. Sie wurden vorläufig mit dem Buchwert per 30. September 1972 angesetzt. Zu diesen Wertpapieren gehörten auch die aus der Kapitalerhöhung bei der B AG stammenden Aktien.
Die mit Zustimmung des beklagten FA erhobene Sprungklage hat Erfolg gehabt. Das Finanzgericht (FG) hat die angefochtenen Steuerbescheide aufgehoben. Der zwischen der Klägerin und der A AG abgeschlossene Verschmelzungsvertrag beinhalte kein Anschaffungsgeschäft i. S. des Börsenumsatzsteuerrechts.
Entscheidungsgründe
Begründet ist die Revision insoweit, als sie sich gegen die Auffassung des FG wendet, der Verschmelzungsvertrag beinhalte kein der Börsenumsatzsteuer unterliegendes Anschaffungsgeschäft i. S. der §§ 17, 18 des Kapitalverkehrsteuergesetzes (KVStG) 1972. Unbegründet ist die Revision dagegen insoweit, als das FA die Auffassung vertritt, Gegenstand des der Börsenumsatzsteuer unterliegenden Anschaffungsgeschäftes seien auch die jungen Aktien der B AG, die aus der am 30. Oktober 1972 beschlossenen Kapitalerhöhung stammten.
Der Verschmelzungsvertrag zwischen der Klägerin und der A AG ist ein Anschaffungsgeschäft (§ 18 Abs. 1, Abs. 2 Nrn. 1 und 2 KVStG 1972). Soweit junge Aktien ausgegeben worden sind, ist auf jeden Fall der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 erfüllt worden, und soweit der Klägerin Aktien der A AG gehörten, der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Nr. 2 KVStG 1972. Damit ist durch den Verschmelzungsvertrag hinsichtlich des Wertpapierbestandes der A AG in vollem Umfang Börsenumsatzsteuerpflicht eingetreten. Ob im erstgenannten Fall auch der Tatbestand der Nummer 2 und im letztgenannten Fall auch der Tatbestand der Nummer 1 des § 18 Abs. 2 KVStG 1972 verwirklicht worden ist, kann unter diesen Umständen unerörtert bleiben. Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob die Steuerpflicht auch unmittelbar § 18 Abs. 1 KVStG 1972 entnommen werden könnte.
1. Gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1972 sind Anschaffungsgeschäfte auch Geschäfte, die das Einbringen von Wertpapieren u. a. in eine Kapitalgesellschaft zum Gegenstand haben. Hierunter fallen Verschmelzungsverträge (vgl. § 339 ff. des Aktiengesetzes - AktG -) jedenfalls insoweit, als die vereinbarte Vermögensübertragung gegen Gewährung junger Aktien erfolgt.
a) Unter den Begriff des Einbringens fallen vor allem Vermögensübertragungen auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage, die gegen Gewährung neuer Gesellschaftsrechte erfolgen (vgl. u. a. das Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 3. November 1931 II A 226/31, Steuer und Wirtschaft 1932 Nr. 512 - StuW 1932, 512 -). Hiervon geht u. a. auch das Grunderwerbsteuerrecht aus (vgl. § 13 Abs. 2 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes - GrEStG - 1940, § 27 Abs. 1 Nr. 2 des Umwandlungs-Steuergesetzes - UmwStG - 1977, Urteil des RFH vom 25. März 1938 II 265/37, Mrozek-Kartei § 19 a GrEStG Nr. 6).
b) Ein Einbringen von Wertpapieren gegen neue Gesellschaftsrechte liegt auch dann vor, wenn das Einbringen, wie bei der Verschmelzung, im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in das Vermögen der übertragenden Gesellschaft erfolgt. Diese Auffassung wurde schon zu vergleichbaren Vorschriften des früheren Stempelrechts vertreten.
Das Reichsgericht (RG) führte in seinem Urteil vom 27. September 1912 Rep VII 181/12 (RGZ 80, 168) aus, daß der Vermögensübergang im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die übernehmende Gesellschaft als ein Einbringen i. S. der Tarifnummer 11b zum Reichsstempelgesetz i. d. F. vom 15. Juli 1909 anzusehen sei und daß demgemäß der Verschmelzungsvertrag ein Vertrag sei, der das Einbringen zum Gegenstand habe. Es hat dabei darauf hingewiesen, daß dies auch vorher nach preußischem Stempelrecht niemals zweifelhaft gewesen sei. Dieser Standpunkt ist vom RFH übernommen worden (vgl. unter anderem die Urteile vom 12. November 1919 II A 107/19, RFHE 2, 11, 14; vom 26. November 1919 II A 311/19, RFHE 2, 21). Er liegt auch dem Urteil vom 27. Januar 1931 II A 623/30 (RFHE 28, 42) zugrunde, auch wenn der RFH seinerzeit entgegen dem RG (vgl. das Urteil vom 13. Mai 1929 II 313/28, RGZ 124, 279, 301) angenommen hat, daß damals eine Verschmelzung mit Gesamtrechtsnachfolge gem. § 306 HGB a. F. nicht zulässig gewesen sei, falls die übernehmende Gesellschaft eigene alte Aktien gewährte (kritisch zu den gesellschaftsrechtlichen Ausführungen des RFH, Flechtheim im Bankarchiv 1930/31, 383).
Aus § 19a GrEStG i. d. F. der Notverordnung vom 1. Dezember 1930, der unter Verweisung auf § 12 KVStG i. d. F. der Notverordnung vom 1. Dezember 1930 vom Einbringen von Grundstücken bei der Verschmelzung ausgeht, folgt, daß auch der damalige Gesetzgeber in der Übertragung des Vermögens bei der Verschmelzung ein Einbringen in die übernehmende Gesellschaft sah. Unter diesen Umständen konnte es z. B. niemals zweifelhaft sein, daß die gesellschaftsteuerrechtliche Vorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 2 UmwStG 1969 auch den Fall des Einbringens von Vermögen bei der Verschmelzung umfaßte.
Der Annahme der Börsenumsatzsteuerpflicht im vorliegenden Falle steht nicht entgegen, daß die Rechtsprechung des RFH seinerzeit für die Einbringungsfälle, soweit in diesen Fällen Wertpapiere gegen neue Gesellschaftsrechte eingebracht wurden, zu dem Ergebnis gelangte, es falle keine Börsenumsatzsteuer an (vgl. unter anderem die Urteile vom 10. Oktober 1924 II A 153/24, RFHE 14, 244, und vom 26. Juli 1932 II A 653/31, StuW 1933 Nr. 96). Denn § 18 Abs. 2 Nr. 1 ist 1934 vor allem deshalb in das Kapitalverkehrsteuergesetz aufgenommen worden, um auch diese Einbringungsfälle der Börsenumsatzsteuer zu unterwerfen (vgl. hierzu die Regierungsbegründung im RStBl 1934, 1460, 1475). Dem gleichen Ziel diente auch § 35 KVStG 1934, wonach Börsenumsatz- und Gesellschaftsteuer nebeneinander erhoben werden können (vgl. hierzu ebenfalls die Regierungsbegründung im RStBl 1934, 1460, 1480).
c) Soweit der Senat in seinem Urteil vom 19. Dezember 1973 II R 172/72 (BFHE 112, 78, 81, BStBl II 1974, 400) zur Frage der börsenumsatzsteuerrechtlichen Beurteilung von Verschmelzungsverträgen eine hiervon abweichende Meinung vertreten hat, hält er daran nicht fest. Er ist der Auffassung, daß bei der Verschmelzung nach dem Aktiengesetz 1937 und 1965 wie auch vorher bei der Verschmelzung gem. § 306 HGB a. F. Vermögen in die übernehmende Gesellschaft eingebracht wird und daß es sich nicht um eine rechtliche Vereinigung von juristischen Personen handelt. Der Vermögensübergang ist Ersatz für die bei der Auflösung einer Gesellschaft an sich gebotene Liquidation (vgl. hierzu §§ 305, 306 HGB a. F. und den Eingangssatz des § 339 Abs. 1 AktG 1965).
2. Börsenumsatzsteuer ist im vorliegenden Fall gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 2 KVStG 1972 insoweit entstanden, als junge Aktien deshalb nicht ausgegeben worden sind, weil der Klägerin Aktien der A AG gehörten. Der Verschmelzungsvertrag ist jedenfalls als Geschäft anzusehen, durch das Wertpapiere i. S. des § 18 Abs. 2 Nr. 2 KVStG 1972 überwiesen werden.
Dem Wortlaut nach setzt § 18 Abs. 2 Nr. 2 KVStG 1972 voraus, daß bei der Auseinandersetzung einer Kapitalgesellschaft Wertpapiere überwiesen werden. Die Verschmelzung findet demgegenüber ohne Abwicklung statt. Dies ändert aber nichts daran, daß die Übertragung des Vermögens im ganzen im Zuge der Verschmelzung die Abwicklung ersetzt. Deshalb muß im Hinblick auf die übertragende Gesellschaft die Verschmelzung als der maßgebende Akt der Auseinandersetzung des Vermögens dieser Gesellschaft jedenfalls insoweit gewürdigt werden, als der aufnehmenden Gesellschaft Aktien der übertragenden Gesellschaft gehören. § 18 Abs. 2 Nr. 2 KVStG 1972 meint mit dem Ausdruck "Auseinandersetzung" vor allem die Geschäfte bei Beendigung einer Kapitalgesellschaft, wie § 18 Abs. 1 Nr. 1 KVStG 1972 vor allem die Geschäfte bei Gründung einer Kapitalgesellschaft und bei einer Kapitalerhöhung erfaßt. Bei der Verschmelzung erhält die übernehmende Gesellschaft, soweit ihr Aktien der übertragenden Gesellschaft gehören, das Vermögen der übertragenden Gesellschaft mit Rücksicht auf diese bei der Verschmelzung untergehenden Aktien. Der Vermögensübergang tritt an die Stelle der sonst gebotenen Abwicklung und ist börsenumsatzsteuerrechtlich entsprechend zu würdigen.
3. Die Börsenumsatzsteuer ist im vorliegenden Fall zwar noch nicht mit dem Wirksamwerden des Verschmelzungsvertrages entstanden, weil zu diesem Zeitpunkt noch nicht endgültig feststand, ob zu dem auf die Klägerin übergehenden Vermögen auch Wertpapiere gehören würden. Denn der Verschmelzungsvertrag ist auf die Übertragung des Vermögens der übertragenden Gesellschaft im Zeitpunkt der Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister des Sitzes der übertragenden Gesellschaft gerichtet. Dieser Zeitpunkt stimmt mit dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens eines Verschmelzungsvertrages durch Zustimmung der Hauptversammlungen der beiden an dem Verschmelzungsvertrag beteiligten Gesellschaften (vgl. § 340 AktG 1965) nicht überein. Steht somit die Zusammensetzung des im Rahmen der Verschmelzung übertragenen Vermögens erst im Zeitpunkt des Vermögensüberganges fest, so kann auch die Börsenumsatzsteuer erst in diesem Zeitpunkt entstehen. Im vorliegenden Fall ist allerdings nicht ersichtlich, daß sich die Zusammensetzung des Vermögens nach Wirksamwerden des Verschmelzungsvertrages bis zur Eintragung der Verschmelzung in das Handelsregister noch verändert haben könnte. Gegenstand des Verschmelzungsvertrages können die jungen Aktien der B AG nicht gewesen sein, da diese Aktien erst entstanden sind, nachdem die Verschmelzung der A AG mit der Klägerin in das Handelsregister der ersteren Gesellschaft eingetragen worden ist. Die Revision des FA ist deshalb insoweit unbegründet. Zu dem Vermögen der A AG, das auf die Klägerin überging, gehörten nur Anwartschaftsrechte auf junge Aktien. Der Übergang dieser Rechte reicht nicht aus, um ein Geschäft anzunehmen, das das Einbringen oder die Zuteilung von Wertpapieren zum Gegenstand hat.
Dieser Vorgang kann nicht mit dem Verkauf junger Aktien "per Erscheinen" gleichgeordnet werden, bei dem eine Börsenumsatzsteuerpflicht angenommen wird. In diesem Falle wird ein schuldrechtlicher Vertrag abgeschlossen, der auf die Übertragung der Aktien nach ihrer Entstehung gerichtet ist. Der Verschmelzungsvertrag ist demgegenüber auf die Übertragung des Vermögens in der Zusammensetzung, wie sie im Zeitpunkt des Vermögensüberganges besteht, gerichtet.