BFH

BFHII R 21/7321.9.1977

Amtlicher Leitsatz:

1. Zur Frage der Gesellschaftsteuerpflicht verlustdekkender Zuschüsse an sogenannte geborene Zuschußbetriebe (Anschluß an BFHE 122, 545, BStBl II 1977, 772).

2. Auf gesellschaftsteuerpflichtige Leistungen an sogenannte geborene Zuschußbetriebe ist der ermäßigte Steuersatz des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 anzuwenden, wenn dessen Voraussetzungen gegeben sind.

Normen

§ 2 Nr. 4 Buchst. A KVStG
§ 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959

 

Tatbestand:

I.

Die Stadt A ist Alleingesellschafterin der Klägerin, einer GmbH, deren Unternehmensgegenstand die Betriebsführung der Stadthalle A ist. Die Stadthalle dient der Stadt A als kulturelles Zentrum. Es finden darin Veranstaltungen wie Konzerte, Filmtage, Versammlungen und Kundgebungen politischer Parteien und Verbände statt "Angeschlossen" ist - nach den Gründen des Urteils des FG - ein Restaurant, das ebenfalls von der Klägerin betrieben wird. Die Stadthalle und die Restaurationsräume sind von der Stadt an die Klägerin verpachtet. Der Pachtzins hatte bis Ende 1967 6 % des in der Gastronomie erzielten Umsatzes ohne Tabakwarenumsatz betragen.

Die Gesellschafterin hatte im Jahre 1966 an die Klägerin eine als "Verlustausgleich" bezeichnete Zahlung in Höhe von 50 000 DM geleistet und in Höhe der in den Bilanzen zum 31. Juli 1966 und 31. Juli 1967 ausgewiesenen Verluste der Klägerin von 189 437,67 DM und 298 364,69 DM weitere Zahlungen vorgenommen.

Das FA (Beklagter) unterwarf den Gesamtbetrag von 537 802,36 DM unter Anwendung eines Steuersatzes von 2,5 v. H. der Gesellschaftsteuer.

Der Einspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Das FG hat der Klägerin für die streitigen Zahlung den ermäßigten Steuersatz von 1 v. H. nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a KVStG 1959 zuerkannt.

Der Beklagte rügt mit seiner Revision unrichtige Anwendung des § 9 Abs. 2 KVStG 1959. Die Klägerin begründet den Antrag ihrer Anschlußrevision mit einer Verletzung des § 2 Nr. 4 Buchst. a KVStG 1959, weil die streitigen Leistungen nicht geeignet gewesen seien, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen, denn die Gesellschafterin erfülle mit der Klägerin einen ihr in § 69 Abs. 1 der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen erteilten Auftrag und die laufenden Unterhaltszahlungen, die im Rahmen des § 69 Abs. 1 der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen errichtete Klägerin seien durch den öffentlichen Zweck bedingt.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten und die Anschlußrevision der Klägerin sind im Ergebnis begründet. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Die bisher vom FG getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um die Frage zu entscheiden, ob ein Gesellschaftsteuertatbestand verwirklicht worden ist oder nicht und ob und inwieweit ggf. ein ermäßigter Steuersatz in Betracht kommt.

Daraus, daß die Stadt A als Alleingesellschafterin die Verluste der beiden ersten Geschäftsjahre der Klägerin übernommen hat, folgt noch nicht die Entstehung der Gesellschaftsteuer nach § 2 Nr. 4 Buchst. a KVStG 1959, wie dies das Finanzgericht angenommen hat. Mag eine Geldleistung auch grundsätzlich die Eignung haben, den Wert der Gesellschaftsrechte zu erhöhen (vgl. das Urteil vom 12. April 1972 II 37/63, BFHE 106, 123, BStBl II 1972, 714), so müssen wertmindernde Umstände insoweit in die Beurteilung einbezogen werden, als sie mit der werterhöhenden Eigenschaft der Leistung eng verknüpft sind. Ein etwaiger Leistungsaustausch schließt die Steuerpflicht aus (vgl. das Urteil des BFH vom 5. Februar 1975 II R 202/72, BFHE 115, 144, BStBl II 1975, 415). Ob ein solcher Austausch von Leistungen im vorliegenden Fall gegeben ist, läßt sich nach den bisher ermittelten Umständen des Falles nicht von vornherein ausschließen.

Soweit bisher erkennbar ist, dürfte die Klägerin nicht ohne weiteres in der Lage sein, aus dem Betrieb der Stadthalle einen Gewinn zu erzielen. Worauf dieses im einzelnen zurückzuführen ist, kann nur vermutet werden. Nicht ausgeschlossen werden kann jedenfalls, daß die Klägerin als Pächterin der Stadthalle bei der Bewirtschaftung der Stadthalle der Stadt im Rahmen der Daseinsvorsorge obliegende Aufgaben wahrnimmt, aus deren Erfüllung sich ggf. aufgrund von Einzel- oder Rahmenverträgen entsprechende Ausgleichsansprüche gegen die Stadt ergeben haben könnten. Es wird Aufgabe des FG sein, diese Fragen noch im einzelnen zu prüfen. Auch wenn die Stadt A wirklich die entstandenen Verluste übernommen hat, schließt das nicht aus, daß gleichwohl Ausgleichspflichten bestanden haben, die jedoch wegen der Verlustdeckung durch die Stadt nicht mehr zum Zuge gekommen sind. Der Senat verweist in diesem Zusammenhang auf sein Urteil vom 11. Februar 1976 II R 76-78/67 (BFHE 122, 545, BStBl II 1977, 772). Sollten nach erneuter Überprüfung des Sachverhalts Austauschleistungen zu verneinen sein, kann mit der Übernahme der Verluste der Klägerin durch die Stadt eine Leistung im Sinne des § 2 Nr. 4 Buchst. a KVStG 1959 bewirkt worden sein.

Soweit das FA in der Begründung seiner Revision die Auffassung vertritt, daß § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, weil es sich bei der Klägerin um einen sogenannten Zuschußbetrieb handele, der wegen seiner Zweckbestimmung nicht in der Lage sei, seine Unkosten durch eigene Gewinnerzielung aufzubringen, kann ihr hierin nicht gefolgt werden. Der eindeutige Wortlaut der Vorschrift erlaubt eine derartige Einschränkung nicht. Der erkennende Senat hat diese Auffassung zwar in seinem Urteil vom 4. Oktober 1961 II 140/58 (HFR 1962, 31) ebenfalls vertreten (vgl. hierzu auch das Urteil vom 6. Mai 1964 II 183/59, BFHE 79, 417, BStBl III 1964, 384). Er hält hieran jedoch nicht mehr fest. Falls oder soweit bei den Leistungen an die Klägerin ein Gesellschaftsteuer ausschließendes Austauschverhältnis im Einzelfall zu verneinen sein wird und somit Gesellschaftsteuerpflicht anzunehmen ist, ist § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 dem Grunde nach anzuwenden.

Nach dem Zweck des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959, Kapitalzuführungen zu begünstigen, durch die verlorenes Gesellschaftskapital ersetzt wird, kann es keinen Unterschied machen, ob bereits eingetretene Verluste beseitigt werden oder ob ein Verlust durch freiwillige Leistungen verhindert wird. Dies hat der Senat bereits für die Fälle der Verlustübernahme im Rahmen einer Ergebnisabführungsvereinbarung ausgesprochen (vgl. das Urteil vom 27. August 1968 II R 82/67, BFHE 93, 344, BStBl II 1968, 781). Für andere Fälle der Verlustübernahme kann grundsätzlich nichts anderes gelten. Die Theorie von den "geborenen Zuschußbetrieben" kann nicht von der Prüfung entbinden, ob die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 erfüllt sind. Es gilt hier nichts anderes als hinsichtlich der sogenannten Zweckwillenstheorie (vgl. hierzu das Urteil II R 76-78/67).

Ob im vorliegenden Fall - soweit die Gesellschaftsteuerpflicht der Leistungen zu bejahen ist - die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 erfüllt sind, bedarf ebenfalls noch der Prüfung, da aus dem bisher festgestellten Sachverhalt nicht hinreichend klar hervorgeht, ob die von der Gesellschafterin geleisteten Beträge voll zur Deckung einer Überschuldung oder auch zur Deckung von Verlusten am Stammkapital erforderlich waren. Für die Frage, ob nach den maßgebenden Bewertungsgrundsätzen des Bewertungsgesetzes ein Verlust am Stammkapital bzw. eine Überschuldung vorgelegen hat, kommt es nicht darauf an, wie die Anteile zu bewerten sind, sondern darauf, welchen Wert das Betriebsvermögen der Klägerin hatte (vgl. II R 82/67).

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