Normen
§ 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG
Tatbestand:
Die Klägerin und Revisionsklägerin betreibt in W. eine ... spinnerei und -weberei. In den Jahren 1959 und 1960 ließ sie in B. mit einem Herstellungsaufwand von 698 843 DM ein Zweigwerk mit Fabrikations- und Lagerhallen sowie Bürobauten errichten, das die ... fabrikation übernahm. Das Zweigwerk war wegen der damals bestehenden großen Nachfrage nach ... erzeugnissen errichtet worden.
Nach einer zunächst günstigen Umsatzentwicklung in der ... erzeugung setzte im Jahr 1964 eine Abschwächung des Umsatzes ein. Wegen des Umsatzrückgangs konnten die neugeschaffenen Betriebsanlagen in B. nur noch in geringem Maße genutzt werden. Deshalb verlegte die Klägerin in den Jahren 1965 und 1966 die ... erzeugung von B. in das Stammwerk in W. zurück.
Die Bemühungen der Klägerin, das Zweigwerk in B. zu verkaufen, blieben ohne Erfolg. Sie vermietete deshalb im Juli 1966 das Betriebsgelände und die Gebäude in B. gegen einen monatlichen Mietzins von 5 000 DM auf acht Jahre.
Bei der Gewinnermittlung für das Jahr 1965 nahm die Klägerin auf die Betriebsgebäude, die Hofbefestigung und die technischen Anlagen des Betriebs in B. eine Teilwertabschreibung in Höhe von insgesamt 315 839 DM vor.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) folgte zunächst der von der Klägerlin vorgenommenen Gewinnermittlung in einem vorläufigen Bescheid, versagte der Teilwertabschreibung jedoch bei der endgültigen, im Anschluß an eine Betriebsprüfung vorgenommenen Gewinnfeststellung die Anerkennung; anerkannt wurde lediglich eine Teilwertabschreibung auf eine Klimaanlage in Höhe von 9 520 DM.
Die gemäß § 45 FGO unmittelbar zum FG erhobene Klage blieb ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt unter Aufhebung der Vorentscheidung und unter Abänderung des angefochtenen Bescheides vom 3. Juni 1969 zu einer anderweitigen Gewinnfeststellung.
1. Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die der Abnutzung unterliegen, können mit dem Teilwert angesetzt werden, wenn dieser niedriger ist als die -- um die AfA (§ 7 EStG) verminderten -- Anschaffungs- oder Herstellungskosten (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG). Teilwert ist der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde; dabei ist davon auszugehen, daß der Erwerber den Betrieb fortführt (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile I 311/60 S vom 11. Juli 1961, BFH 73, 537, BStBl III 1961, 462; IV 328/61 vom 10. Dezember 1964, StRK, Einkommensteuergesetz § 6 Abs. 1 Nr. 1, Rechtsspruch 136; IV 138/63 vom 13. Juli 1967, BFH 90, 125, BStBl II 1968, 11) besteht eine Vermutung dafür, daß sich der Teilwert eines Wirtschaftsguts im Zeitpunkt seiner Anschaffung oder Herstellung mit seinen tatsächlichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten und in späteren Zeitpunkten mit dem Wiederbeschaffungswert deckt. Ein niedrigerer Teilwert kommt aber dann in Betracht, wenn zwischen dem Anschaffungs- oder Herstellungszeitpunkt und dem Bilanzstichtag Umstände eintreten, die die Annahme rechtfertigen, daß am Bilanzstichtag die Wiederbeschaffungskosten des Wirtschaftsguts unter den ursprünglichen Anschaffungs- und Herstellungskosten des Unternehmers liegen. Kann der Steuerpflichtige in einem solchen Fall das Vorliegen der die Teilwertabschreibung rechtfertigenden Umstände und ihre kostenmäßige Auswirkung nachweisen, so ist die begehrte Abschreibung anzuerkennen. Dabei kommt als Grund für eine Abschreibung u. a. auch die Unrentierlichkeit einer Anlage in Betracht (vgl. Bühler-Paulick, Einkommensteuergesetz und Körperschaftsteuergesetz, 2. Aufl. § 6 EStG, IV 2c aa; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 15. Aufl., § 6 EStG Anm. 72b).
Dem steht das BFH-Urteil I 311/60 S (a. a. O.) nicht entgegen. Diese Entscheidung geht zwar davon aus, daß ein niedrigerer Teilwert im allgemeinen nicht damit begründet werden könne, daß sich die mit der Herstellung des Wirtschaftsguts verbundene Ertragserwartung nicht in vollem Umfang erfüllt. Im Gegensatz zum vorliegenden Fall war jedoch in dem damals entschiedenen Fall der Gewerbebetrieb als solcher von großer Ertragsfähigkeit; in diesem Falle wird die bei einem einzelnen Wirtschaftsgut hinter den Ertragserwartungen zurückbleibende Rentabilität für eine Teilwertabschreibung nicht als ausreichend angesehen. Kann dagegen der Steuerpflichtige dartun, daß sich die Ertragsverhältnisse seines ganzen Betriebs durch technische oder strukturelle Veränderungen auf Dauer stark rückläufig gestalten, dann kann auch bei den einzelnen hiervon betroffenen Wirtschaftsgütern des Betriebs eine Teilwertabschreibung nicht ausgeschlossen werden. Denn ein Erwerber des Betriebs müßte bei Ansatz des einzelnen zum Betrieb gehörenden Wirtschaftsguts auch dessen dauernd nachlassende Rentabilität in Betracht ziehen; der hierauf entfallende Kaufpreisteil würde dementsprechend gering ausfallen.
2. a) Das gilt auch im vorliegenden Fall für die technischen Betriebsanlagen in B., die wegen des strukturell bedingten Rückgangs des . . . absatzes auf Dauer nicht mehr rentabel genutzt werden konnten. Die sich aus einer solchen Abschreibung ergebende Gewinnminderung beträgt 33 900 DM.
b) Anders liegt es jedoch hinsichtlich der Gebäude und der Hofbefestigung, für die die Klägerin Teilwertabschreibungen in Höhe von (257 110 DM + 13 300 DM =) 270 410 DM begehrt. Nach den Erkenntnissen im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung (am 18 Januar 1966) war der von der Klägerin angegebene Grund für die Teilwertabschreibung, nämlich die fehlende Rentabilität dieser Anlagen nicht gegeben. Der Kaufmann darf seine Situation am Bilanzstichtag auch nicht zu pessimistisch beurteilen. Da der Betrieb der Klägerin im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung und noch bis in den Monat April 1966 in dem Zweigwerk in B. arbeitete und da der Versuch einer Veräußerung oder Vermietung einer solchen Anlage (Gebäudekomplex) erfahrungsgemäß nicht kurzfristig zum Erfolg führt, kann eine dauernde Wertminderung hinsichtlich der Gebäude- und der Hofbefestigung zum 31. Dezember 1965 nicht als gegeben anerkannt werden. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, daß ein Erwerber des Betriebs im Rahmen des gesamten Kaufpreises für die Gebäude und die Hofbefestigungsanlagen einen geringeren Preis ansetzen würde als die Herstellungskosten abzüglich der AfA.
Die Zulässigkeit einer Teilwertabschreibung läßt sich auch nicht mit handelsrechtlichen Vorschriften begründen. Es ist nicht erkennbar, weshalb das Handelsrecht im vorliegenden Fall eine Teilwertabschreibung gebieten sollte. Abgesehen hiervon würden die steuerrechtlichen Bewertungsvorschriften des § 6 EStG -- die im vorliegenden Fall eine Teilwertabschreibung nicht zulassen -- den handelsrechtlichen Vorschriften vorgehen (vgl. § 5 Satz 2 EStG in der für den vorliegenden Fall geltenden Fassung -- EStG 1965 -- i. V. mit § 6 EStG).
3. Der Klägerin ist darin zuzustimmen, daß der Erwerb des an ihr Betriebsgrundstück in W. angrenzenden Grundstücks für die Beurteilung des Streitfalles nur bedingt eine Rolle spielen kann. Denn selbst wenn der sich am 31. Dezember 1965 bereits abzeichnende Erwerb den Entschluß zur Aufgabe des Zweigwerks in B. mitbestimmt haben sollte, so ist doch nach den tatsächlichen Feststellungen des FG die Klägerin bereits seit Aufnahme der Kaufverhandlungen, d. h. seit Ende des Jahres 1963, bemüht gewesen, das Zweigwerk in B. zu verkaufen, während der Entschluß seiner Stillegung durch die im Jahre 1964 einsetzende Rückläufigkeit des ... geschäfts (Spinnerei und Weberei) bedingt wurde und damit gegenüber der bereits früher ins Auge gefaßten Betriebsverlegung in hohem Grade Selbständigkeit besitzt.