BFH

BFHIII - 239/6518.7.1969

Amtlicher Leitsatz:

1. Der Senat hält daran fest, daß die Bewertung von Fabrikgrundstücken nach dem sogenannten Weil'schen Verfahren eine geeignete Grundlage zur Erzielung der Gleichmäßigkeit der Bewertung ist. Die im Rahmen dieses Verfahrens anzuwendenden Nutzungsziffern drücken die Wertverhältnisse vom 1. Januar 1935 aus.

2. Zur Nutzungsziffer für die Luftfahrtindustrie.

Normen

§ 52 BewG i.d.F. vor BewG 1965
§ 33 Abs. 2 BewDV (a.F.)

 

Tatbestand:

Die Revisionsklägerin ist Eigentümerin eines bebauten Grundstücks. Sie hat auf diesem Grundstück im Jahre 19 ... zusätzlich zu den bereits vorhandenen Gebäuden eine Fabrikhalle mit Anbauten für die Fabrikation von Flugzeugteilen errichtet. Von der Nutzfläche sämtlicher Gebäude, die sich nunmehr auf dem Geschäftsgrundstück der Revisionsklägerin befanden, wurden mehr als 70 v. H. für den Bau von Flugzeugteilen verwendet. Das FA -- Revisionsbeklagter -- hat den Einheitswert für das Geschäftsgrundstück der Revisionsklägerin zum 1. Januar 19 ... durch Fortschreibung vorläufig festgestellt. Die Bewertung erfolgte nach dem sogenannten Weil'schen Verfahren. Dabei wurde zur Ermittlung des gemeinen Werts die Nutzungsziffer 60 angewendet, die dem bisherigen Fabrikationszweig Maschinenbau und Fahrzeugbau entspricht. Der Feststellungsbescheid über den Einheitswert erging deshalb vorläufig, weil die Richtigkeit der angewendeten Nutzungsziffer noch überprüft werden sollte. Gegen diesen Bescheid legte die Revisionsklägerin Einspruch ein. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das FA stellte durch Einspruchsentscheidung den Einheitswert endgültig fest und wendete dabei die für die Luftfahrtindustrie vorgesehene Nutzungsziffer 100 an.

Auch die Berufung hatte keinen Erfolg. Das FG erkannte das sogenannte Weil'sche Verfahren als eine geeignete Grundlage zur Ermittlung des gemeinen Werts von Fabrikgrundstücken an; denn die Richtlinien zur Durchführung dieses Verfahrens seien, wie der RFH in seinem Urteil III 52/39 vom 1. August 1940 (RStBl 1940, 852) ausgeführt habe, auf Grund umfangreicher und sorgfältiger Erhebungen, einer reichhaltigen Stoffsammlung, Gutachten von ausgesuchten Sachverständigen und eingehenden Verhandlungen mit den beteiligten Wirtschaftskreisen erstellt worden. Alle Beteiligten hätten den eingeschlagenen Weg für die Ermittlung des gemeinen Werts von Fabrikgrundstücken als richtig anerkannt. Grundgedanke des Weil'schen Verfahrens sei, für die Grundstücksbewertung nicht die Kapazitätsausnutzung des einzelnen Betriebs, sondern durch Anwendung einer Nutzungsziffer die Kapazitätsausnutzung der ganzen Wirtschaftsgruppe zu berücksichtigen, der der einzelne Betrieb angehöre. Die Beachtung der individuellen Verhältnisse der Revisionsklägerin würde dem Ziel, objektive Werte zu finden, widersprechen. Außerdem müßten derartige Einwendungen bei einer Vielzahl von Bewertungen berücksichtigt werden, so daß dies einer verdeckten Hauptfeststellung gleichkäme. Schließlich drückten sich in der Nutzungsziffer die Wertverhältnisse aus, für die bei der Einheitsbewertung des Grundbesitzes der Stand vom 1. Januar 1935 maßgebend sei.

Mit der Rechtsbeschwerde wird unrichtige Anwendung materiellen Rechts gerügt.

Die Revisionsklägerin ist der Auffassung, daß die Nutzungsziffer nicht zu den Wertverhältnissen des Grundstücks gehöre. Wenn der Reichsminister der Finanzen (RdF) in seinem Erlaß vom 24. Dezember 1935 (RStBl 1935, 1562) ausgeführt habe, die Abschläge vom Ausgangswert, die in Form der Nutzungsziffer zu machen seien, sollen die Minderbeschäftigung gegenüber der vollen Kapazitätsausnutzung berücksichtigen, dann seien doch tatsächliche Verhältnisse, nämlich die Minderbeschäftigung, das Entscheidende. Zu den Wertverhältnissen gehörten lediglich die Reichsdurchschnittspreise; alle anderen Faktoren des Verfahrens, nämlich die Sonderabschläge wegen Strukturwandels oder wegen Minderbeschäftigung, berücksichtigten den tatsächlichen Zustand des Grundstücks. Auf dem Gebiet der Luftfahrtindustrie sei außerdem in der Zeit vor dem letzten Krieg bis 19 ... ein derart umwälzender Wandel in der Struktur eingetreten, daß das, was man 1935 unter Luftfahrtindustrie verstanden habe, mit der Luftfahrtindustrie des Jahres 19 ... nicht mehr identisch sei. Beide Industriezweige hätten nur noch den Namen gemeinsam. Der Strukturwandel sei u. a. darauf zurückzuführen, daß der Flugzeugbau in der Bundesrepublik als einziger Industriezweig zehn Jahre lang völlig verboten gewesen sei. Die Luftfahrtindustrie sei sämtlicher Fertigungs- und Entwicklungseinrichtungen beraubt worden, das Fachpersonal sei in andere Industriezweige oder in das Ausland abgewandert. Im Gegensatz zum Flugzeugbau vor dem Krieg, der sich auf eine umfangreiche Entwicklung eigener Modelle habe stützen können, bestehe die heutige Luftfahrtindustrie ausschließlich im Lizenzbau weniger ausländischer Entwicklungen.

Die Revisionsklägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den Einheitswert für das Fabrikgrundstück entsprechend dem heutigen Ausnutzungsgrad unter Anwendung einer Nutzungsziffer 50, höchstens jedoch 60, festzustellen, hilfsweise die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuweisen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Das streitbefangene Grundstück der Revisionsklägerin, das ausschließlich gewerblichen Zwecken dient, ist ein Geschäftsgrundstück. Es ist nach § 52 BewG in Verbindung mit § 33 Abs. 2 Satz 1 BewDV mit dem gemeinen Wert zu bewerten. Für die Bewertung von Fabrikgrundstücken mit dem gemeinen Wert hatte der RdF Richtlinien erlassen, die als Weil'sches Verfahren bezeichnet werden. An diese Richtlinien sind die Gerichte zwar nicht gebunden. Der Senat ist jedoch in ständiger Rechtsprechung der Auffassung, daß diese Richtlinien ein geeignetes Verfahren darstellen, die Einheitswerte für Fabrikgrundstücke nach einheitlichen Gesichtspunkten zu ermitteln und daß sie damit im besonderen Maße der Gleichmäßigkeit der Besteuerung dienen (vgl. Entscheidung des BFH III 159/60 U vom 10. Juli 1964, BFH 80, 131, BStBl III 1964, 523). Deshalb ist bereits der RFH in seinem Urteil III 97/37 vom 19. Januar 1939 (RStBl 1939, 684) davon ausgegangen, daß die Regelung der Bewertung von Fabrikgrundstücken durch das Weil'sche Verfahren abschließend ist und demnach Abweichungen, von ganz ungewöhnlichen Ausnahmefällen abgesehen, nicht zulässig sind. Der erkennende Senat hält an dieser schon mit Urteil III 159/60 U (a. a. O.) bestätigten Rechtsprechung fest.

Das Weil'sche Verfahren beruht auf der Berechnung des Sachwerts des Grundstücks. Dieser Sachwert ergibt sich durch Zusammenzählen des Bodenwerts und des Gebäudewerts. Der Sachwert wird auch als Ausgangswert bezeichnet, weil er durch Anwendung einer Wertzahl an den gemeinen Wert angeglichen werden muß. Der Ausgangswert ist nur dann gleich dem gemeinen Wert, wenn in dem betreffenden Industriezweig, dem die auf dem Grundstück betriebene Fabrikation angehört, nach den Verhältnissen vom Hauptfeststellungszeitpunkt 1935 Vollbeschäftigung herrschte. War dieser Industriezweig nicht voll beschäftigt, so muß der Ausgangswert vermindert werden (vgl. RFH-Urteil III 290/38 vom 25. April 1940, RStBl 1940, 590).

Die Wertzahl wird in der Weise errechnet, daß die sogenannte Nutzungsziffer mit der Zahl 100 gemittelt wird. Die Nutzungsziffer drückt den Nutzungsgrad des Industriezweiges aus, dem die auf dem Grundstück betriebene Fabrikation einzuordnen ist. Die Nutzungsziffern für die verschiedenen Industriezweige wurden durch den RdF ermittelt, und zwar durch Vergleich der Produktionsfähigkeit des jeweiligen Industriezweiges mit der tatsächlichen Produktion des Jahres 1934. Die Rechtsprechung des RFH hat klargestellt, daß durch Anwendung der Nutzungsziffer nicht der Teilwert des einzelnen Grundstücks ermittelt werde, sondern ein objektiver Wert, der auf die betrieblichen Verhältnisse des Einzelfalles keine Rücksicht nehmen darf (RFH-Urteil III 52/39, a. a. O.). Der Senat stimmt dieser Auffassung zu, denn aus § 66 Abs. 2 BewG ergibt sich eindeutig, daß Betriebsgrundstücke entgegen dem grundsätzlich für das Betriebsvermögen geltenden Bewertungsmaßstab nicht mit dem Teilwert, sondern mit dem gemeinen Wert zu bewerten sind. Durch die Anwendung der Nutzungsziffer und der Wertzahl auf den Ausgangswert werden somit nicht tatsächliche Verhältnisse des einzelnen zu bewertenden Grundstücks berücksichtigt, sondern die allgemeine Marktlage für Fabrikgrundstücke eines bestimmten Wirtschaftszweiges am Hauptfeststellungszeitpunkt. Bei der Vielgestaltigkeit von Fabrikgrundstücken geben die bei einzelnen Verkäufen erzielten Kaufpreise hierüber keinen Aufschluß, weil Verkaufsfälle nur sehr selten vorkommen und außerdem ein Fabrikgrundstück, für das ein Kaufpreis bekannt ist, nicht ohne weiteres mit einem anderen Fabrikgrundstück verglichen werden kann. Aus diesem Grund wird beim Weil'schen Verfahren aus dem Ausnutzungsgrad der Kapazität des betreffenden Wirtschaftszweiges auf die Marktverhältnisse für Fabrikgrundstücke, die diesem Wirtschaftszweig angehören, geschlossen. Der Revisionsklägerin ist zwar darin zuzustimmen, daß der Beschäftigungsgrad eines bestimmten Industriezweiges tatsächliche Verhältnisse ausdrückt. Sie unterliegt jedoch einem Trugschluß, wenn sie glaubt, daß es sich hierbei um tatsächliche Verhältnisse des Grundstücks handele. Es ist vielmehr so, daß aus den tatsächlichen Verhältnissen des Wirtschaftszweigs für die Wertverhältnisse des Grundstücks Schlüsse gezogen wurden und diese Schlüsse in der Nutzungsziffer ausgedrückt wurden. Die Änderung der Wirtschaftslage und der Kapazitätsausnutzung des betreffenden Wirtschaftszweigs ist zwar eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, jedoch nicht der tatsächlichen Verhältnisse des zu bewertenden Grundstücks, sondern solcher tatsächlicher Verhältnisse, die nur die Wertverhältnisse, nämlich die Wertschätzung am Grundstücksmarkt für derartige Grundstücke beeinflussen. Die bei der Bewertung nach dem Weil'schen Verfahren anzuwendenden Nutzungsziffern und Wertzahlen gehören somit, wie der Senat schon im Urteil III 194/52 U vom 2. Oktober 1953 (BFH 58, 153, BStBl III 1953, 350) entschieden hat, zu den Wertverhältnissen. Nach § 3a BewDV bleiben bei Fortschreibungen der Einheitswerte des Grundbesitzes bis zur nächsten Hauptfeststellung der Einheitswerte die Verhältnisse vom 1. Januar 1935 maßgebend.

Der RdF hat die von ihm nach den Grundsätzen seines Erlasses vom 23. Februar 1935 (RStBl 1935, 350) ermittelten Nutzungsziffern als Anlage zum Erlaß vom 13. Juli 1935 (RStBl 1935, 1011) veröffentlicht. Er hat in diesem Erlaß betont, daß die Nutzungsziffern durch Vergleich der Produktionsfähigkeit mit der tatsächlichen Produktion -- grundsätzlich des Jahres 1934 -- festgestellt worden seien. Der jeweiligen Nutzungsziffer entspricht damit die Kapazitätsausnutzung des betreffend'n Wirtschaftszweiges vor dem 1. Januar 1935. In der dem RdF-Erlaß vom 13. Juli 1935 beigegebenen umfangreichen Zusammenstellung kommt nur einmal die Nutzungsziffer 100 vor, und zwar für Fabrikgrundstücke, die der Aluminiumerzeugung dienen. Alle übrigen Nutzungsziffern liegen in der Regel weit unter 100. Der Hauptgruppe II, Wirtschaftsgruppe D, wurde keine Nutzungsziffer zugeordnet. Mit Erlaß vom 17. Juli 1935 S 3231 A-422 III hat der RdF für die Hauptgruppe II, Wirtschaftsgruppe D, "Luftfahrtindustrie", die Nutzungsziffer auf 100 festgesetzt. Dieser Erlaß war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und vertraulich zu behandeln. Der Senat ist auf Grund der bekannten Wirtschaftslage zu Beginn der dreißiger Jahre der Überzeugung, daß diese durch den RdF festgesetzte Nutzungsziffer für die Luftfahrtindustrie nicht der tatsächlichen Kapazitätsausnutzung dieses Industriezweiges in der Zeit vor dem 1. Januar 1935 entspricht; in dieser Nutzungsziffer kommt vielmehr die Tendenz zum Ausdruck, in der Luftfahrtindustrie im Interesse der Ziele der damaligen Machthaber schnellstmöglich Vollbeschäftigung und volle Kapazitätsausnutzung herzustellen. Da die Nutzungsziffer 100 nach Auffassung des Senats für die Luftfahrtindustrie nicht den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1935 entspricht, muß die Bewertung des Geschäftsgrundstücks der Revisionsklägerin unter Anwendung der Nutzungsziffer eines annähernd vergleichbaren Industriezweiges durchgeführt werden. Der Senat ist der Auffassung, daß die Nutzungsziffer für die Fahrzeugindustrie mit 68 auch den Verhältnissen im Flugzeugbau nach dem Stand vom 1. Januar 1933 gerecht wird.

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