OGH 1Rv380/20; 2Ob35/23w; 2Ob106/23m (RS0015396)

OGH1Rv380/20; 2Ob35/23w; 2Ob106/23m27.6.2023

Rechtssatz

Zur Auslegung des § 580 ABGB.: "Ein Erblasser, welcher nicht schreiben kann...".

Normen

ABGB §580
NO §68 Abs1 litg

1 Rv 380/20OGH28.12.1920
2 Ob 35/23wOGH21.03.2023

Beisatz: Hier: Mit dem Mund auf dem Notariatsakt beigesetzte Unterschrift wurde auf dem Testament angebracht und mit einem von der Zeugin errichteten handschriftlichen Beisatz, der auf die Person des Erblassers hinweist, bekräftigt. (T1)<br/>Beisatz: Ansicht der Vorinstanzen, eine Unterschrift könne auch so gleistet werden, dass das Schreibgerät mit dem Mund oder auch mit den Zehen gehalten wird, gebilligt. (T2)<br/>Beisatz: Ungeachtet des Ausdrucks „Handzeichen“ in § 68 Abs 1 lit g NO und § 580 Abs 1 ABGB kommt es nach deren Zweck nicht darauf an, dass der Erblasser mit der Hand agiert, sondern darauf, dass er seinen letzten Willen nach außen sinnfällig so bestätigt, dass er auf der die letztwillige Verfügung enthaltenden Urkunde seinen Niederschlag findet. Dafür ist es unerheblich, mit welchem Körperteil der Erblasser das Schreibgerät führt. (T3)

2 Ob 106/23mOGH27.06.2023

vgl; Beisatz wie T3<br/>Beisatz: Generell heißt „nicht schreiben können“ in der NO (hier in § 68 Abs 1 lit g NO), seine Unterschrift nicht setzen zu können. (T4)<br/>Beisatz: Eine Partei oder ein Zeuge, der nicht schreiben, wohl aber seinen Namen eigenhändig niederschreiben kann, fällt nicht darunter. (T5)<br/>Beisatz: Wenn selbst ein Handzeichen von der Partei nicht gesetzt werden kann, ist dies von den Aktszeugen im Notariatsakt – bei sonstigem Verlust der Kraft einer öffentlichen Urkunde – ausdrücklich zu bestätigen. (T6)<br/>Beisatz: Der Notar hat im Notariatsakt die entsprechenden Feststellungen zu den aufgenommenen Erklärungen der Partei über ihre Schreib<br/>-(un-)fähigkeit zu treffen. (T7)<br/>Beisatz: Schreibunfähigkeit liegt nicht erst dann vor, wenn eine Unterschrift schlechthin unmöglich ist, sondern schon dann, wenn dem Erblasser eine Unterschrift nur unter solcher Anstrengung möglich wäre, dass es ihm billigerweise nicht zugemutet werden kann. (T8)<br/>Beisatz: Auch im Anwendungsbereich des § 68 NO besteht im Hinblick auf den von der Norm explizit angedrohten Solennitätsverlust und die nur unter bestimmten Voraussetzungen eröffnete Möglichkeit, an Stelle der Unterschrift ein Handzeichen zu setzen bzw auch auf dieses zu verzichten, keine „Wahlfreiheit“ des Erblassers. (T9)<br/>Beisatz: Liegen die Voraussetzungen für einen Verzicht auch auf ein Handzeichen objektiv nicht vor, so ist ein solches bei sonstigem Solennitätsverlust unter Einhaltung der Vorgangsweise des § 68 Abs 1 lit g NO beizusetzen. (T10)<br/>Beisatz: Hier: Nach den Feststellungen konnte der Erblasser seine linke Hand normal bedienen und einsetzen. Eine Paraphe oder die Beifügung von drei Kreuzen wäre ihm (mit dieser) möglich gewesen. Eine generell eingeschränkte Geschicklichkeit bei Verwendung der linken Hand führt aber nicht dazu, dass dem Erblasser die Setzung eines (grundsätzlich möglichen) Handzeichens nicht zumutbar gewesen wäre. (T11)

Dokumentnummer

JJR_19201228_OGH0002_0010RV00380_2000000_001

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