OGH 4Ob79/11p (RS0127118)

OGH4Ob79/11p20.9.2011

Rechtssatz

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Liegt ein „gerechter Ausgleich“ iSv Art 5 Abs 2 lit b RL 2001/29/EG vor, wenn

(a) die Berechtigten iSv Art 2 RL 2001/29/EG einen ausschließlich durch eine Verwertungsgesellschaft geltend zu machenden Anspruch auf eine angemessene Vergütung gegen denjenigen haben, der Trägermaterial, das zur Vervielfältigung ihrer Werke geeignet ist, im Inland als erster gewerbsmäßig entgeltlich in Verkehr bringt,

(b) dieser Anspruch nicht davon abhängt, ob das Inverkehrbringen an Zwischenhändler, an natürliche oder juristische Personen zur Nutzung für nicht private Zwecke oder an natürliche Personen zur Nutzung für private Zwecke erfolgt,

(c) wohl aber derjenige, der das Trägermaterial zur Vervielfältigung aufgrund einer Einwilligung des Berechtigten nutzt oder vor der Veräußerung an den Letztverbraucher wieder ausführt, gegen die Verwertungsgesellschaft einen Anspruch auf Rückzahlung der Vergütung hat?

2. Wenn Frage 1. verneint wird:

2.1. Läge ein „gerechter Ausgleich“ iSv Art 5 Abs 2 lit b RL 2001/29/EG vor, wenn der in Frage 1 (a) bezeichnete Anspruch nur bei einem Inverkehrbringen an natürliche Personen besteht, die das Trägermaterial zur Vervielfältigung für private Zwecke nutzen?

2.2. Wenn Frage 2.1. bejaht wird: Ist bei einem Inverkehrbringen an natürliche Personen bis zur Bescheinigung des Gegenteils anzunehmen, dass sie das Trägermaterial zur Vervielfältigung für private Zwecke nutzen werden?

3. Wenn Frage 1. oder Frage 2.1. bejaht wird:

Folgt aus Art 5 RL 2001/29/EG oder anderen Bestimmungen des Unionsrechts, dass der von einer Verwertungsgesellschaft geltend zu machende Anspruch auf Leistung eines gerechten Ausgleichs nicht besteht, wenn die Verwertungsgesellschaft gesetzlich verpflichtet ist, die Hälfte des Erlöses nicht an die Bezugsberechtigten auszuzahlen, sondern sozialen und kulturellen Einrichtungen zu widmen?

4. Wenn Frage 1. oder Frage 2.1. bejaht wird:

Steht Art 5 Abs 2 lit b RL 2001/29/EG oder eine andere Bestimmung des Unionsrechts dem von einer Verwertungsgesellschaft geltend zu machenden Anspruch auf Leistung eines gerechten Ausgleichs entgegen, wenn bereits in einem anderen Mitgliedstaat ‑ wenngleich möglicherweise auf einer unionsrechtswidrigen Grundlage ‑ eine angemessene Vergütung für das Inverkehrbringen des Trägermaterials gezahlt wurde?

Normen

EG-RL 2001/29/EG - Info-Richtlinie 32001L0029 Art2
EG-RL 2001/29/EG - Info-Richtlinie 32001L0029 Art5
UrhG §42
UrhG §42b
VerwGesG §13

4 Ob 79/11pOGH20.09.2011
4 Ob 43/12wOGH12.06.2012

Vgl; Bem: Dieses Verfahren zur Frage, ob für Festplatten eine Leerkassettenvergütung zu leisten ist, wurde bis zur Entscheidung des EuGH über die Vorlagefragen unterbrochen. (T1)

4 Ob 142/13fOGH27.08.2013

Auch; Beisatz: Der EuGH hat auf das Vorabentscheidungsersuchen mit Urteil vom 11. Juli 2013, C-521/11 , Amazon, wie folgt geantwortet: <br/>1. Art 5 Abs 2 Buchst b der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats, nach der eine Abgabe für Privatkopien unterschiedslos beim ersten gewerbsmäßigen und entgeltlichen Inverkehrbringen von zur Vervielfältigung geeignetem Trägermaterial in seinem Hoheitsgebiet angewandt wird und die zugleich einen Anspruch auf Rückerstattung der gezahlten Abgaben vorsieht, falls die Endnutzung des Trägermaterials nicht von dem in dieser Vorschrift geregelten Fall erfasst wird, nicht entgegensteht, wenn, was das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung der besonderen Umstände jeder nationalen Regelung und der durch die Richtlinie vorgegebenen Grenzen zu prüfen hat, praktische Schwierigkeiten eine solche Regelung zur Finanzierung des gerechten Ausgleichs rechtfertigen und wenn der Rückerstattungsanspruch wirksam ist und keine übermäßige Erschwernis bei der Erstattung der gezahlten Abgabe mit sich bringt.<br/>2. Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 ist dahin auszulegen, dass er im Rahmen einer Regelung zur Finanzierung des in dieser Vorschrift vorgesehenen gerechten Ausgleichs durch eine Abgabe für Privatkopien zulasten von Personen, die zur Vervielfältigung geeignetes Trägermaterial im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats als Erste gewerbsmäßig und entgeltlich in Verkehr bringen, diesen Mitgliedstaat nicht daran hindert, eine widerlegbare Vermutung für den privaten Gebrauch dieses Trägermaterials im Fall seines Inverkehrbringens an natürliche Personen aufzustellen, sofern praktische Schwierigkeiten bei der Ermittlung des privaten Zwecks der Nutzung des fraglichen Trägermaterials die Aufstellung einer solchen Vermutung rechtfertigen und soweit die vorgesehene Vermutung nicht dazu führt, dass die Abgabe für Privatkopien in Fällen auferlegt wird, in denen der Endnutzer des Trägermaterials offenkundig nicht von dem in dieser Vorschrift geregelten Fall erfasst wird.<br/>3. Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 ist dahin auszulegen, dass dem in dieser Vorschrift geregelten Anspruch auf einen gerechten Ausgleich oder der zur Finanzierung dieses Ausgleichs bestimmten Abgabe für Privatkopien nicht entgegenstehen kann, dass die Hälfte des Erlöses dieses Ausgleichs oder dieser Abgabe nicht unmittelbar an die Bezugsberechtigten ausgezahlt wird, sondern an zu ihren Gunsten geschaffene soziale und kulturelle Einrichtungen, sofern diese sozialen und kulturellen Einrichtungen tatsächlich den Berechtigten zugutekommen und die Funktionsmodalitäten dieser Einrichtungen nicht diskriminierend sind, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.<br/>4. Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 ist dahin auszulegen, dass der von einem Mitgliedstaat aufgestellten Pflicht, beim gewerbsmäßigen und entgeltlichen Inverkehrbringen von zur Vervielfältigung geeignetem Trägermaterial eine Abgabe für Privatkopien zu entrichten, die zur Finanzierung des in dieser Vorschrift geregelten gerechten Ausgleichs bestimmt ist, nicht entgegenstehen kann, dass eine entsprechende Abgabe bereits in einem anderen Mitgliedstaat entrichtet worden ist. (T2)<br/>Beisatz: Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die in den Punkten 1 bis 3 der Vorabentscheidung genannten Voraussetzungen bei der Vergütung nach § 42b UrhG erfüllt sind, ist im fortgesetzten Verfahren zu klären. Soweit nach dieser Prüfung ein Vergütungsanspruch besteht, wäre es nach Punkt 4 der Vorabentscheidung unerheblich, wenn die in Anspruch genommenen Unternehmen für die betroffenen Waren bereits im Ausland eine vergleichbare Vergütung geleistet hätten. (T3)

4 Ob 138/13tOGH17.12.2013

Beis wie T2; Beis wie T3

4 Ob 226/14kOGH22.04.2015

Auch

Dokumentnummer

JJR_20110920_OGH0002_0040OB00079_11P0000_001

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