OGH 6Ob139/98d (RS0111769)

OGH6Ob139/98d25.2.1999

Rechtssatz

Der EuGH postuliert einen weiten Verfahrensgegenstandsbegriff. Auch wenn die deutsche Fassung des Art 21 nicht ausdrücklich zwischen den Begriffen "Gegenstand" und "Grundlage" des Anspruchs unterscheidet, so ist sie doch im gleichen Sinn zu verstehen wie die Fassungen in den anderen Sprachen, die alle diese Unterscheidung treffen. Identität der Streitgegenstände ist somit gegeben, wenn beide Klagen dieselbe Grundlage und denselben Gegenstand betreffen. Die "Grundlage" des Anspruchs umfasst den Sachverhalt und die Rechtsvorschriften, auf die die Klage gestützt wird. Dieselbe Grundlage haben unter anderem zwei auf demselben Vertragsverhältnis beruhende Rechtsstreitigkeiten. Derselbe Gegenstand liegt im gemeinsamen Zweck, im Kernpunkt beider Rechtsstreitigkeiten und bestimmt sich danach, welche Begehren im Mittelpunkt beider Verfahren stehen.

Normen

EuGVÜ Art21
Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates 32001R0044 Brüssel I-Verordnung (EuGVVO) Art27
LGVÜ Art21

6 Ob 139/98dOGH25.02.1999
7 Ob 117/01hOGH13.06.2001

Vgl auch; Beisatz: Entspricht somit nicht dem Begriff des Klagebegehrens im Sinn des österreichischen Streitgegenstandbegriffes. (T1)<br/>Beisatz: Hier: Zwei Klagen, die auf demselben "Rahmenvertrag" beruhen, bilden "dieselbe Grundlage" im Sinne des Art 21 EuGVÜ. Um einen gemeinsamen Zweck und somit einen identischen Streitgegenstand im Sinne des Art 21 EuGVÜ anzunehmen, genügt es nicht, dass ein einheitlicher Zweck ganz generell in der Verwirklichung eines solchen "Rahmenvertrages" gesehen werden kann. (T2) Veröff: SZ 74/110

3 Ob 203/03dOGH28.04.2004

nur: Identität der Streitgegenstände ist gegeben, wenn beide Klagen dieselbe Grundlage und denselben Gegenstand betreffen. Die "Grundlage" des Anspruchs umfasst den Sachverhalt und die Rechtsvorschriften, auf die die Klage gestützt wird. Derselbe Gegenstand liegt im gemeinsamen Zweck, im Kernpunkt beider Rechtsstreitigkeiten und bestimmt sich danach, welche Begehren im Mittelpunkt beider Verfahren stehen. (T3)<br/>Beisatz: Der Begriff "derselbe Anspruch" ist weit auszulegen. (T4)<br/>Beisatz: Hier: Negative Feststellungsklage und Oppositionsklage betreffend Unterhalt. (T5)

4 Ob 118/06sOGH28.09.2006

Vgl; nur: Identität des Anspruchs ist (nur) anzunehmen, wenn Gegenstand und Grundlage der beiden Verfahren übereinstimmen. Unter „Grundlage" sind nicht nur die Tatsachen, sondern auch die Rechtsvorschriften zu verstehen, auf die die jeweilige Klage gestützt wird. (T6)<br/>Beisatz: Bei einem Verletzungsverfahren in Österreich und einem Widerspruch gegen die Markenregistrierung in Deutschland liegt keine die Anwendung von Art 27 EuGVVO rechtfertigende Identität des Anspruchs vor. (T7)

6 Ob 122/09yOGH05.08.2009

Beisatz: Art 27 EuGVVO verlangt unter anderem, dass Klagen „wegen desselben Anspruchs" anhängig gemacht werden. Der EuGH (Rs C-144/86 [Gubisch/Palumbo] Slg 1987, 4861 = EuGHE 1987, 4861; Rs C-406/92 [Tatry/Maciej Rataj] Slg 1994, I-5439 ua; aus jüngerer Zeit Rs C-111/01 [Gantner/Basch] wbl 2003/192) legt diesen Begriff nicht nach dem jeweiligen nationalen Prozessrecht, sondern verordnungsautonom nach dem Zweck der Bestimmung aus und hat dabei die französische Fassung der Bestimmung - und nicht den zitierten deutschen Wortlaut - zugrunde gelegt. Nach der französischen Fassung („demandes ayant le meme objet et la meme cause") ist aber eine Identität des Klagsanspruchs immer schon dann gegeben, wenn Gegenstand und Grundlage der Klagen ident sind. Der EuGH postuliert daher einen weiten Verfahrensgegenstandsbegriff, was regelmäßig als „Kernpunkttheorie" bezeichnet wird. (T8)<br/>Beisatz: Ziel der Vertragsauslegung (Art 27 EuGVVO) ist die Vermeidung miteinander unvereinbarer Urteile nach dem Unvereinbarkeitsbegriff des Art 34 Abs 3 EuGVVO (7 Ob 117/01h; 4 Ob 58/03p; 4 Ob 60/05k), also die Vermeidung eines unauflösbaren Widerspruchs der Entscheidungen in den mehreren Verfahren (4 Ob 60/05k). (T9)<br/>Beisatz: Es ist entscheidend, ob es im Kernpunkt beider Rechtsstreitigkeiten um dieselbe Frage geht, sodass nach der Logik nur eine einheitliche Entscheidung für beide Parteien möglich ist. (T10)<br/>Beisatz: Hier: Im vorliegenden Fall ist die selbe Grundlage der von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche zu verneinen. Stützte sie ihre Ansprüche in Spanien auf die Behauptung, es habe sich beim Abtretungsvertrag um einen Scheinvertrag ohne realen Inhalt gehandelt, der der Figur der vollständigen Vortäuschung eines Rechtsgeschäfts zu subsumieren und daher nichtig sei, macht sie im vorliegenden Verfahren Verkürzung über die Hälfte, Arglist und Sittenwidrigkeit geltend. (T11)

8 Ob 149/10kOGH15.07.2011

Auch; Beis wie T10; Beisatz: Hier: Negative Feststellungsklage und später eingebrachte Leistungsklage. (T12)

2 Ob 217/12vOGH20.12.2012

Auch; nur T3; Beis wie T10

6 Ob 240/12fOGH06.06.2013

Vgl auch; Beisatz: Hier: Unterhalt. (T13)

6 Ob 23/18bOGH28.02.2018

Beis ähnlich wie T1; Beis wie T4; Beis wie T8; Beis wie T9; Beisatz: Der Streitgegenstandsbegriff des EuGH ist damit weiter als derjenige nach innerstaatlichem Recht. Nach der „Kernpunkttheorie“ ist „derselbe Anspruch“ bereits gegeben, wenn es in den Prozessen im Kern um denselben Streit (um die Rechtsfolgen aus ein und demselben Sachverhalt) geht. (T14)<br/>Beisatz: Der in Art 27 EuGVVO verwendete Begriff der „Klage“ umfasst nicht nur eine Klage im formellen Sinn, sondern generell jedes Anhängigmachen eines Anspruchs (im sachlichen Anwendungsbereich des europäischen Zivilprozessrechts) bei Gericht. Für Art 27 EuGVVO genügt jedes formalisierte Gesuch um definitiven Rechtsschutz für einen materiellen Anspruch. (T15)

3 Ob 176/18fOGH21.11.2018

Auch; Beis wie T9; Beis wie T14

Dokumentnummer

JJR_19990225_OGH0002_0060OB00139_98D0000_002