Artikel 20
Grenzüberschreitende Nacheile
(1) Bedienstete der Zollverwaltung eines Mitgliedstaats, die in ihrem Land eine Person verfolgen, die bei der Begehung einer auslieferungsfähigen Zuwiderhandlung nach Artikel 19 Absatz 2 oder bei der Teilnahme an einer solchen Zuwiderhandlung beobachtet wird, sind befugt, die Verfolgung auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne dessen vorherige Zustimmung fortzusetzen, wenn die zuständigen Behörden des anderen Mitgliedstaats wegen der besonderen Dringlichkeit der Angelegenheit nicht zuvor unterrichtet werden konnten oder nicht rechtzeitig zur Stelle sind, um die Verfolgung zu übernehmen.
Spätestens beim Grenzübertritt nehmen die nacheilenden Bediensteten Kontakt mit der zuständigen Behörde des Gebietsstaats auf. Die Verfolgung wird eingestellt, sobald der Mitgliedstaat, auf dessen Hoheitsgebiet die Verfolgung stattfindet, dies verlangt. Auf Ersuchen der nacheilenden Bediensteten ergreifen die örtlich zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats die betroffene Person, um ihre Identität festzustellen oder die Festnahme vorzunehmen. Die Mitgliedstaaten teilen dem Verwahrer die nacheilenden Bediensteten mit, auf die diese Bestimmung Anwendung findet; der Verwahrer unterrichtet hierüber die anderen Mitgliedstaaten.
(2) Die Nacheile wird gemäß folgenden Modalitäten ausgeübt, die in der Erklärung nach Absatz 6 festgelegt werden:
- a) Die nacheilenden Bediensteten haben kein Festhalterecht.
- b) Wenn kein Einstellungsverlangen vorliegt und die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, auf dessen Hoheitsgebiet die Verfolgung stattfindet, nicht rechtzeitig herangezogen werden können, dürfen die nacheilenden Bediensteten die Person festhalten, bis die Bediensteten dieses Mitgliedstaats, die unverzüglich zu unterrichten sind, die Identität feststellen oder die Festnahme vornehmen.
(3) Die in den Absätzen 1 und 2 vorgesehene Nacheile werden gemäß einer der folgenden Modalitäten ausgeübt, die in der Erklärung nach Absatz 6 festgelegt werden:
- a) Innerhalb eines in der Erklärung bestimmten Gebietes oder während einer darin bestimmten Zeit vom Überschreiten der Grenze an;
- b) ohne räumliche oder zeitliche Begrenzung.
(4) Die Nacheile darf nur unter folgenden allgemeinen Voraussetzungen ausgeübt werden:
- a) Die nacheilenden Bediensteten sind an die Bestimmungen dieses Artikels und die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sie auftreten, gebunden; sie haben Anordnungen der zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats zu befolgen.
- b) Findet die Nacheile auf See statt, so wird sie auf hoher See oder in der ausschließlichen Wirtschaftszone im Einklang mit dem internationalen Seerecht, wie es im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen verankert ist, und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats im Einklang mit diesem Artikel durchgeführt.
- c) Das Betreten von Wohnungen und öffentlich nicht zugänglichen Grundstücken ist nicht zulässig.
- d) Die nacheilenden Bediensteten müssen als solche eindeutig erkennbar sein, entweder durch eine Uniform, eine Armbinde oder durch an dem Beförderungsmittel angebrachte Zusatzeinrichtungen; das Tragen von Zivilkleidung unter Benutzung eines getarnten dienstlichen Beförderungsmittels ohne die vorgenannte Kennzeichnung ist nicht zulässig; die nacheilenden Bediensteten müssen jederzeit in der Lage sein, ihre amtliche Funktion nachzuweisen.
- e) Die nacheilenden Bediensteten dürfen während der Nacheile ihre Dienstwaffe mit sich führen, es sei denn, i) der ersuchte Mitgliedstaat hat eine allgemeine Erklärung abgegeben, wonach Waffen in sein Hoheitsgebiet nie mitgeführt werden dürfen, oder
- ii) der ersuchte Mitgliedstaat hat dem ausdrücklich
widersprochen. In den Fällen, in denen es den Bediensteten aus einem anderen Mitgliedstaat gestattet ist, ihre Dienstwaffe mit sich zu führen, ist deren Gebrauch mit Ausnahme des Falles der Notwehr nicht zulässig.
- f) Die nach Absatz 2 Buchstabe b) festgehaltene Person darf im Hinblick auf ihre Vorführung vor die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, auf dessen Hoheitsgebiet die Verfolgung stattfand, lediglich einer Sicherheitsdurchsuchung unterzogen werden; es dürfen ihr während der Beförderung Handstellen angelegt werden; die von der verfolgten Person mitgeführten Gegenstände dürfen sichergestellt werden.
- g) Die nacheilenden Bediensteten melden sich nach dem Einschreiten gemäß den Absätzen 1, 2 und 3 bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, auf dessen Hoheitsgebiet sie gehandelt haben, und erstatten Bericht; auf Ersuchen dieser Behörden sind sie verpflichtet, sich bis zur Klärung des Sachverhalts bereitzuhalten; gleiches gilt auch, wenn die verfolgte Person nicht festgenommen werden konnte.
- h) Die Behörden des Mitgliedstaats, auf dessen Hoheitsgebiet die nacheilenden Bediensteten kommen, unterstützen auf Ersuchen die nachträglichen Ermittlungen einschließlich gerichtlicher Verfahren des Mitgliedstaats, auf dessen Hoheitsgebiet eingeschritten wurde.
(5) Die Person, die gemäß Absatz 2 durch die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, auf dessen Hoheitsgebiet die Verfolgung stattfand, festgenommen wurde, kann ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit zum Zwecke der Vernehmung festgehalten werden. Die einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts finden sinngemäß Anwendung.
Hat die Person nicht die Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sie aufgegriffen wurde, wird sie spätestens sechs Stunden nach ihrer Ergreifung freigelassen, wobei die Stunden zwischen Mitternacht und neun Uhr nicht mitzählen, es sei denn, die örtlich zuständigen Behörden erhalten vor Ablauf dieser Frist in irgendeiner Form ein Ersuchen um vorläufige Festnahme zum Zwecke der Auslieferung.
(6) Bei der Unterzeichnung dieses Übereinkommens gibt jeder Mitgliedstaat eine Erklärung ab, in der er die Modalitäten der Ausübung des Nacheilerechts in seinem Hoheitsgebiet nach Maßgabe der Absätze 2, 3 und 4 festlegt.
Jeder Mitgliedstaat kann jederzeit seine Erklärung durch eine andere Erklärung ersetzen, soweit diese nicht die Tragweite der früheren Erklärung einschränkt.
Jeder Erklärung geht eine vorherige Abstimmung mit allen betroffenen Mitgliedstaaten voraus, wobei die Gleichwertigkeit der in diesen Mitgliedstaaten geltenden Regelungen angestrebt wird.
(7) Die Mitgliedstaaten können im Wege bilateraler Vereinbarungen den Anwendungsbereich des Absatzes 1 erweitern und zusätzliche Regelungen zur Durchführung dieses Artikels treffen.
(8) Jeder Mitgliedstaat kann bei der Hinterlegung der Urkunde zur Annahme dieses Übereinkommens erklären, daß er durch diesen Artikel oder Teile dieses Artikels nicht gebunden ist. Diese Erklärung kann jederzeit zurückgezogen werden.
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